Aufpumpen und abstoßen
Spiegel 19.02.2001
Aufpumpen und abstoßen
Der Kursrutsch an den Börsen offenbart die Schwächen der deutschen Aktienkultur. Während die Banken Rekordgewinne einfahren, sind Privatanleger gegen Kursmanipulationen und Täuschung kaum geschützt. Der Staat überläßt die Börsenaufsicht weit gehend den Börsianern.
Börsencrash, Aktiendepression, Kurspanik? Ach was. Wenn die Herren des Geldes in diesen Tagen auf das vergangene Geschäftsjahr zurückblicken, dann geben sie ihre vornehme Zurückhaltung auf und beginnen zu strahlen.
Wieder einmal habe die Deutsche Bank ihre Ertragskraft als "führendes inter nationales Aktienhaus" unter Beweis gestellt, sagt deren Vorstandssprecher Rolf Breuer, die Zahlen aus dem Handelsgeschäft an der Börse seien einfach "hervorragend".
"Wir haben noch nie ein Ergebnis gehabt, wie wir es demnächst vorstellen werden", jubelt Martin Kohlhaussen, Vorstandssprecher der Commerzbank: "Die Entwicklung in 2000 war großartig." Inder Tat: Die Geldinstitute haben im vergangenen Jahr mehr Gewinn nach Steuern gemacht als je zuvor. So legte die Deutsche Bank 102 Prozent zu, die Commerzbank verbesserte sich um 37 Prozent. Die HypoVereinsbank, in den letzten Jahren durch verlustreiche Immobilienspekulationen arg gebeutelt, steigerte ihren Gewinn in den ersten neun Monaten 2000 um fabelhafte 498 Prozent.
Vor allem das Geschäft mit Aktien und anderen Wertpapieren läuft aus Sicht der Finanzhäuser wie geschmiert. Keine andere Sparte spülte in den letzten Jahren so viel Geld in ihre Kassen. Allein durch Provisionen verdiente die Dresdner Bank in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres 6,4 Milliarden Mark. Den Brokern der Deutschen Bank gelang es, ihr Handelsergebnis im ganzen Jahr auf über 13 Milliarden Mark zu steigern. "Den höchsten Gewinnbeitrag erbrachte wiederum das Aktiengeschäft", hieß es bereits im Herbst anerkennend im Zwischenbericht des Vorstandssprechers. War da nicht noch was?
Noch nie zuvor in der bundesdeutschen Börsengeschichte haben die Anleger binnen eines Jahres so viel Vermögen verloren, noch nie haben sie sich erst so reich und dann so arm gefühlt.
Seit März 2000, dem Monat seines Höchststandes, hat der Deutsche Aktien-Index Dax rund 20 Prozent seines Werts eingebüßt. Der Nemax, also das Kursbarometer des gerade bei Kleinanlegern beliebten Neuen Markts, sackte im gleichen Zeitraum gar von 8559 auf 2523 Punkte ab - ein Kurssturz, den kaum ein Depot unbeschadet überstanden hat.
Von den 169 Firmen, die von den Banken im vergangenen Jahr an die Börse gebracht wurden, notieren mittlerweile 124 unter dem Emissionspreis, also dem Kurs, den die Finanzhäuser den Anlegern bei Erstausgabe der Aktie als fairen Wert empfohlen hatten. Die Zahl der so genannten Wachstumswerte, die über 80 oder sogar 90 Prozent verloren, ist mittlerweile so groß, daß sie unter einen eigenen Gattungsbegriff fallen: "Penny Stocks" heißen solche Kursruinen, die nur noch die ganz verwegenen Zocker anziehen.
Selbst eine Volksaktie wie die Deutsche Telekom verlor seit ihrem Höchststand, allen Prognosen der Banken zum Trotz, über zwei Drittel ihres Werts. Trotzdem haben die Geldhäuser prächtig verdient, als sie im Juni nochmals über 230 Millionen Telekom Aktien in den Markt drückten. Sie kassierten für dieses Manöver eine Provision von rund 400 Millionen Mark - ungeachtet der Tatsache, daß allein dieses Aktienpaket anschließend etwa 17 Milliarden Mark an Wert verlor. Inzwischen gilt die Telekom als Krisenunternehmen (siehe Seite 110).
Ohne Zweifel, für die Mehrzahl der Aktionäre war das goldene Bankenjahr ein Desaster. Alles in allem vernichtete der Crash an den deutschen Aktienmärkten, zumindest auf dem Papier, die gigantische Summe von rund 500 Milliarden Mark. Von einem "Annus horribilis" spricht die "Börsenzeitung", einem Schreckensjahr.
Daß von den Verwerfungen am Aktienmarkt in den Berichten der Banken allenfalls am Rande die Rede ist, daß der Kursschock die Strategen in den FrankfurterGlastürmen seltsam unberührt läßt, während die Kleinanleger fassungslos dem Wertverfall ihrer Depots zusehen, hat einen einfachen Grund: Ganz gleich, in welche Richtung sich Dax und Nemax bewegen - die Banken verdienen immer.
Treibmittel der Dauer-Hausse waren die knapp 200 Milliarden Mark, die die Finanzinstitute seit 1997 bei den Privatanlegern eingesammelt haben, um sie gegen allfällige Aufschläge in den Wertpapiermarkt zu pumpen. Keine Frage, daß viele Anleger den Versprechungen auf schnellen Reichtum allzu schnell Glauben schenkten, daß die Hoffnung, mal eben ein zweites Jahresgehalt einstreichen zu können, selbst biedere Familienväter alle Vorsicht über Bord werfen ließ. Doch es waren eben auch immer die Banken an ihrer Seite, die der allgemeinen Börseneuphorie allzu gern nachhalfen, getreu dem Motto "Wir machen den Weg frei".
Der Kursrutsch der vergangenen Monate offenbart schlagartig alle Schwächen der deutschen Börsenkultur. Deutlicher denn je zeigt sich jetzt, daß die deutschen Finanzinstitute nur ungenügend ihrer Aufgabe nachkommen, bei allen Aktiengeschäften stets das "Interesse der Kunden"1 zu wahren, wie es das Wertpapierhandelsgesetz ausdrücklich vorschreibt. Immer klarer wird auch, daß gerade die Kleinaktionäre vor Tricks und Täuschung kaum geschützt sind. Die Liste der Aktiendesaster, bei der die Banken als Konsortialführer Pate standen, ist lang - und sie wird mit jedem Monat länger:
Beispiel Allgeier. Im Juli brachte das ehrwürdige Bankhaus Merck Finck & Co den Computerzulieferer an die Börse, drei Monate später waren alle Umsatzprognosen, mit denen die Anleger gelockt wurden, überholt. Der Kurs stürzte um 70 Prozent. Verlust für die Aktionäre bis heute: 100 Millionen Mark.
Beispiel Ad Pepper. Im Herbst bot die HypoVereinsbank die Papiere der Nürnberger Internet-Werbefirma zur Zeichnung an, rund 900000 Aktien gingen an Privatanleger. Die erste Gewinnwarnung erfolgte bereits sieben Wochen nach Börsengang. Verlust für die Aktionäre: 320 Millionen Mark.
Beispiel Letsbuyit.com. Bei Börsenstart im Sommer hatte das E-Commerce Unternehmen nach Einschätzung der begleitenden Banken einen Wert von rund 600 Millionen Mark. Zum Jahreswechsel war die Firma beinahe zahlungsunfähig. Kein Papier ist im Augenblick am Neuen Markt billiger zu haben.
Während bei jedem Autokauf detailliert geregelt ist, welche Garantieleistungen und Haftungsansprüche dem Verbraucher zustehen, deren Durchsetzung er notfalls vor Gericht erstreiten kann, ist ausgerechnet der deutsche Kapitalmarkt weit gehend der Selbstkontrolle überlassen. Weder gibt es in Deutschland bislang ein einheitliches Gesetz, das die Rechte und Ansprüche der Anleger eindeutig regelt, noch eine schlagkräftige Börsenaufsicht, die diesen Namen verdient. Tatsächlich dürfen sich allein für die Frankfurter Wertpapierbörse drei Aufsichtsorgane irgendwie zuständig fühlen. Keines verfügt über das ausreichende Personal, keines besitzt klar abgegrenzte Kompetenzen oder Zugriffsrechte, wie sie etwa in den USA seit Jahrzehnten Standard sind. Natürlich sind auch hier zu Lande Kursmanipulation und Irreführung der Aktionäre verboten.
Auch in Deutschland sind die Banken gehalten, das Aktiengeschäft mit der "erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit" zu betreiben, so steht es jedenfalls in den Gesetzestexten. In der Praxis allerdings erweisen sich die vielen Verordnungen und Vorschriften, mit denen der Gesetzgeber einen geordneten Handel an den Aktienmärkten sicherstellen will, für den Anleger als weit gehend wertlos.
Was nützt beispielsweise die so genannte Prospekthaftung, die die Banken zu vollständigen und zutreffenden Angaben im Börsenprospekt verpflichtet, wenn Geldhäuser ohne jede rechtliche Folgen Unternehmen an den Markt bringen können, die schon wenige Monate nach Börsengang einen Insolvenzantrag stellen?
Wie verträgt es sich mit dem gesetzlichen Auftrag der Bank, den Anleger vor dem Kauf von Aktien über sämtliche Risiken aufzuklären, wenn dasselbe Finanzhaus in seinen begleitenden Studien selbst bei fallenden Kursen noch von "überdurchschnittlichen Wachstumschancen" spricht?
Welchen Wert hat die Verpflichtung der Geldinstitute, sauber zwischen den Interessen der Kunden und denen des eigenen Hauses zu trennen, wenn die großen Fonds oder Händler der Banken auch dazu eingesetzt werden, bestimmte Aktien zwecks "Kurspflege" nach oben zu treiben?
Wie schlecht es um den Anlegerschutz in Deutschland bestellt ist, zeigt schon die so genannte Risikoaufklärung, die am Beginn des ersten Aktiengeschäfts steht. Seit einigen Jahren muß jede Bank ihren Kunden vor Depoteröffnung ein spezielles Formblatt vorlegen, in dem diese dann anzugeben haben, wie es um ihre Vermögensverhältnisse und Börsenkenntnisse bestellt ist und welche Anlageziele sie verfolgen.
Doch was die Risikobelehrung im Streitfall wert ist, erleben in diesen Tagen all jene, die bei Aktionärsschützern und Anwälten vergeblich um Beistand nachsuchen. Nach Erfahrung von Juristen genügt die Unterschrift unter das Standardformular nämlich in aller Regel als Nachweis, daß die Bank ihrer Aufklärungspflicht ausreichend nachgekommen ist. Wie gründlich der Kundenbetreuer die Börseneinsteiger beraten hat, spielt dabei meist keine Rolle und auch nicht die Frage, ob der Kunde eigentlich begriffen hat, welche Folgen die Wahl einer der vorgegebenen Risikoklassen haben kann.
Wohl kaum einem Neuaktionär ist etwa bewußt, daß selbst derjenige, der sich als eher konservativer Anleger einstuft, im Extremfall mit seinen Aktien 70 oder gar 80 Prozent des eingesetzten Kapitals verlieren kann. Und wer seinem Bankberater die Freude gemacht hat, sich Kenntnisse über Optionsscheine oder Futures attestieren zu lassen, geht beinah jedes Haftungsanspruchs verlustig. "Solche Anleger sind praktisch Freiwild", sagt Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Ebenso fragwürdig wie das Risikoklassensystem sind auch die Regeln, mit denen die Banken für ihre Wertpapierkredite werben, also den Aktienkauf auf Pump. So räumen vor allem Direktbanken gern all jenen, die sich schon ein kleines Depot aufgebaut haben, problemlos ein Darlehen ein, um weitere Papiere zu ordern. Die so genannte Beleihungsgrenze beträgt dabei in der Regel 50 Prozent, das heißt: Wer bereits über ein Depot von 10000 Mark verfügt, bekommt bis zu 5000 Mark Kredit für Zukäufe.
Das Tückische an dem System: Mit steigenden Kursen steigt auch die Kreditlinie, da der Wert des Aktiendepots als Sicherheit gilt. Ein Depot, das dank günstiger Marktentwicklung plötzlich 30000 Mark wert ist, kann also mit weiteren 10000 Mark beliehen werden. Dramatisch wird es für den Anleger, wenn die Kurse in den Keller rauschen, seine Kreditlinie damit automatisch wieder sinkt und die Bank das Darlehen zurückfordert. Vielen bleibt dann nichts anderes übrig, als ihre Aktien mit Verlust zu verkaufen, um die Bankschuld zu tilgen. "Zwangsexekution" heißt dies im Bankendeutsch.
Nicht einmal bei offenkundigen Beratungsfehlern können Kunden auf Rechtssicherheit vertrauen. "Die Gesetze sind so vage, daß die Banken fast immer am längeren Hebel sitzen", sagt der Rechtsanwalt Bernd Jochem von der Münchner Kanzlei Rotter. Der Mann weiß, wovon er spricht, schließlich zählt das Anwaltsbüro zu den wenigen Sozietäten in Deutschland, die sich auf Börsenrecht spezialisiert haben.
Derzeit liegen bei Jochem gleich zwei Dutzend Regressansprüche von Anlegern auf dem Tisch, die dem Rat ihrer Kundenbetreuer folgend Aktien des Software-Unternehmens Baan erwarben. Selbst als die Wirtschaftsblätter bereits ausführlich über Absatzprobleme und mögliche Bilanzmanipulationen berichteten, sei das Papier, so Jochem, den unbedarften Kleinanlegern noch als bombensicheres Investment empfohlen worden. Wenig später stürzte die Baan-Aktie, wie von den Finanzzeitungen erwartet, ab - heute liegt sie bei einem Zwanzigstel ihres ursprünglichen Werts.
Allzu große Hoffnungen kann Jochem seinen Klienten nicht machen. Bislang sind alle Versuche, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen, gescheitert. Nun will er es wenigstens mit einer Klage in den Niederlanden versuchen, dem Heimatland von Baan.
Daß die großen Finanzinstitute bei einer derart komfortablen Rechtslage nur wenig Veranlassung sehen, sich ihrerseits kulant zu zeigen, ist nicht weiter verwunderlich. Selbst Anleger, die ihrer Bank über Jahrzehnte die Treue gehalten haben, dürfen bestenfalls auf ein paar freundliche Worte hoffen. Das liest sich dann so:
"Ich kann Ihnen versichern, daß wir Anliegen und Beschwerden unserer Kunden stets ernst nehmen", schreibt das Büro von Commerzbank-Chef Kohlhaussen an Kundin Barbara Kloepfer, die gerade einen Teil ihrer Altersvorsorge in Aktien der Immobilenfirma US Realty versenkt hat. Man bitte aber um Verständnis, teilt ihr die Abteilung "Kundenzufriedenheit" ergänzend mit, "daß wir bedauerlicherweise die Ihnen entstandenen Buchverluste nicht ersetzen können".
Kein Wort darüber, daß der zuständige Mann in der Berliner Commerzbank-Filiale der Frührentnerin ausdrücklich zu den verhängnisvollen Aktienengagement geraten hatte. Kein Wort auch über das Wer beschreiben der Bank, in dem von "attraktiven Perspektiven" die Rede war, und davon, daß die Commerzbank beim Kauf des US-Papiers "von nachhaltig erzielbaren, attraktiven Wertzuwächsen" ausgehe.
Barbara Kloepfer hat wenigstens noch nette Briefe bekommen. Mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Finanzinstitute mitunter auf Beschwerden reagieren, zeigt der Fall von Eckard Koch aus Reinbek. Der Mann hatte brasilianische Schuldverschreibungen gekauft, die zu einem bestimmten Termin vorzeitig gekündigt werden konnten. "Zu pari" wohlgemerkt, also zum Nennwert von 10000 Mark.
Doch im Kleingedruckten fand sich noch ein anderer Kündigungsmodus, Koch erhielt deswegen nur rund 4300 Mark zurück. Alle Versuche, den Schaden von seinem Geldinstitut ersetzt zu bekommen, liefen ins Leere. Die Emissionsbank der Anleihe, die deutsche Tochter des amerikanischer Geldhauses Morgan Stanley, empfahl dem Mann aus Reinbek in einem Schreiben schließlich, "sich hinsichtlich weiterer Fragen an den Trustee der Schuldverschreibung zu wenden", und gab Koch eine Telefonnummer in London in die Hand. Pech für Koch, daß er kaum Englisch spricht.
Daß sich im Verhältnis der Bank zu ihren Kunden etwas verschoben hat, das spüren die Verbraucher nur allzu genau. 45 Prozent geben einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge an, daß ihr Vertrauen in die Banken gesunken sei. Nach den Analysten und deren Urteilen befragt, sprechen sogar 60 Prozent von einem Vertrauensverlust.
Mit dem zunehmenden Wertpapierverkauf über den Bankschalter ist eine Geschäftsbeziehung ins Wanken geraten, auf die gerade die Geldbranche immer stolz war und die sie in ihrer Werbung (,‚Die Bank an Ihrer Seite") gern herausstellt. Nicht von ungefähr sprechen Verbraucherschützer wie der Berliner Finanzexperte Volker Pietsch von einem "Vertrauensvorschuß, den sonst nur Arzte und Apotheker genießen".
Tatsächlich steht hinter dem gezielten Ausbau des Aktiengeschäfts ein grundlegender Wandel des deutschen Bankensystems. Das "Band der Sympathie" ist ja auch deshalb gerissen, weil sich die großen Finanzdienstleister nicht mehr als bloße Verwalter von Spareinlagen verstehen, als Kreditinstitute eben, die das Geld ihrer Kunden eifrig horten, um es dann unter Abwägung aller Sicherheiten und Risiken weiterzuverleihen.
Investmentbanking heißt die neue Hoffnungssparte, und so schön glitzernd wie dieser Begriff, so zukunftsträchtig scheint auch das damit verbundene Geschäftsmodell. Anstatt die Unternehmen vorzugsweise selber mit Darlehen zu versorgen, die in der Regel eng begrenzt sind, sammeln die Geldhäuser nun das Kapital an der Börse ein - mit weit reichenden Folgen für den Kunden.
Denn in dem Maß, in dem die Banken sich zunehmend als Finanzmakler zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt betätigen, tritt der Anleger an die Stelle der traditionellen Kreditgeber und übernimmt damit auch deren Risiko. Während bei der klassischen Darlehensvergabe die Bank selbst für Verluste geradestehen mußte, sind es nun die Anteilseigner, die bei schlechtem Geschäftsverlauf oder gar Konkurs ihr Vermögen verlieren. Der Strategiewechsel war für die Banken sehr erfolgreich: Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Wertpapierdepots, die die deutschen Finanzhäuser im Namen ihrer Kunden verwalten, auf 24‚6 Millionen mehr als verdoppelt. Die Zahl der Orderaufträge hat sich im gleichen Zeitraum vervielfacht, und daß sich dies für die Geldhäuser auch rentiert, dafür sorgt ein tief gestaffeltes System von Gebühren, Aufschlägen und Provisionen.
Wie einträglich dieses Geschäft ist, zeigt geradezu mustergültig die Fusion des Stuttgarter Daimler-Benz-Konzerns mit dem amerikanischen Autohersteller Chrysler. Bei diesem Firmenzusammenschluß, einem Aktientausch, der nur zu Stande kommen konnte, weil mindestens 90 Prozent der Anleger ihm zustimmten, profitierten die Banken von einem ausgeklügelten Provisionssystem, das der Würzburger Bankenrechtler Ekkehard Wenger schlicht für "sittenwidrig" hält. Deshalb hat er sich vor wenigen Tagen an das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gewandt.
Tatsächlich nämlich kassierten die Banken von ihrem Auftraggeber Daimler um so mehr Geld, je eher sie ihre Depotkunden vom Sinn des Deals überzeugt hatten:
"Konkret wurde eine Provisionsstruktur verabschiedet, die vorsah, bei einem Tausch innerhalb der ersten 20 Tage des Angebots eine Provision von zwei Prozent des Kurswerts zu bezahlen", schrieb der damalige Leiter der Direktion Investor Relations, Ralf Bammer, jüngst in einem Buch mit dem Titel "Praxis der Investor Relations", "nach Ablauf von 20 Tagen reduzierte sich die Provision auf ein Prozent."
Nach ähnlichem Muster, klagt Wenger, arbeiten auch Drückerkolonnen. Schön für Daimler, daß viele Bankkunden dem Drängen ihrer Bank nachgaben und zügig der Fusion zustimmten. Ärgerlich nur für die Anleger, daß die Daimler-Aktie seither rund ein Viertel ihres Werts verloren hat.
Das wichtigste Schmiermittel für die große Börsenmaschine liefern die jungen Firmen mit den flotten Namen und den großen Versprechen, diese Entrepreneure aus der Büroetage nebenan, die zwar außer dem festen Willen zum Börsengang und einer schönen Geschäftsidee wenig zu bieten haben, dafür aber das mitbringen, was Börsianer "Phantasie" nennen. Erst sie haben die Anleger in Massen an die Kundenschalter getrieben, erst sie machen aus einem guten Bankgeschäft ein lukratives.
Kaum etwas illustriert die Erfolgsgeschichte des Investmentbanking anschaulicher als die Zahl des so genannten IPO, des "Initial Public Offering", wie der erste Börsengang unter Kundigen heißt. Waren es bis Mitte der Neunziger pro Jahr lediglich etwa 20 Firmen, die von den Banken an die Börse gebracht wurden, lag die Zahl 1997 deutlich über 30. 1998 konnten die deutschen Börsen bereits 79 Neuzugänge vermelden. Im vorvergangenen Jahr wurde mit 194 Emissionen der bisherige Höchststand erreicht.
Für die Banken sind die Börsenneulinge auch deshalb so interessant, weil sie ihnen ganz neue Einnahmequellen verschaffen. Auf vier bis sechs Prozent des eingesammelten Kapitals beläuft sich in der Regel die Provision, die das begleitende Emissionshaus bei einem erfolgreichen Börsengang in Rechnung stellen kann. Das heißt: Je höher der Emissionspreis, den die Bank bei den Anlegern durchsetzen kann, desto höher die Prämie.
Hinzu kommen oft vorbörsliche Beteiligungen, also der Zugriff auf Aktienpakete zu einem Preis, der deutlich unter dem liegt, den später die Anleger zu zahlen haben. Gut bedacht werden muß hierbei nur der Zeitpunkt des Wiederverkaufs, wie das Beispiel Gigabell zeigt.
So kassierte HSBC Trinkaus & Burkhardt von ihrem Schützling im Vorfeld des IPO 165000 Aktien zum Schnäppchenpreis von einem Euro - und reichte die Papiere noch während der Zeichnungsfrist an die Anleger weiter. Da die Bank den Emissionspreis auf 38 Euro taxiert hatte, brachte ihr dieses kleine Manöver zu der eh üppig bemessenen Provision in Höhe von rund 5 Millionen noch einmal 12 Millionen Mark ein. Zur Erinnerung: Gigabell war eine der ersten Aktien am Neuen Markt, die gleich am ersten Handelstag unter Ausgabekurs fiel. Im Herbst meldete Gigabell die Zahlungsunfähigkeit.
Die dritte und mit Abstand risikoloseste Möglichkeit, beim Emissionsgeschäft zu verdienen, ist der "Greenshoe", ohne den heute fast kein Börsengang mehr auskommt. Genau besehen, ist der Greenshoe eine Art Aktienoption, bei der die Bank das Recht erhält. bis zu 15 Prozent der Wertpapiere des von ihr betreuten Unternehmens zusätzlich am Markt zu plazieren. Die Alteigentümer verpflichten sich im Gegenzug, diese Aktien rund vier Wochen nach Börsengang aus dem eigenen Bestand herauszureichen - und zwar zum Emissionskurs. Die Bank kann also schon am ersten Handelstag die zusätzlichen Aktien den Depots ihrer Kunden gutschreiben, auch wenn sie die Papiere de facto noch gar nicht besitzt.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Fällt der Kurs der Aktie unter den Ausgabepreis, dann verzichten die Banken selbstverständlich auf Ausübung ihrer Kaufoption. Statt dessen erwerben sie die Papiere, die sie an die Anleger gegeben haben, billiger über den Markt zurück. Die Differenz zwischen Ausgabepreis und Rückkaufkurs verbuchen die Banken als Gewinn.
Schießt der Aktienkurs hingegen nach oben, greifen die Banken auf ihre Option zurück und übernehmen die nun vergleichsweise günstigen Aktien von den Altaktionären der Firma, um sie diesmal auf eigene Rechnung zu verkaufen. Welche Gewinne dabei theoretisch möglich sind, zeigt das Consors-Geschäft: Die Aktie des Direktbrokers zog mit der Erstnotiz von 33 auf 76 Euro an, was den Konsortialbanken dank Greenshoe eine zusätzliche Einnahme von 47,3 Millionen Euro bescherte, sollten sie an diesem Tag die Aktien tatsächlich verkauft haben.
Kein Wunder, daß um die Börsenkandidaten ein regelrechter Wettkampf entbrannt ist. Die großen Bankhäuser haben mittlerweile ganze Stabsabteilungen im Einsatz, um den Markt nach Unternehmen zu durchforsten, die man als Zukunftswerte verkaufen kann. Und weil die IPO-Fachkräfte gar nicht so schnell nachwachsen konnten, wie sie eingestellt wurden, lieferten sich die Finanzinstitute auch um diejenigen wahre Bietergefechte, die nur so aussahen, als könnten sie "Going Public" fehlerfrei buchstabieren.
"Personell gesehen, ist die ganze Branche auf dem letzten Riemen gelaufen", sagt Lutz Weiler, Vorstand der Frankfurter IPO Beratung Equinet. "Manche haben in ihrer Not komplette Teams abgeworben, dabei wurde zum Teil mit abenteuerlichen Gehältern gelockt." Weiler weiß, wovon er spricht: Erst vor kurzem hat er sich mit einer Reihe von Kollegen bei der Dresdner Bank abgesetzt, um die eigene Firma zu gründen, und selbst ordentlich im Revier gewildert.
Welche Folgen diese Konkurrenz um Aufträge und Marktanteile hat, wird spätestens beim so genannten Beauty-Contest deutlich, dem Schönheitswettbewerb, der am Anfang jedes IPO steht und bei dem sich die Banken um das Wohlwollen der Börsenaspiranten bemühen. Über 60 Finanzinstitute rangeln in Deutschland um dieses Geschäft mit den Erstnotierungen. Selbst die Sparkassen und die Ärzte- und Apothekerbank sind mittlerweile im IPO-Geschäft tätig.
Glaubt man der Schilderung von Experten wie Weiler, dann hält der Beauty Contest, was der Name verspricht: Bis zu acht Bankenteams treten da gegeneinander an. Gut eine Stunde haben die IPO-Jungs Zeit, um die Vorzüge ihres Hauses zu nennen und vielleicht auch einmal die eine oder andere kritische Frage nach dem vorgelegten Business-Plan zu stellen. Am Ende erhält derjenige meist den Zuschlag, der den Unternehmenswert möglichst hoch taxiert - auch dies erklärt die zum Teil horrenden Emissionspreise der vergangenen Monate.
Gern betonen die Spezialisten in den Emissionsabteilungen, daß ihre erste Werteinschätzung kein verbindliches Angebot sei. Daß man notfalls auch den Börsengang aussetzen könne, wenn eine genauere Prüfung Zweifel am Geschäftserfolg nähre und sich das Unternehmen trotz guten Zuredens, mit dem Preis herunterzugehen, uneinsichtig zeige. Doch bei diesen Nachverhandlungen sind den Banken, wie die Erfahrung lehrt, enge Grenzen gesetzt. Zum einen sind viele Unternehmen dazu übergegangen, das Erstgebot im Vertrag zu fixieren. Zudem
sind die Banken sehr auf ihren guten Leumund als durchsetzungsfähige Börsenhelfer bedacht. Und nichts schädigt die Reputation schneller als der Ruf, ein kleinlicher Preisdrücker zu sein. Vor allem aber: Jeder abgesagte Börsengang bedeutet den Verzicht auf alle Provisionen.
"Es wäre Unsinn zu behaupten, daß auf Leuten wie mir keine ökonomische Verantwortung lastet", sagt Friedrich Kühne, einer der Chefs der IPO-Abteilung der Dresdner Bank. "Wenn ich ein Going Public nicht verantworten kann, dann breche ich es ab. Aber wenn ich das öfter hintereinander mache, könnte mich die Bank irgendwann fragen, wie ich eigentlich meine Leute zu bezahlen gedenke."
Kühne gehört zu den Veteranen der Branche. Seit 18 Jahren ist er schon damit beschäftigt, Börsenkandidaten zu bewerten, und seine eigene Bilanz ist nicht einmal schlecht: Im Branchenvergleich steht die Dresdner Bank derzeit auf einem der ersten Plätze, selbst wenn mittlerweile auch bei ihr über die Hälfte der Neuemissionen unter Ausgabekurs gerutscht sind.
Sein wichtigstes Handwerkszeug, sagt Kühne, sei sein Gespür für die Qualität des Managements. Doch wie soll der Controller auch anders eine Firma einschätzen, deren Firmengeschichte gerade mal ein halbes Jahr alt ist? Die noch nie Gewinne verbucht hat und deren schöne Umsatzkurven auf Schätzungen beruhen?
Also behilft er sich mit einer möglichst genauen Marktanalyse, stellt Vergleichsstudien zu den Wettbewerbern an, holt Voraussagen der Forschungsagenturen ein - und hofft, daß die Branche sich so entwickeln wird, wie es die Prognosen verheißen. Allzu viel Zeit bleibt ihm für die Prüfung eh nicht: In drei Monaten müssen alle Formalitäten erledigt sein, das ist die gängige Frist, schließlich drängt jeder Debütant auf schnellen Börsengang.
Vielleicht hätte man mehr Zutrauen zu den IPO-Spezialisten der Finanzinstitute, in die Unbestechlichkeit ihres Urteils, wenn sie nicht Tür an Tür säßen mit Aktienvertrieb und Marketing und den eigenen Handelsabteilungen. So wie die Ölmultis die gesamte Wertschöpfungskette im Ölgeschäft kontrollieren, von der ersten Probebohrung über die Veredelung in der Raffinerie bis hin zum Verkauf an der Tankstelle, so haben auch die Banken inzwischen alle Stufen des Geschäfts mit der Aktie im Griff. Bei jedem Wertpapier, das an der Börse umläuft, sind sie gleich mehrfach dabei -und eben das ist das Problem.
Denn die Geldhäuser feilen ja nicht nur mit den Börsenkandidaten an den Geschäftsplänen, bestimmen deren Emissionspreis und sorgen danach mit entsprechenden Analystenstudien für ein "positives Börsenumfeld".
So brachte die West LB im Oktober 1997 das Medienunternehmen EM.TV an die Börse und hielt ihm seither die Treue. Noch im März vorigen Jahres, als der Kurs von EM.TV bei rund 90 Euro lag, empfahl die Bank den Wert zum Kauf. Damals war die Firma des Unternehmers ähnlich viel wert wie die Lufthansa, heute ist es nicht einmal ein Zehntel.
Auch der Handel liegt fest in der Hand der Geldhäuser. Zusammen mit den Fondsgesellschaften steuern sie gut ein Viertel des deutschen Aktienkapitals. Sie stellen die Mehrzahl der Broker, die für den Umschlag von Wertpapieren sorgen, und natürlich gehört auch die Börse selbst mehrheitlich den Finanzinstituten. Aufsichtsratschef der Deutsche Börse AG, die den Frankfurter Finanzplatz kontrolliert, ist der Vorstandssprecher des mächtigsten Kreditinstituts der Republik, Deutsche-Bank-Chef Breuer.
Bei einer solchen Aufgabenfülle bleiben Interessenkonflikte nicht aus. Zwar verweist die Geldindustrie immer wieder auf die Feuerwände, die sie zwischen den einzelnen Finanzabteilungen ihrer Häuser eingezogen habe, auf die "Chinese Walls", die eine unzulässige Einflußnahme beim Aktienhandel angeblich komplett ausschließen. Doch wie löchrig diese Trennwände in Wirklichkeit sind, wissen die Insider nur zu genau. "Selbstverständlich redet Sales mit Research", sagt ein Börsenwächter, der mit Rücksicht auf seine Vorgesetzten lieber ungenannt bleiben möchte. "Chinese Walls? Forget it." Vergiß es.
Häufig braucht es noch nicht einmal den direkten Kontakt, um den Profit zu mehren. Natürlich kennt jeder Fondsmanager einer Bank die exakten Beteiligungsverhältnisse seines Hauses. Und ebenso gut weiß er, welche Folgen der Kauf oder Verkauf eines größeren Aktienpostens aus seinem Fonds am Markt auslösen kann.
Natürlich muß man als Analyst kein Genie sein, um zu begreifen, daß die negative Beurteilung einer Neuemission für den Börsenkurs nicht gerade förderlich ist. Und wie verträgt es sich mit der viel beschworenen Unabhängigkeit aller am Aktiengeschäft unmittelbar Beteiligten, wenn ausgerechnet die Überwachung des elektronischen Handels einer Stelle obliegt, deren Mitarbeiter von der Deutsche Börse AG mit eingesetzt und bezahlt werden?
Möglichkeiten der Manipulation gibt es zuhauf. Und es mangelt auch nicht an Hinweisen, wie diese Möglichkeiten genutzt werden. Das beginnt schon mit den versteckten Gebühren und Beutelschneidereien, die sich die Banken erlauben können, weil der ganze Handelsablauf mit Bedacht so angelegt ist, daß ihn der normale Anleger nicht durchschaut. Tatsächlich fehlt dem deutschen Kapitalmarkt genau das, was für Ökonomen einen funktionierenden Markt ausmacht: Transparenz.
Kein Instrument ist dabei so wirkungsvoll, Kauf und Verkauf und damit auch den
Preis eines Wertpapiers zu beeinflussen, wie der Computer des Traders. Mit seiner Hilfe, und großen Fondsvermögen im Rücken, bewahren die Finanzhäuser manche Werte gezielt vor dem Absturz oder treiben, was noch einträglicher ist, die Kurse mit systematischen Aufkäufen nach oben.
Auch hier bewährt sich, daß allein die Banken über die Zuteilung der Aktien befinden. Wenn bei Börsengängen die Nachfrage das Angebot übersteigt, die Aktie also deutlich überzeichnet ist, müssen sich Großinvestoren öfters verpflichten, zu höheren Kursen nachzukaufen. Nur wer entsprechend ordert, kann sich für eine größere Zuteilung beim Börsengang qualifizieren. "Einer pumpt Sauerstoff hinein, ein anderer wirft Stroh ins Feuer, ein Dritter legt Holzscheite nach", beschreibt ein Investmentbanker das Prinzip.
So lassen sich Börsenstars produzieren. Die Software-Schmiede Biodata kam zu einem Emissionspreis von 45 Euro an den Markt, der erste Börsenkurs lag bei 240 Euro. Großanleger wie der Fondsmanager Kurt Ochner bestätigen, daß sie bei dem Deal massiv nachgeordert haben. Der Haken dabei: Wenn die Holzscheite abgebrannt sind, bleibt in vielen Fällen nur Asche übrig. Das Nachsehen haben all jene Kleinanleger, die nicht rechtzeitig ausgestiegen sind, weil sie den Kursanstieg fälschlicherweise für einen echten Wertzuwachs hielten.
Das simpelste und deshalb von Brokern auch besonders häufig gewählte Verfahren, einen hübschen Zusatzgewinn herauszuschlagen, ist das gezielte Streuen von angeblichen Exklusivinformationen, die geeignet sind, den Markt in Schwingungen zu versetzen. Der Händler wartet einfach ab, bis das Gerücht seine Wirkung tut, und verkauft dann schnell wieder die Aktien, mit denen er sich zuvor reichlich eingedeckt hat. "Pumping and dumping" heißt dieses Manöver in der Fachsprache - aufpumpen und abstoßen.
Etwas anspruchsvoller ist da schon der so genannte Pre-Arranged-Trade, der zuvor ausgemachte Handel. Hierbei beschließen zwei Broker, den Mechanismus der freien Kursbildung am Markt durch eine Geheimabsprache auszuhebeln. Der eine bietet zu einem fest vereinbarten Zeitpunkt einen Schwung Aktien zu einem deutlich überhöhten Preis an, der andere stellt zeitgleich eine entsprechende Kauforder ins Computersystem der Börse und zieht damit das Papier zumindest kurzfristig in die Höhe. Später folgt nach der gleichen Methode dann das "Rückwärtsgeschäft", und der Deal läuft einfach wieder in die andere Richtung.
Dieses Vorgehen empfiehlt sich für die Banken vor allem immer dann, wenn beispielsweise der Wert eines Fondsanteils festgelegt wird, den Tausende Kunden im Rahmen eines Investmentsparplans regelmäßig zu einem bestimmten Termin, etwa dem Monatsersten, erwerben. Der Kaufpreis dieses Fondsanteils richtet sich nämlich nach dem Kurs der darin enthaltenen Aktien an diesem Tag und wird den Anlegern entsprechend in Rechnung gestellt.
Solche krummen Geschäfte sind geradezu narrensicher, wenn sich die Trader, wie mittlerweile üblich, mehrerer Zwischenhändler bedienen. Voraussetzung ist allerdings, daß sie bei ihren Absprachen nur private Telefone benutzen und keinesfalls die Apparate in den Handeisräumen, bei denen alle Gespräche routinemäßig mitgeschnitten werden.
Wie gefährlich es sein kann, diese einfache Vorsichtsmaßnahme zu mißachten, weiß die Börsengemeinde spätestens, seitdem kurz nacheinander gleich drei Banken bei dem Versuch erwischt wurden, die Anleger zu betuppen.
Schon die Vorgeschichte ist typisch deutsch: So offerierte die Frankfurter Tochter der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers ihren Kunden 1997 ein Wertpapier, das in den Staaten aus guten Grund verboten ist, und zwar einen Optionsschein mit einem so genannten Knockout-Kicker.
Dieses Papier stellte neben der üblichen Gewinnchance, die jede Option bietet und sich in diesem Fall auf Bayer-Aktien bezog, eine zusätzliche Prämie in Aussicht. Für den Fall, daß sich der Kurs von Bayer während der Laufzeit der Option konstant über 65 Mark halten würde, versprach Lehman den Käufern des Optionsscheins einen Sonderbonus in Höhe von 10 Mark. Sollte der Kurs hingegen nur ein einziges Mal unter diese Marke fallen, würde der Knockout-Kicker greifen und der Anspruch wäre erloschen.
Aus einem der erhalten gebliebenen Tonbandprotokolle geht hervor, was geschah, als die Bayer-Aktie sich erstmals der 65-Mark-Grenze zu nähern begann. Ganz ungeniert rief ein Lehman-Händler Bekannte unter den Frankfurter Freimaklern an, um größere Pakete der Bayer-Aktie aus eigenem Bestand abzustoßen. Er wolle Bayer, teilte er offen mit, unbedingt unter 65 Mark sehen. Und tatsächlich: Das Papier notierte an diesem Tag bei 64,95 Mark Kursrutsch genug, um eine Auszahlung aller Born an die Anleger zu vereiteln.
Nach dem gleichen Prinzip verfuhr auch die Investmentbank Goldman Sachs. Das Finanzinstitut nutzte ebenfalls den Zugang zur Börse, um durch massive Aktienverkäufe bei ihren eigenen Optionsscheinen auf die Preussag-Aktie den Knockout-Kicker in Gang zu setzen.
Und auch die BHF-Bank trickste: Sie verkaufte Allianz-Aktien, um den Kurs des Versicherungspapiers nach unten zu treiben. Ein einträgliches Manöver, denn dadurch gewannen Verkaufsoptionen für Allianz-Aktien an Wert, die das Geldinstitut auf eigene Rechnung erworben hatte.
Daß es sich in allen drei Fällen um eindeutige Kursmanipulationen handelt, steht außer Frage. Doch nur Lehman Brothers wurde vom Sanktionsausschuß der Frankfurter Wertpapierbörse ein scharfer Verweis erteilt. Goldman Sachs kam schon mit einer deutlich milderen Abmahnung durch die Geschäftsführung der Börse davon, und der BHF blieb eine Rüge erspart.
Wo die Selbstkontrolle ganz offenkundig versagt, wären eigentlich die Gerichte oder die staatliche Börsenaufsicht gefordert. Aber auch von dort haben Kursbetrüger wenig zu befürchten. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel erklärt sich bei Kursmanipulationen bislang für nicht zuständig, und die Staatsanwaltschaften lehnen die Eröffnung von solchen Verfahren bislang stets mit Hinweis auf die wenig Erfolg versprechende Gesetzeslage ab.
In der Tat ist das Delikt Kursbetrug nur sehr vage definiert. So macht sich nach § 88 des Börsengesetzes zwar jeder strafbar, der Kurse durch "unrichtige Angaben" oder "sonstige auf Täuschung berechnete Mittel" zu beeinflussen sucht.
Doch was genau unter "unrichtigen Angaben" zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber ebenso offen gelassen wie die Frage, ab wann man denn von "Täuschung" sprechen kann. Beginnt sie schon mit den gezielten Stützungskäufen, wie Börsenrechtler meinen, die mit der Praxis vertraut sind - oder erst, wenn sich auch verdeckte Absprachen zu Lasten Dritter nachweisen lassen?
Wie kommod sich die Banken in dieser juristischen Grauzone eingerichtet haben, zeigt schon der schöne Begriff "Kurspflege", mit dem hier zu Lande umschrieben wird, was an Finanzplätzen wie New York oder London schnell die Aufmerksamkeit der Kontrollorgane weckt. Als "Kurspflege" gilt beispielsweise der massive Eingriff der Deutschen Bank zu Gunsten der Fußballaktie Borussia Dortmund. Und natürlich ist es "Kurspflege", wenn die Banken dem Dax-Schwergewicht Telekom kurz nach dem dritten Börsengang mit schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro unter die Arme greifen, um dem Unternehmen in dieser kritischen Phase das Wohlwollen der Anleger zu erhalten.
"Ach ja, die Kontrolle", seufzt Georg Wittich und blickt betrübt auf seine Schuhe. "Bei Kursmanipulation läuft die weit gehend ins Leere." Und natürlich sei es auch wahr, daß die Finanzinstitute eine Reihe von Unternehmen an den Markt gebracht hätten, "die offenbar nicht börsenreif waren". Aber andererseits, sagt Deutschlands oberster Börsenaufseher und strafft sich wieder: "Die Banken haben auch gelernt" Vor sechs Jahren wurde das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel in Frankfurt gegründet, um über die Einhaltung des Wertpapierhandelsgesetzes zu wachen, exakt 60 Jahre nach der amerikanischen Börsenbehörde SEC. Seit dem ersten Tag ist der ehemalige Referatsleiter aus dem Bundesfinanzministerium, Abteilung Geld und Kredit, nun dort Präsident. Keiner kann so schön wie er über "Integrität" und "Transparenz" des Kapitalmarkts sprechen, über "Sauberkeit" und "Fairness".
Doch wenn man Wittich fragt, wo er Mißstände sieht und wie er gegebenenfalls Abhilfe schaffen will, gerät er erkennbar ins Stocken. Prüft er beispielsweise, wie seriös die Unternehmen sind, die an den Markt gehen, ob der vorgelegte Prospekt auch den Tatsachen entspricht? Nein, sagt Wittich, dafür sei die Börse zu ständig. Wie steht es um Beratungsfehler der Banken, leistet er den Anlegern Amtshilfe? Da verweist Wittich auf den "zivilrechtlichen Weg". Überwacht er wenigstens das Geschäftsgebaren der mächtigen Aktienfonds? Nein, sagt Wittich, das erledige nun wiederum das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.
Anderseits: Auch der Präsident kann Erfolge vorweisen. Stolz rechnet er vor, daß sich die Zahl der Ad-hoc-Mitteilungen, mit denen börsennotierte Firmen wichtige Veränderungen bekannt geben, im Jahr 2000 "fast verdoppelt" habe. Und auch bei der Verfolgung des Insiderhandels sei seine Behörde "ganz gut vorangekommen". Die Zahl der im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossenen Verfahren? Sieben.
Die ganze Machtlosigkeit der obersten Kontrollinstitution des Landes offenbart sich zwei Stockwerke tiefer im "Analystenraum", dem Herzstück des Aufsichtsamts. Fünf Mitarbeiter sollen von hier aus den gesamten deutschen Aktienhandel kontrollieren: in Frankfurt ebenso wie in Berlin, München oder Düsseldorf, zwei Millionen Börsentransaktionen täglich, mehrere tausend Firmen aus zwei Dutzend Branchen. "Mit der Analystenabteilung einer Bank", gesteht Referatsleiter Jürgen Oberfrank, "können wir natürlich nicht mithalten." Immerhin: Seit kurzem verfügt die Abteilung jetzt wenigstens über einen Internet-Anschluß.
Einer, der weiß, was Not tut, und auch die nötigen Ermittlerinstinkte mitbringt, sitzt nur wenige Kilometer weiter, in einem Nebenraum des Neuen Markts gleich neben der Kurstafel. Klaus-Dieter Benner hat als Staatsanwalt für Wirtschaftskriminalität schon zahllose Anlageganoven zur Strecke gebracht. Er hat den European Kings Club auffliegen lassen, den wohl größten Fall von Kapitalbetrug, der jemals vor ein deutsches Gericht kam. Aus seiner Feder stammen die einschlägigen Kommentare im "Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts", dem juristischen Standardwerk zu diesem Thema.
Schade nur, daß Benner in seiner jetzigen Funktion nicht allzu viel zu sagen hat. Formal gesehen obliegt dem Juristen heute die staatliche Aufsicht der Frankfurter Börse und damit die Kontrolle über alle dort eingeschriebenen Händler und Kursmakler. Die direkte Börsenaufsicht ist Ländersache und fällt damit in die Zuständigkeit von Benners Dienstherrn, dem Hessischen Wirtschaftsministerium.
Doch höheren Orts scheint man den Aufklärungswillen des Ermittlers nicht sonderlich zu schätzen. Erst haben ihm seine Vorgesetzten im Wirtschaftsministerium drei von zehn Mitarbeitern abgezogen, dann wurde ihm die Kompetenz für die elektronischen Handelssysteme Xetra und Eurex genommen. Und selbst die Bezeichnung "Staatskommissariat", die immerhin eine gewisse Autorität signalisiert, hat das Ministerium dem Kontrollreferat mittlerweile aberkannt.
Fachleute wie Benner können genau sagen, wie der Anlegerschutz wirksam zu verbessern wäre, wie sich die Macht der Banken sinnvoll austarieren ließe. Zunächst braucht es auch in Deutschland eine zentrale Börsenbehörde, wie sie in den USA oder Großbritannien aus gutem Grund schon seit Jahrzehnten existiert, eine Kontrollinstanz, die jeden Börsenprospekt ebenso auf seine Richtigkeit überprüft wie die Zahlen in den Quartals- und Zwischenberichten der Firmen - und die auch genug Leute einsetzen kann. "Es ist wie mit den Falschparkern", sagt Benner: "Wenn man keine Politessen auf die Straße schickt, findet man auch keine."
Zum Vergleich: Die amerikanische Secunties and Exchange Commission (SEC) verfügt über rund tausend exzellent geschulte Ermittler. Sie kann bei Verdacht Bankbüros durchsuchen, Akten beschlagnahmen, Bußgelder verhangen und selbst Zivilverfahren anstrengen, wenn Börsenregeln verletzt werden. Über 400 waren es allein im vergangenen Jahr (siehe Seite 103).
Nötig ist, darüber sind sich die Börsenwächter einig, außerdem eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die sich speziell für die Verfolgung von Börsendelikten verantwortlich fühlt. Bislang winken die Ermittler vor Ort auch deshalb müde ab, wenn eine Akte auf den Tisch kommt, weil ihnen entweder das nötige Fachwissen fehlt oder einfach die Zeit, sich mit der komplizierten Materie zu beschäftigen.
Vor allem aber: Eindeutige und klare Gesetze müßten her, das gilt für die Prospekthaftung ebenso wie für den Regreß wegen fehlerhafter Beratung oder den Kursbetrug. Natürlich kann man es einer Bank kaum verwehren, Aktien zu kaufen und zu verkaufen - dies ist schließlich das Prinzip der Börse. In jedem Fall aber sollten die Geldhäuser gezwungen werden, die Details über Stützungskäufe umgehend publik zu machen. Ähnlich wie in den USA müßte der Gesetzgeber zudem in einem Kriterienkatalog definieren, welche Eingriffe in den Markt erlaubt sind und welche nicht - was also Kurspflege ist und was verbotene Kursmanipulation.
Allmählich dämmert auch den Verantwortlichen in Berlin, daß ein unbedarftes "Weiter so" den Finanzplatz und die Aktienkultur in Deutschland nachhaltig beschädigt. Denn was ist eine Börse wert, der die Anleger mißtrauen? Was nützen die schönsten Anlageformen, wenn die Aktionäre, durch Schulden und Verluste verunsichert, ihr Geld lieber wieder in Sparbriefen anlegen?
"Wir müssen überlegen, was man tun kann, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen", sagt Margareta Wolf von den Grünen, die Anfang Januar zur neuen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium berufen wurde. Sie will nun zumindest für die Arbeit der Analysten neue Regeln durchsetzen, um Interessenkonflikte auszuschließen: So sollen die Aktienspezialisten künftig nur noch die Papiere bewerten dürfen, die weder sie noch ihre Bank besitzen.
Im Bundesjustizministerium wird derzeit geprüft, wie man Anlegern helfen kann, Schadensersatzansprüche leichter vor Gericht durchzusetzen, etwa durch Sammelklagen, die schlagartig die Position der Kunden verbessern würden. Der Ministeriumssprecher dämpft aber die Erwartungen: "Wir stehen noch ganz am Anfang."
Die eigentliche Verantwortung für eine Börsenreform liegt freilich bei Bundesfinanzminister Hans Eichel. Vergangenen Monat stellte der immerhin einen Plan zur Neuordnung der Finanzaufsicht vor. Danach sollen die drei Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen und den Wertpapierhandel zu einer Behörde zusammengefaßt werden.
Doch an eine deutliche Personalaufstockung bei den Börsenkontrolleuren ist bisher nicht gedacht, auch erweiterte Kompetenzen und Zugriffsrechte stehen nicht zur Debatte. Tatsächlich handelt es sich bei dem Vorhaben zur Gründung einer "Allfinanzaufsicht" eher um eine behördeninterne Umwidmung von Stellen und Referaten. Das eigentliche Problem, die Zersplitterung der Börsenkontrolle in Bundes-, Landes- und Privatzuständigkeit, bleibt unverändert bestehen.
Kaum viel versprechender sehen derzeit die Vorarbeiten für das im Sommer anstehende "Vierte Finanzmarktförderungsgesetz" aus, das eine Vielzahl bislang bestehender Regelungen ersetzen soll. Nicht nur der Name des Fördergesetzes erscheint verdächtig, von Anlegerschutz jedenfalls ist in dem Titel keine Rede. Auch der Wille, die Kursmanipulationen zu erschweren oder aber die Prospekthaftung zu verbessern, ist bei Eichels Fachbeamten bislang eher unterentwickelt.
Durchgriffsrechte, wie sie die amerikanische SEC genießt, seien "mit dem deutschen Rechtsstaat nicht vereinbar", heißt es in der zuständigen Abteilung. "Eine Grauzone wird es immer geben."
Bislang haben sich die Banken noch gegen jeden Versuch, ihre Marktmacht einzuschränken, erfolgreich gewehrt. Wenn die Politik sich in der Vergangenheit daran machte, die veralteten Börsenregeln der sich schnell verändernden Wirklichkeit anzupassen, gab es am Ende häufig nicht mehr, sondern weniger Rechte für die Anleger.
Bestes Beispiel: Als die Regierung unter Helmut Kohl 1998 das "Dritte Finanzmarktförderungsgesetz" vorlegte, war auf einmal die Frist, innerhalb derer die Geldhäuser für fehlerhafte Börsenprospekte haften, von fünf auf drei Jahre verkürzt. Schließlich, so das Argument der Reformer, müsse die "Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland" sichergestellt sein.
Wer einen Eindruck bekommen will, wie sich die Banken die Zukunft des Wertpapierhandels vorstellen, muß nur einen Blick in die neuesten Werbebroschüren werfen. Neben die Aktie, das Angebot für den eher konservativen Anleger, treten jetzt die "Hochzinsanleihen". Früher, als sie noch nicht als Produkt der Zukunft galten, hießen diese Scheine "Junk Bonds", zu Deutsch: Ramschpapiere.
Die Hochzinsanleihe ist die nächste konsequente Stufe beim Umbau der Banken zu reinen Dienstleistern. Sie ist der Triumph des lnvestmentbankings über das klassische Kreditgeschäft. Nach wie vor stillen ja vor allem Großunternehmen ihren Kapitalhunger nicht nur über die Ausgabe von Aktien, sondern eben auch über Darlehen. Was liegt da näher, als diese Finanzierungsart ebenfalls nach den Kriterien der Risikominimierung zu organisieren? In Zukunft werden die Banken einen Großteil ihrer Kredite bündeln, mit einem ordentlichen Zins versehen und sie als spekulative Anleihen über ihre Schalter verkaufen.
Glaubt man den Strategen der Investmenthäuser, sind die Tage des klassischen Kreditgeschäfts gezählt. "Normale Bankkredite werden austrocknen", prophezeite der Brite Mike Weston von der Investmentbank Morgan Stanley bei einer Branchentagung im Londoner Grosvenor House. Die europäischen Kreditinstitute könnten es sich schlicht nicht länger leisten, die margenschwache und risikobehaftete Darlehensvergabe selbst zu betreiben, führte Weston in schöner Offenheit aus: "Der Kapitalmarkt steht bereit, die Unternehmen über Anleihen mit dem erforderlichen Geld zu versorgen."
Das Geschäftsprinzip hat sich schon bei der Aktie bewährt: hohe Gewinnspannen über Provisionen, Aufschläge und Handelsgebühren; keinerlei Risiko bei Ausfall des Kreditnehmers.
Das trägt ja jetzt der Anleger.
N E U E R M A R K T
"Die Kleinanleger sind nichts als Kanonenfutter"
Fiduka-Chef Gottfried Heller zum Neuen Markt, zum Stand der Aktienkultur in Deutschland und zur Unvermeidbarkeit weiterer Pleiten an der Börse.
(© Teuto press)
Gottfried Heller, langjähriger Weggefährte Andre Kostolanys und gefragter Aktien-Experte
München/Hamburg - Der anstehende Rauswurf von Gigabell aus dem Neuen Markt und die drohende Auslistung von EM.TV wegen der geplanten Zerschlagung des Medienkonzerns markiert einen neuen Tiefpunkt an der deutschen Börse. Für Gottfried Heller, langjähriger Partner von Andre Kostolany und Chef der Münchner Fiduka Vermögensverwaltung, kam das Desaster am Neuen Markt nicht überraschend. Er hatte bereits am 13. März 2000, exakt zum Rekordhoch des Nemax-50, vor einem Platzen der Blase gewarnt und einen Trendwechsel vorausgesagt. Die Bilanz nach einem Jahr gibt dem Börsen-Experten recht. Der Neue Markt, anfangs noch euphorisch gefeiert, hat sich als gigantische Kapitalvernichtungsmaschine erwiesen, die - einmal in Gang gesetzt - offenbar kaum zu stoppen ist. "Es wurden unglaublich viele Fehler gemacht" Die Ursachen dafür sind nach Ansicht von Gottfried Heller vor allem hausgemacht. Seine Analyse: "Es sind auf institutioneller und behördlicher Seite unglaublich viele Fehler gemacht worden, die nun vor allem von den Kleinanlegern ausgebadet werden." Ein Beispiel: Das Emissionswesen in Deutschland. Hier besteht nach Ansicht Hellers dringender Änderungsbedarf. "Was hier zum Teil abgelaufen ist", so Heller, "hatte zum Teil schon kriminellen Charakter. Es wurden - eigens für den Börsengang - dubiose Firmen gegründet, die dann durch einen Werbe-Overkill promoted wurden. Anschließend verhökerte man einen Teil des Unternehmens an die unbedarften Kleinanleger, und alle haben gut verdient: Die Gründer, die Emissionsbanken, die beteiligten Analysten und sogenannte Börsenjournalisten, die vorab großzügig beteiligt worden waren. Die Kleinanleger waren dabei nichts als Kanonenfutter." "Viele Regeln müssen ganz neu überdacht werden" Eine Änderung der Verhältnisse ist nach Ansicht Hellers nur zu erreichen, wenn grundlegende Dinge neu überdacht werden. Seine Forderung: Emissionen müssen im Vorfeld schärfer geprüft werden, die Lock-up-Frist sollte mindestens zwei Jahre betragen, und Meldepflichten bei Verkäufen und Sanktionen bei Verstössen müssen deutlich härter werden. Dabei hat er auch die Finanzinstitute im Visier. "Ein Unding", so Heller, "dass Banken nicht stärker in die Haftung genommen werden. Sie tragen Mitverantwortung für viele Nemax-Pleiten, weil sie auf eine kritische Prüfung ihrer IPO-Klienten viel zu oft verzichtet haben." "Richter und Staatsanwälte oft überfordert" Dringenden Handlungsbedarf sieht Heller zudem im Justizwesen. Sein Rat: "Der deutsche Gesetzgeber sollte einmal nach Amerika schauen. Dort wird bei Mauscheleien deutlich härter zugelangt. Wenn man diese Maßstäbe im Neuen Markt anlegen würde, sässe ein großer Teil der Jungs längst hinter Gittern." Eine Besserung ist nach Einschätzung Hellers hier nur dann zu erreichen, wenn eine eigene Ausbildung für Staatsanwälte und Richter geschaffen wird. Bisher nämlich, so seine Beobachtung, sind die deutschen Justizbehörden mit der komplizierten Materie meist total überfordert. Ähnliches gilt nach Hellers Meinung für die Börsenaufsicht. Über die kann der Experte sich nur wundern: "Viele Manipulationen am Neuen Markt waren so offensichtlich, dass jeder Laie sie gesehen hätte. Die Mitarbeiter der Handelsüberwachung sollten etwas engagierter sein. Was machen die eigentlich den ganzen Tag?" Das Gespräch führte Redakteur Clemens von Frentz
Spiegel 19.02.2001
Aufpumpen und abstoßen
Der Kursrutsch an den Börsen offenbart die Schwächen der deutschen Aktienkultur. Während die Banken Rekordgewinne einfahren, sind Privatanleger gegen Kursmanipulationen und Täuschung kaum geschützt. Der Staat überläßt die Börsenaufsicht weit gehend den Börsianern.
Börsencrash, Aktiendepression, Kurspanik? Ach was. Wenn die Herren des Geldes in diesen Tagen auf das vergangene Geschäftsjahr zurückblicken, dann geben sie ihre vornehme Zurückhaltung auf und beginnen zu strahlen.
Wieder einmal habe die Deutsche Bank ihre Ertragskraft als "führendes inter nationales Aktienhaus" unter Beweis gestellt, sagt deren Vorstandssprecher Rolf Breuer, die Zahlen aus dem Handelsgeschäft an der Börse seien einfach "hervorragend".
"Wir haben noch nie ein Ergebnis gehabt, wie wir es demnächst vorstellen werden", jubelt Martin Kohlhaussen, Vorstandssprecher der Commerzbank: "Die Entwicklung in 2000 war großartig." Inder Tat: Die Geldinstitute haben im vergangenen Jahr mehr Gewinn nach Steuern gemacht als je zuvor. So legte die Deutsche Bank 102 Prozent zu, die Commerzbank verbesserte sich um 37 Prozent. Die HypoVereinsbank, in den letzten Jahren durch verlustreiche Immobilienspekulationen arg gebeutelt, steigerte ihren Gewinn in den ersten neun Monaten 2000 um fabelhafte 498 Prozent.
Vor allem das Geschäft mit Aktien und anderen Wertpapieren läuft aus Sicht der Finanzhäuser wie geschmiert. Keine andere Sparte spülte in den letzten Jahren so viel Geld in ihre Kassen. Allein durch Provisionen verdiente die Dresdner Bank in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres 6,4 Milliarden Mark. Den Brokern der Deutschen Bank gelang es, ihr Handelsergebnis im ganzen Jahr auf über 13 Milliarden Mark zu steigern. "Den höchsten Gewinnbeitrag erbrachte wiederum das Aktiengeschäft", hieß es bereits im Herbst anerkennend im Zwischenbericht des Vorstandssprechers. War da nicht noch was?
Noch nie zuvor in der bundesdeutschen Börsengeschichte haben die Anleger binnen eines Jahres so viel Vermögen verloren, noch nie haben sie sich erst so reich und dann so arm gefühlt.
Seit März 2000, dem Monat seines Höchststandes, hat der Deutsche Aktien-Index Dax rund 20 Prozent seines Werts eingebüßt. Der Nemax, also das Kursbarometer des gerade bei Kleinanlegern beliebten Neuen Markts, sackte im gleichen Zeitraum gar von 8559 auf 2523 Punkte ab - ein Kurssturz, den kaum ein Depot unbeschadet überstanden hat.
Von den 169 Firmen, die von den Banken im vergangenen Jahr an die Börse gebracht wurden, notieren mittlerweile 124 unter dem Emissionspreis, also dem Kurs, den die Finanzhäuser den Anlegern bei Erstausgabe der Aktie als fairen Wert empfohlen hatten. Die Zahl der so genannten Wachstumswerte, die über 80 oder sogar 90 Prozent verloren, ist mittlerweile so groß, daß sie unter einen eigenen Gattungsbegriff fallen: "Penny Stocks" heißen solche Kursruinen, die nur noch die ganz verwegenen Zocker anziehen.
Selbst eine Volksaktie wie die Deutsche Telekom verlor seit ihrem Höchststand, allen Prognosen der Banken zum Trotz, über zwei Drittel ihres Werts. Trotzdem haben die Geldhäuser prächtig verdient, als sie im Juni nochmals über 230 Millionen Telekom Aktien in den Markt drückten. Sie kassierten für dieses Manöver eine Provision von rund 400 Millionen Mark - ungeachtet der Tatsache, daß allein dieses Aktienpaket anschließend etwa 17 Milliarden Mark an Wert verlor. Inzwischen gilt die Telekom als Krisenunternehmen (siehe Seite 110).
Ohne Zweifel, für die Mehrzahl der Aktionäre war das goldene Bankenjahr ein Desaster. Alles in allem vernichtete der Crash an den deutschen Aktienmärkten, zumindest auf dem Papier, die gigantische Summe von rund 500 Milliarden Mark. Von einem "Annus horribilis" spricht die "Börsenzeitung", einem Schreckensjahr.
Daß von den Verwerfungen am Aktienmarkt in den Berichten der Banken allenfalls am Rande die Rede ist, daß der Kursschock die Strategen in den FrankfurterGlastürmen seltsam unberührt läßt, während die Kleinanleger fassungslos dem Wertverfall ihrer Depots zusehen, hat einen einfachen Grund: Ganz gleich, in welche Richtung sich Dax und Nemax bewegen - die Banken verdienen immer.
Treibmittel der Dauer-Hausse waren die knapp 200 Milliarden Mark, die die Finanzinstitute seit 1997 bei den Privatanlegern eingesammelt haben, um sie gegen allfällige Aufschläge in den Wertpapiermarkt zu pumpen. Keine Frage, daß viele Anleger den Versprechungen auf schnellen Reichtum allzu schnell Glauben schenkten, daß die Hoffnung, mal eben ein zweites Jahresgehalt einstreichen zu können, selbst biedere Familienväter alle Vorsicht über Bord werfen ließ. Doch es waren eben auch immer die Banken an ihrer Seite, die der allgemeinen Börseneuphorie allzu gern nachhalfen, getreu dem Motto "Wir machen den Weg frei".
Der Kursrutsch der vergangenen Monate offenbart schlagartig alle Schwächen der deutschen Börsenkultur. Deutlicher denn je zeigt sich jetzt, daß die deutschen Finanzinstitute nur ungenügend ihrer Aufgabe nachkommen, bei allen Aktiengeschäften stets das "Interesse der Kunden"1 zu wahren, wie es das Wertpapierhandelsgesetz ausdrücklich vorschreibt. Immer klarer wird auch, daß gerade die Kleinaktionäre vor Tricks und Täuschung kaum geschützt sind. Die Liste der Aktiendesaster, bei der die Banken als Konsortialführer Pate standen, ist lang - und sie wird mit jedem Monat länger:
Beispiel Allgeier. Im Juli brachte das ehrwürdige Bankhaus Merck Finck & Co den Computerzulieferer an die Börse, drei Monate später waren alle Umsatzprognosen, mit denen die Anleger gelockt wurden, überholt. Der Kurs stürzte um 70 Prozent. Verlust für die Aktionäre bis heute: 100 Millionen Mark.
Beispiel Ad Pepper. Im Herbst bot die HypoVereinsbank die Papiere der Nürnberger Internet-Werbefirma zur Zeichnung an, rund 900000 Aktien gingen an Privatanleger. Die erste Gewinnwarnung erfolgte bereits sieben Wochen nach Börsengang. Verlust für die Aktionäre: 320 Millionen Mark.
Beispiel Letsbuyit.com. Bei Börsenstart im Sommer hatte das E-Commerce Unternehmen nach Einschätzung der begleitenden Banken einen Wert von rund 600 Millionen Mark. Zum Jahreswechsel war die Firma beinahe zahlungsunfähig. Kein Papier ist im Augenblick am Neuen Markt billiger zu haben.
Während bei jedem Autokauf detailliert geregelt ist, welche Garantieleistungen und Haftungsansprüche dem Verbraucher zustehen, deren Durchsetzung er notfalls vor Gericht erstreiten kann, ist ausgerechnet der deutsche Kapitalmarkt weit gehend der Selbstkontrolle überlassen. Weder gibt es in Deutschland bislang ein einheitliches Gesetz, das die Rechte und Ansprüche der Anleger eindeutig regelt, noch eine schlagkräftige Börsenaufsicht, die diesen Namen verdient. Tatsächlich dürfen sich allein für die Frankfurter Wertpapierbörse drei Aufsichtsorgane irgendwie zuständig fühlen. Keines verfügt über das ausreichende Personal, keines besitzt klar abgegrenzte Kompetenzen oder Zugriffsrechte, wie sie etwa in den USA seit Jahrzehnten Standard sind. Natürlich sind auch hier zu Lande Kursmanipulation und Irreführung der Aktionäre verboten.
Auch in Deutschland sind die Banken gehalten, das Aktiengeschäft mit der "erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit" zu betreiben, so steht es jedenfalls in den Gesetzestexten. In der Praxis allerdings erweisen sich die vielen Verordnungen und Vorschriften, mit denen der Gesetzgeber einen geordneten Handel an den Aktienmärkten sicherstellen will, für den Anleger als weit gehend wertlos.
Was nützt beispielsweise die so genannte Prospekthaftung, die die Banken zu vollständigen und zutreffenden Angaben im Börsenprospekt verpflichtet, wenn Geldhäuser ohne jede rechtliche Folgen Unternehmen an den Markt bringen können, die schon wenige Monate nach Börsengang einen Insolvenzantrag stellen?
Wie verträgt es sich mit dem gesetzlichen Auftrag der Bank, den Anleger vor dem Kauf von Aktien über sämtliche Risiken aufzuklären, wenn dasselbe Finanzhaus in seinen begleitenden Studien selbst bei fallenden Kursen noch von "überdurchschnittlichen Wachstumschancen" spricht?
Welchen Wert hat die Verpflichtung der Geldinstitute, sauber zwischen den Interessen der Kunden und denen des eigenen Hauses zu trennen, wenn die großen Fonds oder Händler der Banken auch dazu eingesetzt werden, bestimmte Aktien zwecks "Kurspflege" nach oben zu treiben?
Wie schlecht es um den Anlegerschutz in Deutschland bestellt ist, zeigt schon die so genannte Risikoaufklärung, die am Beginn des ersten Aktiengeschäfts steht. Seit einigen Jahren muß jede Bank ihren Kunden vor Depoteröffnung ein spezielles Formblatt vorlegen, in dem diese dann anzugeben haben, wie es um ihre Vermögensverhältnisse und Börsenkenntnisse bestellt ist und welche Anlageziele sie verfolgen.
Doch was die Risikobelehrung im Streitfall wert ist, erleben in diesen Tagen all jene, die bei Aktionärsschützern und Anwälten vergeblich um Beistand nachsuchen. Nach Erfahrung von Juristen genügt die Unterschrift unter das Standardformular nämlich in aller Regel als Nachweis, daß die Bank ihrer Aufklärungspflicht ausreichend nachgekommen ist. Wie gründlich der Kundenbetreuer die Börseneinsteiger beraten hat, spielt dabei meist keine Rolle und auch nicht die Frage, ob der Kunde eigentlich begriffen hat, welche Folgen die Wahl einer der vorgegebenen Risikoklassen haben kann.
Wohl kaum einem Neuaktionär ist etwa bewußt, daß selbst derjenige, der sich als eher konservativer Anleger einstuft, im Extremfall mit seinen Aktien 70 oder gar 80 Prozent des eingesetzten Kapitals verlieren kann. Und wer seinem Bankberater die Freude gemacht hat, sich Kenntnisse über Optionsscheine oder Futures attestieren zu lassen, geht beinah jedes Haftungsanspruchs verlustig. "Solche Anleger sind praktisch Freiwild", sagt Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Ebenso fragwürdig wie das Risikoklassensystem sind auch die Regeln, mit denen die Banken für ihre Wertpapierkredite werben, also den Aktienkauf auf Pump. So räumen vor allem Direktbanken gern all jenen, die sich schon ein kleines Depot aufgebaut haben, problemlos ein Darlehen ein, um weitere Papiere zu ordern. Die so genannte Beleihungsgrenze beträgt dabei in der Regel 50 Prozent, das heißt: Wer bereits über ein Depot von 10000 Mark verfügt, bekommt bis zu 5000 Mark Kredit für Zukäufe.
Das Tückische an dem System: Mit steigenden Kursen steigt auch die Kreditlinie, da der Wert des Aktiendepots als Sicherheit gilt. Ein Depot, das dank günstiger Marktentwicklung plötzlich 30000 Mark wert ist, kann also mit weiteren 10000 Mark beliehen werden. Dramatisch wird es für den Anleger, wenn die Kurse in den Keller rauschen, seine Kreditlinie damit automatisch wieder sinkt und die Bank das Darlehen zurückfordert. Vielen bleibt dann nichts anderes übrig, als ihre Aktien mit Verlust zu verkaufen, um die Bankschuld zu tilgen. "Zwangsexekution" heißt dies im Bankendeutsch.
Nicht einmal bei offenkundigen Beratungsfehlern können Kunden auf Rechtssicherheit vertrauen. "Die Gesetze sind so vage, daß die Banken fast immer am längeren Hebel sitzen", sagt der Rechtsanwalt Bernd Jochem von der Münchner Kanzlei Rotter. Der Mann weiß, wovon er spricht, schließlich zählt das Anwaltsbüro zu den wenigen Sozietäten in Deutschland, die sich auf Börsenrecht spezialisiert haben.
Derzeit liegen bei Jochem gleich zwei Dutzend Regressansprüche von Anlegern auf dem Tisch, die dem Rat ihrer Kundenbetreuer folgend Aktien des Software-Unternehmens Baan erwarben. Selbst als die Wirtschaftsblätter bereits ausführlich über Absatzprobleme und mögliche Bilanzmanipulationen berichteten, sei das Papier, so Jochem, den unbedarften Kleinanlegern noch als bombensicheres Investment empfohlen worden. Wenig später stürzte die Baan-Aktie, wie von den Finanzzeitungen erwartet, ab - heute liegt sie bei einem Zwanzigstel ihres ursprünglichen Werts.
Allzu große Hoffnungen kann Jochem seinen Klienten nicht machen. Bislang sind alle Versuche, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen, gescheitert. Nun will er es wenigstens mit einer Klage in den Niederlanden versuchen, dem Heimatland von Baan.
Daß die großen Finanzinstitute bei einer derart komfortablen Rechtslage nur wenig Veranlassung sehen, sich ihrerseits kulant zu zeigen, ist nicht weiter verwunderlich. Selbst Anleger, die ihrer Bank über Jahrzehnte die Treue gehalten haben, dürfen bestenfalls auf ein paar freundliche Worte hoffen. Das liest sich dann so:
"Ich kann Ihnen versichern, daß wir Anliegen und Beschwerden unserer Kunden stets ernst nehmen", schreibt das Büro von Commerzbank-Chef Kohlhaussen an Kundin Barbara Kloepfer, die gerade einen Teil ihrer Altersvorsorge in Aktien der Immobilenfirma US Realty versenkt hat. Man bitte aber um Verständnis, teilt ihr die Abteilung "Kundenzufriedenheit" ergänzend mit, "daß wir bedauerlicherweise die Ihnen entstandenen Buchverluste nicht ersetzen können".
Kein Wort darüber, daß der zuständige Mann in der Berliner Commerzbank-Filiale der Frührentnerin ausdrücklich zu den verhängnisvollen Aktienengagement geraten hatte. Kein Wort auch über das Wer beschreiben der Bank, in dem von "attraktiven Perspektiven" die Rede war, und davon, daß die Commerzbank beim Kauf des US-Papiers "von nachhaltig erzielbaren, attraktiven Wertzuwächsen" ausgehe.
Barbara Kloepfer hat wenigstens noch nette Briefe bekommen. Mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Finanzinstitute mitunter auf Beschwerden reagieren, zeigt der Fall von Eckard Koch aus Reinbek. Der Mann hatte brasilianische Schuldverschreibungen gekauft, die zu einem bestimmten Termin vorzeitig gekündigt werden konnten. "Zu pari" wohlgemerkt, also zum Nennwert von 10000 Mark.
Doch im Kleingedruckten fand sich noch ein anderer Kündigungsmodus, Koch erhielt deswegen nur rund 4300 Mark zurück. Alle Versuche, den Schaden von seinem Geldinstitut ersetzt zu bekommen, liefen ins Leere. Die Emissionsbank der Anleihe, die deutsche Tochter des amerikanischer Geldhauses Morgan Stanley, empfahl dem Mann aus Reinbek in einem Schreiben schließlich, "sich hinsichtlich weiterer Fragen an den Trustee der Schuldverschreibung zu wenden", und gab Koch eine Telefonnummer in London in die Hand. Pech für Koch, daß er kaum Englisch spricht.
Daß sich im Verhältnis der Bank zu ihren Kunden etwas verschoben hat, das spüren die Verbraucher nur allzu genau. 45 Prozent geben einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge an, daß ihr Vertrauen in die Banken gesunken sei. Nach den Analysten und deren Urteilen befragt, sprechen sogar 60 Prozent von einem Vertrauensverlust.
Mit dem zunehmenden Wertpapierverkauf über den Bankschalter ist eine Geschäftsbeziehung ins Wanken geraten, auf die gerade die Geldbranche immer stolz war und die sie in ihrer Werbung (,‚Die Bank an Ihrer Seite") gern herausstellt. Nicht von ungefähr sprechen Verbraucherschützer wie der Berliner Finanzexperte Volker Pietsch von einem "Vertrauensvorschuß, den sonst nur Arzte und Apotheker genießen".
Tatsächlich steht hinter dem gezielten Ausbau des Aktiengeschäfts ein grundlegender Wandel des deutschen Bankensystems. Das "Band der Sympathie" ist ja auch deshalb gerissen, weil sich die großen Finanzdienstleister nicht mehr als bloße Verwalter von Spareinlagen verstehen, als Kreditinstitute eben, die das Geld ihrer Kunden eifrig horten, um es dann unter Abwägung aller Sicherheiten und Risiken weiterzuverleihen.
Investmentbanking heißt die neue Hoffnungssparte, und so schön glitzernd wie dieser Begriff, so zukunftsträchtig scheint auch das damit verbundene Geschäftsmodell. Anstatt die Unternehmen vorzugsweise selber mit Darlehen zu versorgen, die in der Regel eng begrenzt sind, sammeln die Geldhäuser nun das Kapital an der Börse ein - mit weit reichenden Folgen für den Kunden.
Denn in dem Maß, in dem die Banken sich zunehmend als Finanzmakler zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt betätigen, tritt der Anleger an die Stelle der traditionellen Kreditgeber und übernimmt damit auch deren Risiko. Während bei der klassischen Darlehensvergabe die Bank selbst für Verluste geradestehen mußte, sind es nun die Anteilseigner, die bei schlechtem Geschäftsverlauf oder gar Konkurs ihr Vermögen verlieren. Der Strategiewechsel war für die Banken sehr erfolgreich: Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Wertpapierdepots, die die deutschen Finanzhäuser im Namen ihrer Kunden verwalten, auf 24‚6 Millionen mehr als verdoppelt. Die Zahl der Orderaufträge hat sich im gleichen Zeitraum vervielfacht, und daß sich dies für die Geldhäuser auch rentiert, dafür sorgt ein tief gestaffeltes System von Gebühren, Aufschlägen und Provisionen.
Wie einträglich dieses Geschäft ist, zeigt geradezu mustergültig die Fusion des Stuttgarter Daimler-Benz-Konzerns mit dem amerikanischen Autohersteller Chrysler. Bei diesem Firmenzusammenschluß, einem Aktientausch, der nur zu Stande kommen konnte, weil mindestens 90 Prozent der Anleger ihm zustimmten, profitierten die Banken von einem ausgeklügelten Provisionssystem, das der Würzburger Bankenrechtler Ekkehard Wenger schlicht für "sittenwidrig" hält. Deshalb hat er sich vor wenigen Tagen an das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen gewandt.
Tatsächlich nämlich kassierten die Banken von ihrem Auftraggeber Daimler um so mehr Geld, je eher sie ihre Depotkunden vom Sinn des Deals überzeugt hatten:
"Konkret wurde eine Provisionsstruktur verabschiedet, die vorsah, bei einem Tausch innerhalb der ersten 20 Tage des Angebots eine Provision von zwei Prozent des Kurswerts zu bezahlen", schrieb der damalige Leiter der Direktion Investor Relations, Ralf Bammer, jüngst in einem Buch mit dem Titel "Praxis der Investor Relations", "nach Ablauf von 20 Tagen reduzierte sich die Provision auf ein Prozent."
Nach ähnlichem Muster, klagt Wenger, arbeiten auch Drückerkolonnen. Schön für Daimler, daß viele Bankkunden dem Drängen ihrer Bank nachgaben und zügig der Fusion zustimmten. Ärgerlich nur für die Anleger, daß die Daimler-Aktie seither rund ein Viertel ihres Werts verloren hat.
Das wichtigste Schmiermittel für die große Börsenmaschine liefern die jungen Firmen mit den flotten Namen und den großen Versprechen, diese Entrepreneure aus der Büroetage nebenan, die zwar außer dem festen Willen zum Börsengang und einer schönen Geschäftsidee wenig zu bieten haben, dafür aber das mitbringen, was Börsianer "Phantasie" nennen. Erst sie haben die Anleger in Massen an die Kundenschalter getrieben, erst sie machen aus einem guten Bankgeschäft ein lukratives.
Kaum etwas illustriert die Erfolgsgeschichte des Investmentbanking anschaulicher als die Zahl des so genannten IPO, des "Initial Public Offering", wie der erste Börsengang unter Kundigen heißt. Waren es bis Mitte der Neunziger pro Jahr lediglich etwa 20 Firmen, die von den Banken an die Börse gebracht wurden, lag die Zahl 1997 deutlich über 30. 1998 konnten die deutschen Börsen bereits 79 Neuzugänge vermelden. Im vorvergangenen Jahr wurde mit 194 Emissionen der bisherige Höchststand erreicht.
Für die Banken sind die Börsenneulinge auch deshalb so interessant, weil sie ihnen ganz neue Einnahmequellen verschaffen. Auf vier bis sechs Prozent des eingesammelten Kapitals beläuft sich in der Regel die Provision, die das begleitende Emissionshaus bei einem erfolgreichen Börsengang in Rechnung stellen kann. Das heißt: Je höher der Emissionspreis, den die Bank bei den Anlegern durchsetzen kann, desto höher die Prämie.
Hinzu kommen oft vorbörsliche Beteiligungen, also der Zugriff auf Aktienpakete zu einem Preis, der deutlich unter dem liegt, den später die Anleger zu zahlen haben. Gut bedacht werden muß hierbei nur der Zeitpunkt des Wiederverkaufs, wie das Beispiel Gigabell zeigt.
So kassierte HSBC Trinkaus & Burkhardt von ihrem Schützling im Vorfeld des IPO 165000 Aktien zum Schnäppchenpreis von einem Euro - und reichte die Papiere noch während der Zeichnungsfrist an die Anleger weiter. Da die Bank den Emissionspreis auf 38 Euro taxiert hatte, brachte ihr dieses kleine Manöver zu der eh üppig bemessenen Provision in Höhe von rund 5 Millionen noch einmal 12 Millionen Mark ein. Zur Erinnerung: Gigabell war eine der ersten Aktien am Neuen Markt, die gleich am ersten Handelstag unter Ausgabekurs fiel. Im Herbst meldete Gigabell die Zahlungsunfähigkeit.
Die dritte und mit Abstand risikoloseste Möglichkeit, beim Emissionsgeschäft zu verdienen, ist der "Greenshoe", ohne den heute fast kein Börsengang mehr auskommt. Genau besehen, ist der Greenshoe eine Art Aktienoption, bei der die Bank das Recht erhält. bis zu 15 Prozent der Wertpapiere des von ihr betreuten Unternehmens zusätzlich am Markt zu plazieren. Die Alteigentümer verpflichten sich im Gegenzug, diese Aktien rund vier Wochen nach Börsengang aus dem eigenen Bestand herauszureichen - und zwar zum Emissionskurs. Die Bank kann also schon am ersten Handelstag die zusätzlichen Aktien den Depots ihrer Kunden gutschreiben, auch wenn sie die Papiere de facto noch gar nicht besitzt.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Fällt der Kurs der Aktie unter den Ausgabepreis, dann verzichten die Banken selbstverständlich auf Ausübung ihrer Kaufoption. Statt dessen erwerben sie die Papiere, die sie an die Anleger gegeben haben, billiger über den Markt zurück. Die Differenz zwischen Ausgabepreis und Rückkaufkurs verbuchen die Banken als Gewinn.
Schießt der Aktienkurs hingegen nach oben, greifen die Banken auf ihre Option zurück und übernehmen die nun vergleichsweise günstigen Aktien von den Altaktionären der Firma, um sie diesmal auf eigene Rechnung zu verkaufen. Welche Gewinne dabei theoretisch möglich sind, zeigt das Consors-Geschäft: Die Aktie des Direktbrokers zog mit der Erstnotiz von 33 auf 76 Euro an, was den Konsortialbanken dank Greenshoe eine zusätzliche Einnahme von 47,3 Millionen Euro bescherte, sollten sie an diesem Tag die Aktien tatsächlich verkauft haben.
Kein Wunder, daß um die Börsenkandidaten ein regelrechter Wettkampf entbrannt ist. Die großen Bankhäuser haben mittlerweile ganze Stabsabteilungen im Einsatz, um den Markt nach Unternehmen zu durchforsten, die man als Zukunftswerte verkaufen kann. Und weil die IPO-Fachkräfte gar nicht so schnell nachwachsen konnten, wie sie eingestellt wurden, lieferten sich die Finanzinstitute auch um diejenigen wahre Bietergefechte, die nur so aussahen, als könnten sie "Going Public" fehlerfrei buchstabieren.
"Personell gesehen, ist die ganze Branche auf dem letzten Riemen gelaufen", sagt Lutz Weiler, Vorstand der Frankfurter IPO Beratung Equinet. "Manche haben in ihrer Not komplette Teams abgeworben, dabei wurde zum Teil mit abenteuerlichen Gehältern gelockt." Weiler weiß, wovon er spricht: Erst vor kurzem hat er sich mit einer Reihe von Kollegen bei der Dresdner Bank abgesetzt, um die eigene Firma zu gründen, und selbst ordentlich im Revier gewildert.
Welche Folgen diese Konkurrenz um Aufträge und Marktanteile hat, wird spätestens beim so genannten Beauty-Contest deutlich, dem Schönheitswettbewerb, der am Anfang jedes IPO steht und bei dem sich die Banken um das Wohlwollen der Börsenaspiranten bemühen. Über 60 Finanzinstitute rangeln in Deutschland um dieses Geschäft mit den Erstnotierungen. Selbst die Sparkassen und die Ärzte- und Apothekerbank sind mittlerweile im IPO-Geschäft tätig.
Glaubt man der Schilderung von Experten wie Weiler, dann hält der Beauty Contest, was der Name verspricht: Bis zu acht Bankenteams treten da gegeneinander an. Gut eine Stunde haben die IPO-Jungs Zeit, um die Vorzüge ihres Hauses zu nennen und vielleicht auch einmal die eine oder andere kritische Frage nach dem vorgelegten Business-Plan zu stellen. Am Ende erhält derjenige meist den Zuschlag, der den Unternehmenswert möglichst hoch taxiert - auch dies erklärt die zum Teil horrenden Emissionspreise der vergangenen Monate.
Gern betonen die Spezialisten in den Emissionsabteilungen, daß ihre erste Werteinschätzung kein verbindliches Angebot sei. Daß man notfalls auch den Börsengang aussetzen könne, wenn eine genauere Prüfung Zweifel am Geschäftserfolg nähre und sich das Unternehmen trotz guten Zuredens, mit dem Preis herunterzugehen, uneinsichtig zeige. Doch bei diesen Nachverhandlungen sind den Banken, wie die Erfahrung lehrt, enge Grenzen gesetzt. Zum einen sind viele Unternehmen dazu übergegangen, das Erstgebot im Vertrag zu fixieren. Zudem
sind die Banken sehr auf ihren guten Leumund als durchsetzungsfähige Börsenhelfer bedacht. Und nichts schädigt die Reputation schneller als der Ruf, ein kleinlicher Preisdrücker zu sein. Vor allem aber: Jeder abgesagte Börsengang bedeutet den Verzicht auf alle Provisionen.
"Es wäre Unsinn zu behaupten, daß auf Leuten wie mir keine ökonomische Verantwortung lastet", sagt Friedrich Kühne, einer der Chefs der IPO-Abteilung der Dresdner Bank. "Wenn ich ein Going Public nicht verantworten kann, dann breche ich es ab. Aber wenn ich das öfter hintereinander mache, könnte mich die Bank irgendwann fragen, wie ich eigentlich meine Leute zu bezahlen gedenke."
Kühne gehört zu den Veteranen der Branche. Seit 18 Jahren ist er schon damit beschäftigt, Börsenkandidaten zu bewerten, und seine eigene Bilanz ist nicht einmal schlecht: Im Branchenvergleich steht die Dresdner Bank derzeit auf einem der ersten Plätze, selbst wenn mittlerweile auch bei ihr über die Hälfte der Neuemissionen unter Ausgabekurs gerutscht sind.
Sein wichtigstes Handwerkszeug, sagt Kühne, sei sein Gespür für die Qualität des Managements. Doch wie soll der Controller auch anders eine Firma einschätzen, deren Firmengeschichte gerade mal ein halbes Jahr alt ist? Die noch nie Gewinne verbucht hat und deren schöne Umsatzkurven auf Schätzungen beruhen?
Also behilft er sich mit einer möglichst genauen Marktanalyse, stellt Vergleichsstudien zu den Wettbewerbern an, holt Voraussagen der Forschungsagenturen ein - und hofft, daß die Branche sich so entwickeln wird, wie es die Prognosen verheißen. Allzu viel Zeit bleibt ihm für die Prüfung eh nicht: In drei Monaten müssen alle Formalitäten erledigt sein, das ist die gängige Frist, schließlich drängt jeder Debütant auf schnellen Börsengang.
Vielleicht hätte man mehr Zutrauen zu den IPO-Spezialisten der Finanzinstitute, in die Unbestechlichkeit ihres Urteils, wenn sie nicht Tür an Tür säßen mit Aktienvertrieb und Marketing und den eigenen Handelsabteilungen. So wie die Ölmultis die gesamte Wertschöpfungskette im Ölgeschäft kontrollieren, von der ersten Probebohrung über die Veredelung in der Raffinerie bis hin zum Verkauf an der Tankstelle, so haben auch die Banken inzwischen alle Stufen des Geschäfts mit der Aktie im Griff. Bei jedem Wertpapier, das an der Börse umläuft, sind sie gleich mehrfach dabei -und eben das ist das Problem.
Denn die Geldhäuser feilen ja nicht nur mit den Börsenkandidaten an den Geschäftsplänen, bestimmen deren Emissionspreis und sorgen danach mit entsprechenden Analystenstudien für ein "positives Börsenumfeld".
So brachte die West LB im Oktober 1997 das Medienunternehmen EM.TV an die Börse und hielt ihm seither die Treue. Noch im März vorigen Jahres, als der Kurs von EM.TV bei rund 90 Euro lag, empfahl die Bank den Wert zum Kauf. Damals war die Firma des Unternehmers ähnlich viel wert wie die Lufthansa, heute ist es nicht einmal ein Zehntel.
Auch der Handel liegt fest in der Hand der Geldhäuser. Zusammen mit den Fondsgesellschaften steuern sie gut ein Viertel des deutschen Aktienkapitals. Sie stellen die Mehrzahl der Broker, die für den Umschlag von Wertpapieren sorgen, und natürlich gehört auch die Börse selbst mehrheitlich den Finanzinstituten. Aufsichtsratschef der Deutsche Börse AG, die den Frankfurter Finanzplatz kontrolliert, ist der Vorstandssprecher des mächtigsten Kreditinstituts der Republik, Deutsche-Bank-Chef Breuer.
Bei einer solchen Aufgabenfülle bleiben Interessenkonflikte nicht aus. Zwar verweist die Geldindustrie immer wieder auf die Feuerwände, die sie zwischen den einzelnen Finanzabteilungen ihrer Häuser eingezogen habe, auf die "Chinese Walls", die eine unzulässige Einflußnahme beim Aktienhandel angeblich komplett ausschließen. Doch wie löchrig diese Trennwände in Wirklichkeit sind, wissen die Insider nur zu genau. "Selbstverständlich redet Sales mit Research", sagt ein Börsenwächter, der mit Rücksicht auf seine Vorgesetzten lieber ungenannt bleiben möchte. "Chinese Walls? Forget it." Vergiß es.
Häufig braucht es noch nicht einmal den direkten Kontakt, um den Profit zu mehren. Natürlich kennt jeder Fondsmanager einer Bank die exakten Beteiligungsverhältnisse seines Hauses. Und ebenso gut weiß er, welche Folgen der Kauf oder Verkauf eines größeren Aktienpostens aus seinem Fonds am Markt auslösen kann.
Natürlich muß man als Analyst kein Genie sein, um zu begreifen, daß die negative Beurteilung einer Neuemission für den Börsenkurs nicht gerade förderlich ist. Und wie verträgt es sich mit der viel beschworenen Unabhängigkeit aller am Aktiengeschäft unmittelbar Beteiligten, wenn ausgerechnet die Überwachung des elektronischen Handels einer Stelle obliegt, deren Mitarbeiter von der Deutsche Börse AG mit eingesetzt und bezahlt werden?
Möglichkeiten der Manipulation gibt es zuhauf. Und es mangelt auch nicht an Hinweisen, wie diese Möglichkeiten genutzt werden. Das beginnt schon mit den versteckten Gebühren und Beutelschneidereien, die sich die Banken erlauben können, weil der ganze Handelsablauf mit Bedacht so angelegt ist, daß ihn der normale Anleger nicht durchschaut. Tatsächlich fehlt dem deutschen Kapitalmarkt genau das, was für Ökonomen einen funktionierenden Markt ausmacht: Transparenz.
Kein Instrument ist dabei so wirkungsvoll, Kauf und Verkauf und damit auch den
Preis eines Wertpapiers zu beeinflussen, wie der Computer des Traders. Mit seiner Hilfe, und großen Fondsvermögen im Rücken, bewahren die Finanzhäuser manche Werte gezielt vor dem Absturz oder treiben, was noch einträglicher ist, die Kurse mit systematischen Aufkäufen nach oben.
Auch hier bewährt sich, daß allein die Banken über die Zuteilung der Aktien befinden. Wenn bei Börsengängen die Nachfrage das Angebot übersteigt, die Aktie also deutlich überzeichnet ist, müssen sich Großinvestoren öfters verpflichten, zu höheren Kursen nachzukaufen. Nur wer entsprechend ordert, kann sich für eine größere Zuteilung beim Börsengang qualifizieren. "Einer pumpt Sauerstoff hinein, ein anderer wirft Stroh ins Feuer, ein Dritter legt Holzscheite nach", beschreibt ein Investmentbanker das Prinzip.
So lassen sich Börsenstars produzieren. Die Software-Schmiede Biodata kam zu einem Emissionspreis von 45 Euro an den Markt, der erste Börsenkurs lag bei 240 Euro. Großanleger wie der Fondsmanager Kurt Ochner bestätigen, daß sie bei dem Deal massiv nachgeordert haben. Der Haken dabei: Wenn die Holzscheite abgebrannt sind, bleibt in vielen Fällen nur Asche übrig. Das Nachsehen haben all jene Kleinanleger, die nicht rechtzeitig ausgestiegen sind, weil sie den Kursanstieg fälschlicherweise für einen echten Wertzuwachs hielten.
Das simpelste und deshalb von Brokern auch besonders häufig gewählte Verfahren, einen hübschen Zusatzgewinn herauszuschlagen, ist das gezielte Streuen von angeblichen Exklusivinformationen, die geeignet sind, den Markt in Schwingungen zu versetzen. Der Händler wartet einfach ab, bis das Gerücht seine Wirkung tut, und verkauft dann schnell wieder die Aktien, mit denen er sich zuvor reichlich eingedeckt hat. "Pumping and dumping" heißt dieses Manöver in der Fachsprache - aufpumpen und abstoßen.
Etwas anspruchsvoller ist da schon der so genannte Pre-Arranged-Trade, der zuvor ausgemachte Handel. Hierbei beschließen zwei Broker, den Mechanismus der freien Kursbildung am Markt durch eine Geheimabsprache auszuhebeln. Der eine bietet zu einem fest vereinbarten Zeitpunkt einen Schwung Aktien zu einem deutlich überhöhten Preis an, der andere stellt zeitgleich eine entsprechende Kauforder ins Computersystem der Börse und zieht damit das Papier zumindest kurzfristig in die Höhe. Später folgt nach der gleichen Methode dann das "Rückwärtsgeschäft", und der Deal läuft einfach wieder in die andere Richtung.
Dieses Vorgehen empfiehlt sich für die Banken vor allem immer dann, wenn beispielsweise der Wert eines Fondsanteils festgelegt wird, den Tausende Kunden im Rahmen eines Investmentsparplans regelmäßig zu einem bestimmten Termin, etwa dem Monatsersten, erwerben. Der Kaufpreis dieses Fondsanteils richtet sich nämlich nach dem Kurs der darin enthaltenen Aktien an diesem Tag und wird den Anlegern entsprechend in Rechnung gestellt.
Solche krummen Geschäfte sind geradezu narrensicher, wenn sich die Trader, wie mittlerweile üblich, mehrerer Zwischenhändler bedienen. Voraussetzung ist allerdings, daß sie bei ihren Absprachen nur private Telefone benutzen und keinesfalls die Apparate in den Handeisräumen, bei denen alle Gespräche routinemäßig mitgeschnitten werden.
Wie gefährlich es sein kann, diese einfache Vorsichtsmaßnahme zu mißachten, weiß die Börsengemeinde spätestens, seitdem kurz nacheinander gleich drei Banken bei dem Versuch erwischt wurden, die Anleger zu betuppen.
Schon die Vorgeschichte ist typisch deutsch: So offerierte die Frankfurter Tochter der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers ihren Kunden 1997 ein Wertpapier, das in den Staaten aus guten Grund verboten ist, und zwar einen Optionsschein mit einem so genannten Knockout-Kicker.
Dieses Papier stellte neben der üblichen Gewinnchance, die jede Option bietet und sich in diesem Fall auf Bayer-Aktien bezog, eine zusätzliche Prämie in Aussicht. Für den Fall, daß sich der Kurs von Bayer während der Laufzeit der Option konstant über 65 Mark halten würde, versprach Lehman den Käufern des Optionsscheins einen Sonderbonus in Höhe von 10 Mark. Sollte der Kurs hingegen nur ein einziges Mal unter diese Marke fallen, würde der Knockout-Kicker greifen und der Anspruch wäre erloschen.
Aus einem der erhalten gebliebenen Tonbandprotokolle geht hervor, was geschah, als die Bayer-Aktie sich erstmals der 65-Mark-Grenze zu nähern begann. Ganz ungeniert rief ein Lehman-Händler Bekannte unter den Frankfurter Freimaklern an, um größere Pakete der Bayer-Aktie aus eigenem Bestand abzustoßen. Er wolle Bayer, teilte er offen mit, unbedingt unter 65 Mark sehen. Und tatsächlich: Das Papier notierte an diesem Tag bei 64,95 Mark Kursrutsch genug, um eine Auszahlung aller Born an die Anleger zu vereiteln.
Nach dem gleichen Prinzip verfuhr auch die Investmentbank Goldman Sachs. Das Finanzinstitut nutzte ebenfalls den Zugang zur Börse, um durch massive Aktienverkäufe bei ihren eigenen Optionsscheinen auf die Preussag-Aktie den Knockout-Kicker in Gang zu setzen.
Und auch die BHF-Bank trickste: Sie verkaufte Allianz-Aktien, um den Kurs des Versicherungspapiers nach unten zu treiben. Ein einträgliches Manöver, denn dadurch gewannen Verkaufsoptionen für Allianz-Aktien an Wert, die das Geldinstitut auf eigene Rechnung erworben hatte.
Daß es sich in allen drei Fällen um eindeutige Kursmanipulationen handelt, steht außer Frage. Doch nur Lehman Brothers wurde vom Sanktionsausschuß der Frankfurter Wertpapierbörse ein scharfer Verweis erteilt. Goldman Sachs kam schon mit einer deutlich milderen Abmahnung durch die Geschäftsführung der Börse davon, und der BHF blieb eine Rüge erspart.
Wo die Selbstkontrolle ganz offenkundig versagt, wären eigentlich die Gerichte oder die staatliche Börsenaufsicht gefordert. Aber auch von dort haben Kursbetrüger wenig zu befürchten. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel erklärt sich bei Kursmanipulationen bislang für nicht zuständig, und die Staatsanwaltschaften lehnen die Eröffnung von solchen Verfahren bislang stets mit Hinweis auf die wenig Erfolg versprechende Gesetzeslage ab.
In der Tat ist das Delikt Kursbetrug nur sehr vage definiert. So macht sich nach § 88 des Börsengesetzes zwar jeder strafbar, der Kurse durch "unrichtige Angaben" oder "sonstige auf Täuschung berechnete Mittel" zu beeinflussen sucht.
Doch was genau unter "unrichtigen Angaben" zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber ebenso offen gelassen wie die Frage, ab wann man denn von "Täuschung" sprechen kann. Beginnt sie schon mit den gezielten Stützungskäufen, wie Börsenrechtler meinen, die mit der Praxis vertraut sind - oder erst, wenn sich auch verdeckte Absprachen zu Lasten Dritter nachweisen lassen?
Wie kommod sich die Banken in dieser juristischen Grauzone eingerichtet haben, zeigt schon der schöne Begriff "Kurspflege", mit dem hier zu Lande umschrieben wird, was an Finanzplätzen wie New York oder London schnell die Aufmerksamkeit der Kontrollorgane weckt. Als "Kurspflege" gilt beispielsweise der massive Eingriff der Deutschen Bank zu Gunsten der Fußballaktie Borussia Dortmund. Und natürlich ist es "Kurspflege", wenn die Banken dem Dax-Schwergewicht Telekom kurz nach dem dritten Börsengang mit schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro unter die Arme greifen, um dem Unternehmen in dieser kritischen Phase das Wohlwollen der Anleger zu erhalten.
"Ach ja, die Kontrolle", seufzt Georg Wittich und blickt betrübt auf seine Schuhe. "Bei Kursmanipulation läuft die weit gehend ins Leere." Und natürlich sei es auch wahr, daß die Finanzinstitute eine Reihe von Unternehmen an den Markt gebracht hätten, "die offenbar nicht börsenreif waren". Aber andererseits, sagt Deutschlands oberster Börsenaufseher und strafft sich wieder: "Die Banken haben auch gelernt" Vor sechs Jahren wurde das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel in Frankfurt gegründet, um über die Einhaltung des Wertpapierhandelsgesetzes zu wachen, exakt 60 Jahre nach der amerikanischen Börsenbehörde SEC. Seit dem ersten Tag ist der ehemalige Referatsleiter aus dem Bundesfinanzministerium, Abteilung Geld und Kredit, nun dort Präsident. Keiner kann so schön wie er über "Integrität" und "Transparenz" des Kapitalmarkts sprechen, über "Sauberkeit" und "Fairness".
Doch wenn man Wittich fragt, wo er Mißstände sieht und wie er gegebenenfalls Abhilfe schaffen will, gerät er erkennbar ins Stocken. Prüft er beispielsweise, wie seriös die Unternehmen sind, die an den Markt gehen, ob der vorgelegte Prospekt auch den Tatsachen entspricht? Nein, sagt Wittich, dafür sei die Börse zu ständig. Wie steht es um Beratungsfehler der Banken, leistet er den Anlegern Amtshilfe? Da verweist Wittich auf den "zivilrechtlichen Weg". Überwacht er wenigstens das Geschäftsgebaren der mächtigen Aktienfonds? Nein, sagt Wittich, das erledige nun wiederum das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.
Anderseits: Auch der Präsident kann Erfolge vorweisen. Stolz rechnet er vor, daß sich die Zahl der Ad-hoc-Mitteilungen, mit denen börsennotierte Firmen wichtige Veränderungen bekannt geben, im Jahr 2000 "fast verdoppelt" habe. Und auch bei der Verfolgung des Insiderhandels sei seine Behörde "ganz gut vorangekommen". Die Zahl der im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossenen Verfahren? Sieben.
Die ganze Machtlosigkeit der obersten Kontrollinstitution des Landes offenbart sich zwei Stockwerke tiefer im "Analystenraum", dem Herzstück des Aufsichtsamts. Fünf Mitarbeiter sollen von hier aus den gesamten deutschen Aktienhandel kontrollieren: in Frankfurt ebenso wie in Berlin, München oder Düsseldorf, zwei Millionen Börsentransaktionen täglich, mehrere tausend Firmen aus zwei Dutzend Branchen. "Mit der Analystenabteilung einer Bank", gesteht Referatsleiter Jürgen Oberfrank, "können wir natürlich nicht mithalten." Immerhin: Seit kurzem verfügt die Abteilung jetzt wenigstens über einen Internet-Anschluß.
Einer, der weiß, was Not tut, und auch die nötigen Ermittlerinstinkte mitbringt, sitzt nur wenige Kilometer weiter, in einem Nebenraum des Neuen Markts gleich neben der Kurstafel. Klaus-Dieter Benner hat als Staatsanwalt für Wirtschaftskriminalität schon zahllose Anlageganoven zur Strecke gebracht. Er hat den European Kings Club auffliegen lassen, den wohl größten Fall von Kapitalbetrug, der jemals vor ein deutsches Gericht kam. Aus seiner Feder stammen die einschlägigen Kommentare im "Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts", dem juristischen Standardwerk zu diesem Thema.
Schade nur, daß Benner in seiner jetzigen Funktion nicht allzu viel zu sagen hat. Formal gesehen obliegt dem Juristen heute die staatliche Aufsicht der Frankfurter Börse und damit die Kontrolle über alle dort eingeschriebenen Händler und Kursmakler. Die direkte Börsenaufsicht ist Ländersache und fällt damit in die Zuständigkeit von Benners Dienstherrn, dem Hessischen Wirtschaftsministerium.
Doch höheren Orts scheint man den Aufklärungswillen des Ermittlers nicht sonderlich zu schätzen. Erst haben ihm seine Vorgesetzten im Wirtschaftsministerium drei von zehn Mitarbeitern abgezogen, dann wurde ihm die Kompetenz für die elektronischen Handelssysteme Xetra und Eurex genommen. Und selbst die Bezeichnung "Staatskommissariat", die immerhin eine gewisse Autorität signalisiert, hat das Ministerium dem Kontrollreferat mittlerweile aberkannt.
Fachleute wie Benner können genau sagen, wie der Anlegerschutz wirksam zu verbessern wäre, wie sich die Macht der Banken sinnvoll austarieren ließe. Zunächst braucht es auch in Deutschland eine zentrale Börsenbehörde, wie sie in den USA oder Großbritannien aus gutem Grund schon seit Jahrzehnten existiert, eine Kontrollinstanz, die jeden Börsenprospekt ebenso auf seine Richtigkeit überprüft wie die Zahlen in den Quartals- und Zwischenberichten der Firmen - und die auch genug Leute einsetzen kann. "Es ist wie mit den Falschparkern", sagt Benner: "Wenn man keine Politessen auf die Straße schickt, findet man auch keine."
Zum Vergleich: Die amerikanische Secunties and Exchange Commission (SEC) verfügt über rund tausend exzellent geschulte Ermittler. Sie kann bei Verdacht Bankbüros durchsuchen, Akten beschlagnahmen, Bußgelder verhangen und selbst Zivilverfahren anstrengen, wenn Börsenregeln verletzt werden. Über 400 waren es allein im vergangenen Jahr (siehe Seite 103).
Nötig ist, darüber sind sich die Börsenwächter einig, außerdem eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die sich speziell für die Verfolgung von Börsendelikten verantwortlich fühlt. Bislang winken die Ermittler vor Ort auch deshalb müde ab, wenn eine Akte auf den Tisch kommt, weil ihnen entweder das nötige Fachwissen fehlt oder einfach die Zeit, sich mit der komplizierten Materie zu beschäftigen.
Vor allem aber: Eindeutige und klare Gesetze müßten her, das gilt für die Prospekthaftung ebenso wie für den Regreß wegen fehlerhafter Beratung oder den Kursbetrug. Natürlich kann man es einer Bank kaum verwehren, Aktien zu kaufen und zu verkaufen - dies ist schließlich das Prinzip der Börse. In jedem Fall aber sollten die Geldhäuser gezwungen werden, die Details über Stützungskäufe umgehend publik zu machen. Ähnlich wie in den USA müßte der Gesetzgeber zudem in einem Kriterienkatalog definieren, welche Eingriffe in den Markt erlaubt sind und welche nicht - was also Kurspflege ist und was verbotene Kursmanipulation.
Allmählich dämmert auch den Verantwortlichen in Berlin, daß ein unbedarftes "Weiter so" den Finanzplatz und die Aktienkultur in Deutschland nachhaltig beschädigt. Denn was ist eine Börse wert, der die Anleger mißtrauen? Was nützen die schönsten Anlageformen, wenn die Aktionäre, durch Schulden und Verluste verunsichert, ihr Geld lieber wieder in Sparbriefen anlegen?
"Wir müssen überlegen, was man tun kann, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen", sagt Margareta Wolf von den Grünen, die Anfang Januar zur neuen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium berufen wurde. Sie will nun zumindest für die Arbeit der Analysten neue Regeln durchsetzen, um Interessenkonflikte auszuschließen: So sollen die Aktienspezialisten künftig nur noch die Papiere bewerten dürfen, die weder sie noch ihre Bank besitzen.
Im Bundesjustizministerium wird derzeit geprüft, wie man Anlegern helfen kann, Schadensersatzansprüche leichter vor Gericht durchzusetzen, etwa durch Sammelklagen, die schlagartig die Position der Kunden verbessern würden. Der Ministeriumssprecher dämpft aber die Erwartungen: "Wir stehen noch ganz am Anfang."
Die eigentliche Verantwortung für eine Börsenreform liegt freilich bei Bundesfinanzminister Hans Eichel. Vergangenen Monat stellte der immerhin einen Plan zur Neuordnung der Finanzaufsicht vor. Danach sollen die drei Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen und den Wertpapierhandel zu einer Behörde zusammengefaßt werden.
Doch an eine deutliche Personalaufstockung bei den Börsenkontrolleuren ist bisher nicht gedacht, auch erweiterte Kompetenzen und Zugriffsrechte stehen nicht zur Debatte. Tatsächlich handelt es sich bei dem Vorhaben zur Gründung einer "Allfinanzaufsicht" eher um eine behördeninterne Umwidmung von Stellen und Referaten. Das eigentliche Problem, die Zersplitterung der Börsenkontrolle in Bundes-, Landes- und Privatzuständigkeit, bleibt unverändert bestehen.
Kaum viel versprechender sehen derzeit die Vorarbeiten für das im Sommer anstehende "Vierte Finanzmarktförderungsgesetz" aus, das eine Vielzahl bislang bestehender Regelungen ersetzen soll. Nicht nur der Name des Fördergesetzes erscheint verdächtig, von Anlegerschutz jedenfalls ist in dem Titel keine Rede. Auch der Wille, die Kursmanipulationen zu erschweren oder aber die Prospekthaftung zu verbessern, ist bei Eichels Fachbeamten bislang eher unterentwickelt.
Durchgriffsrechte, wie sie die amerikanische SEC genießt, seien "mit dem deutschen Rechtsstaat nicht vereinbar", heißt es in der zuständigen Abteilung. "Eine Grauzone wird es immer geben."
Bislang haben sich die Banken noch gegen jeden Versuch, ihre Marktmacht einzuschränken, erfolgreich gewehrt. Wenn die Politik sich in der Vergangenheit daran machte, die veralteten Börsenregeln der sich schnell verändernden Wirklichkeit anzupassen, gab es am Ende häufig nicht mehr, sondern weniger Rechte für die Anleger.
Bestes Beispiel: Als die Regierung unter Helmut Kohl 1998 das "Dritte Finanzmarktförderungsgesetz" vorlegte, war auf einmal die Frist, innerhalb derer die Geldhäuser für fehlerhafte Börsenprospekte haften, von fünf auf drei Jahre verkürzt. Schließlich, so das Argument der Reformer, müsse die "Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland" sichergestellt sein.
Wer einen Eindruck bekommen will, wie sich die Banken die Zukunft des Wertpapierhandels vorstellen, muß nur einen Blick in die neuesten Werbebroschüren werfen. Neben die Aktie, das Angebot für den eher konservativen Anleger, treten jetzt die "Hochzinsanleihen". Früher, als sie noch nicht als Produkt der Zukunft galten, hießen diese Scheine "Junk Bonds", zu Deutsch: Ramschpapiere.
Die Hochzinsanleihe ist die nächste konsequente Stufe beim Umbau der Banken zu reinen Dienstleistern. Sie ist der Triumph des lnvestmentbankings über das klassische Kreditgeschäft. Nach wie vor stillen ja vor allem Großunternehmen ihren Kapitalhunger nicht nur über die Ausgabe von Aktien, sondern eben auch über Darlehen. Was liegt da näher, als diese Finanzierungsart ebenfalls nach den Kriterien der Risikominimierung zu organisieren? In Zukunft werden die Banken einen Großteil ihrer Kredite bündeln, mit einem ordentlichen Zins versehen und sie als spekulative Anleihen über ihre Schalter verkaufen.
Glaubt man den Strategen der Investmenthäuser, sind die Tage des klassischen Kreditgeschäfts gezählt. "Normale Bankkredite werden austrocknen", prophezeite der Brite Mike Weston von der Investmentbank Morgan Stanley bei einer Branchentagung im Londoner Grosvenor House. Die europäischen Kreditinstitute könnten es sich schlicht nicht länger leisten, die margenschwache und risikobehaftete Darlehensvergabe selbst zu betreiben, führte Weston in schöner Offenheit aus: "Der Kapitalmarkt steht bereit, die Unternehmen über Anleihen mit dem erforderlichen Geld zu versorgen."
Das Geschäftsprinzip hat sich schon bei der Aktie bewährt: hohe Gewinnspannen über Provisionen, Aufschläge und Handelsgebühren; keinerlei Risiko bei Ausfall des Kreditnehmers.
Das trägt ja jetzt der Anleger.
N E U E R M A R K T
"Die Kleinanleger sind nichts als Kanonenfutter"
Fiduka-Chef Gottfried Heller zum Neuen Markt, zum Stand der Aktienkultur in Deutschland und zur Unvermeidbarkeit weiterer Pleiten an der Börse.
(© Teuto press)
Gottfried Heller, langjähriger Weggefährte Andre Kostolanys und gefragter Aktien-Experte
München/Hamburg - Der anstehende Rauswurf von Gigabell aus dem Neuen Markt und die drohende Auslistung von EM.TV wegen der geplanten Zerschlagung des Medienkonzerns markiert einen neuen Tiefpunkt an der deutschen Börse. Für Gottfried Heller, langjähriger Partner von Andre Kostolany und Chef der Münchner Fiduka Vermögensverwaltung, kam das Desaster am Neuen Markt nicht überraschend. Er hatte bereits am 13. März 2000, exakt zum Rekordhoch des Nemax-50, vor einem Platzen der Blase gewarnt und einen Trendwechsel vorausgesagt. Die Bilanz nach einem Jahr gibt dem Börsen-Experten recht. Der Neue Markt, anfangs noch euphorisch gefeiert, hat sich als gigantische Kapitalvernichtungsmaschine erwiesen, die - einmal in Gang gesetzt - offenbar kaum zu stoppen ist. "Es wurden unglaublich viele Fehler gemacht" Die Ursachen dafür sind nach Ansicht von Gottfried Heller vor allem hausgemacht. Seine Analyse: "Es sind auf institutioneller und behördlicher Seite unglaublich viele Fehler gemacht worden, die nun vor allem von den Kleinanlegern ausgebadet werden." Ein Beispiel: Das Emissionswesen in Deutschland. Hier besteht nach Ansicht Hellers dringender Änderungsbedarf. "Was hier zum Teil abgelaufen ist", so Heller, "hatte zum Teil schon kriminellen Charakter. Es wurden - eigens für den Börsengang - dubiose Firmen gegründet, die dann durch einen Werbe-Overkill promoted wurden. Anschließend verhökerte man einen Teil des Unternehmens an die unbedarften Kleinanleger, und alle haben gut verdient: Die Gründer, die Emissionsbanken, die beteiligten Analysten und sogenannte Börsenjournalisten, die vorab großzügig beteiligt worden waren. Die Kleinanleger waren dabei nichts als Kanonenfutter." "Viele Regeln müssen ganz neu überdacht werden" Eine Änderung der Verhältnisse ist nach Ansicht Hellers nur zu erreichen, wenn grundlegende Dinge neu überdacht werden. Seine Forderung: Emissionen müssen im Vorfeld schärfer geprüft werden, die Lock-up-Frist sollte mindestens zwei Jahre betragen, und Meldepflichten bei Verkäufen und Sanktionen bei Verstössen müssen deutlich härter werden. Dabei hat er auch die Finanzinstitute im Visier. "Ein Unding", so Heller, "dass Banken nicht stärker in die Haftung genommen werden. Sie tragen Mitverantwortung für viele Nemax-Pleiten, weil sie auf eine kritische Prüfung ihrer IPO-Klienten viel zu oft verzichtet haben." "Richter und Staatsanwälte oft überfordert" Dringenden Handlungsbedarf sieht Heller zudem im Justizwesen. Sein Rat: "Der deutsche Gesetzgeber sollte einmal nach Amerika schauen. Dort wird bei Mauscheleien deutlich härter zugelangt. Wenn man diese Maßstäbe im Neuen Markt anlegen würde, sässe ein großer Teil der Jungs längst hinter Gittern." Eine Besserung ist nach Einschätzung Hellers hier nur dann zu erreichen, wenn eine eigene Ausbildung für Staatsanwälte und Richter geschaffen wird. Bisher nämlich, so seine Beobachtung, sind die deutschen Justizbehörden mit der komplizierten Materie meist total überfordert. Ähnliches gilt nach Hellers Meinung für die Börsenaufsicht. Über die kann der Experte sich nur wundern: "Viele Manipulationen am Neuen Markt waren so offensichtlich, dass jeder Laie sie gesehen hätte. Die Mitarbeiter der Handelsüberwachung sollten etwas engagierter sein. Was machen die eigentlich den ganzen Tag?" Das Gespräch führte Redakteur Clemens von Frentz