Angeber

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Angeber

 
11.02.02 10:27
Das Ende der Angeber-Kultur

An der Wall Street hat eine neue Phase des Krieges gegen den Terror begonnen. Die Anleger, die eindeutig zu viele Bush-Reden gesehen haben, sind auf der Jagd nach "Wirtschaftsterroristen".

New Yorker Börse: Klarheit ist Trumpf

New York - Der Enron-Effekt kommt spät, aber dafür umso gewaltiger. In den Tagen nach der Bankrotterklärung der Energiefirma im vergangenen Herbst hatten die meisten Kommentatoren abgewiegelt. Enron sei nicht wichtig genug, um die Finanzmärkte zum Wanken zu bringen. Lange Zeit sah es so aus, als sollten sie recht behalten: Die Kurse an der Wall Street stiegen.
Doch jetzt stellt sich heraus: Das Enron-Virus hatte bloß einige Monate Inkubationszeit. Die Enronitis ist voll ausgebrochen, die Aktienkurse fallen - nicht schneller als nach dem 11. September, aber vielleicht länger. Wie immer hat Wirtschaftsprofessor und Gelegenheits-Journalist Paul Krugman gleich eine krasse These parat: Enron sei der eigentliche 11. September. Im Unterschied zum Terroranschlag habe der Enron-Skandal den Amerikanern einen Spiegel vorgehalten, schreibt Krugman in seiner "New York Times"-Kolumne.

In dem Spiegel sehen die Amerikaner mit Erschrecken ein Volk der Angeber. Eine Blender-Kultur, in der Pro-Forma-Gewinne und Finanztricks an die Stelle von simplen Nettogewinnen getreten sind. Diese Kultur, von Enron auf die Spitze getrieben, war die dritte Säule der großen New-Economy-Selbstverarschung. Jetzt scheint sie zu kippen. "Es sieht so aus, als hätte der Enron-Zusammenbruch die dritte Blase zum Platzen gebracht - die der Unternehmensgewinne", sagt David Wyss, Chef-Volkswirt bei Standard and Poors. Die erste Blase betraf die Aktienkurse, die zweite den Glauben, dass ein Unternehmen nie zu viel in Technologie investieren könne.

Größe suggeriert Undurchsichtigkeit

Nun sind also die Gewinne dran. Alle Firmen stehen unter Generalverdacht, irgendwie zu schummeln. Wer an seiner Bilanz fummelt, sieht seinen Kurs ebenso fallen wie Großunternehmen wie General Electric, dessen einziges Verbrechen darin bestand, groß zu sein. Größe suggeriert Undurchsichtigkeit, und die ist out. Selbst die Ankündigung, den Gewinn nach oben revidieren zu müssen, kann fatal sein: Der Kurs von Reliant Energy verlor vergangene Woche daraufhin 20 Prozent.

"Klarheit siegt", sagt Irwin Kellner, Chef-Volkswirt von CBS Marketwatch. Es scheint, als hätten die Anleger zu lange ihren Präsidenten über den Terrorismus reden hören. Schwarz oder weiß, mit uns oder gegen uns. Wehe dem Unternehmen, das in den Ruf gerät, eine der "tickenden Zeitbomben" zu sein! Der Kurs saust unweigerlich in den Keller. "Anleger verkaufen zuerst und fragen später", sagt Wyss. Gefangene werden nicht gemacht. Al-Qaida und Enron sind überall. Enron-Manager wurden vor einem Kongressausschuss bereits als "Wirtschaftsterroristen" beschimpft.

Die Jagd auf weitere "Wirtschaftsterroristen" wird auch diese Woche bestimmen. Täglich wird es neue Gerüchte über angebliche Mini-Enrons geben. Einige Unternehmenschefs nutzen die derzeitige Stimmung sogar dazu, ihren Wettbewerbern eins auszuwischen. So beschuldigte Thomas Siebel, Chef der Software-Firma Siebel Systems, bei einer Goldman-Sachs-Konferenz die Rivalen Oracle, SAP und Peoplesoft, ihre Verkaufszahlen künstlich aufzublasen.

Angst vor den "Doppel-Dipp"

Im Kriegslärm werden die Quartalszahlen der Computerhersteller Dell und Hewlett-Packard am Mittwoch wahrscheinlich untergehen. Zumindest HPs Zahlen werden jedoch genau seziert werden. Beide Seiten im Streit um die Fusion mit Compaq, Gründersohn Walter Hewlett und die HP-Führung um Carly Fiorina, werden sie in ihrem Sinne interpretieren. Dell hingegen hat nichts zu befürchten. Zwar ist die Branche in einer Krise, aber die Firma aus Texas nimmt den Wettbewerbern zuverlässig Marktanteile ab.

Ob die Enronitis-Epidemie inzwischen auch auf den Verbraucher übergegriffen hat, wird der Index des Verbrauchervertrauens der Universität von Michigan am Freitag zeigen. Ebenso wird sich zeigen, ob die industrielle Produktion nach Monaten des Schrumpfens wieder anzieht. Der Ausblick für die US-Wirtschaft hat sich im Vergleich zum Jahresbeginn jedenfalls spürbar verdüstert. Selbst Optimisten wie Wyss und Kellner wollen den "Doppel-Dipp", den erneuten Rückgang des Wirtschaftswachstums, inzwischen nicht mehr ausschließen. Statt einer V-Kurve würde die Erholung dann die W-Form annehmen. Es wäre ein weiterer Beweis dafür, wie sehr Amerika derzeit im Takt von George W. Bush tanzt.

Spiegel
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