Kraftwerkprojekte gäbe es genug
Alstom Mannheim Angst vor Produktionsverlagerung und Kooperation mit Siemens
Alstom Power will in Mannheim weitere 450 Stellen streichen. Der Betriebsrat redet von 900 Jobs und fürchtet den Verlust der Kernkompetenz. Ein Augenschein in der Alstom-Fabrik in Mannheim Käfertal, die über einen Produktionsverbund eng mit Baden/Birr verbunden ist.
Peter K. Sonderegger
Die Generatorenhalle auf dem aus BBC-Zeiten stammenden riesigen Industrieareal in Mannheim Käfertal ist 100 Meter lang und 28 Meter hoch. In der mächtigen Halle wird derzeit nur gerade an einem einzigen Generator gearbeitet. Die Aussichten für die noch rund 140 Mitarbeiter der Generatorfertigung sind düster. Der budgetierte Ausstoss reicht bei weitem nicht für Break-even und ist mittlerweile sogar noch halbiert worden, sagt Walter Grödl, Produktionsleiter im Werk Käfertal. Für Udo Belz, den Vorsitzenden des Betriebsrates ist klar: Die Generatorfertigung wird dichtgemacht und in andere Alstom-Standorte verlagert. Zum Beispiel nach Polen. Generatoren können heute überall gefertigt werden, sagt Produktionsleiter Grödl.
Enger Verbund mit Baden/Birr
Besser, aber auch nicht befriedigend ist die Entwicklung in der Turbinenproduktion. In der mechanischen Fertigung werden bis zu 80 Tonnen schwere Gussteile in flexiblen Bearbeitungszentren zu Turbinengehäusen verarbeitet. Diese Gehäuse werden anschliessend beschaufelt und zu kompletten Statoren montiert. Die Fabrik in Mannheim ist ganz auf die statischen (nicht beweglichen) Teile von Dampf- und Gas-turbinen ausgerichtet. Die Mannheimer stehen damit im engen Produktionsverbund mit Alstom Schweiz, die in Birr die Rotoren herstellt, die anschliessend im Mannheim mit den Statoren zu fertigen Turbinen montiert werden. Auch das Mannheimer Engineering von schlüsselfertigen Dampfkraftwerken und das Hydrogeschäft sind nicht ausreichend ausgelastet.
Die Beschäftigung hat sich seit dem Zusammenbruch des US-Kraftwerkbooms noch nicht erholt. Im Gegenteil: «Die Lage ist schlimmer, als wir vor zwei Jahren gedacht haben», sagt Gérard Brunel, Chef von Alstom Power Generation in Mannheim. Brunel ist 1982 zu BBC gestossen. Als «französischer Mannheimer» wie er sich im lockern Gespräch scherzhaft bezeichnet, ist er sowohl mit der Mentalität am Pariser Konzernsitz wie in Mannheim bestens vertraut. 2003 hat er mit dem Betriebsrat eine bis Ende 2007 gültige Betriebsvereinbarung für ein möglichst sozialverträgliches «Überwintern» der Kraftwerkflaute getroffen. Zentrale Elemente dieser «Überwinterungs»-Vereinbarung sind einerseits der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, andererseits die Bereitschaft zu Arbeitszeitreduktionen und das freiwillige Ausscheiden von rund 520 Mitarbeitern. Bis Ende 2007 soll gemäss Vereinbarung die Beschäftigung auf rund 1550 Stellen sinken. «Alstom wird die bis Mitte 2007 gültige Vereinbarung selbstverständlich einhalten», sagt Brunel. Aber ab 2008 werde bei Alstom Power um weitere 450 Stellen auf rund 1100 Arbeitsplätze reduziert. Der Betriebsrat spricht sogar vom Verlust von 900 Jobs - und damit von einer Halbierung des Personalbestandes. Dies, weil die Arbeitnehmervertreter den aktuellen Personalbestand von gegen 1900 als Vergleichsbasis nehmen. Der Betriebsrat fürchtet zudem eine generelle Verlagerung von Wertschöpfung aus Europa nach China, Indien, Mexiko usw.
Brunel sieht die Gefahren etwas weniger dramatisch. Er betont die Stärken des Standortes Deutschland: Knowhow und Referenzbasis für internationale Geschäft des Konzerns, gute Infrastruktur und das Interesse der wichtigen deutschen Kraftwerkkunden an einem «starken zweiten europäischen Anbieter». Ein entscheidendes Asset für Mannheim ist aber der erwartete Auftragsschub aus Deutschland.
Ersatzbedarf: Chance auch für Baden
Die deutschen Stromriesen schieben riesige Investitionsvolumen vor sich her. Der Bundesregierung haben sie versprochen, allein bis 2010 runde 20 Mrd. Euro in die Modernisierung der Energieinfrastruktur zu investieren. Branchenkenner sehen im deutschen Kraftwerkpark bis 2020 einen Ersatzbedarf von 40 000 MW und weitere 20 000 MW zur Kompensation des Ausstiegs aus der Kernenergie. Belz rechnet vor, dass allein das Braunkohlekraftwerkprojekt Neurath bei Köln die Mannheimer Fabrik ein halbes Jahr auslasten könnte. Eine Beschleunigung der Kraftwerkprojekte könnte den Jobabbau in Mannheim bremsen und käme auch den Arbeitsplätzen in Baden zugute. Aber noch bremsen vielfältige Unsicherheiten um die deutsche Energiepolitik die Investitionsbereitschaft der Kraftwerkbetreiber.