Für wie dumm hält man uns?
Sektierer glauben an seltsame Gottheiten, Ökos an Erdstrahlen, Psychologen an Penisneid, die Wirtschaft an Marketing. Penisneid, Erdstrahlen und seltsame Gottheiten seien für einen anderen Artikel aufgespart. Widmen wir uns heute dem Amazon-Marketing.
Derzeit geht folgende Mail an viele (oder alle?) Amazon-Kunden:
Liebe Amazon.de-Kundin, lieber Amazon.de-Kunde, ab morgen, dem 20. Februar 2002, gilt bei Amazon.de ein neues Versandkostensystem. Ihre Vorteile auf einen Blick:
- übersichtlichere Versandkostengestaltung
- einheitliche Regelung für alle Bestellungen (inklusive reine Büchersendungen)
- Senkung der Versandkostengrenze von 45 EUR auf 20 EUR (also um ganze 55%)
- Senkung der Versandkosten auf jetzt nur 3,00 EUR*
Für wie schlau hält uns Amazon? Hätten Sie diesen Text zu entnehmen verwusst, dass ab dem 20. die versandkostenfreie Lieferung für reine Büchersendungen unter 20 Euro entfällt?
Nachdem der Groschen gefallen ist - spätestens bei der nächsten Bestellung -, dürfte der Ärger groß sein. Dieser wird nicht zuletzt daher rühren, dass man sich durch diesen Marketingtext hintergangen fühlt.
Betrachten wir ihn doch einmal aufmerksam: Da wird zunächst einmal eine übersichtliche Versandkostengestaltung als " Ihr Vorteil" verkauft. Davon profitieren allerdings lediglich Nicht-Buchbesteller: Diese Mail an einen Bücherbesteller zu verschicken, ist Hohn. Als zweiter Vorteil wird die "einheitliche Regelung" verkauft. Wo liegt da der inhaltliche Unterschied zu Vorteil Nr. 1? Sind wir alle wirklich so bescheuert, dass wir zu jubeln beginnen, wenn nur unter "Ihre Vorteile" möglichst viele Spiegelstriche stehen? Die letzten beiden Spiegelstriche sind echte Vorteile - aber nur für Nicht-Buchbesteller.
Warum ruiniert sich Amazon mutwillig den guten Ruf mit solch einer Mail? Schon die Deutsche Telekom ramponierte sich ihren Ruf zutiefst, als sie 1996 eine drastische Gebührenerhöhung als fast durchgehende Senkung verkaufte. Allerdings waren die Methoden der DTAG noch perfider: Man nutze die unterschiedliche Zeittaktung vor und nach der Reform dafür aus, Maßtabellen zu erzeugen, bei denen gerade "zufälligerweise" die neuen Preise wirklich günstiger waren. Aber ob es auch nur irgendeinen innerdeutsch telefonierenden DTAG-Kunden gibt, die Anpassung von 1996 subjekt als "Preissenkung" in Erinnerung hat?
Offensichtlich ist es Marketing-Maxime, sich niemals eine Blöße zu geben. Aber wird das richtiger, wenn man dieses Axiom oft genug wiederholt? Wer die Mail nur überfliegt, dürfte kaum mitbekommen, dass er in Zukunft für Bücher-Kleinbestellungen blechen soll (einziger direkter Hinweis: Klammer beim zweiten Spiegelstrich). Würde Sie einen realweltlichen Laden wieder betreten, in dem Sie vom Besitzer auf den Arm genommen wurden?
Ich frage mich regelmäßig, ob Marketing so verlogen sein muss, weil die Welt betrogen sein will, oder weil dies eine Marketing-Maxime ist, die alle einhalten und niemand hinterfragt.
Nur so zum Vergleich, der Entwurf einer "ehrlichen" Meldung an den Kunden (die also nicht von Amazon stammt, sondern von mir). Ich für meinen Teil würde auf eine solch "ehrliche" Nachricht deutlich positiver reagieren, als wenn ein Marketing-Heinz versuchte, mich an der Nase herumzuführen. Aber vielleicht verstehe ich einfach nichts von Marketing. Wie von seltsamen Gottheiten, Erdstrahlen und Penisneid.
Liebe Amazon.de-Kundin, lieber Amazon.de-Kunde,
ab morgen, dem 20. Februar 2002, gilt bei Amazon.de ein neues Versandkostensystem. Es gibt eine schlechte Nachricht, dafür aber gleich zwei gute. Leider wurde es unumgänglich, auch für reine Bücherbestellungen unter 20 EUR eine Versandkostenpauschale zu erheben. Bei solchen geringwertigen Bestellungen waren wir oft gezwungen, selbst Geld zuzuschießen. Es liegt weder in Ihrem noch in unserem Interesse, dass dies durch andere Bereiche in Amazon weiter querfinanziert wird. Aufgrund dieser Maßnahme können Sie sicher sein, dass wir weiterhin alle Produkte so günstig wir nur möglich anbieten werden.
Jetzt aber zu den guten Neuigkeiten:
Die Portofreiheit ab 20 EUR gilt für ALLE Bestellungen auf Amazon, also auch für CDs, Videos usw. Hier lag die Grenze zuvor bei 55 EUR, wir haben also drastisch gesenkt. Zudem liegen die Versandkosten jetzt einheitlich bei 3 EUR (ohne Mehrkosten für weitere Artikel). Diese beiden Senkungen sind uns möglich, weil wir mit der Bezuschussung der Bücher-Kleinbestellungen aufhören. Wir sind sicher, dass davon die Mehrzahl unserer Kunden profitieren wird und dass dies die fairste Lösung für alle ist.
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