ftd.de, Do, 27.9.2001, 7:00
Geldanlage: Aktien so günstig wie 1970
Von Torsten Engelbrecht
Die Fondsmanager erhöhen wieder den Aktienanteil in ihren Portfolios.
Asset Allocation
Bedingt durch die Anschläge in den USA am 11. September hielten sich viele Finanzinstitute zunächst mit Aussagen zur Kapitalmarktstrategie zurück. So waren und sind zahlreiche Firmen zu sehr damit beschäftigt, das Chaos in den Griff zu kriegen. Das Gros der bis dato 5800 in den Trümmern Süd-Manhattans vermissten Menschen gehört zur Finanzbranche. Zudem sollen 20 Prozent des Büroraums im südlichen Manhattan bei den Anschlägen zerstört oder zumindest stark beschädigt worden sein. "Unser Zentrale, direkt neben den Türmen des World Trade Centers gelegen, ist so stark ramponiert, dass wir wohl über Monate hinweg dorthin nicht werden zurückkehren können", sagt Jessica Shepherd-Smith, Pressesprecherin bei Lehman Brothers.
Bei den Instituten, die sich mit Kapitalmarktprognosen hervorwagten - darunter die Deutsche Bank, Goldman Sachs und Lehman Brothers - war der Grundtenor weitgehend einheitlich. Das bestimmende Thema der kommenden Wochen, insbesondere an den Aktienmärkten, werde Erholung sein und nicht Rezession, so der Kanon der Strategen. Barton Biggs, Chefstratege von Morgan Stanley, zählt zu den Ausnahmen, die auf dem jetzigen Niveau keine Eile verspüren, Aktienengagements einzugehen.
"Wir erhöhen den Aktienanteil im globalen Portfolio um zehn auf nunmehr 70 Prozent", sagt Joseph Rooney, Leiter der globalen Strategie bei Lehman Brothers. "Demgegenüber senken wir den Renten- und den Bargeldanteil um jeweils fünf Prozent auf 30 beziehungsweise null Prozent."
Einstiegsniveau Anfang September erreicht
Bereits am 3. September, also rund eine Woche vor der Katastrophe in den USA, hatte das Strategie-Team um Rooney verstärkt ein Auge auf Aktien geworfen. "Die Bewertungen der Aktien hatten sich zu diesem Zeitpunkt einem Einstiegsniveau genähert", so Rooney. Seitdem sind die Kurse an den Aktienmärkten weiter gefallen. Der S&P 500 büßte mehr als acht Prozent, der Nasdaq 100 rund 15 Prozent ein.
"Die globalen Aktienmärkte haben damit im Vergleich zu Rentenpapieren ein ,Level of extreme Value‘ erreicht", so Edwina Neal, Strategin bei Lehman Brothers. Aktien seien nicht nur klar unterbewertet, sondern so günstig wie seit 1970 nicht mehr. In der Vergangenheit, so Neal, sei dies ein Signal dafür gewesen, dass Aktien im Vergleich zu Bonds in der Folge über Gebühr hohe Gewinne abgeworfen hätten.
"In Zeiten, in denen die Stimmung einer Depression glich, so wie etwa 1992 und auch Ende 1998, hat sich an den Aktienmärkten ein Boden herausgebildet", so Neal. Zurzeit sei das Klima an den Märkten vergleichbar, denn bereits im August habe sich die Stimmung wegen vieler schlechter Konjunkturmeldungen arg eingetrübt. Im September sei man dann in eine Phase der Kapitulation eingetreten. "Wegen der derzeit äußerst schlechten Stimmung und des niedrigen Bewertungsniveaus für Aktien zeigen unsere Indikatoren an, Aktien überzugewichten", so die Einschätzung von Neal.
Cash-Position auf Null gefahren
Das attraktive Bewertungsniveau von Aktien hat auch dazu geführt, dass Lehman Brothers die Cash-Position auf Null heruntergefahren hat. "Die Renditen, die derzeit mit Bargeld erzielt werden können, sind vergleichsweise unattraktiv", so Rooney.
Regionen und Sektoren
Zwar geht Lehman Brothers davon aus, dass es zu weiteren Gewinnenttäuschungen von Unternehmen kommen wird. Doch ist nach Auffassung der Lehman-Strategen ein weiterer Gewinneinbruch in Höhe von 25 Prozent in den nächsten zwölf Monaten bereits im aktuellen Kursniveau der Aktien enthalten. "Ein derartiger Kurseinbruch würde bedeuten, dass die Gewinne im Jahr 2002 noch stärker zurückgehen als prognostiziert und es im Jahr 2003 zu keiner Erholung an der Gewinn-Front kommt", erläutert Rooney.
Doch sei ein solches Szenario als übertrieben pessimistisch einzuschätzen. Vielmehr ist Rooney überzeugt, dass die Notenbanken und die anderen wichtigen politischen Entscheidungsträger alles daran setzen werden, um einen Konjunktur-Crash abzuwehren. Und nicht nur das: Die US-Katastrophe wird nach Auffassung der Strategen dank geld- und fiskalpolitischer Anstrengungen bewirken, dass sich die Nachfrage 2002 erholt. Erste vertrauensbildende Maßnahmen waren die konzertierte Zinssenkung der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank. "Die L-Form der Konjunktur wird sich zu einer V-Form entwickeln", so Rooney.
Europa-Titel am attraktivsten
Unterdessen hat Lehman Brothers den Aktienteil der Euro-Zone in seinem globalen Musterportfolio erhöht. "Europas Titel sind im Vergleich zu US-Papieren attraktiver bewertet", sagt Rooney. "Wenn die expansive Politik Erfolg hat, indem sie die Nachfrage belebt, sollte man in den Märkten positioniert sein, die von der Erholung am stärksten profitieren: Europa und Asien."
Musterportfolio
Der Anstieg des Anteils von Finanzwerten im Musterportfolio beruht auf der Schließung einer seit Ende 2000 bestehenden Short-Position, die Aufstockung von Telekom-Papieren auf einer besseren Bewertung. "Einige der nicht mehr ganz so günstigen Tech-Titel hingegen haben wir abgestoßen", so Rooney. Bei der Auswahl der Aktien setzt Lehman Brothers auf die Stellung des Unternehmens innerhalb eines Sektors. Auf diese Weise erlangen Titel wie BCO Sant Cent, Eaton und Lufthansa die höchsten Gewichtungen unter den Einzelwerten.
www.ftd.de/bm/ga/FTDGZ7V3URC.html?nv=hpm
Geldanlage: Aktien so günstig wie 1970
Von Torsten Engelbrecht
Die Fondsmanager erhöhen wieder den Aktienanteil in ihren Portfolios.
Asset Allocation
Bedingt durch die Anschläge in den USA am 11. September hielten sich viele Finanzinstitute zunächst mit Aussagen zur Kapitalmarktstrategie zurück. So waren und sind zahlreiche Firmen zu sehr damit beschäftigt, das Chaos in den Griff zu kriegen. Das Gros der bis dato 5800 in den Trümmern Süd-Manhattans vermissten Menschen gehört zur Finanzbranche. Zudem sollen 20 Prozent des Büroraums im südlichen Manhattan bei den Anschlägen zerstört oder zumindest stark beschädigt worden sein. "Unser Zentrale, direkt neben den Türmen des World Trade Centers gelegen, ist so stark ramponiert, dass wir wohl über Monate hinweg dorthin nicht werden zurückkehren können", sagt Jessica Shepherd-Smith, Pressesprecherin bei Lehman Brothers.
Bei den Instituten, die sich mit Kapitalmarktprognosen hervorwagten - darunter die Deutsche Bank, Goldman Sachs und Lehman Brothers - war der Grundtenor weitgehend einheitlich. Das bestimmende Thema der kommenden Wochen, insbesondere an den Aktienmärkten, werde Erholung sein und nicht Rezession, so der Kanon der Strategen. Barton Biggs, Chefstratege von Morgan Stanley, zählt zu den Ausnahmen, die auf dem jetzigen Niveau keine Eile verspüren, Aktienengagements einzugehen.
"Wir erhöhen den Aktienanteil im globalen Portfolio um zehn auf nunmehr 70 Prozent", sagt Joseph Rooney, Leiter der globalen Strategie bei Lehman Brothers. "Demgegenüber senken wir den Renten- und den Bargeldanteil um jeweils fünf Prozent auf 30 beziehungsweise null Prozent."
Einstiegsniveau Anfang September erreicht
Bereits am 3. September, also rund eine Woche vor der Katastrophe in den USA, hatte das Strategie-Team um Rooney verstärkt ein Auge auf Aktien geworfen. "Die Bewertungen der Aktien hatten sich zu diesem Zeitpunkt einem Einstiegsniveau genähert", so Rooney. Seitdem sind die Kurse an den Aktienmärkten weiter gefallen. Der S&P 500 büßte mehr als acht Prozent, der Nasdaq 100 rund 15 Prozent ein.
"Die globalen Aktienmärkte haben damit im Vergleich zu Rentenpapieren ein ,Level of extreme Value‘ erreicht", so Edwina Neal, Strategin bei Lehman Brothers. Aktien seien nicht nur klar unterbewertet, sondern so günstig wie seit 1970 nicht mehr. In der Vergangenheit, so Neal, sei dies ein Signal dafür gewesen, dass Aktien im Vergleich zu Bonds in der Folge über Gebühr hohe Gewinne abgeworfen hätten.
"In Zeiten, in denen die Stimmung einer Depression glich, so wie etwa 1992 und auch Ende 1998, hat sich an den Aktienmärkten ein Boden herausgebildet", so Neal. Zurzeit sei das Klima an den Märkten vergleichbar, denn bereits im August habe sich die Stimmung wegen vieler schlechter Konjunkturmeldungen arg eingetrübt. Im September sei man dann in eine Phase der Kapitulation eingetreten. "Wegen der derzeit äußerst schlechten Stimmung und des niedrigen Bewertungsniveaus für Aktien zeigen unsere Indikatoren an, Aktien überzugewichten", so die Einschätzung von Neal.
Cash-Position auf Null gefahren
Das attraktive Bewertungsniveau von Aktien hat auch dazu geführt, dass Lehman Brothers die Cash-Position auf Null heruntergefahren hat. "Die Renditen, die derzeit mit Bargeld erzielt werden können, sind vergleichsweise unattraktiv", so Rooney.
Regionen und Sektoren
Zwar geht Lehman Brothers davon aus, dass es zu weiteren Gewinnenttäuschungen von Unternehmen kommen wird. Doch ist nach Auffassung der Lehman-Strategen ein weiterer Gewinneinbruch in Höhe von 25 Prozent in den nächsten zwölf Monaten bereits im aktuellen Kursniveau der Aktien enthalten. "Ein derartiger Kurseinbruch würde bedeuten, dass die Gewinne im Jahr 2002 noch stärker zurückgehen als prognostiziert und es im Jahr 2003 zu keiner Erholung an der Gewinn-Front kommt", erläutert Rooney.
Doch sei ein solches Szenario als übertrieben pessimistisch einzuschätzen. Vielmehr ist Rooney überzeugt, dass die Notenbanken und die anderen wichtigen politischen Entscheidungsträger alles daran setzen werden, um einen Konjunktur-Crash abzuwehren. Und nicht nur das: Die US-Katastrophe wird nach Auffassung der Strategen dank geld- und fiskalpolitischer Anstrengungen bewirken, dass sich die Nachfrage 2002 erholt. Erste vertrauensbildende Maßnahmen waren die konzertierte Zinssenkung der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank. "Die L-Form der Konjunktur wird sich zu einer V-Form entwickeln", so Rooney.
Europa-Titel am attraktivsten
Unterdessen hat Lehman Brothers den Aktienteil der Euro-Zone in seinem globalen Musterportfolio erhöht. "Europas Titel sind im Vergleich zu US-Papieren attraktiver bewertet", sagt Rooney. "Wenn die expansive Politik Erfolg hat, indem sie die Nachfrage belebt, sollte man in den Märkten positioniert sein, die von der Erholung am stärksten profitieren: Europa und Asien."
Musterportfolio
Der Anstieg des Anteils von Finanzwerten im Musterportfolio beruht auf der Schließung einer seit Ende 2000 bestehenden Short-Position, die Aufstockung von Telekom-Papieren auf einer besseren Bewertung. "Einige der nicht mehr ganz so günstigen Tech-Titel hingegen haben wir abgestoßen", so Rooney. Bei der Auswahl der Aktien setzt Lehman Brothers auf die Stellung des Unternehmens innerhalb eines Sektors. Auf diese Weise erlangen Titel wie BCO Sant Cent, Eaton und Lufthansa die höchsten Gewichtungen unter den Einzelwerten.
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