Viele Laien bezeichnen die Börse immer als Thermometer der Wirtschaft. Was sie aber nicht ist", stellte Börsenaltmeister André Kostolany in seinen Lebenserinnerungen fest. Die Frage ist, ob das auch für das Aufregerthema Leitzinserhöhung gilt. Immerhin reichte schon die Nennung des Worts in den vergangenen zwei Monaten, um den DAX immer mal wieder für einige Tage in die Verlustzone zu schicken. Es scheint der Börse in Wirklichkeit also nicht egal zu sein, wenn die Bedingungen zur Geldbeschaffung für Unternehmen und Verbraucher in Zukunft frostiger werden. Und immerhin sagt eine Börsianerweisheit, die noch älter ist als Kostolany heute wäre, daß steigende Zinsen Gift für die Börse sind.
Eine Dosis Gift steht den Märkten bevor, wenn es nach Jean-Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), geht. Trichet hatte am vorletzten Freitag auf einem Bankenkongreß in Frankfurt verkündet: "Nach zweieinhalb Jahren mit historisch niedrigen ! Zinsen denke ich, daß der Rat bereit ist, die Entscheidung zu treffen, die Zinsen zu ändern und das gegenwärtige Zinsniveau leicht anzuheben." Seit Sommer 2003 steht der Zins, zu dem sich die Banken Geld leihen und der somit alle Kreditgeschäfte teuer oder billig macht, bei 2,0 Prozent. Volkswirte gehen davon aus, daß der EZB-Rat bei seiner Sitzung am Donnerstag den Leitzins auf 2,25 Prozent anheben wird. Es wäre die erste Zinserhöhung seit Oktober 2000. Weitere Anhebungen wurden vorerst nicht ausgeschlossen, Anfang vergangener Woche wurden sie dann aber von Trichet selbst wieder ins vorläufige Abseits gestellt. "Es ist keine gute Arbeitshypothese, anzunehmen, daß wir am Anfang einer Serie von Zinserhöhungen stehen", sagte Trichet am Montag in Brüssel vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuß des EU-Parlaments. Das Hin und Her stieß an den Märkten nicht gerade auf Begeisterung. Immerhin scheint sicher zu sein, daß es am Donnerstag zur ersten Zinserhöhung in Euro-Land seit fünf Jahren kommt. Müssen Aktionäre sich also auf frostige Zeiten gefaß t machen? Oder hat Kostolany recht damit, daß die Börsen ein Eigenleben führen? "Zinserhöhungen machen festverzinsliche Anlagen attraktiver und dämpfen andererseits grund-sätzlich die Konjunktur, weil sie beispielsweise Investitionskredite verteuern. Aber so simpel, daß man daraus auf einen negativen Einfluß auf die Börsen schließen kann, sind die Zusammenhänge nicht", sagt Volker Kleff, Finanzmarktexperte beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Steigende Aktienkurse sind für die meisten Analysten derzeit sogar das wahrscheinlichere Szenario für die nächsten Monate. Der Finanzmarktreport des ZEW weist aus, daß über 70 Prozent der befragten Experten für den deutschen Aktienmarkt positive Ertwartungen haben. Einen höheren Wert an Positiverwartungen hat es zuletzt im Juli 2004 gegeben. Mitentscheidend für die gute Laune: Der Ölpreis war zuletzt auf dem Rückzug, die Aussichten für die Weltkonjunktur haben sich aufgehellt. Davon profitieren Deutsch! lands Exporttitel ganz besonders. Aktienexperte Stefan Rausch von Helaba Trust weist darauf hin, daß die Gewinnaussichten der europäischen Unternehmen weiterhin gut sind. Die Experten empfehlen allerdings eine stärkere Konzentration auf wachstumsstarke Titel. "Die Fokussierung der Anleger auf Dividendentitel dürfte etwas nachlassen, ausgewählte Wachstumswerte aus der Blue-Chip-Liga werden wieder stärker in den Vordergrund rücken." Mit dieser Meinung steht Rausch nicht allein da. Auch Europas Fondsmanager sind wieder auf Growth, also wachstumsstarke Titel eingestellt (siehe S. 18). Die Zinsdebatte? Rausch: "Wachstumstitel werden die Kostenbelastung bei den derzeit sich abzeichnenden geringen Zinserhöhungen gut wegstecken." Der Helaba-Experte weist zudem darauf hin, daß die Vergangenheit gezeigt habe, daß Aktien insbesondere im Frühstadium von Zinserhöhungszyklen gut laufen. Und nicht nur im Frühstadium. In den vergangenen 20 Jahren hat eine Verschärfung der Zinspolitik durch! Bundesbank oder EZB in keinem Fall in der Folgezeit die Aktienmärkte auf Talfahrt geschickt. In der Regel legte der DAX nach dem Beginn einer Phase von Zinserhöhungen in den folgenden 18 Monaten zweistellig zu. "Das Argument vom negativen Einfluß der Zinserhöhung auf die Aktienmärkte galt auch früher höchstens jeweils für eine kurze Frist", sagt ZEW-Experte Kleff. Gemeint sind dramatische geldpolitische Vollbremsungen durch Zinserhöhungen von bis zu fünf Prozent innerhalb kürzester Zeit bei zweistelligen Inflationsraten. Binnen Monaten lassen sich so Konsum und Investitionen abwürgen. Die Gewinne der Unternehmen brechen ein. Das war das letzte Mal in den 70er Jahren der Fall. Damals kam es zu den berüchtigten Zweitrundeneffekten nach dem Ölpreisschock, als Löhne und Preise mit Jahresraten von zwölf bis 14 Prozent stiegen. Doch von diesem Szenario sind Europas Volkswirtschaften trotz drastisch gestiegener Rohstoffpreise heute weit entfernt.
Zinswenden treiben Kurse sogar. Das belegen die vergangenen Jahre, und das gilt jedenfalls für den Fa! ll, wenn sie nicht einen sehr spät kommenden Noteingriff der Zentralbank bei akuter Überhitzung der Konjunktur darstellen. Den Zusammenhang erläutert ZEW-Experte Kleff: Rechtzeitige kluge Zinssteigerungen könnten die Realgewinne der Unternehmen absichern. "Moderate Zinserhöhungen in einem robusten Wachstum sind gar kein schlechtes Zeichen. Die Zentralbank muß es schaffen, Investitionen vor künftiger inflationärer Entwertung zu schützen, ohne durch allzu straffe Geldpolitik das Wachstum zu gefährden. Auf dieses Signal kommt es an." Wenn das gelingt, seien steigende Kurse am Aktienmarkt schon fast die logische Folge einer Zinserhöhung. Etwaige dämpfende Wirkungen der Verteuerung von Investitionskrediten und Verbraucherkrediten beispielweise würden letzten Endes überkompensiert durch die Sicherheit und Stabilität der Entwicklung.
Doch wieviel Zinserhöhung darf es sein? Zwar sind die Gewinnaussichten der meisten europäischen Unternehmen exzellent, von einem robusten Wachstum! in Euro-Land kann aber eigentlich keine Rede sein. In diesem Umfeld k önnte selbst eine geringe Zinserhöhung vielleicht doch eine Gefährdung der Unternehmensgewinne bringen, weil sie den hauchzarten Konjunkturaufschwung frühzeitig belastet. Tatsächlich sind viele Volkswirte der Meinung, daß die EZB sich etwas vergaloppiert hat. Jürgen Pfister, Chef-Volkswirt der Bayern LB: "Bis zum Sommer war die Linie der EZB klar. Man wollte robustes Wachstum im Euro-Raum sehen, erst dann werde die Tiefzinspolitik aufgegeben. Davon ist die Bank abgerückt unter dem Eindruck der Teuerungsraten in Euro-Land im Herbst. Von denen wir aber alle wissen, daß sie auf dem hohen Ölpreis beruhen." Vielleicht haben sich die Banker um Trichet auch von den guten konjunkturellen Signalen aus dem dritten Quartal täuschen lassen, vermutet Pfister. "Aber niemand schreibt dieses Wachstum fort." Pfisters Urteil: Leitzinserhöhung – das hätte jetzt nicht sein müssen. Ein Zinsschritt im Frühjahr hätte gereicht. Hinzu kommt, daß die Gefahr für Preissteigerungen auf den Märkten überraschend schnell abgeflaut ist. Die Kerninflationsrate (ohne Energie und Nahrungsmittel) liegt deutlich unter zwei Prozent, in einigen europäischen Regionen unter einem Prozent. Die Konjunkturdaten vom vergangenen Donnerstag haben die Argumente der Kritiker noch einmal unterstützt. Die Eintrübung des Ifo-Geschäftsklima-Index in Deutschland und der deutliche Rückgang der Verbraucherpreise hierzulande lassen das Inflationsargument wenig überzeugend erscheinen. Der Geschäftsklima-Index fiel im November um einen auf 97,8 Punkte. Zuvor hatte sich das Klima zweimal in Folge verbessert. Gleichzeitig wiesen Hessen und Nordrhein-Westfalen für den November gegenüber dem Vormonat sogar einen Rückgang der Verbraucherpreise um 0,5 Prozent aus. Inflation sieht anders aus. Dies dürfte für ganz Deutschland und für einen Großteil der Euro-Zone gelten. Weitere schwache Konjunkturzahlen meldete Italien, wo für September ein Minus der Einzelhandelsumsätze gemeldet wurde. Am Mittwoch hatte bere! its der belgische Geschäftsklima-Index, der als Indikator für die gesa mte europäische Konjunktur gilt, eine Stimmungsverschlechertung angezeigt.
Handelt die EZB kontraproduktiv weil die Zinswende jetzt gar nicht in das schwache konjunkturelle Umfeld paßt? Das letzte Argument der Zentralbanker: Die billigen Kredite hätten zu einer stark steigenden Geldmenge geführt, die sich in einzelnen Ländern in stark gestiegenen Immobilienpreisen niedergeschlagen habe. Von dieser Preisblase gehe eine potentielle Inflationsgefahr, am Ende dann Rezessionsgefahr aus. Dann würden auch die Börsen crashen. Gemeint sind etwa Spanien oder Irland, wo die Hauspreise jährlich zweistellige Wachstumsraten aufweisen. Johann Graf Lambsdorff, Professor für volkswirtschaftliche Theorie an der Universität Passau, hält dieses Argument derzeit nicht für stichhaltig. "Es ist aktuell nicht zu sehen, wie von einzelnen Immobilienmärkten Impulse in Lohn-Preis-Spiralen für die gesamte Wirtschaft ausgehen könnten. Auch auf einen Zusammenbruch der Märkte deutet nichts hin. Langfristig sind Geldmenge und Vermögensblasen wichtige Themen, aber kurzfristig rechtfertigen sie die Zinserhöhung nicht."
Und Trichet rudert schon zurück. Darauf lassen zumindest seine Äußerungen der vergangenen Woche schließen. Die Zinswende wird nicht auf amerikanische Höhen von vier Prozent führen. Pfister: "Bei 2,5 bis 2,75 Prozent wird Schluß sein, wenn unser Bild für die europäische Konjunktur eintrifft. Sie können ja nicht schon bei dem einen Schritt von 0,25 Prozent stehen bleiben. Das wäre fast albern." Pfister geht davon aus, daß das Wachstum unter zwei Prozent bleibt. Bei den Preisen sei der Buckel aus der Energieverteuerung überwunden. Zweitrundeneffekte sind nicht in Sicht. Lohnrunden werden erst 2007 wegen der Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland Inflationspotential mit sich bringen. Für Anleiheanleger dürften sich aus der moderaten Zinswende und der Absage an eine Reihe von Zinsschritten damit auch keine überraschenden Risiken mehr ableiten lassen. Christian Reicherte, Anleiheexperte der DZ Bank, erklärt: "Wir schätzen, daß die E ZB die Gelegenheit genutzt hat, den Realzins in Euro-Land ein bißchen über null zu heben. Zumal die Kreditnachfrage der letzten Monate echte Investitionsnachfrage war. Mehr Anhebung gibt die schwache Konjunktur aber nicht her." Die Schölerbank riet sogar, die aktuellen Übertreibungen auf dem Geld- und Rentenmarkt zu nutzen, um mittel- bis langfristige Anleihen zu kaufen. Innerhalb der Profi-Handelsstatistik Commitment of Traders sind die harten Jungs von den Hedgefonds schon wieder auf der Käuferseite bei Anleihen. Auch in den USA werden Zinserhöhungen und Inflationserwartungen nach den jüngsten Konjunkturdaten offenbar anders gesehen als noch vor wenigen Wochen. Die jetzt veröffentlichten Protokolle der November-Sitzung der US-Notenbank hatten Spekulationen angeheizt, nach denen in den USA die im vorigen Jahr begonnene Serie von Zinserhöhungen 2006 zu Ende gehen könnte. Die Gerüchte reichten, um den DAX am Mittwoch auf das höchste Niveau seit April 2002 zu heben. Deutsche Börsianer kann die EZB vor diesem Hintergrund offenbar schon gar nicht mehr schrecken. Frank Schallenberger, Aktienmarktstratege der Landesbank Baden-Württemberg: "Die Konjunktur rechtfertigt den Zinschritt nicht. Andererseits: Ob die Zinsen bei zwei oder drei Prozent stehen, kann für ein Investment nicht so entscheidend sein. Unsere Prognose sind maximal vier kleine Schritte bis Ende 2006 bis maximal drei Prozent." Schallenberger ist sich sicher, daß der Aktienmarkt damit sehr gut leben kann. "Das Inflationsthema kann man wohl bald ad acta legen. Worauf es dann ankommt, sind die Gewinnsteigerungen der Unternehmen. In diesem Geschäftsjahr werden wir im DAX 15 Prozent durchschnittlichen Gewinnanstieg verzeichnen. Für 2006 prognostizieren wir die gleiche Größenordnung. Die Dividenden für das Geschäftsjahr 2005 werden um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen." Schallenbergers Zielmarke für den DAX im kommenden Jahr sind 5800 Punkte zum Jahresschluß "mit einem vorübergehenden! Test der 6000-Punkte-Marke". Sein Fazit zur EZB-Politik: "Es riecht e in wenig nach Aktionismus."Mit den 6000 Punkten sind die meisten anderen Aktienstrategen noch etwas vorsichtig. Helaba-Trust-Mann Stefan Rausch erwartet, daß eine schwache Konjunkturentwicklung in Euro-Land in der zweiten Hälfte des Jahres 2006 allen Zinserhöhungsspekulationen endgültig den Wind aus den Segeln nimmt, daß aber auch gleichzeitig die Aktienkurse leiden werden: "Zur Jahresmitte erwarten wir den DAX bei 5500 Punkten." Bis Jahresschluß könnten wieder die 5100 Punkte erreicht sein. Rausch rät Anlegern, bei der Branchenselektion auf innovative Pharma- und Technologietitel zu setzen. Als Beispiel für aussichtsreiche Aktien nennt er Stada und die französische Alcatel.
Und was ist mit den Small Caps? Was bedeutet die Zinsdiskussion für die Small und Mid Caps, die in diesem Jahr besonders gut gelaufen sind? Henner Rüschmeier, Aktienanalyst und Experte für Nebenwerte bei SES Research in Hamburg, meint: "Beim derzeitigen Stand der Dinge wenig bis nichts. Die meisten di! eser Unternehmen sind stark in ihrer Nische. Die Bewertung hängt daher weniger von großen konjunkturellen Faktoren wie etwa Zinsentscheidungen ab. Aber natürlich wären sie von starken Bewegungen der gesamtem Volkswirtschaft auch betroffen." ZEW-Experte Kleff hat noch ein weiteres Argument parat, warum die EZB-Diskussion den Aktienmarkt derzeit kaum stoppen kann: Die kräftigen Gewinnanstiege haben das KGV der Aktien trotz Kursteigerungen niedrig gehalten. Die Attraktivität der Titel gegenüber Anleihen bleibe somit auch bei einer kurzen Reihe von Zinssteigerungen ungeschmälert. Börsenguru Kostolany kann sich bestätigt fühlen: Die Temperatur an den Börsen ist angenehmer als sonstwo in der Wirtschaft.
Eine Dosis Gift steht den Märkten bevor, wenn es nach Jean-Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), geht. Trichet hatte am vorletzten Freitag auf einem Bankenkongreß in Frankfurt verkündet: "Nach zweieinhalb Jahren mit historisch niedrigen ! Zinsen denke ich, daß der Rat bereit ist, die Entscheidung zu treffen, die Zinsen zu ändern und das gegenwärtige Zinsniveau leicht anzuheben." Seit Sommer 2003 steht der Zins, zu dem sich die Banken Geld leihen und der somit alle Kreditgeschäfte teuer oder billig macht, bei 2,0 Prozent. Volkswirte gehen davon aus, daß der EZB-Rat bei seiner Sitzung am Donnerstag den Leitzins auf 2,25 Prozent anheben wird. Es wäre die erste Zinserhöhung seit Oktober 2000. Weitere Anhebungen wurden vorerst nicht ausgeschlossen, Anfang vergangener Woche wurden sie dann aber von Trichet selbst wieder ins vorläufige Abseits gestellt. "Es ist keine gute Arbeitshypothese, anzunehmen, daß wir am Anfang einer Serie von Zinserhöhungen stehen", sagte Trichet am Montag in Brüssel vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuß des EU-Parlaments. Das Hin und Her stieß an den Märkten nicht gerade auf Begeisterung. Immerhin scheint sicher zu sein, daß es am Donnerstag zur ersten Zinserhöhung in Euro-Land seit fünf Jahren kommt. Müssen Aktionäre sich also auf frostige Zeiten gefaß t machen? Oder hat Kostolany recht damit, daß die Börsen ein Eigenleben führen? "Zinserhöhungen machen festverzinsliche Anlagen attraktiver und dämpfen andererseits grund-sätzlich die Konjunktur, weil sie beispielsweise Investitionskredite verteuern. Aber so simpel, daß man daraus auf einen negativen Einfluß auf die Börsen schließen kann, sind die Zusammenhänge nicht", sagt Volker Kleff, Finanzmarktexperte beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Steigende Aktienkurse sind für die meisten Analysten derzeit sogar das wahrscheinlichere Szenario für die nächsten Monate. Der Finanzmarktreport des ZEW weist aus, daß über 70 Prozent der befragten Experten für den deutschen Aktienmarkt positive Ertwartungen haben. Einen höheren Wert an Positiverwartungen hat es zuletzt im Juli 2004 gegeben. Mitentscheidend für die gute Laune: Der Ölpreis war zuletzt auf dem Rückzug, die Aussichten für die Weltkonjunktur haben sich aufgehellt. Davon profitieren Deutsch! lands Exporttitel ganz besonders. Aktienexperte Stefan Rausch von Helaba Trust weist darauf hin, daß die Gewinnaussichten der europäischen Unternehmen weiterhin gut sind. Die Experten empfehlen allerdings eine stärkere Konzentration auf wachstumsstarke Titel. "Die Fokussierung der Anleger auf Dividendentitel dürfte etwas nachlassen, ausgewählte Wachstumswerte aus der Blue-Chip-Liga werden wieder stärker in den Vordergrund rücken." Mit dieser Meinung steht Rausch nicht allein da. Auch Europas Fondsmanager sind wieder auf Growth, also wachstumsstarke Titel eingestellt (siehe S. 18). Die Zinsdebatte? Rausch: "Wachstumstitel werden die Kostenbelastung bei den derzeit sich abzeichnenden geringen Zinserhöhungen gut wegstecken." Der Helaba-Experte weist zudem darauf hin, daß die Vergangenheit gezeigt habe, daß Aktien insbesondere im Frühstadium von Zinserhöhungszyklen gut laufen. Und nicht nur im Frühstadium. In den vergangenen 20 Jahren hat eine Verschärfung der Zinspolitik durch! Bundesbank oder EZB in keinem Fall in der Folgezeit die Aktienmärkte auf Talfahrt geschickt. In der Regel legte der DAX nach dem Beginn einer Phase von Zinserhöhungen in den folgenden 18 Monaten zweistellig zu. "Das Argument vom negativen Einfluß der Zinserhöhung auf die Aktienmärkte galt auch früher höchstens jeweils für eine kurze Frist", sagt ZEW-Experte Kleff. Gemeint sind dramatische geldpolitische Vollbremsungen durch Zinserhöhungen von bis zu fünf Prozent innerhalb kürzester Zeit bei zweistelligen Inflationsraten. Binnen Monaten lassen sich so Konsum und Investitionen abwürgen. Die Gewinne der Unternehmen brechen ein. Das war das letzte Mal in den 70er Jahren der Fall. Damals kam es zu den berüchtigten Zweitrundeneffekten nach dem Ölpreisschock, als Löhne und Preise mit Jahresraten von zwölf bis 14 Prozent stiegen. Doch von diesem Szenario sind Europas Volkswirtschaften trotz drastisch gestiegener Rohstoffpreise heute weit entfernt.
Zinswenden treiben Kurse sogar. Das belegen die vergangenen Jahre, und das gilt jedenfalls für den Fa! ll, wenn sie nicht einen sehr spät kommenden Noteingriff der Zentralbank bei akuter Überhitzung der Konjunktur darstellen. Den Zusammenhang erläutert ZEW-Experte Kleff: Rechtzeitige kluge Zinssteigerungen könnten die Realgewinne der Unternehmen absichern. "Moderate Zinserhöhungen in einem robusten Wachstum sind gar kein schlechtes Zeichen. Die Zentralbank muß es schaffen, Investitionen vor künftiger inflationärer Entwertung zu schützen, ohne durch allzu straffe Geldpolitik das Wachstum zu gefährden. Auf dieses Signal kommt es an." Wenn das gelingt, seien steigende Kurse am Aktienmarkt schon fast die logische Folge einer Zinserhöhung. Etwaige dämpfende Wirkungen der Verteuerung von Investitionskrediten und Verbraucherkrediten beispielweise würden letzten Endes überkompensiert durch die Sicherheit und Stabilität der Entwicklung.
Doch wieviel Zinserhöhung darf es sein? Zwar sind die Gewinnaussichten der meisten europäischen Unternehmen exzellent, von einem robusten Wachstum! in Euro-Land kann aber eigentlich keine Rede sein. In diesem Umfeld k önnte selbst eine geringe Zinserhöhung vielleicht doch eine Gefährdung der Unternehmensgewinne bringen, weil sie den hauchzarten Konjunkturaufschwung frühzeitig belastet. Tatsächlich sind viele Volkswirte der Meinung, daß die EZB sich etwas vergaloppiert hat. Jürgen Pfister, Chef-Volkswirt der Bayern LB: "Bis zum Sommer war die Linie der EZB klar. Man wollte robustes Wachstum im Euro-Raum sehen, erst dann werde die Tiefzinspolitik aufgegeben. Davon ist die Bank abgerückt unter dem Eindruck der Teuerungsraten in Euro-Land im Herbst. Von denen wir aber alle wissen, daß sie auf dem hohen Ölpreis beruhen." Vielleicht haben sich die Banker um Trichet auch von den guten konjunkturellen Signalen aus dem dritten Quartal täuschen lassen, vermutet Pfister. "Aber niemand schreibt dieses Wachstum fort." Pfisters Urteil: Leitzinserhöhung – das hätte jetzt nicht sein müssen. Ein Zinsschritt im Frühjahr hätte gereicht. Hinzu kommt, daß die Gefahr für Preissteigerungen auf den Märkten überraschend schnell abgeflaut ist. Die Kerninflationsrate (ohne Energie und Nahrungsmittel) liegt deutlich unter zwei Prozent, in einigen europäischen Regionen unter einem Prozent. Die Konjunkturdaten vom vergangenen Donnerstag haben die Argumente der Kritiker noch einmal unterstützt. Die Eintrübung des Ifo-Geschäftsklima-Index in Deutschland und der deutliche Rückgang der Verbraucherpreise hierzulande lassen das Inflationsargument wenig überzeugend erscheinen. Der Geschäftsklima-Index fiel im November um einen auf 97,8 Punkte. Zuvor hatte sich das Klima zweimal in Folge verbessert. Gleichzeitig wiesen Hessen und Nordrhein-Westfalen für den November gegenüber dem Vormonat sogar einen Rückgang der Verbraucherpreise um 0,5 Prozent aus. Inflation sieht anders aus. Dies dürfte für ganz Deutschland und für einen Großteil der Euro-Zone gelten. Weitere schwache Konjunkturzahlen meldete Italien, wo für September ein Minus der Einzelhandelsumsätze gemeldet wurde. Am Mittwoch hatte bere! its der belgische Geschäftsklima-Index, der als Indikator für die gesa mte europäische Konjunktur gilt, eine Stimmungsverschlechertung angezeigt.
Handelt die EZB kontraproduktiv weil die Zinswende jetzt gar nicht in das schwache konjunkturelle Umfeld paßt? Das letzte Argument der Zentralbanker: Die billigen Kredite hätten zu einer stark steigenden Geldmenge geführt, die sich in einzelnen Ländern in stark gestiegenen Immobilienpreisen niedergeschlagen habe. Von dieser Preisblase gehe eine potentielle Inflationsgefahr, am Ende dann Rezessionsgefahr aus. Dann würden auch die Börsen crashen. Gemeint sind etwa Spanien oder Irland, wo die Hauspreise jährlich zweistellige Wachstumsraten aufweisen. Johann Graf Lambsdorff, Professor für volkswirtschaftliche Theorie an der Universität Passau, hält dieses Argument derzeit nicht für stichhaltig. "Es ist aktuell nicht zu sehen, wie von einzelnen Immobilienmärkten Impulse in Lohn-Preis-Spiralen für die gesamte Wirtschaft ausgehen könnten. Auch auf einen Zusammenbruch der Märkte deutet nichts hin. Langfristig sind Geldmenge und Vermögensblasen wichtige Themen, aber kurzfristig rechtfertigen sie die Zinserhöhung nicht."
Und Trichet rudert schon zurück. Darauf lassen zumindest seine Äußerungen der vergangenen Woche schließen. Die Zinswende wird nicht auf amerikanische Höhen von vier Prozent führen. Pfister: "Bei 2,5 bis 2,75 Prozent wird Schluß sein, wenn unser Bild für die europäische Konjunktur eintrifft. Sie können ja nicht schon bei dem einen Schritt von 0,25 Prozent stehen bleiben. Das wäre fast albern." Pfister geht davon aus, daß das Wachstum unter zwei Prozent bleibt. Bei den Preisen sei der Buckel aus der Energieverteuerung überwunden. Zweitrundeneffekte sind nicht in Sicht. Lohnrunden werden erst 2007 wegen der Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland Inflationspotential mit sich bringen. Für Anleiheanleger dürften sich aus der moderaten Zinswende und der Absage an eine Reihe von Zinsschritten damit auch keine überraschenden Risiken mehr ableiten lassen. Christian Reicherte, Anleiheexperte der DZ Bank, erklärt: "Wir schätzen, daß die E ZB die Gelegenheit genutzt hat, den Realzins in Euro-Land ein bißchen über null zu heben. Zumal die Kreditnachfrage der letzten Monate echte Investitionsnachfrage war. Mehr Anhebung gibt die schwache Konjunktur aber nicht her." Die Schölerbank riet sogar, die aktuellen Übertreibungen auf dem Geld- und Rentenmarkt zu nutzen, um mittel- bis langfristige Anleihen zu kaufen. Innerhalb der Profi-Handelsstatistik Commitment of Traders sind die harten Jungs von den Hedgefonds schon wieder auf der Käuferseite bei Anleihen. Auch in den USA werden Zinserhöhungen und Inflationserwartungen nach den jüngsten Konjunkturdaten offenbar anders gesehen als noch vor wenigen Wochen. Die jetzt veröffentlichten Protokolle der November-Sitzung der US-Notenbank hatten Spekulationen angeheizt, nach denen in den USA die im vorigen Jahr begonnene Serie von Zinserhöhungen 2006 zu Ende gehen könnte. Die Gerüchte reichten, um den DAX am Mittwoch auf das höchste Niveau seit April 2002 zu heben. Deutsche Börsianer kann die EZB vor diesem Hintergrund offenbar schon gar nicht mehr schrecken. Frank Schallenberger, Aktienmarktstratege der Landesbank Baden-Württemberg: "Die Konjunktur rechtfertigt den Zinschritt nicht. Andererseits: Ob die Zinsen bei zwei oder drei Prozent stehen, kann für ein Investment nicht so entscheidend sein. Unsere Prognose sind maximal vier kleine Schritte bis Ende 2006 bis maximal drei Prozent." Schallenberger ist sich sicher, daß der Aktienmarkt damit sehr gut leben kann. "Das Inflationsthema kann man wohl bald ad acta legen. Worauf es dann ankommt, sind die Gewinnsteigerungen der Unternehmen. In diesem Geschäftsjahr werden wir im DAX 15 Prozent durchschnittlichen Gewinnanstieg verzeichnen. Für 2006 prognostizieren wir die gleiche Größenordnung. Die Dividenden für das Geschäftsjahr 2005 werden um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen." Schallenbergers Zielmarke für den DAX im kommenden Jahr sind 5800 Punkte zum Jahresschluß "mit einem vorübergehenden! Test der 6000-Punkte-Marke". Sein Fazit zur EZB-Politik: "Es riecht e in wenig nach Aktionismus."Mit den 6000 Punkten sind die meisten anderen Aktienstrategen noch etwas vorsichtig. Helaba-Trust-Mann Stefan Rausch erwartet, daß eine schwache Konjunkturentwicklung in Euro-Land in der zweiten Hälfte des Jahres 2006 allen Zinserhöhungsspekulationen endgültig den Wind aus den Segeln nimmt, daß aber auch gleichzeitig die Aktienkurse leiden werden: "Zur Jahresmitte erwarten wir den DAX bei 5500 Punkten." Bis Jahresschluß könnten wieder die 5100 Punkte erreicht sein. Rausch rät Anlegern, bei der Branchenselektion auf innovative Pharma- und Technologietitel zu setzen. Als Beispiel für aussichtsreiche Aktien nennt er Stada und die französische Alcatel.
Und was ist mit den Small Caps? Was bedeutet die Zinsdiskussion für die Small und Mid Caps, die in diesem Jahr besonders gut gelaufen sind? Henner Rüschmeier, Aktienanalyst und Experte für Nebenwerte bei SES Research in Hamburg, meint: "Beim derzeitigen Stand der Dinge wenig bis nichts. Die meisten di! eser Unternehmen sind stark in ihrer Nische. Die Bewertung hängt daher weniger von großen konjunkturellen Faktoren wie etwa Zinsentscheidungen ab. Aber natürlich wären sie von starken Bewegungen der gesamtem Volkswirtschaft auch betroffen." ZEW-Experte Kleff hat noch ein weiteres Argument parat, warum die EZB-Diskussion den Aktienmarkt derzeit kaum stoppen kann: Die kräftigen Gewinnanstiege haben das KGV der Aktien trotz Kursteigerungen niedrig gehalten. Die Attraktivität der Titel gegenüber Anleihen bleibe somit auch bei einer kurzen Reihe von Zinssteigerungen ungeschmälert. Börsenguru Kostolany kann sich bestätigt fühlen: Die Temperatur an den Börsen ist angenehmer als sonstwo in der Wirtschaft.