Aktion Kahlschlag

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Dixie:

Aktion Kahlschlag

 
30.07.01 15:52
Aktion Kahlschlag

Auf Hightech-Euphorie, Börsenparty und Konjunkturboom folgt eine weltweite Entlassungsserie. Hunderttausende verlieren in den nächsten Wochen ihren Job. Betroffen sind jetzt auch Investmentbanker und Computerexperten.

Und wir? - Die Aufsichtsräte von Siemens hatten vor allem diese Frage im Kopf, als sie sich am Mittwoch vergangener Woche zur Sitzung trafen. Geschockt von dem Milliardenverlust, den der Konzern am Morgen für das dritte Quartal bekannt geben musste, wollten die Kontrolleure wissen, ob nun auch beim drittgrößten deutschen Industriekonzern Massenentlassungen anstehen.
Doch bevor Konzernchef Heinrich von Pierer, 60, antwortete, verteilte er eine Statistik über den Jobabbau der anderen. Allein bei Motorola, Lucent und Nortel sollen demnach 85.000 Stellen wegfallen. Im Vergleich zu den Wettbewerbern, versprach von Pierer seinen Kontrolleuren, werde der Personalabbau bei Siemens noch moderat ausfallen. "Einen Kahlschlag", versicherte der Siemens-Boss beschwichtigend, "wird es bei uns nicht geben."
Kein Kahlschlag? 7500 Stellenstreichungen sind bei Siemens bereits angekündigt. Es können aber auch noch mehr werden. Die Siemens-Aufsichtsratssitzung war kaum vorbei, da verkündete der französische Telekommunikationsausrüster Alcatel, dass bis zum Jahresende insgesamt 14.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Dabei hatte der Elektrokonzern schon vorher den Verkauf unrentabler Fertigungsstätten beschlossen.

Am Donnerstag war Pierers Zögling Ulrich Schumacher, 43, an der Reihe. Der Porsche-Freak und Chef des Münchner Chipkonzerns Infineon will in den kommenden 18 Monaten jeden siebten der insgesamt 35 000 Arbeitsplätze einsparen. Und am selben Tag kam noch eine Hiobsbotschaft für München: Die Ex-Siemens-Tochter Epcos, Hersteller von Kondensatoren und Elektronikbauteilen, streicht weitere 750 Stellen.
Auch im Abwärtstrend dominieren die Amerikaner
Die Schreckenszahlen aus Deutschland wirken fast wie Kleinkram im Vergleich zu den Entlassungsplänen mancher nordamerikanischer Konzerne. Der Glasfaserspezialist JDS Uniphase hat dieses Jahr mit über 50 Milliarden Dollar den größten Verlust der Wirtschaftsgeschichte eingefahren. 16.000 Mitarbeiter sollen weg, bis zum 30. Juni sind bereits 9000 gefeuert worden.
Der Wirtschaftsabschwung in den USA kostet nicht nur in Nordamerika Stellen. Er schwingt auch auf den alten Kontinent hinüber. Seit die Gewinnwarnungen übers Land ziehen wie Tiefdruckgebiete, herrscht düstere Stimmung in Werkhallen und Verwaltungsgebäuden. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht mindestens ein namhaftes Großunternehmen die Reduzierung seiner Belegschaft ankündigt. "Bild" rief am Samstag den "Job-Alarm" aus.
Am tollsten treiben es die Bosse angesehener EDV-Multis wie Compaq und Hewlett-Packard oder von Konzernen der Telekommunikations- und Informationstechnik. Dabei galten die Hightech-Schmieden noch vor kurzem als Garanten für grenzenloses Wachstum und stetig sprudelnde Erträge.
Das Internet konnte die Erwartungen nicht erfüllen
Der jüngste Einbruch hat klare Ursachen. Das Internet konnte die Erwartungen in seine kommerzielle Nutzung nicht erfüllen, der E-Commerce bleibt vorerst ein Randphänomen. Auch die Nachfrage nach Computern und Handys wuchs nicht so stabil, wie die Firmen es erwartet hatten. Paradiesische Prognosen entpuppten sich als naive Fehleinschätzungen.
Den großen Plänen folgten oft überdimensionierte Investitionen, Personal wurde siegestrunken auf Vorrat eingestellt, und eine strikte Kostenkontrolle galt nicht gerade als zeitgemäß. Euphorisierte Manager erklärten ökonomische Grundgesetze kurzerhand für ungültig.
Die schlechte Gesamtkonjunktur macht nun alles noch schlimmer. Nach mehr als zehn Boom-Jahren ist das abgebremste Wachstum in den USA zwar keine Überraschung, dennoch haben viele nicht damit gerechnet, dass diese Abkühlung Europa derart schnell, derart hart erwischt. Obwohl die europäische Wirtschaft nur neun Prozent ihrer Exporte in Nordamerika absetzt, war die Flaute sofort auch hier zu spüren.
Zeitgleich ist die beispiellose Sonderkonjunktur des Geldgewerbes zu Ende gegangen: Der Börsenboom und ein globaler Fusionswahn, den die Investmentbanken nach Kräften angeheizt hatten, ließ die Belegschaften der Banken anschwellen, nun wird wieder abgespeckt.
Großkonzerne geraten in die Krise
Auch bei ihren Großkunden herrscht Katerstimmung, denn im Zuge von Großfusionen entstanden Konglomerate, die im Alltag kaum regierbar sind. Von der "Hochzeit im Himmel", wie DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp die Fusion beider Autokonzerne einst pries, spricht keiner mehr. Weil Schrempp nur mit Verzögerung die krisenhafte Entwicklung bei Chrysler mitbekam, stürzte der gesamte Konzern in die Krise. Der verantwortliche Chrysler-Chef, der die Negativzahlen zurückgehalten hatte, musste gehen. Doch was nützt das? Der Konzern liegt in der Liste der Jobkiller weit vorn, geplant ist ein Personalabbau um 26.000 Menschen weltweit.
Bei Unilever, einem Konzern, der durch Zukäufe in den letzten Jahren massiv gewachsen ist, stellen sich die gleichen Fragen: zu groß? Zu unbeweglich? Lässt sich eine Firma mit 900 unterschiedlichen Marken, die sie in 150 Ländern verkauft, überhaupt vernünftig managen? Fest steht: Jetzt werden 33.000 Stellen abgebaut.
Die tiefen Einschnitte könnten sich allerdings rächen. "Was bei den großen Industriekonzernen zurzeit passiert", meint ein hoher Siemens-Manager, "sind Panikreaktionen, die den Unternehmen auf Jahre hinaus ihre Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten rauben können."
Personalabbau ohne Plan
Tatsächlich wirken manche Ankündigungen ziemlich unausgegoren. So will Jörgen Centerman, Chef des schwedischschweizerischen Technologiekonzerns ABB, 12.000 Stellen ersatzlos streichen. Wo und wie genau, hat er nicht gesagt. "Ich kenne bis jetzt niemanden, der das neue Konzept von Herrn Centerman gesehen hat", meint Adolf Schmitt, Vorsitzender des deutschen Konzernbetriebsrats. Bei den rund 20.000 in Deutschland tätigen ABB-Beschäftigten hat das große Zittern begonnen.
Zu den Opfern der Sparwut zählen aber nicht nur die betroffenen Mitarbeiter. Der massenhafte Abbau gut dotierter Arbeitsplätze beschädigt hier zu Lande zusehends auch das Image eines Mannes, der sich bester Beziehungen zu den Konzernchefs rühmt: Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Um die Chancen für seine Wiederwahl im nächsten Herbst zu erhöhen, wollte der Regierungschef die Zahl der Arbeitslosen auf unter 3,5 Millionen drücken. "Mein wichtigstes Ziel", erklärte der Kanzler noch vor knapp drei Jahren zu Beginn seiner Amtszeit, "ist der Kampf gegen die Geißel der Massenarbeitslosigkeit."
Siemens-Chef Pierer rät dem Bundeskanzler, wie andere Unternehmenschefs auch, die Steuerreform vorzuziehen. Doch der will davon, zumindest bislang, nichts wissen. "Ich habe meinen Kanzler noch nie so ruhig gesehen wie jetzt", spielt ein Schröder-Berater das Problem herunter. Auch ein Konjunkturprogramm sei nicht geplant, ließ er vergangene Woche für seinen Chef ausrichten, der sich gerade in Italien entspannt.
Ob sich die Beschäftigungskrise so einfach aussitzen lässt, ist fraglich. Die Wirtschaftsaussichten in Deutschland verdüstern sich. Namhafte Wirtschaftsforscher, zum Beispiel vom Münchner Ifo-Institut oder dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, haben ihre Wachstumsprognosen inzwischen auf rund ein Prozent zurückgenommen. Das Allensbacher Institut für Demoskopie, das im Auftrag der Zeitschrift "Capital" die Stimmung unter 30 deutschen Großunternehmen untersuchte, fand heraus, dass zwei Drittel der Firmen kein neues Personal einstellen oder ihre Belegschaften verkleinern wollen.
Auch der Mittelstand baut ab
Will Schröder die Schlacht noch gewinnen, muss er sich etwas einfallen lassen. Denn selbst die Staatsbetriebe bauen weiter ab. Allein Post und Bahn wollen in diesem Jahr rund 14.000 Jobs wegrationalisieren. Auch im Kleingewerbe sieht die Jobsituation düster aus. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks rechnet in diesem Jahr mit einem "Personalabbau von rund 120.000 Mitarbeitern". Die Hälfte davon soll im Osten wegfallen.
Die großen Baukonzerne müssen ebenfalls entlassen. Walter Bau streicht weitere 1000 Jobs, und auch Bilfinger + Berger liefert in diesen Tagen Anschauungsunterricht. Ohne die Öffentlichkeit zu informieren, hat der Vorstand Ende Juni beschlossen, das Berliner Tochterunternehmen Bau-Union Potsdam "auf Grund der unverändert rückläufigen Baunachfrage" zu schließen, bestätigt ein Sprecher. Nach Abwicklung der laufenden Aufträge stehen im nächsten Frühjahr 170 Mitarbeiter auf der Straße. Wohl nicht die letzte schlechte Nachricht für die rund 40.000 Angestellten. "Weitere Personalanpassungen", heißt es am Mannheimer Hauptsitz, "sind nicht auszuschließen."
Selbst im Dienstleistungsgewerbe, das sich bislang noch als relativ robust erwies, schrumpfen die Belegschaften dahin. Bei der HypoVereinsbank, dem zweitgrößten Kreditinstitut der Republik, stehen nach Analystenschätzungen bis zum Jahre 2004 rund 8000 Jobs auf der Kippe. Allianz und Dresdner Bank haben für 1500 Investmentbanker keine Verwendung mehr. Und bei der Commerzbank gilt seit Ende Mai ein Einstellungsstopp.
Auch im Einzelhandel herrscht gedrückte Stimmung. Karstadt will bis zu 7000 Angestellte weniger einsetzen. Die Metro-Tochter Praktiker, die mit den Heimwerkern bislang prächtig verdiente, plant rund 1000 Stellen einzusparen.
Krisenherd Telekom-Industrie
Besonders schlimm erwischt hat es eine Branche, die noch vor kurzem als Stützpfeiler für den Aufschwung in Deutschland galt, die Informations- und Telekommunikationstechnik. Berauscht von der Aussicht auf sprudelnde Gewinne, stampften große Handy-Hersteller wie Siemens, Nokia oder Ericsson zusätzliche Fertigungsbetriebe aus dem Boden. Auch die PC-Hersteller schafften massenhaft Kapazitäten.
Doch schon im Herbst 2000 zeichnete sich ab, dass der Boom seinen Höhepunkt wohl überschritten hat. Statt knapp 600 Millionen Handys, wie erwartet, dürften weltweit in diesem Jahr allenfalls eben über 400 Millionen Stück über den Ladentisch gehen. Nun müssen die Hersteller weltweit massiv sparen und Werke schließen.
Nokia macht zwar noch Gewinn, doch im Streichkonzert wird mitgespielt. So dürften im Bochumer Werk bis zu 300 von insgesamt 3000 Stellen verschwinden. "Voraussichtlich werden die acht Handy-Produktionslinien nach Ungarn verlagert", weiß IG-Metall-Mann Ludger Hinse.
Klotzen, nicht kleckern hieß die Devise auch bei großen Kommunikationsmultis wie der Deutschen Telekom oder Viag-Interkom, die inzwischen dem britischen Telefonriesen British Telecom gehört. Um am weltweiten Boom in der Kommunikationstechnik teilzuhaben, kauften die Konzerne Wettbewerber auf und erwarben von den Regierungen für Milliardensummen die Lizenzen für die neue Mobilfunktechnik UMTS. Mit dem neuen Standard lassen sich blitzschnell Daten versenden.
Ob die teuren Investitionen sich jemals rechnen, ist ungewiss. Außerdem sind die Telefonriesen inzwischen derart verschuldet, dass sie geplante Investitionen streichen oder weit in die Zukunft verlagern müssen.
Unter den Folgen leiden nun Lieferanten wie der Siemens-Konzern. Die Netzsparte, die in der Vergangenheit mit ihren Telefonvermittlungssystemen klotzig verdiente, häufte allein in den drei Monaten von April bis Juni Verluste von über einer Milliarde Mark an. Deshalb sollen dort über 5000 Beschäftigte gehen. "Und das", prophezeit ein hoher Siemens-Manager, "ist vermutlich noch nicht das Ende."
BEAT BALZLI, DINAH DECKSTEIN
DER SPIEGEL
mod:

Hi, Dixie, bringst Du etwas Neues? o.T.

 
30.07.01 15:56
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