PRESSEINFORMATION DER DZ BANK - RESEARCH UND VOLKSWIRTSCHAFT
21. Juni 2002
Beim Euro macht England nur mit, wenn es auch gewinnt
Wird das mittelmäßige Abschneiden Englands bei der Fußballweltmeisterschaft die Bereitschaft der Briten fördern, demnächst ihre Währung
zu Gunsten des Euro aufzugeben? Ein Argument dafür ließe sich sicherlich konstruieren, denn das Pfund Sterling ist ebenso wie der Fußball
ein Teil des nationalen Selbstverständnisses. Das sportliche Motto "Dabei sein ist alles" wenden die Briten freilich auf die Frage des Beitritts
zur Europäischen Währungsunion vernünftigerweise nicht an. Bislang nutzen sie ihre „opting-out“-Möglichkeit und nehmen nicht an der
Währungsunion teil. Und auch künftig wird das Land nur dann mitmachen, wenn sichergestellt ist, dass es dabei auch gewinnt.
Der Fahrplan der Regierung und die "fünf Tests"
Kurz nach ihrer Wiederwahl im vergangenen Jahr hat die Regierung den weiteren Fahrplan für die Beitrittsentscheidung festgelegt: Sie be-tont,
dass sie einen Beitritt nur befürworten wird, wenn ein positiver Effekt der Währungsunion im Hinblick auf Wachstum, Stabilität und
Arbeitsplätze als sicher gilt. Dazu wurden fünf wirtschaftliche Kriterien formuliert, die als Grundlage für die Entscheidung dienen sollen. Bis
zum Sommer 2003 werden die ökonomischen Vorteile und Risiken eines möglichen Beitritts anhand dieser Kriterien geprüft. Anschließend
wird die Regierung ihre konkrete Empfehlung offiziell bekannt geben. Das letzte Wort haben dann die Wähler, die in einem Referendum
über den Beitritt abstimmen.
Die fünf Testfragen 1
>> Sind die Konjunkturzyklen und die wirtschaftlichen Strukturen in der EWU und Großbritannien kompatibel, so dass alle mit einer ein-heitlichen
Geld- und Zinspolitik gut leben können?
>> Falls wegen unterschiedlicher Entwicklungen Probleme entstehen, ist die Flexibilität ausreichend, um damit fertig zu werden?
>> Wird der Beitritt die Rahmenbedingungen für langfristige Investitionsentscheidungen von Unternehmen in Großbritannien verbessern?
>> Welche Auswirkung hat der Beitritt auf den britischen Finanzdienstleistungssektor, insbesondere in der Londoner City?
>> Zusammengefasst: Wird ein Beitritt zu höherem Wachstum, größerer Stabilität und mehr Arbeitsplätzen führen?
Die "fünf Tests" beschreiben den Kern der Beitrittsentscheidung ökonomisch durchaus zutreffend. Als Instrument zur Überzeugung der Euro-Skeptiker
sind sie allerdings wenig geeignet. Viele werden darin eine Antwort auf die wichtige Frage vermissen, zu welchem unwiderruflich
festen Kurs das Pfund im Euro aufgehen sollte (sie kann unter den geltenden Regeln der EWU auch nicht beantwortet werden). Noch viel weni-ger
können die "fünf Tests" die Verunsicherung der Briten hinsichtlich außerwirtschaftlicher Fragen, etwa nach der kulturellen Eigenständigkeit
oder auch nach der Autonomie der britischen Außenpolitik, mildern (denn diese Fragen haben sachlich mit dem Euro nichts zu tun).
Konvergenz der Konjunkturzyklen hat zugenommen
Die Testfragen betonen zu Recht die konjunkturelle Konvergenz. Denn der Verlust an wirtschaftspolitischer Autonomie, insbesondere in der
Geld- und Zinspolitik, wird besonders nachteilig sein, wenn sich die britische Wirtschaft sehr abweichend zur Konjunktur im EWU-Raum entwi-ckelt.
Dann kann das einheitliche Zinsniveau zu niedrig oder zu hoch sein. Die Folge wären Inflation oder eine Destabilisierung des wirtschaftli-chen
Umfeldes.
Ein wichtiger Indikator für die Konvergenz ist die Entwicklung der Output-Lücke (Differenz zwischen dem tatsächlichen BIP und dem Potenzial-output).
Hier zeichnet sich seit Mitte der 90er Jahre ein engerer Gleichlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in Großbritannien und den großen
EWU-Ländern ab. Zu Beginn der 90er Jahre verlief der Konjunkturzyklus noch sehr unterschiedlich. Bedingt durch die Wiedervereinigung kam
die Rezession in Deutschland erst, als Großbritannien bereits wieder auf Wachstumskurs war. Der Korrelationskoeffizient zwischen der Output-lücke
in Großbritannien und im Euroraum lag in der ersten Hälfte der 90er Jahre folglich nur bei 0,16. Für den Zeitraum von 1996 bis 2001
beträgt er immerhin 0,75. Der Zusammenhang mit der deutschen Wirtschaftsentwicklung ist sogar enger als mit anderen EWU-Ländern.
Befürchtungen wegen divergierender Konjunkturzyklen sind nicht von vornherein grundlos. Aus den Daten der Vergangenheit lässt sich jedoch
nicht ableiten, das dieses Risiko größer wäre als bei anderen Ländern, die inzwischen problemlos mit dem Euro leben.
Strukturelle Konvergenz: Voraussetzung oder Folge eines Beitritts?
Nur indirekt in den "fünf Tests" angesprochen werden strukturelle Besonderheiten der britischen Wirtschaft. Solche wirtschaftlichen Eigenheiten
können durchaus für die Frage relevant sein, ob das Land mit dem Euro "zurecht kommen" wird.
Sicherlich ist Großbritannien weniger "anders", als es etwa Griechenland oder Portugal vor dem Beitritt waren. In diesen Ländern konnte man
aber darauf bauen, dass der EWU-Beitritt die noch bestehenden strukturellen Unterschiede zügig verringern würde und dass eine solche Anglei-chung
einen Gewinn im Sinne eines wirtschaftlichen Aufholens bringen würde. Auch fiel den kleineren Ländern der Verzicht auf wirtschaftspoli-tische
Autonomie leichter, da diese de facto schon vorher recht begrenzt war. Im Falle einer so hoch entwickelten und so großen Volkswirtschaft
wie der Großbritanniens verbietet es sich jedoch, den "Sprung ins kalte Wasser" zu riskieren und darauf zu bauen, dass die notwendigen An-passungen
sich dann schon einstellen und dem Land zum Vorteil gereichen werden.
Im Vergleich mit den großen EWU-Ländern Deutschland, Frankreich und Italien sind vor allem zwei britische Besonderheiten zu diskutieren: die
(tatsächlich oder vermeintlich) geringe Wirtschafts- und Handelsverflechtung mit Kontinentaleuropa und die besondere Struktur des britischen
Immobiliensektors.
Die abweichende Handelsstruktur wurde schon vor Jahren als strukturelles Problem herausgestellt.2 Im Jahre 1995 wickelte Großbritannien nur
52 Prozent seiner Ausfuhren mit anderen EU-Ländern ab, 13 Prozent mit den USA. Inzwischen ist die Handelsstruktur der der großen EWU-Länder
ähnlicher geworden. Die Exporte in EU-Länder hatten 2000 einen Anteil von etwa 57 Prozent. Das ist ebenso hoch wie im Falle von
Deutschland und mehr als im Falle Italiens. Allerdings ist auch der Anteil der Exporte in die USA auf 16 Prozent angestiegen. Die Außenhandels-verflechtung
mit den USA ist weiterhin etwas stärker als im EWU-Durchschnitt.
Eine andere strukturelle Besonderheit der britischen Wirtschaft ist die Bedeutung des Immobilienmarktes. Zwei Drittel der britischen Haushalte
besitzen eine Immobilie. Statt wechselnder Mietwohnungen werden viel häufiger Häuser gekauft und verkauft. Die Entwicklung der Hypothe-kenzinsen
und damit verbunden der Hauspreise beeinflusst stark die Einkommens- und Vermögenssituation der Konsumenten und damit auch
das gesamtwirtschaftliche Klima. Dabei sind die Hypothekendarlehen zum größten Teil flexibel verzinst. Daher reagiert die Stimmung in der
britischen Wirtschaft besonders sensitiv auf Zinsänderungen, und die Höhe der Zinsen ist weit mehr als in anderen Ländern ein politisches, po-tenziell
wahlentscheidendes Thema.
Hypothekenverträge mit variablen Zinsen sind in Großbritannien eine Tradition, die im Rechtssystem und in den Geschäftspraktiken der Finanz-unternehmen
Wurzeln geschlagen hat. Die Dominanz von Gleitzinsverträgen ist jedoch nicht naturgegeben, sondern letztlich eine Reaktion des
Finanzmarktes auf die lange Erfahrung mir stark schwankenden Inflationsraten. Wenn die Preisniveauentwicklung sich weiter und nachhaltig
stabilisiert, können Festzinsverträge an Gewicht gewinnen und der Hypothekenmarkt insofern dem kontinentaleuropäischen ähnlicher werden.
Das wird aber nicht von heute auf morgen geschehen. In der Zwischenzeit bleibt die Hoffnung, dass die Europäische Zentralbank den britischen
Hauskäufern hinreichend stabile Zinsbedingungen bieten kann.
Die strukturellen Besonderheiten der britischen Wirtschaft lassen vermuten, dass Großbritannien durch wirtschaftliche Schocks wie einen Zinsan-stieg
oder eine US-Rezession anders betroffen sein könnte als der Durchschnitt der jetzigen EWU-Länder und bei Verzicht auf die eigene Geld-und
Währungspolitik daher stärkere Einbußen erleiden würde. In einer jüngst veröffentlichten Studie hat das Research-Institut Oxford Economic
Forecasting verschiedene Schockszenarien in Modellen simuliert und diese Befürchtung unter bestimmten Annahmen bestätigt.3
Tradition konjunkturorientierter Wirtschaftspolitik
Die Geld- und Finanzpolitik ist bisher in Großbritannien stärker konjunkturorientiert und finanzmarktnäher als dies z.B. in Deutschland der Fall
ist. Die Rolle der Wirtschaftspolitik wird aktivistischer interpretiert.
Die geldpolitische Ausrichtung der Bank of England unterscheidet sich deutlich von derjenigen der EZB. Die BoE verfolgt eine Strategie des „in-flation
targeting“, bei der sie über ihre Zinspolitik die Inflation auf ein konkretes Ziel hinsteuert. De facto hat sich die Geldpolitik in der Vergan-genheit
eng am Konjunkturverlauf orientiert. Demgegenüber bezieht die EZB den Konjunkturverlauf nur indirekt in ihre Zinsentscheidungen ein.
Auch die britische Finanzpolitik ist konjunkturreagibel ausgestaltet. Hier bestimmen vor allem zwei Regeln die Finanzpolitik: die „golden rule“,
nach der neu aufgenommene Staatskredite nur für Investitionen, nicht hingegen zu Konsumausgaben verwendet werden dürfen, und die
„sustainable investment rule“, wonach die Nettoverschuldung einen bestimmten Anteil des Bruttoinlandproduktes im Konjunkturverlauf nicht
überschreiten soll. Beide Regeln lassen eine Schwankung der Budgetsalden im Konjunkturverlauf zu. Folglich entwickelten sich die Budgetsal-den
in den vergangenen zehn Jahren in Großbritannien volatiler als in den großen EWU-Ländern. Gemessen an der Standardabweichung war
die Schwankung knapp doppelt so hoch wie in Frankreich und mehr als dreimal so hoch wie in Deutschland.4 Die britische Regierung setzt sich
derzeit dafür ein, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt entsprechend neu ausgelegt wird.
Das zeigt, dass ein Euro-Beitritt nicht nur den privaten Sektor – Verbraucher, Hauskäufer, Banken –, sondern auch die wirtschaftspolitischen
Entscheidungsträger zu einem Umdenken zwingen wird. Die bisherigen Erfahrungen in der EWU haben allerdings unseres Erachtens gelehrt,
dass solche Unterschiede der "wirtschaftspolitischen Philosophien" nicht überbetont werden sollten. Vor dem Beginn der EWU schienen die
wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen in Deutschland und Frankreich viel weiter auseinander zu liegen als zwischen Deutschland und
Großbritannien - aber das Problem ist bis heute ein "philosophisches" geblieben und hat die Währungsunion nicht belastet.
Flexible Wirtschaft kann Anpassungsprobleme lösen
In den "fünf Test" wird zu Recht betont, dass wegen divergierender Wirtschaftsentwicklungen oder struktureller Unterschiede zwar Probleme
entstehen können, dass diese aber bei ausreichender Flexibilität der Wirtschaft lösbar sind. Großbritannien ist in der Tat in punkto Flexibilität der
Märkte für Güter und Dienstleistungen und des Arbeitsmarktes den meisten anderen EU-Ländern weit voraus. Alles in allem sind die britischen
Arbeits- und Gütermärkte vergleichsweise flexibel und damit für notwendige Anpassungen besser gewappnet, als dies in manchem EWU-Land
der Fall ist. Auch die Kostenbelastung durch Steuern und Abgaben ist geringer als in vielen der bisherigen EWU-Teilnehmerländer.
Auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten haben in den vergangenen Jahren umfangreiche Liberalisierungen stattgefunden. Speziell der Tele-kommunikationssektor
und der gesamte Elektrizitäts- und Gasmarkt sind weitgehend liberalisiert worden. Auch in anderen wichtigen Wirt-schaftsbereichen
wie bei den Finanzdienstleistungen und im Einzelhandel sind Regulierungen abgebaut oder vereinfacht worden.
Der geringere Regulierungsgrad am Arbeitsmarkt hat Großbritannien eine im Vergleich zu den EWU-Ländern sehr positive Arbeitsmarktent-wicklung
beschert. Die Arbeitslosenquote (ILO-Standardisierung) sank von fast 11 Prozent im Jahre 1993 nachhaltig auf derzeit 5 Prozent,
während sie in der EWU weiterhin bei über 8 Prozent liegt. In der starken Konjunkturphase der 90er Jahre ist es gelungen, viele Arbeitslose in
den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Langzeitarbeitslosigkeit, eine wichtige Komponente der strukturellen Arbeitslosigkeit in der EWU, ist in
Großbritannien geringer als in Deutschland, Italien und Frankreich.5 Der geringe Regulierungsgrad erlaubt eine höhere Lohnflexibilität. Zudem ist
die Fluktuation vergleichsweise hoch. Auch die Arbeitszeitflexibilität ist in den letzten Jahren gestiegen. So liegt der Anteil der Teilzeitjobs an
den gesamten Beschäftigungsverhältnissen deutlich über dem Durchschnitt der EWU.6
Problem Nummer eins: Der richtige Wechselkurs
Die wohl wichtigste Frage, die es für den Eintritt in die Europäische Währungsunion zu klären gilt, ist der Wechselkurs, mit dem das britische
Pfund zum Euro fixiert würde. Die Höhe des Wechselkurses wird zumindest anfänglich entscheidenden Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit
der britischen Unternehmen haben. Und ein falsch gewählter Einstiegskurs kann scharfe Anpassungsreaktionen in Form von Preisniveau-schwankungen
oder Konjunkturschwankungen auslösen.
Derzeit gilt das Pfund mit einem Kurs von etwa 0,64 GBP/EUR als überbewertet. Ein Beitritt zum aktuellen Kurs würde also die als notwendig
erachtete und auch weithin erwartete Abwertung unterbinden und damit vermutliche Wachstumseinbußen verursachen. Insbesondere wenn
nach einem Beitritt zu einem überhöhten Kurs der vielfach noch als unterbewertet angesehene Euro zum US-Dollar weiter aufholte, wäre die
britische Industrie nicht mehr konkurrenzfähig.
Über den adäquaten Beitrittskurs wird bereits seit einiger Zeit viel diskutiert. Verschiedene empirische Untersuchungen haben sich mit der Höhe
des „fairen“ Wechselkurses beschäftigt. Werden diese Berechnungen zum gleichgewichtigen Wechselkurs herangezogen, um den adäquaten
Beitrittskurs ungefähr festzulegen, so ergibt sich eine recht weite Spannbreite von 0,65 bis 0,79 GBP/EUR. Ausgehend vom aktuellen Kurs wür-de
dies bedeuten, dass das Pfund im Vorfeld des Beitritts im äußersten Fall noch um bis zu 20 Prozent abwerten müsste. Im Durchschnitt er-mitteln
die uns vorliegenden Studien eine Überbewertung in der Größenordnung von 10 Prozent.
Bereits heute reagiert der Kurs des Pfund deutlich auf alle Nachrichten, die die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Beitrittsszenarien beein-flussen.
Dennoch ist momentan schwer abzusehen, wie und wann der Pfund-Kurs sich anpassen könnte. Eine aktive Einflussnahme der Bank of
England, um den Kurs in die Nähe eines beitrittsgerechteren Niveaus zu bringen, ist derzeit wenig wahrscheinlich, da sie damit ihrem Inflations-ziel
zuwider handeln müsste. Da das "Maastricht-Kriterium", das eine mindestens zweijährige Mitgliedschaft im EWS II fordern, schon in der
Vergangenheit weit ausgelegt worden ist, wird die Frage, wie die Wechselkursfixierung praktisch vorgenommen werden wird, spannend blei-ben.
7
Ausblick – wie wahrscheinlich ist ein Beitritt bis zum Jahr 2005?
Aus wirtschaftlicher Perspektive steht einem schnellen Beitritt der Briten zur Währungsunion wenig im Wege. Die fünf wirtschaftlichen Tests
sind bereits jetzt im Großen und Ganzen erfüllt, Großbritannien könnte ohne größere wirtschaftliche Bedenken den Schritt in die EWU wagen.8
Aus politischer Sicht bleibt die Entscheidung aber heikel. Premierminister Blair ließ jüngst verlauten, dass er gern als der Premier in die Ge-schichte
eingehen würde, der die Briten in die Eurozone geführt hat. In den politischen Parteien herrscht die Pro-Euro-Position vor. Im Parlament
dürfte mit der starken Labour-Mehrheit und der Zustimmung der liberalen Demokraten die Mehrheit klar sein. Auch wichtige Interessengruppen
wie Arbeitgeber und Gewerkschaften sprechen sich mehrheitlich für den Euro aus.
Die Mehrheit der Briten ist aber nach wie vor gegen den Beitritt. Ein Referendum würde derzeit scheitern. In dieser ungefestigten Stimmungsla-ge
sind zahlreiche Pro- und Kontra-Kampagnen angelaufen. Neben dem von Rupert Murdoch nun auf Anti-Euro-Kurs eingeschworenen MedIen-Imperium
gibt es etwa 60 Gruppierungen, die den Euro-Beitritt ablehnen und aktiv auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung Einfluss neh-men.
Als Gegenpol dazu haben sich auch mehrere starke Pro-Euro Kampagnen – zum Teil gestützt von der Regierung – herausgebildet.9
Letztlich machen fast alle Interessengruppen und politischen Parteien ihre Zustimmung von der Höhe des Wechselkurses abhängig. Die Briten
werden jedoch höchst wahrscheinlich über den Euro abstimmen müssen, ohne den endgültigen Beitrittskurs zu kennen. Dieser Unsicherheits-faktor
wird die Beitrittsentscheidung stark belasten.
Ein Beitritt bis zum Jahre 2010 kann als nahezu sicher angesehen werden. Auch die Euro-skeptische Bevölkerung hält ihn mehrheitlich für un-ausweichlich.
10 Die Wahrscheinlichkeit eines „schnellen“ Beitritts noch in dieser Legislaturperiode liegt nach unserer Einschätzung bei etwa 50
Prozent – allein schon aus praktischen Überlegungen könnte sie schwierig werden.11 Nimmt sich die Regierung Zeit bis Juni 2003, um die Über-prüfung
der "fünf Tests" abzuschließen und danach ihre Beitrittsempfehlung auszusprechen, so könnte im Oktober das Referendum stattfinden.
Frühester Termin für den Vollzug des Beitritts wäre dann Januar 2006. Die Bargeldeinführung würde nochmals einige Monate benötigen.
Januar 2006 ist zugleich der späteste mögliche Termin vor der nächsten Unterhauswahl, die spätestens im Juni 2006 stattfinden muss - vermut-lich
zeitgleich mit der Fußball-WM, bei der es dann wieder heißt: "Dabei sein ist alles".
DZ BANK AG
Research und Volkswirtschaft
Tel. 069 7447 2280
Eine ausführlichere Studie zu diesem Thema können Sie bei uns (volkswirtschaft@dzbank.de) anfordern.
1 HM Treasury: Preliminary and Technical Work to Prepare for the Assessment of the Five Tests for UK Membership of the Single Currency, November 2001.
2 Vgl. HM Treasury: UK Membership of the Single Currency. An Assessment of the Five Economic Tests, Oktober 1997, S. 13ff.
3 Vgl. Oxford Economic Forecasting: Scenarios on behalf of the ‚No‘ campaign, April 2002.
4 Die Berechnung der Standardabweichung ergibt für 1991 bis 2001 einen Wert von 2,8 für Großbritannien, 0,8 für Deutschland und 1,7 für Frankreich.
5 Gemäß OECD-Zahlen waren im Jahr 2000 in Italien 75,3 % der Arbeitslosen länger als 6 Monate ohne Arbeit, in Deutschland 67,6 %, in Frankreich 61.9 % und in Großbri-tannien
43,2 %.
6 Vgl. EIRO, Comparative Overview of Industrial Relations, 2001.
7 Nach derzeitigem Stand wird der ECOFIN-Rat auf Vorschlag der EU-Kommission und nach Beratung mit der EZB erst nach der britischen Beitrittsentscheidung den „richtigen“
Beitrittskurs - oder die Methode zu seiner Ermittlung - festlegen. Großbritannien und alle anderen EWU-Länder müssen zustimmen.
8 Zu diesem Ergebnis vgl. z.B. auch: Expert Commission: Britain’s Adoption ot the Euro, August 2000; Barrell, Ray: “The UK and EMU. Choosing the Regime“, National Insti-tute
Economic Review, no. 180, April 2002.
9 Bekannte Euro-Gegner finden sich in der unter Margaret Thatchers Vorsitz organisierten „Bruges Group“. Auch die „No-Campaign“, eine Allianz von Ökonomen, Diploma-ten,
Parlamentariern und anderen Prominenten, die aus den Kampagnen „Business for Sterling“ und „New Europe Council“ hervorging, hat in den vergangenen Monaten viel
Presse gegen den Euro gemacht. Bekannte Pro-Euro-Gruppierungen sind „Britain in Europe“ und „European Movement“, in denen sich große Unternehmen engagieren.
10 75 bis 85 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Mitgliedschaft in den nächsten 10 Jahren erreicht sein wird - eine Euro-freundliche Regierung vorausgesetzt. Vgl.
Mori: „Joining the Euro“ Februar 2002 und ICM Research: „Single Currency Trends”, Mai 2002.
11 Vgl. Bank of England: Practical Issues Arising from the Euro, May 2002, S. 126-127.
21. Juni 2002
Beim Euro macht England nur mit, wenn es auch gewinnt
Wird das mittelmäßige Abschneiden Englands bei der Fußballweltmeisterschaft die Bereitschaft der Briten fördern, demnächst ihre Währung
zu Gunsten des Euro aufzugeben? Ein Argument dafür ließe sich sicherlich konstruieren, denn das Pfund Sterling ist ebenso wie der Fußball
ein Teil des nationalen Selbstverständnisses. Das sportliche Motto "Dabei sein ist alles" wenden die Briten freilich auf die Frage des Beitritts
zur Europäischen Währungsunion vernünftigerweise nicht an. Bislang nutzen sie ihre „opting-out“-Möglichkeit und nehmen nicht an der
Währungsunion teil. Und auch künftig wird das Land nur dann mitmachen, wenn sichergestellt ist, dass es dabei auch gewinnt.
Der Fahrplan der Regierung und die "fünf Tests"
Kurz nach ihrer Wiederwahl im vergangenen Jahr hat die Regierung den weiteren Fahrplan für die Beitrittsentscheidung festgelegt: Sie be-tont,
dass sie einen Beitritt nur befürworten wird, wenn ein positiver Effekt der Währungsunion im Hinblick auf Wachstum, Stabilität und
Arbeitsplätze als sicher gilt. Dazu wurden fünf wirtschaftliche Kriterien formuliert, die als Grundlage für die Entscheidung dienen sollen. Bis
zum Sommer 2003 werden die ökonomischen Vorteile und Risiken eines möglichen Beitritts anhand dieser Kriterien geprüft. Anschließend
wird die Regierung ihre konkrete Empfehlung offiziell bekannt geben. Das letzte Wort haben dann die Wähler, die in einem Referendum
über den Beitritt abstimmen.
Die fünf Testfragen 1
>> Sind die Konjunkturzyklen und die wirtschaftlichen Strukturen in der EWU und Großbritannien kompatibel, so dass alle mit einer ein-heitlichen
Geld- und Zinspolitik gut leben können?
>> Falls wegen unterschiedlicher Entwicklungen Probleme entstehen, ist die Flexibilität ausreichend, um damit fertig zu werden?
>> Wird der Beitritt die Rahmenbedingungen für langfristige Investitionsentscheidungen von Unternehmen in Großbritannien verbessern?
>> Welche Auswirkung hat der Beitritt auf den britischen Finanzdienstleistungssektor, insbesondere in der Londoner City?
>> Zusammengefasst: Wird ein Beitritt zu höherem Wachstum, größerer Stabilität und mehr Arbeitsplätzen führen?
Die "fünf Tests" beschreiben den Kern der Beitrittsentscheidung ökonomisch durchaus zutreffend. Als Instrument zur Überzeugung der Euro-Skeptiker
sind sie allerdings wenig geeignet. Viele werden darin eine Antwort auf die wichtige Frage vermissen, zu welchem unwiderruflich
festen Kurs das Pfund im Euro aufgehen sollte (sie kann unter den geltenden Regeln der EWU auch nicht beantwortet werden). Noch viel weni-ger
können die "fünf Tests" die Verunsicherung der Briten hinsichtlich außerwirtschaftlicher Fragen, etwa nach der kulturellen Eigenständigkeit
oder auch nach der Autonomie der britischen Außenpolitik, mildern (denn diese Fragen haben sachlich mit dem Euro nichts zu tun).
Konvergenz der Konjunkturzyklen hat zugenommen
Die Testfragen betonen zu Recht die konjunkturelle Konvergenz. Denn der Verlust an wirtschaftspolitischer Autonomie, insbesondere in der
Geld- und Zinspolitik, wird besonders nachteilig sein, wenn sich die britische Wirtschaft sehr abweichend zur Konjunktur im EWU-Raum entwi-ckelt.
Dann kann das einheitliche Zinsniveau zu niedrig oder zu hoch sein. Die Folge wären Inflation oder eine Destabilisierung des wirtschaftli-chen
Umfeldes.
Ein wichtiger Indikator für die Konvergenz ist die Entwicklung der Output-Lücke (Differenz zwischen dem tatsächlichen BIP und dem Potenzial-output).
Hier zeichnet sich seit Mitte der 90er Jahre ein engerer Gleichlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in Großbritannien und den großen
EWU-Ländern ab. Zu Beginn der 90er Jahre verlief der Konjunkturzyklus noch sehr unterschiedlich. Bedingt durch die Wiedervereinigung kam
die Rezession in Deutschland erst, als Großbritannien bereits wieder auf Wachstumskurs war. Der Korrelationskoeffizient zwischen der Output-lücke
in Großbritannien und im Euroraum lag in der ersten Hälfte der 90er Jahre folglich nur bei 0,16. Für den Zeitraum von 1996 bis 2001
beträgt er immerhin 0,75. Der Zusammenhang mit der deutschen Wirtschaftsentwicklung ist sogar enger als mit anderen EWU-Ländern.
Befürchtungen wegen divergierender Konjunkturzyklen sind nicht von vornherein grundlos. Aus den Daten der Vergangenheit lässt sich jedoch
nicht ableiten, das dieses Risiko größer wäre als bei anderen Ländern, die inzwischen problemlos mit dem Euro leben.
Strukturelle Konvergenz: Voraussetzung oder Folge eines Beitritts?
Nur indirekt in den "fünf Tests" angesprochen werden strukturelle Besonderheiten der britischen Wirtschaft. Solche wirtschaftlichen Eigenheiten
können durchaus für die Frage relevant sein, ob das Land mit dem Euro "zurecht kommen" wird.
Sicherlich ist Großbritannien weniger "anders", als es etwa Griechenland oder Portugal vor dem Beitritt waren. In diesen Ländern konnte man
aber darauf bauen, dass der EWU-Beitritt die noch bestehenden strukturellen Unterschiede zügig verringern würde und dass eine solche Anglei-chung
einen Gewinn im Sinne eines wirtschaftlichen Aufholens bringen würde. Auch fiel den kleineren Ländern der Verzicht auf wirtschaftspoli-tische
Autonomie leichter, da diese de facto schon vorher recht begrenzt war. Im Falle einer so hoch entwickelten und so großen Volkswirtschaft
wie der Großbritanniens verbietet es sich jedoch, den "Sprung ins kalte Wasser" zu riskieren und darauf zu bauen, dass die notwendigen An-passungen
sich dann schon einstellen und dem Land zum Vorteil gereichen werden.
Im Vergleich mit den großen EWU-Ländern Deutschland, Frankreich und Italien sind vor allem zwei britische Besonderheiten zu diskutieren: die
(tatsächlich oder vermeintlich) geringe Wirtschafts- und Handelsverflechtung mit Kontinentaleuropa und die besondere Struktur des britischen
Immobiliensektors.
Die abweichende Handelsstruktur wurde schon vor Jahren als strukturelles Problem herausgestellt.2 Im Jahre 1995 wickelte Großbritannien nur
52 Prozent seiner Ausfuhren mit anderen EU-Ländern ab, 13 Prozent mit den USA. Inzwischen ist die Handelsstruktur der der großen EWU-Länder
ähnlicher geworden. Die Exporte in EU-Länder hatten 2000 einen Anteil von etwa 57 Prozent. Das ist ebenso hoch wie im Falle von
Deutschland und mehr als im Falle Italiens. Allerdings ist auch der Anteil der Exporte in die USA auf 16 Prozent angestiegen. Die Außenhandels-verflechtung
mit den USA ist weiterhin etwas stärker als im EWU-Durchschnitt.
Eine andere strukturelle Besonderheit der britischen Wirtschaft ist die Bedeutung des Immobilienmarktes. Zwei Drittel der britischen Haushalte
besitzen eine Immobilie. Statt wechselnder Mietwohnungen werden viel häufiger Häuser gekauft und verkauft. Die Entwicklung der Hypothe-kenzinsen
und damit verbunden der Hauspreise beeinflusst stark die Einkommens- und Vermögenssituation der Konsumenten und damit auch
das gesamtwirtschaftliche Klima. Dabei sind die Hypothekendarlehen zum größten Teil flexibel verzinst. Daher reagiert die Stimmung in der
britischen Wirtschaft besonders sensitiv auf Zinsänderungen, und die Höhe der Zinsen ist weit mehr als in anderen Ländern ein politisches, po-tenziell
wahlentscheidendes Thema.
Hypothekenverträge mit variablen Zinsen sind in Großbritannien eine Tradition, die im Rechtssystem und in den Geschäftspraktiken der Finanz-unternehmen
Wurzeln geschlagen hat. Die Dominanz von Gleitzinsverträgen ist jedoch nicht naturgegeben, sondern letztlich eine Reaktion des
Finanzmarktes auf die lange Erfahrung mir stark schwankenden Inflationsraten. Wenn die Preisniveauentwicklung sich weiter und nachhaltig
stabilisiert, können Festzinsverträge an Gewicht gewinnen und der Hypothekenmarkt insofern dem kontinentaleuropäischen ähnlicher werden.
Das wird aber nicht von heute auf morgen geschehen. In der Zwischenzeit bleibt die Hoffnung, dass die Europäische Zentralbank den britischen
Hauskäufern hinreichend stabile Zinsbedingungen bieten kann.
Die strukturellen Besonderheiten der britischen Wirtschaft lassen vermuten, dass Großbritannien durch wirtschaftliche Schocks wie einen Zinsan-stieg
oder eine US-Rezession anders betroffen sein könnte als der Durchschnitt der jetzigen EWU-Länder und bei Verzicht auf die eigene Geld-und
Währungspolitik daher stärkere Einbußen erleiden würde. In einer jüngst veröffentlichten Studie hat das Research-Institut Oxford Economic
Forecasting verschiedene Schockszenarien in Modellen simuliert und diese Befürchtung unter bestimmten Annahmen bestätigt.3
Tradition konjunkturorientierter Wirtschaftspolitik
Die Geld- und Finanzpolitik ist bisher in Großbritannien stärker konjunkturorientiert und finanzmarktnäher als dies z.B. in Deutschland der Fall
ist. Die Rolle der Wirtschaftspolitik wird aktivistischer interpretiert.
Die geldpolitische Ausrichtung der Bank of England unterscheidet sich deutlich von derjenigen der EZB. Die BoE verfolgt eine Strategie des „in-flation
targeting“, bei der sie über ihre Zinspolitik die Inflation auf ein konkretes Ziel hinsteuert. De facto hat sich die Geldpolitik in der Vergan-genheit
eng am Konjunkturverlauf orientiert. Demgegenüber bezieht die EZB den Konjunkturverlauf nur indirekt in ihre Zinsentscheidungen ein.
Auch die britische Finanzpolitik ist konjunkturreagibel ausgestaltet. Hier bestimmen vor allem zwei Regeln die Finanzpolitik: die „golden rule“,
nach der neu aufgenommene Staatskredite nur für Investitionen, nicht hingegen zu Konsumausgaben verwendet werden dürfen, und die
„sustainable investment rule“, wonach die Nettoverschuldung einen bestimmten Anteil des Bruttoinlandproduktes im Konjunkturverlauf nicht
überschreiten soll. Beide Regeln lassen eine Schwankung der Budgetsalden im Konjunkturverlauf zu. Folglich entwickelten sich die Budgetsal-den
in den vergangenen zehn Jahren in Großbritannien volatiler als in den großen EWU-Ländern. Gemessen an der Standardabweichung war
die Schwankung knapp doppelt so hoch wie in Frankreich und mehr als dreimal so hoch wie in Deutschland.4 Die britische Regierung setzt sich
derzeit dafür ein, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt entsprechend neu ausgelegt wird.
Das zeigt, dass ein Euro-Beitritt nicht nur den privaten Sektor – Verbraucher, Hauskäufer, Banken –, sondern auch die wirtschaftspolitischen
Entscheidungsträger zu einem Umdenken zwingen wird. Die bisherigen Erfahrungen in der EWU haben allerdings unseres Erachtens gelehrt,
dass solche Unterschiede der "wirtschaftspolitischen Philosophien" nicht überbetont werden sollten. Vor dem Beginn der EWU schienen die
wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen in Deutschland und Frankreich viel weiter auseinander zu liegen als zwischen Deutschland und
Großbritannien - aber das Problem ist bis heute ein "philosophisches" geblieben und hat die Währungsunion nicht belastet.
Flexible Wirtschaft kann Anpassungsprobleme lösen
In den "fünf Test" wird zu Recht betont, dass wegen divergierender Wirtschaftsentwicklungen oder struktureller Unterschiede zwar Probleme
entstehen können, dass diese aber bei ausreichender Flexibilität der Wirtschaft lösbar sind. Großbritannien ist in der Tat in punkto Flexibilität der
Märkte für Güter und Dienstleistungen und des Arbeitsmarktes den meisten anderen EU-Ländern weit voraus. Alles in allem sind die britischen
Arbeits- und Gütermärkte vergleichsweise flexibel und damit für notwendige Anpassungen besser gewappnet, als dies in manchem EWU-Land
der Fall ist. Auch die Kostenbelastung durch Steuern und Abgaben ist geringer als in vielen der bisherigen EWU-Teilnehmerländer.
Auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten haben in den vergangenen Jahren umfangreiche Liberalisierungen stattgefunden. Speziell der Tele-kommunikationssektor
und der gesamte Elektrizitäts- und Gasmarkt sind weitgehend liberalisiert worden. Auch in anderen wichtigen Wirt-schaftsbereichen
wie bei den Finanzdienstleistungen und im Einzelhandel sind Regulierungen abgebaut oder vereinfacht worden.
Der geringere Regulierungsgrad am Arbeitsmarkt hat Großbritannien eine im Vergleich zu den EWU-Ländern sehr positive Arbeitsmarktent-wicklung
beschert. Die Arbeitslosenquote (ILO-Standardisierung) sank von fast 11 Prozent im Jahre 1993 nachhaltig auf derzeit 5 Prozent,
während sie in der EWU weiterhin bei über 8 Prozent liegt. In der starken Konjunkturphase der 90er Jahre ist es gelungen, viele Arbeitslose in
den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Langzeitarbeitslosigkeit, eine wichtige Komponente der strukturellen Arbeitslosigkeit in der EWU, ist in
Großbritannien geringer als in Deutschland, Italien und Frankreich.5 Der geringe Regulierungsgrad erlaubt eine höhere Lohnflexibilität. Zudem ist
die Fluktuation vergleichsweise hoch. Auch die Arbeitszeitflexibilität ist in den letzten Jahren gestiegen. So liegt der Anteil der Teilzeitjobs an
den gesamten Beschäftigungsverhältnissen deutlich über dem Durchschnitt der EWU.6
Problem Nummer eins: Der richtige Wechselkurs
Die wohl wichtigste Frage, die es für den Eintritt in die Europäische Währungsunion zu klären gilt, ist der Wechselkurs, mit dem das britische
Pfund zum Euro fixiert würde. Die Höhe des Wechselkurses wird zumindest anfänglich entscheidenden Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit
der britischen Unternehmen haben. Und ein falsch gewählter Einstiegskurs kann scharfe Anpassungsreaktionen in Form von Preisniveau-schwankungen
oder Konjunkturschwankungen auslösen.
Derzeit gilt das Pfund mit einem Kurs von etwa 0,64 GBP/EUR als überbewertet. Ein Beitritt zum aktuellen Kurs würde also die als notwendig
erachtete und auch weithin erwartete Abwertung unterbinden und damit vermutliche Wachstumseinbußen verursachen. Insbesondere wenn
nach einem Beitritt zu einem überhöhten Kurs der vielfach noch als unterbewertet angesehene Euro zum US-Dollar weiter aufholte, wäre die
britische Industrie nicht mehr konkurrenzfähig.
Über den adäquaten Beitrittskurs wird bereits seit einiger Zeit viel diskutiert. Verschiedene empirische Untersuchungen haben sich mit der Höhe
des „fairen“ Wechselkurses beschäftigt. Werden diese Berechnungen zum gleichgewichtigen Wechselkurs herangezogen, um den adäquaten
Beitrittskurs ungefähr festzulegen, so ergibt sich eine recht weite Spannbreite von 0,65 bis 0,79 GBP/EUR. Ausgehend vom aktuellen Kurs wür-de
dies bedeuten, dass das Pfund im Vorfeld des Beitritts im äußersten Fall noch um bis zu 20 Prozent abwerten müsste. Im Durchschnitt er-mitteln
die uns vorliegenden Studien eine Überbewertung in der Größenordnung von 10 Prozent.
Bereits heute reagiert der Kurs des Pfund deutlich auf alle Nachrichten, die die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Beitrittsszenarien beein-flussen.
Dennoch ist momentan schwer abzusehen, wie und wann der Pfund-Kurs sich anpassen könnte. Eine aktive Einflussnahme der Bank of
England, um den Kurs in die Nähe eines beitrittsgerechteren Niveaus zu bringen, ist derzeit wenig wahrscheinlich, da sie damit ihrem Inflations-ziel
zuwider handeln müsste. Da das "Maastricht-Kriterium", das eine mindestens zweijährige Mitgliedschaft im EWS II fordern, schon in der
Vergangenheit weit ausgelegt worden ist, wird die Frage, wie die Wechselkursfixierung praktisch vorgenommen werden wird, spannend blei-ben.
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Ausblick – wie wahrscheinlich ist ein Beitritt bis zum Jahr 2005?
Aus wirtschaftlicher Perspektive steht einem schnellen Beitritt der Briten zur Währungsunion wenig im Wege. Die fünf wirtschaftlichen Tests
sind bereits jetzt im Großen und Ganzen erfüllt, Großbritannien könnte ohne größere wirtschaftliche Bedenken den Schritt in die EWU wagen.8
Aus politischer Sicht bleibt die Entscheidung aber heikel. Premierminister Blair ließ jüngst verlauten, dass er gern als der Premier in die Ge-schichte
eingehen würde, der die Briten in die Eurozone geführt hat. In den politischen Parteien herrscht die Pro-Euro-Position vor. Im Parlament
dürfte mit der starken Labour-Mehrheit und der Zustimmung der liberalen Demokraten die Mehrheit klar sein. Auch wichtige Interessengruppen
wie Arbeitgeber und Gewerkschaften sprechen sich mehrheitlich für den Euro aus.
Die Mehrheit der Briten ist aber nach wie vor gegen den Beitritt. Ein Referendum würde derzeit scheitern. In dieser ungefestigten Stimmungsla-ge
sind zahlreiche Pro- und Kontra-Kampagnen angelaufen. Neben dem von Rupert Murdoch nun auf Anti-Euro-Kurs eingeschworenen MedIen-Imperium
gibt es etwa 60 Gruppierungen, die den Euro-Beitritt ablehnen und aktiv auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung Einfluss neh-men.
Als Gegenpol dazu haben sich auch mehrere starke Pro-Euro Kampagnen – zum Teil gestützt von der Regierung – herausgebildet.9
Letztlich machen fast alle Interessengruppen und politischen Parteien ihre Zustimmung von der Höhe des Wechselkurses abhängig. Die Briten
werden jedoch höchst wahrscheinlich über den Euro abstimmen müssen, ohne den endgültigen Beitrittskurs zu kennen. Dieser Unsicherheits-faktor
wird die Beitrittsentscheidung stark belasten.
Ein Beitritt bis zum Jahre 2010 kann als nahezu sicher angesehen werden. Auch die Euro-skeptische Bevölkerung hält ihn mehrheitlich für un-ausweichlich.
10 Die Wahrscheinlichkeit eines „schnellen“ Beitritts noch in dieser Legislaturperiode liegt nach unserer Einschätzung bei etwa 50
Prozent – allein schon aus praktischen Überlegungen könnte sie schwierig werden.11 Nimmt sich die Regierung Zeit bis Juni 2003, um die Über-prüfung
der "fünf Tests" abzuschließen und danach ihre Beitrittsempfehlung auszusprechen, so könnte im Oktober das Referendum stattfinden.
Frühester Termin für den Vollzug des Beitritts wäre dann Januar 2006. Die Bargeldeinführung würde nochmals einige Monate benötigen.
Januar 2006 ist zugleich der späteste mögliche Termin vor der nächsten Unterhauswahl, die spätestens im Juni 2006 stattfinden muss - vermut-lich
zeitgleich mit der Fußball-WM, bei der es dann wieder heißt: "Dabei sein ist alles".
DZ BANK AG
Research und Volkswirtschaft
Tel. 069 7447 2280
Eine ausführlichere Studie zu diesem Thema können Sie bei uns (volkswirtschaft@dzbank.de) anfordern.
1 HM Treasury: Preliminary and Technical Work to Prepare for the Assessment of the Five Tests for UK Membership of the Single Currency, November 2001.
2 Vgl. HM Treasury: UK Membership of the Single Currency. An Assessment of the Five Economic Tests, Oktober 1997, S. 13ff.
3 Vgl. Oxford Economic Forecasting: Scenarios on behalf of the ‚No‘ campaign, April 2002.
4 Die Berechnung der Standardabweichung ergibt für 1991 bis 2001 einen Wert von 2,8 für Großbritannien, 0,8 für Deutschland und 1,7 für Frankreich.
5 Gemäß OECD-Zahlen waren im Jahr 2000 in Italien 75,3 % der Arbeitslosen länger als 6 Monate ohne Arbeit, in Deutschland 67,6 %, in Frankreich 61.9 % und in Großbri-tannien
43,2 %.
6 Vgl. EIRO, Comparative Overview of Industrial Relations, 2001.
7 Nach derzeitigem Stand wird der ECOFIN-Rat auf Vorschlag der EU-Kommission und nach Beratung mit der EZB erst nach der britischen Beitrittsentscheidung den „richtigen“
Beitrittskurs - oder die Methode zu seiner Ermittlung - festlegen. Großbritannien und alle anderen EWU-Länder müssen zustimmen.
8 Zu diesem Ergebnis vgl. z.B. auch: Expert Commission: Britain’s Adoption ot the Euro, August 2000; Barrell, Ray: “The UK and EMU. Choosing the Regime“, National Insti-tute
Economic Review, no. 180, April 2002.
9 Bekannte Euro-Gegner finden sich in der unter Margaret Thatchers Vorsitz organisierten „Bruges Group“. Auch die „No-Campaign“, eine Allianz von Ökonomen, Diploma-ten,
Parlamentariern und anderen Prominenten, die aus den Kampagnen „Business for Sterling“ und „New Europe Council“ hervorging, hat in den vergangenen Monaten viel
Presse gegen den Euro gemacht. Bekannte Pro-Euro-Gruppierungen sind „Britain in Europe“ und „European Movement“, in denen sich große Unternehmen engagieren.
10 75 bis 85 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Mitgliedschaft in den nächsten 10 Jahren erreicht sein wird - eine Euro-freundliche Regierung vorausgesetzt. Vgl.
Mori: „Joining the Euro“ Februar 2002 und ICM Research: „Single Currency Trends”, Mai 2002.
11 Vgl. Bank of England: Practical Issues Arising from the Euro, May 2002, S. 126-127.