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Zukunftsvisionen
Google 2010
Von Thomas Hillenbrand
Chat-Software, E-Mail, personalisierte Homepages - Google bietet zunehmend Produkte an, die mit klassischer Internetsuche nichts zu tun haben. Was hat der kalifornische Internetriese vor? SPIEGEL ONLINE analysiert denkbare Szenarien.
Screenshot: "Quo vadis?" in Google-Typographie auf der Seite Logogle.com |
Einige Zeit lang sah es so aus, als ob Google diesem Ziel langsam aber sicher näher käme. Bei neuen Produkten konzentrierten sich die Kalifornier auf ihre Kernkompetenz: Große Datenbestände durchsuchen und für den Nutzer das Relevante herausfischen. Diese Fokussierung ist Teil der Unternehmensphilosophie: "Es ist besser, eine Sache richtig, richtig gut zu machen" statt sich auf vielen verschiedenen Feldern zu tummeln, heißt es auf Googles Webseite.
Entsprechend hatten alle bisherigen Projekte mit dem Aufspüren und Sortieren von Informationen zu tun. Der E-Mail-Service Gmail etwa googelt das Postarchiv, das Programm Google Desktop durchsucht binnen Sekunden die gesamte Festplatte von PCs. Und mit dem 3D-Kartenservice Google Earth kann der Nutzer sich beispielsweise alle Chinarestaurants auf der Upper East Side anzeigen lassen.
Masterplan oder Gemischtwarenladen?
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Seit Google angekündigt hat, weitere Aktien im Wert von über vier Milliarden Dollar an der Börse platzieren zu wollen, wird fröhlich spekuliert, ob das Dotcom einen Kurswechsel plant oder sich durch Zukäufe ein weiteres Geschäftsfeld erschließen will. Kauft Google die siechen TV-Set-Topboxen-Firma Tivo? Oder den Internet-Telefonie-Anbieter Skype? Oder ein mittelgroßes Medienunternehmen, wie Trader Classified Media?
Keine der genannten Theorien erscheint wirklich plausibel. Bisher hat Google immer wert darauf gelegt, durch selbstentwickelte Produkte zu wachsen. Wenn das Unternehmen andere Firmen aufkaufte, waren es in der Regel kleine Start-Ups mit interessanter Technologie, die Googles code monkeys dann weiterentwickelten. Schließt man einen Mega-Deal aus, ergeben sich verschiedene Szenarien, für die Zukunft:
Szenario I - Reise in die Vergangenheit
Google bietet inzwischen Suche, E-Mail, personalisierte Homepage, Instant Messaging, Bildverwaltung und Nachrichten an - dieses Rundumservice-Paket soll die Marke stärken und den Nutzer möglichst lange im Google-Universum binden. Das Konzept erinnert an jene Portal-Strategie, die Yahoo! und AOL Ende der neunziger Jahre verfolgten. Das Konzept verschlang Unmengen an Geld, der Erfolg war bescheiden. Zurzeit ist das Modell wieder en vogue. Medienmogul Rupert Murdoch kauft sich momentan ebenfalls ein Portal zusammen. Allen Weiner von der Unternehmensberatung Gartner glaubt, "dass sich Google eindeutig in diese Richtung bewegt". "Wir folgen keiner Portallogik", erklärt hingegen ein Google-Sprecher.
Szenario II - Redmond, wir kommen!
Besseres Informationsmanagement ist eine der wichtigsten Neuerungen des für 2006 angekündigten Windows-Updates Vista. Defizite gibt es reichlich: Derzeit kann Microsofts Betriebssystem Festplatten de facto nicht durchsuchen, Googles Desktop-Software findet Dateien hingegen in Sekundenschnelle. E-Mails oder Bilder zu finden ist (wenn man nicht Microsofts inzwischen erhältlichen MSN Desktop installiert) bei Windows ebenfalls ein hoffnungsloses Unterfangen. Mit Google geht beides ganz leicht. Google-Produktmanager Nikhil Bhatla sagte laut "Business Week" mit Hinblick auf die eigenen Softwareprodukte: "Wir versuchen, daraus eine Plattform zu schmieden." Einige Beobachter glauben deshalb, Google werde demnächst auch einen Internetbrowser oder eine Textverarbeitung anbieten und mittelfristig ein ernsthafter Konkurrent der Gates Firma werden.
Szenario III - Das Web ist nicht genug
DPAGoogle Earth: Stadt, Land, Fluss durchsuchen |
Google hält an seiner bisherigen Strategie fest und weitet sein Such-Universum kontinuierlich aus. Wenn Google Projekte wie TV-Suche und Produktsuche weiterverfolgt, wird sich in einigen Jahren das komplette Radio- und Fernsehprogramm ebenso googeln lassen wie Straßenzüge, Einkaufspassagen oder Bibliotheken. Gleichzeitig könnte Google seine bisher nur im Internet geschalteten, kontextbezogenen Anzeigen auch für Fernsehen, Handy oder Plakatwände anbieten.
Szenario IV - Der Informationsbutler
Bisher muss der Nutzer bei Google aktiv nach Informationen suchen, durch Eingabe von Begriffen in eine Suchmaske. In Zukunft könnte die Suchmaschine dem Nutzer für ihn relevante Informationen automatisch zukommen lassen. Die neue Software Google Desktop macht bereits vor, wie das funktioniert: Sie beobachtet, welche Webseiten der Surfer ansteuert und erstellt aus den gesammelten Informationen automatisch ein individuelles Nachrichtenangebot (siehe dazu auch die Vision des Googlezon Grids).
Das ist wohl nur der Anfang. Wenn Google auch sämtliche Kommunikationskanäle (E-Mail, Chats, Blogs, Internet-Telefonate) seiner Nutzer überwachte, ließe sich ein noch weitaus exakteres Profil erstellen. Mit den gesammelten Informationen könnte Google dann Informationsdienste und Anzeigen maßschneidern. Vor diesem Hintergrund würde der Vorstoß in die Bereiche E-Mail, Chat und Internet-Telefonie durchaus Sinn machen.
Szenario V - Google auf Schritt und Tritt
In der jüngeren Vergangenheit hat Google mehrere kleine Unternehmen gekauft, die Informationsdienste für den Mobilfunkbereich anbieten. Darunter ist beispielsweise Dodgeball. Mit der von Firmengründer Dennis Crowley entwickelten Software kann der Nutzer jederzeit feststellen, wo sich Personen aus seinem Freundeskreis gerade aufhalten. Der Service ist vor allem für Teenager gedacht. Die können sich beispielsweise per SMS informieren lassen, wenn ihr Schwarm kurz davor ist, die Kneipe zu betreten.
Das System ist ausbaufähig. Dodgeballs Service ließe sich mit Googles Freundschaftsnetzwerk Orkut verschmelzen. Denkbar wäre auch, dass der Besitzer eines Handys automatisch Informationen über fremde Menschen in seiner näheren Umgebung erhält, die einen ähnlichen Musikgeschmack oder die gleichen Hobbies haben. Eine rudimentäre Version derartiger Software hat Nokia kürzlich vorgestellt.
In Kombination mit einem automatisierten Informationsagenten (Szenario IV) wäre ein ortsbezogener Mobilfunkservice á la Google in der Lage, den Handybesitzer treffsicher auf Menschen, Dienstleistungen oder Produkte hinzuweisen, die ihn interessieren könnten. Bisher sammelt Google lediglich Informationen über Streifzüge in der virtuellen Welt. In Zukunft kämen vielleicht Daten über das Verhalten in der realen Welt hinzu.
Alles für die perfekte Suche
Welche der oben skizzierten Projekte Google tatsächlich realisiert, kann derzeit niemand sagen. Sowohl die Microsoft- als auch die Portal-Theorie erscheinen jedoch nicht völlig schlüssig. Wahrscheinlicher sind mobile, ortsbezogene Dienste - zumal Google bereits mehrere netsprechende Technologieanbieter wie Dodgeball oder Android aufgekauft hat. Unternehmensgründer Larry Page wird zudem nachgesagt, er arbeite an einem Googlefon - einem Spezialhandy, das besonders gut mit den Angeboten der Kalifornier funktioniert.
Den meisten neuen Web-Diensten dürfte eine Überlegung zugrunde liegen, die Gartner-Analyst Weiner so zusammenfasst: "Wenn eine Suchmaschine das Verhalten eines Nutzers kontinuierlich beobachtet, kann sie bessere Suchresultate liefern." Dahin scheint die Reise zu gehen. Falls Google mit dem Einverständnis seiner Kunden verstärkt Daten aller Art sammelt, um ein besseres Produkt anzubieten, ist dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Modell wird allerdings nur funktionieren, wenn Google sein Bild des freundlichen Helfers aufrecht erhalten kann und nicht in den Verdacht gerät, seine User aus Profitgier auszuspionieren. Letzteres könnte sich - siehe Microsoft - als die eigentliche Herausforderung erweisen.