Argentinien als internationaler Störfall

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AlanG.:

Argentinien als internationaler Störfall

 
29.03.04 18:15
Argentinien als internationaler Störfall

(NZZ, Zürich)


Auf die argentinische Regierung ist in der  internationalen Finanzgemeinschaft zurzeit  niemand gut zu sprechen. Gegenüber Obligationengläubigern ist der südamerikanische  Staat mit gegen 100 Mrd. $ an Zins- und  Kapitalrückzahlungen im Verzug, und eine  tragfähige Verhandlungslösung ist noch nirgends in Sicht. Im vergangenen Herbst befand sich der argentinische Staat für einen  Tag auch gegenüber dem Internationalen  Währungsfonds (IMF) im Zahlungsverzug.  Gleiches drohte vor drei Wochen bei einer  fälligen Schuldentilgung von 3,1 Mrd. $. Erst  Stunden vor dem Zahlungstermin wurde das  Geld von den Argentiniern überwiesen. Sie  hatten zuvor auf einer Zusicherung bestanden, mehr oder weniger die gleiche Summe  im Rahmen eines Stand-by-Abkommens  vom IMF umgehend wieder zurückzuerhalten. Inzwischen hat dieser der Überweisung  dieser Gelder zugestimmt.



Dieses jüngste Kräftemessen zwischen  Argentinien und dem IMF war nicht zuletzt  durch den zunehmenden Unmut vieler Obligationäre über die Hinhaltetaktik Argentiniens in der Umschuldungsfrage bedingt.  Die Geberländer konnten sich eine wohlwollende Haltung im IMF gegenüber den  Argentiniern innenpolitisch immer weniger  leisten. So enthielten sich denn auch bei der  ersten Revision des Stand-by-Abkommens  im Januar drei G-7-Staaten im IMF der  Stimme, während gewisse Kleinstaaten wie  die Schweiz die zu weiche Haltung des IMF  im Fall Argentiniens bereits früher kritisiert  hatten. Beim G-7-Finanzministertreffen von  Anfang Februar schliesslich forderten die  Teilnehmer Argentinien eindringlich auf, bei  der Umschuldung endlich guten Willen zu  zeigen und in echte Verhandlungen einzutreten.



An diesem guten Willen wird weitherum  gezweifelt. Die Position der Regierung von  Präsident Kirchner kann überspitzt folgendermassen zusammengefasst werden: Wer in  den neunziger Jahren argentinische Staatsanleihen gekauft hat, ist an den Verlusten  selber schuld. Und: Wir werden keine Schulden bedienen, wenn deshalb die Bevölkerung Hunger leiden muss. Die zweite Aussage wird konkretisiert. Gegenüber dem IMF  will man sich zu einem Primärüberschuss  (Einnahmenüberschuss vor Zinskosten) im  Staatshaushalt von höchstens 3% des Bruttoinlandproduktes verpflichten. Dieser Anteil  müsse reichen, um primär die Verpflichtungen gegenüber den multilateralen Geldgebern und dann jene gegenüber den privaten Gläubigern zu bedienen. Daraus wird  das bisherige Angebot Argentiniens an die  Obligationäre abgeleitet, das einerseits die  seit Ende 2001 nicht bezahlten Zinsen «vergisst» und anderseits den Nominalwert der  Schuld um 75% reduzieren will.



Nun hat man durchaus Verständnis für das  Argument, dass ein Volk nicht auf Jahre hinaus für die Sünden seiner Politiker in Form  beschränkter Wachstumsperspektiven büssen soll. Aber: C'est le ton qui fait la  musique. So ist die Häme gegenüber den  Gläubigern - oft sind das Rentner oder  andere Kleinanleger - völlig fehl am Platz.  Ausserdem wird so getan, als hätte man mit  früheren Regierungen nichts zu tun. Die Anhäufung von Schulden geschah aber zum  grossen Teil unter den Peronisten, welche  heute ebenfalls die Parlamentsmehrheit stellen und zu denen auch Präsident Kirchner  zählt. Und schliesslich tönen die um die  Armen des Landes geäusserten Sorgen ziemlich hohl; die Politiker kümmern sich meist  nur mit Blick auf Wahlen um das Wohlergehen ihrer Landsleute. Der Konfrontationskurs der Regierung Kirchner gegen IMF und  Privatgläubiger riecht daher nach billigem  Populismus.



Doch auch der IMF macht im Fall Argentiniens keine gute Figur. Seine wirtschaftspolitischen Ratschläge an Buenos Aires  waren nicht über alle Zweifel erhaben. So  hatte man sich zuerst gegen die 1991 eingeführte Konvertibilität gestellt. Erst als diese  zu Preisstabilität und hohem Wachstum  führte, wurde Argentinien zum Musterschüler des Fonds erklärt. An dieser Einschätzung hat man dann noch festgehalten, als die  Probleme mit dem Staatshaushalt und mit  dem überhöhten Wechselkurs schon offensichtlich waren. Der IMF hat die Gefahren  der ausländischen Finanzierung staatlicher  Budgetdefizite bei einem System fixer Wechselkurse unterschätzt. Ausserdem war man  beim Fonds mit der Regierung in Buenos  Aires notorisch zu nachsichtig, wenn es um  die Ausstellung von «waivers» für verfehlte  Haushaltziele ging. Schliesslich erkannte der  IMF die Unabwendbarkeit des «Defaults»  nicht rechtzeitig oder wollte dies nicht erkennen. Statt mit den Argentiniern einen  «Plan B» für die Zeit nach der Konvertibilität zu entwerfen, vergrösserte man einfach  die Hilfspakete. Die zusätzlichen Milliarden  verpufften jedoch wirkungslos.



Im Windschatten der wiederholten Abkommen mit dem IMF verschuldete sich  Argentinien auf den Kapitalmärkten munter  weiter. Die Märkte ihrerseits vertrauten dem  Währungsfonds und nahmen die Qualität  des Schuldners zu wenig unter die Lupe. In  dieser Hinsicht haben sich die Obligationäre  selbst an der Nase zu nehmen. Hohe Renditen spiegeln immer ein grosses Risiko. Dies  den Anlegern unablässig in Erinnerung zu  rufen, ist aber auch die Aufgabe verantwortungsbewusst arbeitender Banken. Manch  ein Finanzinstitut hat aber mehr auf die  Kommissionseinnahmen geachtet als auf das  Interesse seiner Kunden. Im Gegensatz zur  Schuldenkrise in den achtziger Jahren fällt  jedenfalls auf, wie wenig exponiert die internationalen Banken beim Ausbruch der Krise  gegenüber Argentinien waren. Viele von  ihnen hatten ihre Gelder rechtzeitig aus dem  Land zurückgezogen, wohl zum Teil noch  zum selben Zeitpunkt, in dem sie argentinische Staatsanleihen an ihre Kundschaft verkauften. Bisher hat man auch nicht den Eindruck, dass sich die Bankenwelt intensiv um  die Belange der Obligationäre kümmert.



Die Verteilung der argentinischen Schulden auf 152 Anleihen, 8 Währungen und  Zehntausende von Privatinvestoren macht  eine Umschuldung zu einem überaus mühsamen Prozess. Argentinien hat dieses Ungleichgewicht zwischen Schuldnern und  Gläubigern bisher unbarmherzig ausgenutzt.  Bei den Umschuldungen in den achtziger  Jahren waren die Banken die Gegenspieler  gewesen. Sie hatten im Umschuldungsprozess ein glaubwürdiges Drohpotenzial: Argentinien auf Jahre hinaus von den internationalen Finanzströmen auszuschliessen.  Die Privatgläubiger verfügen über keine vergleichbare Waffe. Ihr Geld ist futsch, und sie  werden wohl nie wieder argentinische Anleihen zeichnen. Argentinien nimmt daher auf  ihre Interessen keine Rücksicht.



Einer solchen Haltung müssen der IMF  und dessen Aktionäre aus unterschiedlichen  Gründen entschieden entgegentreten. Zum  einen könnte sonst die Stellung der multilateralen Institutionen als bevorzugte Gläubiger in Gefahr geraten; es ist stossend,  wenn beispielsweise der IMF alle - teilweise  wider besseres Wissen - geliehenen Gelder  zurückerhält, die Privatinvestoren aber nur  höchstens 25%. Zum andern könnte die Haltung Schule machen, dass der Schuldner mit  Blick auf die innenpolitische Befindlichkeit  bestimmt, was er an Kapital- und Zinsendienst zu leisten bereit ist. Zuvor eingegangene Verträge würden so vollends zur Makulatur. Bereits versucht Argentinien, die Brasilianer auf die gleiche Linie einzuschwören.  Andere Schuldnerländer wären gegen solche  Versuchungen ebenfalls nicht gefeit. Das  könnte das internationale Finanzsystem bedrohen und den Kapitalfluss in die Schwellenländer versiegen lassen. Das Verhalten  Argentiniens stellt daher einen gefährlichen  internationalen Störfall dar.
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