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Aggressiv drängt Spaniens Telefonriese über die Tochter 02 nach Deutschland. Sie geht mit Dumpingtarifen auf Kundenfang, verschärft die Preisschlacht bei DSL und im Mobilfunk und plant Übernahmen. Es geht ums Ganze – und um die Ehre.
Für die letzten Meter braucht Telefónica gerade mal vier Stunden. Dann hat der spanische Telefoniegigant auch in Mettmann bei Düsseldorf sein Ziel erreicht. Gerade noch rollte ein Techniker einen schrankgroßen DSL-Verteiler in die örtliche Telekom-Niederlassung. Die Hightechmaschine wird mit dem Vermittlungsrechner des deutschen Konkurrenten verkabelt und dann an das konzerneigene Glasfasernetz angehängt.
So wie in Mettmann rüsten Dutzende Techniker von Telefónica an der Peripherie der Großstädte ihr Netz auf. 3,5 Milliarden Euro will die Tochter des spanischen Konzerns, der hierzulande vorwiegend unter der Marke O2 präsent ist, bis 2010 in den Ausbau ihres Fest- und Mobilfunknetzes investieren.
Der erfolgreichste Ex-Monopolist der europäischen Telekombranche demonstriert in Deutschland seine Expansionslust. Für die Konkurrenten verheißt das nichts Gutes. Ihnen stehen weiter sinkende Preise, Überkapazitäten, die Übernahme kleinerer Wettbewerber und teure Werbeschlachten bevor. "Für uns ist der Erfolg in Deutschland entscheidend", verkündet Vorstandschef César Alierta. Er will im Heimatland der Deutschen Telekom "deutlich zulegen".
Sein vor fünf Monaten ernannter Deutschland-Statthalter Jaime Smith-Basterra trommelt für den Angriff: "Unseren Marktanteil bei DSL wollen wir auf 20 Prozent erhöhen." Jetzt sind es etwas mehr als fünf Prozent. Zulegen soll auch das Mobilfunkgeschäft. Die Telefónica-Marke O2 rangiert in Deutschland mit einem Marktanteil von 13 Prozent auf dem vierten Platz hinter T-Mobile (37 Prozent), Vodafone (35 Prozent) und E-Plus (15 Prozent). "Ein Viertel des Marktes erscheint uns angemessen", sagt Smith-Basterra. Man sehe sich schließlich vorrangig "im Wettbewerb zu Vodafone und Telekom".
Die Zielvorgaben zeigen, wie entschlossen Spaniens Marktführer den deutschen und internationalen Telefonmarkt aufrollen will. Vor vier Wochen übernahm Telefónica dazu zehn Prozent des italienischen Konkurrenten Telecom Italia – das erste Mal mischt einer der nationalen Telefonkonzerne bei einem anderen mit. Das soll auch beim Vormarsch und Kooperationen in Deutschland helfen. Hier sind die Italiener bereits über ihre Tochter Hansenet aktiv.
Gemessen am operativen Gewinn von 22 Milliarden Euro schlägt bereits heute kein anderes Telefonunternehmen in Europa die Spanier. "Das ist ein absoluter Ausnahmekonzern", resümiert Frank Rothauge, Branchenexperte bei der Privatbank Sal. Oppenheim. "Im Heimatmarkt stehen sie besser da als jeder andere Ex-Monopolist, im Ausland wachsen sie schneller als Vodafone, und dank niedriger Schulden investieren sie auch kräftig."
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Globale Präsenz treibt Wachstum voran
Der Erfolg zeigt sich auch am hohen Börsenwert von Telefónica. Er liegt bei 108 Milliarden Euro und damit 44 Milliarden Euro über dem der Deutschen Telekom. Nur Vodafone ist mehr wert. Der extrem wortkarge Zigarrenraucher Alierta macht bislang alles richtig, was viele Wettbewerber falsch machen. Dabei helfen ihm seine 219 Millionen Kunden. Sie sind die Trumpfkarte für Kooperationen mit Google, Ebay oder Yahoo. Außerdem kann Alierta so günstige Konditionen bei Handys und Funkstationen durchsetzen. Kleinere Wettbewerber, wie die niederländische E-Plus-Muttergesellschaft KPN, können das nicht.
Knapp 400.000 Euro Jahresumsatz erzielt ein Telefónica-Mitarbeiter im Schnitt. Deutlich mehr als die Kollegen der Deutschen Telekom oder France Télécom – was nicht nur an der Expansion in Europa liegt. Während sich die Deutschen in den vergangenen Jahren von ihren Beteiligungen in Wachstumsmärkten wie Russland oder den Philippinen trennten, verdient Telefónica auch abseits der klassischen Industriestaaten prächtig. So unterhalten die Spanier unter anderem in 13 Ländern Lateinamerikas Tochtergesellschaften. Folge: Ein Drittel des Telefónica-Umsatzes stammt bereits aus Wachstumsmärkten. Der Bonner Telekom-Konzern kommt dort gerade auf zwölf Prozent. "Telefónicas überlegene Präsenz in boomenden Regionen ist der wichtigste Gewinntreiber", sagt James Sawtell, Analyst bei Goldman Sachs. "Wenn in Lateinamerika Handys wie in Europa in Mode kommen, sind bis zu 30 Millionen weitere Kunden möglich."
Bei seinem Vormarsch kann der Konzernchef auch auf einen mächtigen Verbündeten zählen: Obwohl sich der spanische Staat schon vor zehn Jahren von seinen Kapitalanteilen am größten Konzern des Landes trennte, hilft er, wo immer es geht. Jahrelang konnte das an Madrids Prachtstrasse Gran Via gelegene Unternehmen die heimische Konkurrenz mit überhöhten Durchleitungsgebühren ausbremsen – erst eine Geldstrafe der Europäischen Union von 152 Millionen Euro wies den Platzhirsch im Juli in die Schranken.
Auch bei der internationalen Expansion gibt die Regierung Rückendeckung. Sie gewährte knapp drei Milliarden Euro Steuernachlass, als Telefónica im Sommer 2005 für 26 Milliarden Euro die britische Mobilfunkgruppe O2 mit Filialen in Irland und Deutschland kaufte – die Telekom schaute verärgert zu. "Mit solchen Subventionen könnten wir auch besser auftrumpfen", sagt ein Vorstand.
In Irland und Großbritannien floriert das Geschäft des Zukaufs O2 bestens. Jetzt kommt alles auf den Durchbruch in Deutschland an. Die Voraussetzungen dafür stehen gut. Statthalter Smith-Basterra verfügt über große Erfahrung: So sanierte der 42-Jährige in Tschechien die Telefónica-Tochter Ceský Telecom und trieb nebenbei den Aufbau der Mobilfunktochter in der Slowakei voran. Inzwischen residiert der Spanier in der Chefetage im 20. Stock des 37-stöckigen Münchner O2-Towers.
Ausgerechnet Arndt Rautenberg, früher langjähriger Strategiechef der Deutschen Telekom und jetzt Partner der Beratungsfirma OC&C, gibt den Spaniern "gute Chancen" bei ihrem Angriff. Das Unternehmen habe "ausreichend Finanzkraft und interessante Kombinationsprodukte für Festnetz und Mobilfunk". Außerdem treibt die Spanier eine äußerst teure Panne in der Vergangenheit an, die sie ausgleichen wollen. 2.000 ersteigerte Telefónica für acht Milliarden Euro eine UMTS-Lizenz und ließ sie nach nur zwei Jahren mangels Kunden bei der Vermarktungsfirma Quam verfallen. "Diese Niederlage wettzumachen", so Rautenberg, "ist für Telefónica jetzt eine Ehrensache."
Entsprechend entschlossen versucht Smith-Basterra die aktuelle Attacke in Deutschland voranzutreiben. Sein Vorgänger Rudolf Gröger war im Juni geschasst worden, weil er die Ziele verfehlte: zu wenige Neukunden, zu geringe Erträge. Smith-Basterra will nicht scheitern. Am Arm trägt er ein mit Schmucksteinen verziertes Band: "Das soll mir als Geschenk eines meiner zwei Söhne Glück in Deutschland bringen:" Mit Wachstum und Kostensenkungen will er punkten. Als Konsequenz müssen 700 der 4700 hiesigen Beschäftigten bis Ende 2008 gehen – das senkt die operativen Ausgaben um knapp 100 Millionen Euro bei einem Jahresumsatz von drei Milliarden Euro. Außerdem greift er mit Dumpingpreisen an: Seit September ist Telefónica in Deutschland mit der Billigmarke Fonic auf Kundenfang. Sie bietet erstmalig Gespräche in alle deutschen Netze für weniger als zehn Cent je Minute an – ohne Grundgebühr. Auch bei Handy-Flatrates schockt der in England ausgebildete Betriebswirt die Branche: Unter dem Namen Genion XL vertreibt O2 einen Pauschaltarif für unbegrenzte Telefonate in alle Netze für eine Monatsgebühr von 68 Euro – günstiger als jeder andere Anbieter.
Erste Erfolge sind bereits erkennbar: Mit 610.000 neuen Kunden hat O2 im dritten Quartal T-Mobile und E-Plus überholt. Dieser Abstand soll sich schon bald vergrößern. "Wir brauchen weitere Skaleneffekte", sagt Johannes Pruchnow, Technik-Vordenker bei O2. Um dies zu erreichen, sollen die Preise weiter fallen. In Kürze will Telefónica eine Flatrate für einen Monatspreis von 50 Euro einführen. Das sollte sich rechnen: Denn durch den Netzausbau können mehr Gespräche als bislang über konzerneigene Leitungen gelenkt werden. Bislang muss Telefónica dafür Funksender von T-Mobile für rund 300 Millionen Euro pro Jahr anmieten. Außerdem hofft Telefónica, dass schon bald die Gebühren sinken, die die Mobilfunker bezahlen, wenn sie wechselseitig Gespräche annehmen.
Auf Dumpingkonditionen setzt Smith-Basterra erst recht bei DSL-Angeboten: Weil die Marke O2 bisher als Onlineanbieter nahezu unbekannt ist, überfluten seit Wochen Werbebriefe Hunderttausende von Haushalten. Das Ergebnis der Aktion ist dürftig: Nur 60.000 Kunden hatten sich Ende September für einen DSL-Vertrag bei O2 entschieden. Aktionspreise von 20 Euro im Monat sollen nun den Absatz pushen. Dabei hat die Telefónica-Tochter einen beachtlichen Vorteil: Weil Telefonate über die DSL-Leitung geführt werden, brauchen die Kunden keinen Telefonanschluss der Telekom mehr.
Den eigentlichen Sprung nach vorne sollen jedoch Partnerschaften und Übernahmen bringen. So hat Telefónica mit United Internet (UI), Freenet und Hansenet die wichtigsten Weiterverkäufer von DSL-Anschlüssen der Telekom als Verbündete gewonnen und für sie in wenigen Monaten 1,2 Millionen DSL-Anschlüsse geschaltet – meistens inklusive DSL-Telefonie. Seit einigen Wochen bewirbt United Internet DSL-Verträge seiner Marke 1&1 zum Preis von 19,99 Euro – inklusive Telefonie und Online-Flatrate. Eine Kalkulation, bei der Telefónica hilft: Insider berichten, dass die Spanier dafür ihren Service pro Anschluss zum Preis von 16,40 Euro im Monat zur Verfügung stellen.
Die Partner helfen bei der Offensive im DSL-Vertrieb
Das UI-Angebot soll weiteres Wachstum bringen: Bis zu vier Millionen DSL-Verträge von Telefónica könnten bald über UI und andere Wettbewerber weiterverkauft werden. Kein Wunder, dass Konkurrent Arcor nervös wird: Die Vodafone-Tochter will ihr Netz mit Glasfasern ausbauen und künftig ebenfalls über Partner vermarkten.
Die harte Preisschlacht hat für Smith-Basterra einen wichtigen Nebeneffekt: Übernahmen werden billiger, weil die Gewinne der Konkurrenten sinken. So kostet Versatel aus Düsseldorf, wo 550.000 Kunden unter Vertrag stehen, mit 500 Millionen Euro nur noch halb so viel wie vor einem Jahr. Unternehmenskenner halten es für gut möglich, dass Telefónica zukauft. Als Ziel könnte auch Freenet dienen. An dem Hamburger Telefonanbieter ist zur Zeit auch United Internet interessiert. Smith-Basterra will dazu nichts sagen, betont aber: "Wir erwarten eine weitere Konsolidierung von der wir profitieren können."
Zumindest einen Fisch hat der Manager schon an der Angel. Seit Telefónica an Telecom Italia beteiligt ist, gibt sich deren Deutschland-Ableger Hansenet sehr aufgeschlossen gegenüber einer Kooperation mit der Münchner Telefónica-Tochter O2. "Das ist nun unser Schwesterunternehmen", sagt Hansenet-Chef Harald Rösch. Er unterstützt die Familie nach Kräften. 100.000 DSL-Verträge hat er in München bereits bestellt, dazu auch noch einige Tausend Mobilfunkverträge.
Als nächster Schritt wird die Zusammenlegung der Netze und der Technik folgen – das bringt laut internen Berechnungen bis zu 500 Millionen Euro an Synergien. Ein besonders spannendes Projekt wird bereits geplant: In einer Reihe von deutschen Großstädten wollen die Spanier gemeinsam mit Hansenet hyperschnelle Glasfasernetze direkt zu den Wohnhäusern legen – die Telefónica-Techniker bekommen also noch viel zu tun:
von Reinhard Kowalewsky
capital.de, 23.11.2007
www.capital.de/unternehmen/100008633.html?nv=smart