SPIEGEL ONLINE - 03. April 2006, 17:09
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,409431,00.html Was die Suchmaschine plant
"In der Zukunft wird Google noch mehr über Sie wissen"
Kritiker halten den Suchkonzern Google für die größte Datenkrake der Zukunft. Vizepräsidentin Marissa Mayer nennt solche Befürchtungen "paranoid". Im Interview erklärt die Google-Managerin, wohin sich das Unternehmen künftig entwickeln soll.
Frage: Heute ist Google mit Abstand die erfolgreichste Suchmaschine weltweit. Was verschafft Ihnen diesen enormen Vorsprung?
Marissa Mayer: Ich glaube, da gibt es einige Komponenten. Ganz oben steht sicherlich die Relevanz unserer Suchergebnisse. Die Frage ist ja: Wie sind die geordnet? Ist die für meine Anfrage relevanteste Seite wirklich an erster Stelle? Nach welchen Kriterien steht eine Seite weiter oben als eine andere? Das wird bei uns ständig getestet und optimiert. Vollständigkeit oder Schnelligkeit wären weitere Faktoren. Wer im Netz etwas sucht, der will am liebsten in Echtzeit eine Antwort. Und natürlich Aktualität: Wie frisch sind die Ergebnisse? Auf all diese Dinge legen wir viel Wert.
ZUR PERSON | | Google | Marissa Ann Mayer kam am 30.05.1975 in Wausau, Wisconsin zur Welt. Nach einem Studium der Computer Sciences in Stanford verschlug es sie nach Zürich, wo sie für das UBS Research Lab tätig war. Kurz nach der Firmengründung stieß sie als erste weibliche Technikerin zu Google, wo sie inzwischen als oberste Produktmanagerin und Vize- Präsidentin hinter den Gründern Larry Page und Sergey Brin die Strippen zieht. Mayer war mitverantwortlich für Integration und Gestalt von Komponenten wie "Google News", "Gmail" und "Orkut". Marissa Mayer lebt in Mountain View, Kalifornien. |
|
Frage: Ihre Führungsposition manifestiert sich schon im Sprachgebrauch: Man sucht nicht - man googelt. Würden Sie mir zustimmen, dass sich da sogar eine neue Art des Narzissmus herausgebildet hat?
Mayer: Wie meinen Sie das?
Frage: Nun, wir alle kennen wohl inzwischen jemanden, dessen Hobby es ist, im Netz nach sich selbst zu suchen. Einen "Google-Guy".
Mayer: (lacht) Ja, dieses Krankheitsbild existiert. Wir reden in solchen Fällen allerdings nicht von Narzissten, sondern von Eitelkeits-Suchern. Daneben ist es keine Seltenheit mehr, dass Leute nach anderen Menschen aus ihrem Bekanntenkreis googeln; etwa, bevor sie mit jemandem ein Date haben.
Frage: Kommt es trotz allem vor, dass Sie persönlich zur Konkurrenz greifen?
Mayer: Nein. Höchstens zu experimentellen Zwecken. Sagen wir: Ich halte mich auf dem Laufenden, was deren Features angeht.
Frage: Aber es gibt doch durchaus Aspekte, wo Ihnen andere Suchmaschinen das Wasser abgraben. Denken Sie etwa an Teoma/Ask Jeeves, bei denen man die Ergebnisse nach inhaltlichen Kategorien einteilen kann.
Mayer: Wollen Sie meine ehrliche Meinung? Das ist interessant, aber nicht wirklich brauchbar. Teoma hilft am Ende nur Leuten, die vage Anfragen stellen, sprich: nicht genau wissen, nach was sie suchen. Etwa, wenn jemand "Jaguar" eintippt - und dann zunächst spezifizieren soll, ob er den Sportwagen oder die Raubkatze meint. Die überragende Mehrheit der Nutzer tickt aber nicht so, die will sofort eine Antwort. Ebenso gut können Sie ja einfach Ihre Anfrage zuspitzen. Bei uns sind Menschen, die wissen wonach sie suchen, den entscheidenden Schritt schneller am Ziel - nur, wer es nötig hat, grenzt in einem zweiten Schritt ein.
Frage: Sie sehen also keinen einzigen Pferdefuß oder Nachteil an Ihrem System?
Mayer: Natürlich gibt es Dinge, die noch nicht optimal laufen. Als mich Craig Silverstein damals beim Einstellungsgespräch darum bat, ihm drei Details zu nennen, die Google verbessern solle, fielen mir bloß zwei ein - ihm aber, gewissermaßen einer der Väter der Seite, Tausende! Heute geht es mir wie ihm. Vieles könnte besser sein.
Frage: Die Kritik, dass auch am Ranking-System namens "Page-Rank" selbst etwas Fragwürdiges sei, wird Ihnen sicher nicht unbekannt sein. Wie im Kapitalismus, wo Reiche automatisch noch reicher werden, schaffen es auch bei Ihnen lediglich Sites nach ganz oben, die möglichst häufig mit anderen Seiten verlinkt sind. Im schlimmsten Falle hieße das: Quantität vor Qualität. Da droht die Gefahr einer Monokultur.
GEFUNDEN IN ...Galore Das Interview- Magazin Heft 17 - April 2006
|
|
Mayer: Ich weiß sehr wohl, dass es diese Sicht der Dinge gibt. Aber es ist eben nicht nur die schiere Anzahl der Links, die die Musik macht, sondern nicht zuletzt der Umstand, wer verlinkt. Der springende Punkt ist: Wie wichtig ist die Seite, die auf eine andere verweist? Natürlich besteht die Gefahr, dass "Page-Rank" zu einem geschlossenen System mutiert, das neuen Inhalten die kalte Schulter zeigt. Interessanterweise jedoch wird diese Furcht nicht von unseren Beobachtungen gestützt. Nehmen Sie den momentanen Blog-Trend: Auch da muss man sich ja erst ein gewisses Standing erarbeiten, bevor man von anderen Bloggern ernst genommen und empfohlen wird. Alles andere wäre schlicht illusorisch und verzerrte die Realitäten. Und zweitens fällt mir keine Szene ein, die sich rasender gegenseitig verlinkt; die gleichen ihr Manko von selbst aus. Es wird sicher nie möglich sein, binnen eines Tages von null auf die Spitzenposition zu sprinten - aber das ist ja auch gut so.
Frage: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, "Page-Rank" erleichtere schwarzen Schafen die Manipulation, indem sie sich über Dummy-Sites zigmal selbst verlinken?
Mayer: (schnauft) Glauben Sie mir: Wir verwenden einen großen Teil unserer Ressourcen darauf, diese Art von Spam einzudämmen. Doch speziell gegen "Google-Bombing" ist nun einmal kein Kraut gewachsen. Natürlich untersucht unser Algorithmus, ob all diese Links von derselben oder verwandten Seiten ausgehen. Da derlei Aktionen aber unglaublich schnell per Mail kommuniziert werden und dann von überallher, aus jeder Ecke der Welt, verlinkt wird, haben wir wenig in der Hand. Es lässt sich enorm schwer differenzieren zwischen einem Akt der Manipulation und einem relevanten Ergebnis; etwa, wenn eine Firma ein neues Produkt mit einem Fantasie-Namen einführt. Aber das trifft beileibe nicht nur uns.
Frage: Mit all den neuen Diensten und Features, die Sie über die letzten Jahre eingeführt haben, hat sich Google mehr und mehr zu einem echten Web-Allrounder gemausert. Welchen Stellenwert nimmt da überhaupt noch Ihr Kerngeschäft ein?
<!-- Vignette StoryServer 5.0 Mon Apr 03 11:23:21 2006 -->| DAS GOOGLE-VERSUMSeit die Stanford- Studenten Sergey Brin und Larry Page im September 1998 Google aus der Taufe hoben, hat sich die zunächst reine Suchmaschine nicht nur explosionsartig vergrößert, sondern auch stets neuen Aufgabenfeldern gewidmet. Dazu gehören neben speziellen Suchdiensten wie "Froogle" (Preisvergleiche), "Google Maps/Google Local", "Google News", "Google Groups" (Diskussionsforen) und der Volltextsuche "Google Print" längst ein eigener Mail- Dienst ("GMail"), Internet- Telefonie ("Google Talk"), Communities wie das Web- Tagebuch "Blogger.com", die Kontaktbörse "Orkut" oder der im Aufbau befindliche Kleinanzeigenmarkt "Google Base" und diverse Software (z.B. "Google Desktop", Google Earth" und die Gratis- Bildbearbeitung "Picasa"). Zur Zeit beschäftigt Google weltweit knapp 5000 Mitarbeiter und verzeichnete allein im dritten Quartal 2005 einen Umsatz von 1,57 Milliarden Dollar, der nahezu ausschließlich über Werbung generiert wurde – Tendenz weiter steigend. |
|
Mayer: Einen zentralen, sowohl was unsere Forschung als auch den Umsatz anbelangt. Unsere Strategie ist das, was wir intern "70/20/10" nennen. Das heißt: 70 Prozent unserer Energien fließen zurück in die Bereiche Suchmaschine und Anzeigengeschäft, 20 in verwandte Gebiete - und nur zehn Prozent unserer Zeit investieren wir in wilde Ideen und abgedrehte Konzepte.
Frage: Können Sie mir ein Beispiel für solch eine tatsächlich realisierte wilde Idee geben?
Mayer: Das bekannteste wäre sicher 'Orkut', unsere Kontaktbörse. Wissen Sie, man hört momentan viele Sachen über uns, wo wir überall unsere Finger im Spiel hätten - von "Picasa" und "Google Base" über "Google Print" und "Google Earth" bis hin zu "GMail". Aber das sind die weit entfernten Satelliten, nicht das Zentrum unserer Welt. Ich will es mal so formulieren: Es besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen externer Wahrnehmung und interner Realität. Darüber, dass unser Ranking-System beständig besser wird, schreibt keiner!
Frage: Können Sie wenigstens nachvollziehen, dass den Leuten dieser universelle Anspruch Ihrer Firma zunehmend unheimlich wird? Nicht zuletzt, da bei Ihnen eine ganze Menge privater Daten zusammenlaufen.
Mayer: Aber das lässt sich doch gar nicht verhindern in einer Welt, in der sich das Leben der Menschen mehr und mehr online vollzieht! Natürlich wächst damit auch das Bedürfnis nach Privatheit im Netz. Seien Sie versichert: Wir legen eine Menge Augenmerk auf diese Dinge, wir haben strikte Vorgaben, welche Daten unserer User wir nutzen und welche Tabu sind - und wir halten uns auch daran. Wir versuchen in diesem Punkt so transparent zu sein wie irgend möglich. Am Ende bleibt es jedem Einzelnen überlassen, ob es ihm unsere Angebote wert sind, ein Stück seiner Privatsphäre abzugeben. Ich persönlich zum Beispiel habe 'Google Desktop Search' auf meinem Computer installiert - auch wenn das bedeutet, dass ein Google-Programm theoretisch Zugriff auf alle meine Files hat und weiß, wann ich wie lange auf welcher Seite war. Einfach weil es mein Leben so viel angenehmer macht. Man sollte da nicht paranoid werden.
Frage: Meinen Sie wirklich, dass normale User sich all dessen bewusst sind?
Mayer: Das denke ich schon, ja. Die meisten haben sich den enormen Gegenwert durchaus verdeutlicht, bevor sie sich zur Installation entschließen. Und ich halte es zudem für völlig falsch, dem Nutzer als erstes seine eigene Unmündigkeit zu unterstellen.
Frage: Lassen Sie uns abschließend noch über ein paar Ihrer Satelliten, wie Sie sie vorhin nannten, sprechen. Erinnern Sie sich daran, wie die Idee zu "Google Earth" entstand?
Mayer: Das war weniger unser eigenes Baby, wenn man ehrlich ist. Wir bekamen diese unglaubliche Applikation von Keyhole in die Hände und wussten, dass wir das machen mussten - einfach weil es uns selbst so eine Menge Spaß bereitete.
Frage: Stimmt es, dass sich diverse Regierungen um ihre nationale Sicherheit gesorgt haben, als "Google Earth" an den Start ging?
Mayer: Davon habe ich nichts gehört. Es wäre auch absolut unverständlich, da die verwendeten Satellitenaufnahmen frei verfügbar sind. Der Widerhall war immens, aber eher im positiven Sinne.
Frage: Ein weiteres gigantisches Projekt ist "Google Books": die Digitalisierung von in Buchform vorliegendem Wissen. Mit diesem Vorhaben steht Google zwar nicht alleine da, doch Ihr Versuch ist der ambitionierteste: Sie planen, bis 2015 15 Millionen Werke im Volltext einzuscannen.
Mayer: Die Idee lag einfach nahe. Denken Sie daran, wie Webpages in aller Regel erstellt werden; das ist ein eher oberflächliches, auf Aktualität bedachtes Prozedere. Ein Buch dagegen wuchert mit dem Pfund der gedanklichen Tiefe. Wenn Google sich auf die Fahne geschrieben hat, Wissen auffindbar und für Jedermann nutzbar zu machen, dann gehört die Welt der Bücher zwingend dazu. Denn: Je besser der Inhalt, desto besser die Resultate - und an denen werden wir am Ende des Tages gemessen. Alles fing damit an, dass Larry Page und ich uns hinsetzten und die Zeit stoppten, die man zum Einlesen einer Seite benötigt. Ich blätterte zum Takt eines Metronoms um, er bediente den Scanner. (lacht)
Frage: Und?
Mayer: Wir schafften das 300-Seiten-Buch in etwas über 35 Minuten. Das größte Problem ist die Wölbung. Man will und darf die Originale nicht beschädigen. Es geht ja gerade um Respekt diesem Wissen gegenüber.
Frage: Ein gutes Stichwort: Sie hatten zuletzt mit Copyright-Querelen zu kämpfen. Sind die mittlerweile behoben?
Mayer: Es gab da gewisse Probleme, stimmt. Aber auch hier plädiere ich dafür, den langfristigen Nutzen nicht kurzfristig aufkeimendem Dünkel zu opfern. Google hatte nie im Sinn, Inhalte zu erwerben oder zu besitzen, und das liegt uns auch weiterhin fern. Es wird eine Lösung geben, die auch die Rechteeigner zufrieden stellt, mehr kann ich Ihnen nicht sagen.
Frage: Können Sie verstehen, dass sich speziell die Europäer übervorteilt wähnen? In Frankreich sprechen einige gar von einem Kulturkrieg.
Mayer: Um ehrlich zu sein: Ich halte diese Ängste für unangemessen und völlig übertrieben. Anscheinend haben wir es versäumt, den Menschen den enormen kulturellen Nutzen verständlich zu machen. Zuallererst ist 'Google Books' ein Akt der Konservierung. (überlegt) Als Kind stolperte ich im Keller meiner Großeltern über ein Bücherregal. Ich fand das Grammatik-Buch meines Ur-Großvaters aus dem fünften Schuljahr, verlegt im Jahre 1896. Und plötzlich fragte ich mich: Was ist wohl mit dem aus dem vierten Schuljahr geschehen? Oder jenem aus dem sechsten? Wo sind die Mathematik-Lehrbücher? Wie viele dieser Bücher existieren heute noch - und wie viele wurden weggeworfen oder zerstört? Wir arbeiten daran, diese Universen des Wissens zu retten.
Frage: Was ich spannend finde, ist, dass ein solches Projekt die Grenze zwischen dem Medium Buch und dem Internet quasi auflöst, statt beide als Kontrahenten gegeneinander auszuspielen.
Mayer: Ja, Sie haben Recht. Das Druckwesen wird nicht verschwinden - doch alleine bringt es die Menschheit eben auch nicht mehr weiter. Was Bücher ohne Frage eingebüßt haben, ist ihr unangefochtener Status als Informationsquelle. Wer ein bestimmtes Zitat für seine Hausarbeit sucht, nutzt heute nicht ohne Grund das Internet. Gleichwohl bezweifle ich, dass auch nur einer von uns in 20 Jahren mit einem PDA in der Hand am Strand sitzen und einen Roman lesen wird. Machen wir uns nichts vor: Ein Buch ist einfach sinnlicher.
Frage: Was werden Ihre nächsten Schritte sein?
Mayer: Zum einen werden wir unser Engagement in Europa ausbauen, da es mittlerweile unser am schnellsten wachsender Markt ist. Wir werden uns noch stärker lokalen Bedürfnissen öffnen und anpassen. Besondere Interfaces online stellen, die auch Minderheiten wie Bosnier, Friesen, Laoten oder Uighuren bedienen. Hier in der Schweiz gibt es Google inzwischen sogar auf rätoromanisch, und selbst Esperanto haben wir im Programm. Momentan sind wir bei 120 Sprachen. Mehr Vielfalt bietet bloß noch die Bibel. (lacht) Auf der anderen Seite wird Google in der Zukunft noch mehr über Sie wissen: wo Sie sich gerade befinden, was Sie mögen.
Frage: Womit wir am Ende wieder bei der Frage wären, ob ich das als Nutzer überhaupt will.
Mayer: Vielleicht, aber das ist ein Grundkonflikt. Eine Suchmaschine kann immer nur so gut sein, wie sie den Nutzer versteht, mit dem sie es zu tun hat. Daran führt kein Weg vorbei.
Das Interview führte Patrick Großmann.