Frachthafen mit Kranbrücken und Frachtflugzeug. (Symbolbild)
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Nicolas Fuchs Nicolas Fuchs
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Nicolas ist seit 2016 Redakteur bei ARIVA.DE. Seine Expertise in der technischen Analyse und sein Engagement für genaue Prognosen machen ihn zu einer wertvollen Ressource für die Community, die auf aussagekräftige News angewiesen ist.

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Germanium: China schneidet Europa von Schlüsselrohstoff ab - Kämpft Europas Industrie jetzt ums überleben ?

China hat die Exporte von Germanium drastisch reduziert. Besonders Europa bekommt dies nun mit voller Wucht zu spüren. In der Industrie herrscht "blankes Entsetzen". Der für Halbleiter und Rüstung essenzielle Rohstoff wird knapp, die Preise explodieren, und strategische Versäumnisse in der EU rächen sich nun.
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China reduziert Germanium-Exporte: Europas Industrie kämpft mit Engpässen 

Die deutsche und europäische Industrie steht vor einer ernsten Herausforderung: Der Rohstoff Germanium, unerlässlich für moderne Halbleitertechnologie, Glasfaserkomponenten und militärische Anwendungen, ist kaum noch verfügbar. Hintergrund ist eine massive Exportkürzung durch China, dem mit Abstand wichtigsten Lieferland für dieses strategisch relevante Material.

Wie aktuelle Daten des Frankfurter Rohstoffhändlers Tradium zeigen, sind die Germaniumexporte aus China nach Europa im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum Vorjahr um fast 60 Prozent eingebrochen. In die USA liefert China laut Tradium-Experte Christian Hell bereits überhaupt kein Germanium mehr. Dieser Exportstopp trat bereits Ende 2024 in Kraft. 

Die unmittelbare Folge: Panikartige Reaktionen in Teilen der europäischen Industrie. Hell spricht von einem „blanken Entsetzen“, das sich unter den industriellen Abnehmern ausbreitet. Laut interner Schätzungen fehle derzeit die Menge einer kompletten Weltjahresproduktion um den europäischen Bedarf zu decken.

Strategische Abhängigkeit rächt sich – China dominiert Produktion

Die Ursache für die akute Knappheit liegt nicht allein in der geopolitischen Eskalation zwischen China und den USA, sondern auch in jahrzehntelangen strukturellen Abhängigkeiten. China dominiert nicht nur den Abbau, sondern auch die Raffinierung von Germanium. Rund 83 Prozent der weltweiten Produktion entfallen laut dem International Institute for Strategic Studies (IISS) auf das Land.

Germanium wird als Nebenprodukt vor allem bei der Zinkverhüttung gewonnen. Die chinesische Regierung hat von der Rohstoffförderung bis zur Hochtechnologie-Verarbeitung über Jahrzehnte gezielt in die vollständige Wertschöpfungskette investiert. Der dadurch entstandene Preisvorteil hat westliche Anbieter zunehmend vom Markt gedrängt.

Seit Einführung der Exportbeschränkungen Ende 2024 ist der Preis für hochreines Germanium in Europa um mehr als 60 Prozent gestiegen, wie Marktanalysen von Argus zeigen. Einige Handelsquellen berichten sogar von Preissteigerungen von über 100 Prozent innerhalb von zwei Jahren.

Industriekunden in Europa sind mittlerweile bereit, „nahezu jeden Preis zu zahlen“, wie Christian Hell erklärt. Die Auftragsvolumina bei Tradium seien in den letzten Monaten 30- bis 50-fach gestiegen.

Geopolitik trifft Versorgungssicherheit: USA besser vorbereitet als EU

Während die Europäische Union noch zögerte, hat das US-Verteidigungsministerium bereits 2022 mit der Rückgewinnung etwa aus ausgemusterten Nachtsichtgeräten und Militärtechnik von Germanium aus Altmaterialien begonnen. Zudem wurden in den USA strategische Lagerbestände aufgebaut. Schätzungen zufolge hat auch China seinerseits rund 150 Tonnen Germanium eingelagert – etwa ein Jahresweltbedarf.

Die Europäische Union hingegen hat bislang keine nennenswerten Reserven angelegt. Auch das ambitionierte Ziel des Critical Raw Materials Act (CRMA), wonach bis 2030 25 Prozent des Rohstoffbedarfs durch Recycling gedeckt werden sollen, ist derzeit in weiter Ferne: Der tatsächliche Anteil liegt laut EIT RawMaterials bei nur 8 Prozent.

Recycling als Teillösung – Umicore als Hoffnungsträger

In der EU gilt das belgische Unternehmen Umicore als einer der wenigen Akteure, die überhaupt in der Lage sind, Germanium auf hohem Niveau zu recyceln. Nach eigenen Angaben deckt Umicore bereits 50 Prozent seines Bedarfs aus recyceltem Material und kann jährlich mehrere tausend Tonnen Recyclinginput verarbeiten. Eine Ausweitung der Kapazitäten sei möglich, aber an regulatorische Rahmenbedingungen gekoppelt.

Genau hier liegt eines der größten Probleme: Laut Umicore-CEO Bart Sap ist der Recyclingfortschritt durch unkoordinierte und fragmentierte Vorschriften innerhalb der EU stark behindert. Wertvolle Materialien bleiben teilweise monatelang ungenutzt, weil bürokratische Genehmigungen ausstehen. Lieferanten müssten auf Zahlungen warten und trügen Lagerkosten. Dies habe die Konsequenz, dass vermehrt Export in Drittstaaten stattfindet. Seit 2004 sind die Ausfuhren von kritischen Abfällen aus der EU um 72 Prozent gestiegen.

Dual-Use-Material mit militärischer Relevanz – NATO zunehmend alarmiert

Germanium zählt zu den sogenannten Dual-Use-Rohstoffen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. In der Verteidigungsindustrie wird es unter anderem in Nachtsichtgeräten, Infrarotsensoren, Hochfrequenz-Komponenten und Satellitenkommunikation eingesetzt.

Die NATO stufte Germanium daher bereits in einer Analyse Ende 2024 als kritisch ein, zusammen mit anderen strategischen Metallen wie Grafit, Kobalt, Vanadium, Wolfram sowie schweren und leichten seltenen Erden. Laut IISS liegt Chinas Weltmarktanteil bei all diesen Rohstoffen bei mindestens 60 Prozent.

Die vollständige Einstellung chinesischer Exporte für Dual-Use-Germanium ist vor diesem Hintergrund nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sicherheitspolitische Herausforderung.

Politischer Handlungsbedarf: Harmonisierung, Recycling und Eigenförderung

Der aktuelle Engpass bei Germanium zeigt exemplarisch, wie verwundbar Europa im Bereich strategischer Rohstoffe ist. Die EU hat zwar im Rahmen des CRMA bislang 47 Projekte als strategisch eingestuft – darunter auch zwei Vorhaben von Umicore zur Effizienzsteigerung bei der Nutzung von Germaniumsubstraten. Doch konkrete Fördermittel sind bislang nicht zugewiesen.

Die Forderungen der Industrie sind deutlich:

  1. Strategische Lagerhaltung: Analog zu den USA müssen zentrale Bestände aufgebaut werden.

  2. Harmonisierung der Vorschriften: Die Fragmentierung innerhalb der EU bremst Recyclinginitiativen massiv.

  3. Recycling fördern: Technisch ist vieles möglich – rechtlich und logistisch aber oft behindert.

  4. Diversifizierung der Lieferketten: Alternative Bezugsquellen in Afrika, Südamerika oder Zentralasien müssen erschlossen werden.

  5. Rohstoffprojekte in Europa: Auch die Erschließung von Germaniumvorkommen in der EU muss intensiviert werden – etwa als Nebenprodukt in bestehenden Zink- und Kupferminen.

Fazit: Warnsignal für die Rohstoffpolitik Europas

Der Fall Germanium ist mehr als eine kurzfristige Versorgungskrise. Er ist ein Lehrstück über strategische Abhängigkeiten, die durch geopolitische Spannungen offengelegt werden. Während China zielgerichtet seine Rohstoffmacht einsetzt, zeigt sich die EU auf vielen Ebenen unvorbereitet. Der Aufbau resilienter Lieferketten, die Förderung von Recycling und die Schaffung eines einheitlichen regulatorischen Rahmens werden entscheidend sein, um die Versorgungssicherheit bei kritischen Rohstoffen langfristig zu sichern.

Derzeit jedoch steht die Industrie mit dem Rücken zur Wand und zahlt die Rechnung für politische und wirtschaftliche Versäumnisse der Vergangenheit. Dies könnte bereits mittelfristig verheerende Folgen für sämtliche Zweige der europäischen Industrie haben. 


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