Nicolas Fuchs
Nicolas Fuchs
Ein Geschworenengericht im US-Bundesstaat Florida hat Tesla für einen tödlichen Unfall im Jahr 2019 teilweise haftbar gemacht. Die Jury sprach der Familie der verstorbenen Naibel Benavides sowie dem überlebenden Dillon Angulo insgesamt 329 Millionen US-Dollar zu – davon entfallen 200 Millionen Dollar (Dollarkurs) auf Strafschadensersatz, 129 Millionen auf tatsächliche Schäden. Tesla trägt laut Gerichtsurteil 33 Prozent der Verantwortung und muss somit mindestens rund 42,5 Millionen US-Dollar zahlen. Die Kläger erwarten jedoch, dass Tesla auch den kompletten Strafschadensersatz von insgesamt 242,5 Millionen Dollar übernehmen muss.
Im Zentrum der juristischen Auseinandersetzung stand ein Unfall in Key Largo, Florida. George McGee, der Fahrer eines Tesla Model S, fuhr bei aktiviertem "Enhanced Autopilot" mit über 60 Meilen pro Stunde (rund 97 km/h) in ein parkendes Auto und erfasste dabei dessen Besitzerin tödlich. McGee hatte während der Fahrt sein Mobiltelefon aufgehoben und sich auf das Assistenzsystem verlassen, das laut seiner Aussage hätte abbremsen sollen. Die Kläger warfen Tesla irreführende Vermarktung des Autopilot-Systems und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen vor. Tesla kündigte Berufung gegen das Urteil an.
Das Urteil kommt zu einem heiklen Zeitpunkt. In den USA untersucht die Verkehrsaufsichtsbehörde NHTSA weiterhin das Verhalten von Teslas Autopilot-System, insbesondere in Situationen mit stehenden Fahrzeugen und Notdiensten. Eine Website, die Tesla-Unfälle dokumentiert, listet bereits mindestens 58 Todesfälle im Zusammenhang mit aktiviertem Autopilot.
Parallel zur juristischen Niederlage in den USA verdichten sich in Deutschland die Hinweise auf eine tiefgreifende Absatzkrise. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2025 wurden in Deutschland lediglich 8890 Tesla-Fahrzeuge neu zugelassen was ein Rückgang von 58 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Im zweiten Quartal wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt nur 3955 Fahrzeuge zugelassen, ein Minus von 52 Prozent im Jahresvergleich.
Trotz der eingebrochenen Nachfrage produziert das Werk in Grünheide weiterhin rund 5000 Fahrzeuge pro Woche – eine Produktionsmenge, die auf monatlicher Basis ein Vielfaches der tatsächlichen Neuzulassungen übersteigt. Wohin die überschüssigen Fahrzeuge geliefert werden, ist unklar. Interne Quellen nennen die Türkei, Taiwan und den Mittleren Osten als neue Absatzmärkte. Doch Daten des Marktforschungsunternehmens Marklines zeigen: Die Verkäufe außerhalb der USA, EU und China sanken im ersten Halbjahr 2025 um rund 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Der Umgang mit der Absatzkrise sorgt im Werk Grünheide für zunehmende interne Spannungen. In einer Betriebsversammlung Ende Juni äußerte ein IG-Metall-nahe Betriebsrat Kritik an der fehlenden Diskussion über den Absatzeinbruch. Seine Wortmeldung wurde von der Betriebsratsvorsitzenden Michaela Schmitz als "Schwarzmalerei" zurückgewiesen. Werksleiter André Thierig warf dem Betriebsrat „Gebrabbel“ vor und behauptete, die Produktion laufe planmäßig weiter. Dies steht im Widerspruch zu den offiziellen Zulassungszahlen.
Zudem mehren sich Berichte über problematische Arbeitsbedingungen. Mitarbeitende berichten von Besuchen durch Vorgesetzte im Krankheitsfall, ausbleibenden Lohnzahlungen und hoher Abmahnfrequenz. Intern sorgt auch Teslas betriebsinterner Radiosender „Radio Giga“ für Diskussionen: Er soll laut Mitarbeitern eingeführt worden sein, um Telefongespräche in Waschräumen zu unterbinden. Gleichzeitig nutzt das Unternehmen die Plattform, um über soziale Aktivitäten von Mitarbeitenden zu berichten – ein Versuch, das angekratzte Image aufzubessern.
Tesla-CEO Elon Musk steht nicht nur wegen technischer und betrieblicher Probleme unter Druck, sondern zunehmend auch wegen umstrittener öffentlicher Aussagen. In Deutschland sorgt vor allem seine medienwirksame Nähe zur AfD-Politikerin Alice Weidel und das Teilen rechtsradikaler Verschwörungstheorien für Irritation. Noch 2024 sprach sich Brandenburgs Ex-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach öffentlich gegen Musks Aussagen aus. Auf einer Betriebsversammlung im Juni 2025 lobte er jedoch das soziale Engagement des Unternehmens.
Diese Ambivalenz spiegelt das zentrale Problem Teslas wider: Der Spagat zwischen technologischer Ambition, politischem Umfeld und unternehmerischer Realität wird immer schwerer. Die Hoffnung auf 40.000 Arbeitsplätze in Grünheide scheint ebenso unrealistisch wie Musks langjährige Versprechen autonomer Mobilität oder günstiger Einsteigermodelle.
Teslas Produktportfolio ist in die Jahre gekommen. Die Modelle S (2012), X (2015), 3 (2017) und Y (2020) sind seit mehreren Jahren auf dem Markt, ohne grundlegende Neuerungen. Einziger Neuzugang ist der 2024 eingeführte Cybertruck, der jedoch bisher enttäuscht: Nur rund 11.000 Einheiten wurden im ersten Halbjahr 2025 verkauft. Musk selbst erwähnte den Cybertruck bei der Präsentation der Halbjahreszahlen im Juli 2025 nicht.
Stattdessen setzt Musk auf Zukunftsvisionen wie Robotaxis und humanoide Roboter („Optimus“), deren Marktreife und wirtschaftlicher Nutzen bislang nicht belegt sind. In Texas läuft derzeit ein Pilotprojekt mit 20 Robotaxis. Jedes Fahrzeug wird von Tesla-Mitarbeitern überwacht. Erste Berichte zeigen gravierende Mängel: unvorhersehbare Spurwechsel, plötzliche Bremsmanöver und technische Ausfälle bei Regen.
Auch das nächste Prestigeprojekt ist bereits angekündigt: ein neuer Roadster in Kooperation mit SpaceX – angeblich ein „Raketenauto“. Ob dieses Versprechen eingelöst wird, ist fraglich. Bereits in der Vergangenheit hatte Musk mehrfach „Volks-Teslas“ und Serienproduktionen angekündigt, die nie realisiert wurden.
Im zweiten Quartal 2025 erzielte Tesla einen auf den ersten Blick soliden Gewinn von 1,2 Milliarden US-Dollar. Doch bei näherem Hinsehen entfallen davon lediglich 470 Millionen Dollar auf das operative Geschäft mit Fahrzeugen. Rund ein Viertel des Gewinns resultierte aus der Kursentwicklung von Bitcoin.
Ein weiterer Gewinnfaktor: der Verkauf von CO₂-Zertifikaten. Diese Praxis erlaubt es Tesla, Emissionsrechte an andere Autobauer zu veräußern. Doch unter einer möglichen neuen US-Regierung unter Donald Trump könnte diese Einnahmequelle künftig entfallen. Tesla stünde dann ohne diesen Ausgleich wirtschaftlich deutlich schlechter da.
Tesla steht an einem Wendepunkt. Das Gerichtsurteil in Florida bringt rechtliche Risiken der Autopilot-Technologie ins Zentrum. In Deutschland ringt das Werk Grünheide mit massiven Absatzeinbrüchen, mangelndem Vertrauen der Belegschaft und interner Frustration. Während Musk weiterhin große Visionen skizziert, fehlt es an marktfähigen Innovationen und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit.
Angesichts veralteter Modelle, stagnierender Verkaufszahlen und wachsender Kritik am Führungsstil des CEO stellt sich die Frage, wie lange Tesla noch von seinem Gründer zehren kann und wie der Konzern es schaffen will, in einem zunehmend kompetitiven und regulierten Marktumfeld mittel bis langfristig zu bestehen.
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