Argentinien als internationaler Störfall
(NZZ, Zürich)
Auf die argentinische Regierung ist in der internationalen Finanzgemeinschaft zurzeit niemand gut zu sprechen. Gegenüber Obligationengläubigern ist der südamerikanische Staat mit gegen 100 Mrd. $ an Zins- und Kapitalrückzahlungen im Verzug, und eine tragfähige Verhandlungslösung ist noch nirgends in Sicht. Im vergangenen Herbst befand sich der argentinische Staat für einen Tag auch gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IMF) im Zahlungsverzug. Gleiches drohte vor drei Wochen bei einer fälligen Schuldentilgung von 3,1 Mrd. $. Erst Stunden vor dem Zahlungstermin wurde das Geld von den Argentiniern überwiesen. Sie hatten zuvor auf einer Zusicherung bestanden, mehr oder weniger die gleiche Summe im Rahmen eines Stand-by-Abkommens vom IMF umgehend wieder zurückzuerhalten. Inzwischen hat dieser der Überweisung dieser Gelder zugestimmt.
Dieses jüngste Kräftemessen zwischen Argentinien und dem IMF war nicht zuletzt durch den zunehmenden Unmut vieler Obligationäre über die Hinhaltetaktik Argentiniens in der Umschuldungsfrage bedingt. Die Geberländer konnten sich eine wohlwollende Haltung im IMF gegenüber den Argentiniern innenpolitisch immer weniger leisten. So enthielten sich denn auch bei der ersten Revision des Stand-by-Abkommens im Januar drei G-7-Staaten im IMF der Stimme, während gewisse Kleinstaaten wie die Schweiz die zu weiche Haltung des IMF im Fall Argentiniens bereits früher kritisiert hatten. Beim G-7-Finanzministertreffen von Anfang Februar schliesslich forderten die Teilnehmer Argentinien eindringlich auf, bei der Umschuldung endlich guten Willen zu zeigen und in echte Verhandlungen einzutreten.
An diesem guten Willen wird weitherum gezweifelt. Die Position der Regierung von Präsident Kirchner kann überspitzt folgendermassen zusammengefasst werden: Wer in den neunziger Jahren argentinische Staatsanleihen gekauft hat, ist an den Verlusten selber schuld. Und: Wir werden keine Schulden bedienen, wenn deshalb die Bevölkerung Hunger leiden muss. Die zweite Aussage wird konkretisiert. Gegenüber dem IMF will man sich zu einem Primärüberschuss (Einnahmenüberschuss vor Zinskosten) im Staatshaushalt von höchstens 3% des Bruttoinlandproduktes verpflichten. Dieser Anteil müsse reichen, um primär die Verpflichtungen gegenüber den multilateralen Geldgebern und dann jene gegenüber den privaten Gläubigern zu bedienen. Daraus wird das bisherige Angebot Argentiniens an die Obligationäre abgeleitet, das einerseits die seit Ende 2001 nicht bezahlten Zinsen «vergisst» und anderseits den Nominalwert der Schuld um 75% reduzieren will.
Nun hat man durchaus Verständnis für das Argument, dass ein Volk nicht auf Jahre hinaus für die Sünden seiner Politiker in Form beschränkter Wachstumsperspektiven büssen soll. Aber: C'est le ton qui fait la musique. So ist die Häme gegenüber den Gläubigern - oft sind das Rentner oder andere Kleinanleger - völlig fehl am Platz. Ausserdem wird so getan, als hätte man mit früheren Regierungen nichts zu tun. Die Anhäufung von Schulden geschah aber zum grossen Teil unter den Peronisten, welche heute ebenfalls die Parlamentsmehrheit stellen und zu denen auch Präsident Kirchner zählt. Und schliesslich tönen die um die Armen des Landes geäusserten Sorgen ziemlich hohl; die Politiker kümmern sich meist nur mit Blick auf Wahlen um das Wohlergehen ihrer Landsleute. Der Konfrontationskurs der Regierung Kirchner gegen IMF und Privatgläubiger riecht daher nach billigem Populismus.
Doch auch der IMF macht im Fall Argentiniens keine gute Figur. Seine wirtschaftspolitischen Ratschläge an Buenos Aires waren nicht über alle Zweifel erhaben. So hatte man sich zuerst gegen die 1991 eingeführte Konvertibilität gestellt. Erst als diese zu Preisstabilität und hohem Wachstum führte, wurde Argentinien zum Musterschüler des Fonds erklärt. An dieser Einschätzung hat man dann noch festgehalten, als die Probleme mit dem Staatshaushalt und mit dem überhöhten Wechselkurs schon offensichtlich waren. Der IMF hat die Gefahren der ausländischen Finanzierung staatlicher Budgetdefizite bei einem System fixer Wechselkurse unterschätzt. Ausserdem war man beim Fonds mit der Regierung in Buenos Aires notorisch zu nachsichtig, wenn es um die Ausstellung von «waivers» für verfehlte Haushaltziele ging. Schliesslich erkannte der IMF die Unabwendbarkeit des «Defaults» nicht rechtzeitig oder wollte dies nicht erkennen. Statt mit den Argentiniern einen «Plan B» für die Zeit nach der Konvertibilität zu entwerfen, vergrösserte man einfach die Hilfspakete. Die zusätzlichen Milliarden verpufften jedoch wirkungslos.
Im Windschatten der wiederholten Abkommen mit dem IMF verschuldete sich Argentinien auf den Kapitalmärkten munter weiter. Die Märkte ihrerseits vertrauten dem Währungsfonds und nahmen die Qualität des Schuldners zu wenig unter die Lupe. In dieser Hinsicht haben sich die Obligationäre selbst an der Nase zu nehmen. Hohe Renditen spiegeln immer ein grosses Risiko. Dies den Anlegern unablässig in Erinnerung zu rufen, ist aber auch die Aufgabe verantwortungsbewusst arbeitender Banken. Manch ein Finanzinstitut hat aber mehr auf die Kommissionseinnahmen geachtet als auf das Interesse seiner Kunden. Im Gegensatz zur Schuldenkrise in den achtziger Jahren fällt jedenfalls auf, wie wenig exponiert die internationalen Banken beim Ausbruch der Krise gegenüber Argentinien waren. Viele von ihnen hatten ihre Gelder rechtzeitig aus dem Land zurückgezogen, wohl zum Teil noch zum selben Zeitpunkt, in dem sie argentinische Staatsanleihen an ihre Kundschaft verkauften. Bisher hat man auch nicht den Eindruck, dass sich die Bankenwelt intensiv um die Belange der Obligationäre kümmert.
Die Verteilung der argentinischen Schulden auf 152 Anleihen, 8 Währungen und Zehntausende von Privatinvestoren macht eine Umschuldung zu einem überaus mühsamen Prozess. Argentinien hat dieses Ungleichgewicht zwischen Schuldnern und Gläubigern bisher unbarmherzig ausgenutzt. Bei den Umschuldungen in den achtziger Jahren waren die Banken die Gegenspieler gewesen. Sie hatten im Umschuldungsprozess ein glaubwürdiges Drohpotenzial: Argentinien auf Jahre hinaus von den internationalen Finanzströmen auszuschliessen. Die Privatgläubiger verfügen über keine vergleichbare Waffe. Ihr Geld ist futsch, und sie werden wohl nie wieder argentinische Anleihen zeichnen. Argentinien nimmt daher auf ihre Interessen keine Rücksicht.
Einer solchen Haltung müssen der IMF und dessen Aktionäre aus unterschiedlichen Gründen entschieden entgegentreten. Zum einen könnte sonst die Stellung der multilateralen Institutionen als bevorzugte Gläubiger in Gefahr geraten; es ist stossend, wenn beispielsweise der IMF alle - teilweise wider besseres Wissen - geliehenen Gelder zurückerhält, die Privatinvestoren aber nur höchstens 25%. Zum andern könnte die Haltung Schule machen, dass der Schuldner mit Blick auf die innenpolitische Befindlichkeit bestimmt, was er an Kapital- und Zinsendienst zu leisten bereit ist. Zuvor eingegangene Verträge würden so vollends zur Makulatur. Bereits versucht Argentinien, die Brasilianer auf die gleiche Linie einzuschwören. Andere Schuldnerländer wären gegen solche Versuchungen ebenfalls nicht gefeit. Das könnte das internationale Finanzsystem bedrohen und den Kapitalfluss in die Schwellenländer versiegen lassen. Das Verhalten Argentiniens stellt daher einen gefährlichen internationalen Störfall dar.
(NZZ, Zürich)
Auf die argentinische Regierung ist in der internationalen Finanzgemeinschaft zurzeit niemand gut zu sprechen. Gegenüber Obligationengläubigern ist der südamerikanische Staat mit gegen 100 Mrd. $ an Zins- und Kapitalrückzahlungen im Verzug, und eine tragfähige Verhandlungslösung ist noch nirgends in Sicht. Im vergangenen Herbst befand sich der argentinische Staat für einen Tag auch gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IMF) im Zahlungsverzug. Gleiches drohte vor drei Wochen bei einer fälligen Schuldentilgung von 3,1 Mrd. $. Erst Stunden vor dem Zahlungstermin wurde das Geld von den Argentiniern überwiesen. Sie hatten zuvor auf einer Zusicherung bestanden, mehr oder weniger die gleiche Summe im Rahmen eines Stand-by-Abkommens vom IMF umgehend wieder zurückzuerhalten. Inzwischen hat dieser der Überweisung dieser Gelder zugestimmt.
Dieses jüngste Kräftemessen zwischen Argentinien und dem IMF war nicht zuletzt durch den zunehmenden Unmut vieler Obligationäre über die Hinhaltetaktik Argentiniens in der Umschuldungsfrage bedingt. Die Geberländer konnten sich eine wohlwollende Haltung im IMF gegenüber den Argentiniern innenpolitisch immer weniger leisten. So enthielten sich denn auch bei der ersten Revision des Stand-by-Abkommens im Januar drei G-7-Staaten im IMF der Stimme, während gewisse Kleinstaaten wie die Schweiz die zu weiche Haltung des IMF im Fall Argentiniens bereits früher kritisiert hatten. Beim G-7-Finanzministertreffen von Anfang Februar schliesslich forderten die Teilnehmer Argentinien eindringlich auf, bei der Umschuldung endlich guten Willen zu zeigen und in echte Verhandlungen einzutreten.
An diesem guten Willen wird weitherum gezweifelt. Die Position der Regierung von Präsident Kirchner kann überspitzt folgendermassen zusammengefasst werden: Wer in den neunziger Jahren argentinische Staatsanleihen gekauft hat, ist an den Verlusten selber schuld. Und: Wir werden keine Schulden bedienen, wenn deshalb die Bevölkerung Hunger leiden muss. Die zweite Aussage wird konkretisiert. Gegenüber dem IMF will man sich zu einem Primärüberschuss (Einnahmenüberschuss vor Zinskosten) im Staatshaushalt von höchstens 3% des Bruttoinlandproduktes verpflichten. Dieser Anteil müsse reichen, um primär die Verpflichtungen gegenüber den multilateralen Geldgebern und dann jene gegenüber den privaten Gläubigern zu bedienen. Daraus wird das bisherige Angebot Argentiniens an die Obligationäre abgeleitet, das einerseits die seit Ende 2001 nicht bezahlten Zinsen «vergisst» und anderseits den Nominalwert der Schuld um 75% reduzieren will.
Nun hat man durchaus Verständnis für das Argument, dass ein Volk nicht auf Jahre hinaus für die Sünden seiner Politiker in Form beschränkter Wachstumsperspektiven büssen soll. Aber: C'est le ton qui fait la musique. So ist die Häme gegenüber den Gläubigern - oft sind das Rentner oder andere Kleinanleger - völlig fehl am Platz. Ausserdem wird so getan, als hätte man mit früheren Regierungen nichts zu tun. Die Anhäufung von Schulden geschah aber zum grossen Teil unter den Peronisten, welche heute ebenfalls die Parlamentsmehrheit stellen und zu denen auch Präsident Kirchner zählt. Und schliesslich tönen die um die Armen des Landes geäusserten Sorgen ziemlich hohl; die Politiker kümmern sich meist nur mit Blick auf Wahlen um das Wohlergehen ihrer Landsleute. Der Konfrontationskurs der Regierung Kirchner gegen IMF und Privatgläubiger riecht daher nach billigem Populismus.
Doch auch der IMF macht im Fall Argentiniens keine gute Figur. Seine wirtschaftspolitischen Ratschläge an Buenos Aires waren nicht über alle Zweifel erhaben. So hatte man sich zuerst gegen die 1991 eingeführte Konvertibilität gestellt. Erst als diese zu Preisstabilität und hohem Wachstum führte, wurde Argentinien zum Musterschüler des Fonds erklärt. An dieser Einschätzung hat man dann noch festgehalten, als die Probleme mit dem Staatshaushalt und mit dem überhöhten Wechselkurs schon offensichtlich waren. Der IMF hat die Gefahren der ausländischen Finanzierung staatlicher Budgetdefizite bei einem System fixer Wechselkurse unterschätzt. Ausserdem war man beim Fonds mit der Regierung in Buenos Aires notorisch zu nachsichtig, wenn es um die Ausstellung von «waivers» für verfehlte Haushaltziele ging. Schliesslich erkannte der IMF die Unabwendbarkeit des «Defaults» nicht rechtzeitig oder wollte dies nicht erkennen. Statt mit den Argentiniern einen «Plan B» für die Zeit nach der Konvertibilität zu entwerfen, vergrösserte man einfach die Hilfspakete. Die zusätzlichen Milliarden verpufften jedoch wirkungslos.
Im Windschatten der wiederholten Abkommen mit dem IMF verschuldete sich Argentinien auf den Kapitalmärkten munter weiter. Die Märkte ihrerseits vertrauten dem Währungsfonds und nahmen die Qualität des Schuldners zu wenig unter die Lupe. In dieser Hinsicht haben sich die Obligationäre selbst an der Nase zu nehmen. Hohe Renditen spiegeln immer ein grosses Risiko. Dies den Anlegern unablässig in Erinnerung zu rufen, ist aber auch die Aufgabe verantwortungsbewusst arbeitender Banken. Manch ein Finanzinstitut hat aber mehr auf die Kommissionseinnahmen geachtet als auf das Interesse seiner Kunden. Im Gegensatz zur Schuldenkrise in den achtziger Jahren fällt jedenfalls auf, wie wenig exponiert die internationalen Banken beim Ausbruch der Krise gegenüber Argentinien waren. Viele von ihnen hatten ihre Gelder rechtzeitig aus dem Land zurückgezogen, wohl zum Teil noch zum selben Zeitpunkt, in dem sie argentinische Staatsanleihen an ihre Kundschaft verkauften. Bisher hat man auch nicht den Eindruck, dass sich die Bankenwelt intensiv um die Belange der Obligationäre kümmert.
Die Verteilung der argentinischen Schulden auf 152 Anleihen, 8 Währungen und Zehntausende von Privatinvestoren macht eine Umschuldung zu einem überaus mühsamen Prozess. Argentinien hat dieses Ungleichgewicht zwischen Schuldnern und Gläubigern bisher unbarmherzig ausgenutzt. Bei den Umschuldungen in den achtziger Jahren waren die Banken die Gegenspieler gewesen. Sie hatten im Umschuldungsprozess ein glaubwürdiges Drohpotenzial: Argentinien auf Jahre hinaus von den internationalen Finanzströmen auszuschliessen. Die Privatgläubiger verfügen über keine vergleichbare Waffe. Ihr Geld ist futsch, und sie werden wohl nie wieder argentinische Anleihen zeichnen. Argentinien nimmt daher auf ihre Interessen keine Rücksicht.
Einer solchen Haltung müssen der IMF und dessen Aktionäre aus unterschiedlichen Gründen entschieden entgegentreten. Zum einen könnte sonst die Stellung der multilateralen Institutionen als bevorzugte Gläubiger in Gefahr geraten; es ist stossend, wenn beispielsweise der IMF alle - teilweise wider besseres Wissen - geliehenen Gelder zurückerhält, die Privatinvestoren aber nur höchstens 25%. Zum andern könnte die Haltung Schule machen, dass der Schuldner mit Blick auf die innenpolitische Befindlichkeit bestimmt, was er an Kapital- und Zinsendienst zu leisten bereit ist. Zuvor eingegangene Verträge würden so vollends zur Makulatur. Bereits versucht Argentinien, die Brasilianer auf die gleiche Linie einzuschwören. Andere Schuldnerländer wären gegen solche Versuchungen ebenfalls nicht gefeit. Das könnte das internationale Finanzsystem bedrohen und den Kapitalfluss in die Schwellenländer versiegen lassen. Das Verhalten Argentiniens stellt daher einen gefährlichen internationalen Störfall dar.