Analysten raten zum Aktienkauf in Europa

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jack303:

Analysten raten zum Aktienkauf in Europa

 
23.07.02 07:44


Hohe Dividendenrenditen locken / "Zentralbanken werden Deflation verhindern" / Stimmung ungebrochen


gap. FRANKFURT, 22. Juli. Inmitten oder vielleicht sogar am Ende der schlimmsten Baisse in der jüngeren Geschichte der europäischen Aktienmärkte stellen Anlagestrategen führender Investmentbanken nahezu einhellig fest, die Kurseinbußen hätten wieder Wert geschaffen. Während manche unter langfristigen Aspekten so gut wie uneingeschränkt zum Kaufen raten, halten sich andere noch bedeckt. Letztere wollen klare Hinweise auf das Ende der Abwärtsbewegung abwarten und riskieren damit, daß sie nicht die günstigsten Kurse erhalten, wenn sie zu kaufen beginnen. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, daß Aktienstrategen, die bislang bedingungslos fundamentalen Erkenntnissen oder Eingebungen folgten, nun mehr und mehr markttechnische Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen. Indem sie von fundamental orientierten Analysten zu Technikern mutieren, glauben sie offenbar, die gegenwärtigen Ungewißheiten und Risiken besser in den Griff zu bekommen.

Michael Hartnett von Merrill Lynch, London, zählt zu den Vorsichtigen. Er stellt fest, daß die Aktienmärkte den tiefsten Stand nicht nur seit zwölf Monaten erreicht haben, während die Rohstoffpreise zuletzt auf das höchste Niveau dieses Zeitraums gestiegen sind. Letzteres lasse vermuten, daß das Risiko einer neuen Rezession gering sei. Im übrigen seien sich die führenden westlichen Zentralbanken des Risikos einer Deflation bewußt und daher wohl bereit, das Ziel geringer Inflation aufzugeben, um Deflation zu verhindern. Den eigentlichen Grund für den Kollaps der Aktienkurse sieht Hartnett in der hohen Unternehmensverschuldung. Der Abbau der Schulden sei zwar schon weit vorangeschritten, aber immer noch nicht vollendet. Dies erkläre denn auch die noch nicht hinreichend gedrückte Stimmung unter den Anlegern, die Voraussetzung für eine ausgedehnte Aufwärtsbewegung der Aktienkurse wäre. Der Stratege weist zudem auf die geringen liquiden Bestände der europäischen Investmentfonds und auf den Umstand hin, daß die Analysten noch nicht vor ihren optimistischen Prognosen zu den Unternehmensergebnissen kapituliert hätten.

Zur Stimmungslage unter den europäischen Anlegern hat UBS Warburg am Montag eine neue Untersuchung veröffentlicht. Das Vertrauen sei im Juli auf ein Rekordtief seit Oktober 2001, dem Beginn der Umfragen, gefallen. Bei der Einschätzung der langfristigen Aussichten hätten sich die Anleger jedoch trotz beträchtlicher Risiken weiterhin überwiegend optimistisch geäußert. Am attraktivsten erschienen ihnen europäische Aktien, gefolgt von amerikanischen und japanischen. Favorisierte Währung sei im Juli der Euro vor dem Dollar gewesen. Damit habe sich das Bild vom Juni ins Gegenteil verkehrt. Solche Umfragen erhalten ihre Aussagekraft erst dann, wenn man sie im Sinne der "gegensätzlichen Meinung" (contrary opinion) mit der gebotenen Vorsicht als Kontraindikator deutet.

Goldman Sachs stellt fest, daß europäische Aktien insgesamt unter Aspekten der langfristigen Bewertung jetzt erstmals seit fünf Jahren aus dem überbewerteten Bereich in die neutrale Zone gelangt sind. Die Investmentbank geht bei dieser Aussage unter anderem davon aus, daß das nominale Buttoinlandsprodukt in der Region um 5 Prozent wächst und daß dem auch der Anstieg der Unternehmensergebnisse folgt. Ein Risiko sei der Dollar, der 2003 gegenüber dem Euro um weitere 15 Prozent fallen könne. Schroder Salomon Smith Barney sieht unter anderem mit Blick auf die hohen Dividendenrenditen, die nach Angaben der Deutschen Bank im Schnitt fast 3 Prozent betragen, ein starkes Kaufsignal für europäische Aktien im allgemeinen. Es sei ein historisch günstiger Zeitpunkt zum Kaufen erreicht worden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.07.2002, Nr. 168 / Seite 17
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