Angst vor dem Fortschritt

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Wolkenstein:

Angst vor dem Fortschritt

 
21.04.02 22:21
Alterspessimismus ist ein Wohlstandsleiden, dass vor allem die Erfolgreichen befällt. Sie gehören zum Standardprogramm des Kulturbetriebs: der abgehalfterte General im pazifistischen Büßerhemd, der pensionierte Industrieboss, der den Ökojünger mimt, der Finanzprofi, der erschöpft vom Börsenrummel zum Sozialisten konvertiert. Ihre zerknirschten Bekenntnisse stürmen regelmäßig die Bestsellerlisten und werden vom Feuilleton begeistert ausgewalzt. Denn immer noch gehört ein raunender Kulturpessimismus zur Grundausstattung der tonangebenden westlichen Intellektuellen.
Jetzt hat uns die F.A.Z. mit imposantem Theaterdonner Bill Joy aufgetischt, einen Nestor der Softwareentwicklung, Chief Scientist bei Sun Microsystems und Erfinder des Programms Java. Der Ex-Computerfreak ist mittlerweile ein gesetzter Herr auf dem Gipfel seines Erfolgs. Und von dieser gemütlichen Aussichtspunkt aus, findet er den technischen Fortschritt jetzt irgendwie ganz arg bedrohlich, besonders Robotik, Nano- und Biotechnologie. "Wir stehen", so Joy, "an der Schwelle einer weiteren Perfektion des Bösen in seinen extremsten Auswirkungen."

Was hat er seinem Publikum zu bieten, dass die wohligen Endzeitschauer begierig genießt? Nichts als den alten Malthus, der vor 200 Jahren voraussagte, das Wachstum der Menschheit werde schon bald die Kapazität der Landwirtschaft überschreiten. Heute leben sechs mal soviel Menschen wie damals auf der Erde und es gibt mehr Nahrungsmittel pro Kopf als je zuvor. Im 20. Jahrhundert erfanden Epigonen von Malthus die Grenzen des Wachstums. Die Rohstoffe gingen entgegen ihren Vorhersagen nicht aus. Es folgten die Grenzen der Umweltkapazität. Doch überall wo der Wohlstand stieg, reinigten die Menschen ihre Umwelt und schützten die Natur. Auch die Klimakatastrophe mag als Schreckgespenst nicht mehr so recht zünden, seit immer mehr Wissenschaftlern Zweifel daran kommen. Und die böse Globalisierungsfalle hat in den letzen Jahren den Lebensstandard so vieler Menschen verbessert, dass viele Entwicklungsländer so schnell wie möglich in sie hinein tappen möchten.

Jetzt also die Grenzen der Technik. Diesmal fressen nicht hungrige Massen, sondern durchgedrehte Roboter das Abendland auf. Solche Technikangst ist nicht gerade neu. Schon im 19. Jahrhundert hatten deutsche Ärzte entdeckt, dass die Eisenbahn Gerhirnkrankheiten auslöst. Joys Visionen wirken so frisch wie alte Star-Trek-Kulissen: Intelligente, sich selbst reproduzierende Roboter werden alles Wahre, Schöne, Gute vernichten und schließlich die Menschheit auslöschen. Wie weiland der Club of Rome gibt uns Joy noch dreißig Jahre. Seine phantasielosen Sciencefiction-Klischees rührt er mit gängigen Moral-Platitüden an ("Wir können nicht einfach unserer Wissenschaft nachgehen und die ethischen Fragen ausblenden"), streut ein paar modische Kampfbegriffe hinein ("entfesselter, globalisierter Kapitalismus", "triumphierender Kommerzialismus") und fertig ist der Gesinnungsbrei, nach dem die Verbieter und Regulierer hungern. Welch köstliche Morgengabe: Ein Amerikaner, dazu ein Computerexperte! Das wird dem deutschen Bedenkenträgertum schmecken.

Hoffentlich trägt dieses soundsovielte Comeback des Zukunftspessimismus wenigstens dazu bei, dass die fällige Neuordnung der politischen Lager schneller voran geht. Um die wichtigsten politischen Streitfragen der Gegenwart, wird immer häufiger quer zum alten Rechts-Links-Schema diskutiert. Und das ist gut so. Auf der einen Seite stehen Menschen, die die Zukunft für offen halten, sich auf den Fortschritt freuen, Experimente bejahen und den Weg für möglichst viele Optionen frei machen wollen. Auf der anderen die, denen die Zukunft bedrohlich erscheint und sie deshalb am liebsten mit dem Horizont der Gegenwart vorausplanen und schon mal vorsichtshalber regulieren wollen. Die US-amerikanische Autorin Virginia Postrel nennt diese Parteien die Statiker und die Dynamiker. Die Lieblingsvokabeln der Statiker sind "Grenze" und "Verzicht". Und genau darauf will auch Joy heraus: "Die einzige Alternative, die ich sehe, lautet Verzicht. Wir müssen ... unsere Suche nach bestimmten Formen des Wissens Grenzen setzen."

Doch die Geschichte zeigt: Gerade das Einreißen von Grenzen, eröffnete den Menschen ein besseres Leben. Nur wo die Zäune totalitärer Staaten, die Grenzen der Zensur, die Standes- und Klassenschranken und natürlich auch die Grenzen des Wissens überwunden wurden, kehrten Freiheit und Wohlstand ein.

"Man verzeiht dem falschen Propheten, wenn's besser kommt als vorausgesagt," wußte schon Ludwig Erhard. Diese Gnade ausnützend können die Apokalyptiker der siebziger und achtziger Jahre bis heute nahezu kritiklos weitermachen. Die fundamental falschen Prognosen der Club of Rome, des Worldwatch Instituts und anderer Agenturen der guten Gesinnung wurden einfach vergessen. Ein Schicksal, welches vermutlich auch Herrn Joy widerfahren wird, falls uns bis dahin nicht Monsterroboter versklavt haben.

Eines kann man aber schon heute mit Gewißheit voraussagen: In den dreißig Jahren bis Joys Prognose nachprüfbar wird, werden wir noch viele Visionen saturierter Alterspessimisten über uns ergehen lassen müssen, die ihren persönlichen Lebensherbst mit dem Weltuntergang verwechseln. Hoffentlich bleibt uns wenigstens erspart, dass Beate Uhse demnächst einen Kreuzzug gegen Pornographie entfacht.

FAZ


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