George Shultz und John Taylor - Die gute Seite der Krise
08. November 2007 18:44 Uhr
Der Crash am US-Immobilienmarkt führt dazu, dass Amerikas Leistungsbilanzdefizit sinkt. Das entschärft ein zentrales Problem der Weltwirtschaft und wird den Sturz des Dollar stoppen
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Notenbanker und Geldpolitiker weltweit kennen derzeit nur ein Thema: die Turbulenzen an den Finanzmärkten. Auch auf der jüngsten Herbsttagung der G7-Finanzminister und Zentralbankchefs Ende Oktober ging es vor allem um die Sorge darüber, dass die US-Immobilien- und Finanzkrise die amerikanische Wirtschaft und vielleicht die Weltwirtschaft verlangsamen werde.
Allerdings gibt es in der Krise auch einen überraschenden Hoffnungsschimmer. Dieser lässt sich darin erkennen, dass derzeit kaum einer von dem Schreckgespenst der Weltwirtschaft der vergangenen Jahre spricht: vom Leistungsbilanzdefizit der USA.
Die gute Nachricht ist zunächst einmal, dass sich der stetige Anstieg des US-Leistungsbilanzdefizits umgekehrt hat. Während der drei aktuellsten Quartale, für die uns Daten vorliegen, ging das Defizit um 119 Mrd. $ zurück. Es fiel von rund sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf fünf Prozent – und es scheint in diese Richtung weiterzugehen.
Woran liegt diese Umkehr? Eine Erklärung ist, dass Maßnahmen gegen die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft umgesetzt wurden, die die geldpolitischen Entscheider auf früheren Spitzentreffen beschlossen hatten. Der Grundsatz, der hinter diesen Maßnahmen steckt, besagt, dass das US-Leistungsbilanzdefizit durch die Kluft zwischen Ersparnissen und Investitionen entsteht. Entsprechend war eine dreigleisige Strategie erforderlich: das US-Haushaltsdefizit senken; das Wirtschaftswachstum im Ausland stärken, um die US-Exporte zu stimulieren; und die Flexibilität der Wechselkurse – vor allem in China – erhöhen, um die Anpassung zu erleichtern.
Diese Strategie wird jetzt umgesetzt. Das US-Haushaltsdefizit ist auf 1,2 Prozent des BIP gesunken, weit unter den historischen Durchschnitt. Das weltweite Wirtschaftswachstum blieb auch stark, als sich das US-Wachstum verlangsamte. Und Chinas Wechselkurs ist flexibler geworden, die Terminmärkte gehen von einer weiteren Aufwertung des Renminbi aus. All das wird auf mittlere Sicht wohl dazu beitragen, dass das US-Leistungsbilanzdefizit sinkt. Als Erklärung für die kurzfristige Verringerung im vergangenen Jahr reicht es aber nicht.
Es müssen also noch andere Faktoren mit im Spiel sein. Da das Leistungsbilanzdefizit den Ersparnissen minus den Investitionen entspricht, ist es logisch, zunächst auf Letztere zu blicken. Und hier findet sich der Hoffnungsschimmer: Die Immobilienkrise hat eine enorme Delle bei den Investitionen hinterlassen. In den drei Quartalen, in denen das Defizit gesunken ist, sind die Wohnungsbauinvestitionen um 81 Mrd. $ gefallen. Im Vergleich zum Höhepunkt des Immobilienbooms Anfang 2006 ist der Rückgang noch viel gravierender. Ein Großteil der Reduzierung des Leistungsbilanzdefizits lässt sich demnach dem Rückgang bei Wohnungsbauinvestitionen zuschreiben.
Zudem beginnen sich die sinkenden Hauspreise auf die Sparquote der Haushalte auszuwirken. Die Quote steigt, wenn die Zahl der Hypothekenkredite fällt und die Menschen erkennen, dass ihr Immobilienvermögen nicht so groß ist wie erwartet. Als die Preise für Vermögenswerte noch zulegten, konnten die Haushalte ihren Verdienst ausgeben und dennoch stieg ihr Nettovermögen. Manchmal übertrafen die Ausgaben gar die Einnahmen. Nunmehr fällt der Verbrauch im Vergleich zum Einkommen. Also sparen die Haushalte mehr.
Rechnet man die Folgen der Veränderungen bei Direktinvestitionen und Spareinlagen hinzu, geht der Rückgang des US-Leistungsbilanzdefizits zu rund drei Vierteln auf die Turbulenzen am Immobilienmarkt zurück. Die Korrektur am Häusermarkt war ein wichtiger Faktor für die Korrektur der Leistungsbilanz. In deren Folge erleben wir jetzt den dramatischen Anfang einer willkommenen Ausbalancierung der globalen Investitions- und Ersparnisströme.
Die Art und Weise dieser Korrektur hat Auswirkungen auf die künftige Politik. Da wir uns nicht darauf verlassen können, dass die Immobilienkrise die Lücke in der Leistungsbilanz auf Dauer füllen wird, müssen wir mit der beschriebenen dreigleisigen Strategie fortfahren – zumal diese auch dann sinnvoll wäre, wenn es kein Defizit gäbe.
Ein niedrigeres US-Leistungsbilanzdefizit bedeutet, dass andere Länder weniger in die USA exportieren und mehr aus den USA importieren. Nehmen andere Nachfragekomponenten in diesen Ländern nicht zu, kommt es zu negativen Folgen für die Weltwirtschaft.
Produktivitätssteigernde Investitionen sind weiterhin wichtig, deshalb müssen die Handelspartner der USA mehr Investitionen in ihren Ländern fördern. Es ist wichtiger denn je, das Investitionsklima zu verbessern – vor allem in Schwellenländern, in denen die Investitionsquote niedrig ist.
Während der jüngsten Expansion der Weltwirtschaft wurde gewarnt, dass das US-Leistungsbilanzdefizit einen Verfall des Dollar und eine weltweite Währungskrise auslösen kann. Das ist nicht geschehen. Die Abwertung des Dollar erfolgt sukzessive, wobei geringe Schwankungen während der sechs Jahre dauernden Wachstumsphase als stabilisierende Kraft wirkten. Die US-Devisenpolitik, die die Kräfte des Marktes betont, einen Eingriff in die Devisenmärkte bislang vermied und nicht versuchte, den Dollar herunterzureden, hat funktioniert. Sie sollte fortgesetzt werden. In dem Maße, wie die Immobilienkrise zu einer Verbesserung der Leistungsbilanz führt, ist eine weitere Abwertung des Dollar weniger wahrscheinlich. Darüber entscheiden sollte aber der Markt.
George Shultz ist früherer Finanz- und Außenminister der USA. John Taylor ist ehemaliger Wirtschaftsberater von George Bush sen und Staatssekretär für internationale Angelegenheiten im US-Finanzministerium.