14.01.2005 - 16:01 Uhr
Kommt dieses Mal doch alles völlig anders?
- von Bernd Niquet -
Es ist nur wenige Jahre her, da haben wir in Deutschland den größten Sturz der Aktienkurse in der jüngeren Geschichte unseres Landes – und nahezu aller seiner Rechtsvorgänger – erlebt. Der Crash am Neuen Markt ist historisch für Deutschland ohne Vergleich – und selbst die Talfahrt der DAX-Werte stellt den Verlust im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 noch deutlich in den Schatten.
Normalerweise sind nach derartigen, wirklich epochalen Aktienkrisen eine ganze, wenn nicht gar mehr Generationen für ihr gesamtes Leben vom Aktienmarkt vertrieben. Das bedeutet: Die nächste wirkliche Hausse am Aktienmarkt kann sich erst dann ergeben, wenn die Erinnerung an das fatale Geschehen getilgt ist – und dies geschieht gemeinhin nicht durch Vergessen, sondern durch das Aussterben der Beteiligten. Erst spätere Generation, die all das nicht mehr miterlebt haben, werden dann wieder Mut fassen und sich in neue spekulative Überhitzungen treiben lassen.
Was die vergangene Krise jedoch von allen anderen Krisen der gesamten Weltgeschichte unterscheidet, ist zweierlei: Erstens ist wirtschaftlich nichts passiert, die gigantische Börsenkrise ist nicht mit einer ebensolchen Wirtschaftskrise Hand in Hand gegangen. Und zweitens: Die Vermögensbestände des privaten Sektors sind heute so groß, dass selbst ein Kursverlust der Aktien von einmaligem historischen Ausmaß nahezu völlig unmerklich weggesteckt wird. Das ist für die meisten nicht mehr als eine Schramme am Kotflügel ihres neuen Geländewagens. Wir sind alle so unglaublich reich, dass selbst so etwas den meisten nicht wirklich etwas ausmacht.
Heute reden wir sogar schon wieder vom Anlagenotstand! Das muss man sich einmal vorstellen: Die größten Verluste aller Zeiten – und trotzdem wissen die Leute schon heute nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Das geht sogar so weit, dass viele bereits wieder Sehnsucht nach einem Crash haben, um noch einmal billig in die Märkte hinein zu kommen. Vergleichbares hat es in unserer gesamten Geschichte noch niemals gegeben. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass in der Gründerkrise nach 1870 oder in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts auch nur eine Hand voll Menschen eine Crashromantik besessen haben – oder sich diesen sogar aus kalkulierten finanziellen Motiven gewünscht haben. „Alles, nur das nicht noch einmal“, wird man sich damals gedacht haben.
Heute ist das freilich ganz anders. Und es sieht so aus, als ob es mittlerweile ein völliges Missverhältnis zwischen der Größe des Aktienmarktes und des Vermögensbestandes des privaten Sektors gibt. Ein Aktienmarktcrash ist gesamtwirtschaftlich nicht mehr als ein Pullerzucken oder ein lästiger Achselschweiß. Das wird weggesteckt als hätte nur der Dienstbote eine Briefmarke aus der Portokasse für eigene Zwecke veruntreut.
Die Gegenposition zum Vermögen der privaten Hände ist nicht mehr das Produktivvermögen, sondern die Passivseite von Banken und Finanzinstituten – sowie vor allem die Verbindlichkeiten des Staates. Viele Vermögen sind daher unrealisierbare Luftvermögen, weil den Forderungen gleich hohe Verbindlichkeiten uns selbst gegenüber entsprechen. Der Abfederungseffekt von Krisen, den wir heute beobachten, ist also vielfach künstlich. Im Stoßdämpfer befindet sich ein Dopingmittel – und dieses Dopingmittel hat eine Halbwertszeit, die kleiner ist als die lange Frist. Damit funktioniert der Stoßdämpfer derzeit allerdings prächtiger als prächtig.
Bernd Niquet, im Januar 2005.
E-Mail: berndniquet@t-online.de
Kommt dieses Mal doch alles völlig anders?
- von Bernd Niquet -
Es ist nur wenige Jahre her, da haben wir in Deutschland den größten Sturz der Aktienkurse in der jüngeren Geschichte unseres Landes – und nahezu aller seiner Rechtsvorgänger – erlebt. Der Crash am Neuen Markt ist historisch für Deutschland ohne Vergleich – und selbst die Talfahrt der DAX-Werte stellt den Verlust im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 noch deutlich in den Schatten.
Normalerweise sind nach derartigen, wirklich epochalen Aktienkrisen eine ganze, wenn nicht gar mehr Generationen für ihr gesamtes Leben vom Aktienmarkt vertrieben. Das bedeutet: Die nächste wirkliche Hausse am Aktienmarkt kann sich erst dann ergeben, wenn die Erinnerung an das fatale Geschehen getilgt ist – und dies geschieht gemeinhin nicht durch Vergessen, sondern durch das Aussterben der Beteiligten. Erst spätere Generation, die all das nicht mehr miterlebt haben, werden dann wieder Mut fassen und sich in neue spekulative Überhitzungen treiben lassen.
Was die vergangene Krise jedoch von allen anderen Krisen der gesamten Weltgeschichte unterscheidet, ist zweierlei: Erstens ist wirtschaftlich nichts passiert, die gigantische Börsenkrise ist nicht mit einer ebensolchen Wirtschaftskrise Hand in Hand gegangen. Und zweitens: Die Vermögensbestände des privaten Sektors sind heute so groß, dass selbst ein Kursverlust der Aktien von einmaligem historischen Ausmaß nahezu völlig unmerklich weggesteckt wird. Das ist für die meisten nicht mehr als eine Schramme am Kotflügel ihres neuen Geländewagens. Wir sind alle so unglaublich reich, dass selbst so etwas den meisten nicht wirklich etwas ausmacht.
Heute reden wir sogar schon wieder vom Anlagenotstand! Das muss man sich einmal vorstellen: Die größten Verluste aller Zeiten – und trotzdem wissen die Leute schon heute nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Das geht sogar so weit, dass viele bereits wieder Sehnsucht nach einem Crash haben, um noch einmal billig in die Märkte hinein zu kommen. Vergleichbares hat es in unserer gesamten Geschichte noch niemals gegeben. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass in der Gründerkrise nach 1870 oder in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts auch nur eine Hand voll Menschen eine Crashromantik besessen haben – oder sich diesen sogar aus kalkulierten finanziellen Motiven gewünscht haben. „Alles, nur das nicht noch einmal“, wird man sich damals gedacht haben.
Heute ist das freilich ganz anders. Und es sieht so aus, als ob es mittlerweile ein völliges Missverhältnis zwischen der Größe des Aktienmarktes und des Vermögensbestandes des privaten Sektors gibt. Ein Aktienmarktcrash ist gesamtwirtschaftlich nicht mehr als ein Pullerzucken oder ein lästiger Achselschweiß. Das wird weggesteckt als hätte nur der Dienstbote eine Briefmarke aus der Portokasse für eigene Zwecke veruntreut.
Die Gegenposition zum Vermögen der privaten Hände ist nicht mehr das Produktivvermögen, sondern die Passivseite von Banken und Finanzinstituten – sowie vor allem die Verbindlichkeiten des Staates. Viele Vermögen sind daher unrealisierbare Luftvermögen, weil den Forderungen gleich hohe Verbindlichkeiten uns selbst gegenüber entsprechen. Der Abfederungseffekt von Krisen, den wir heute beobachten, ist also vielfach künstlich. Im Stoßdämpfer befindet sich ein Dopingmittel – und dieses Dopingmittel hat eine Halbwertszeit, die kleiner ist als die lange Frist. Damit funktioniert der Stoßdämpfer derzeit allerdings prächtiger als prächtig.
Bernd Niquet, im Januar 2005.
E-Mail: berndniquet@t-online.de