Globalisierung und Wettbewerbsdruck verhindern Preis-Lohn-Spirale
Ein Gespenst verliert seinen Schrecken
Von Petra Schwarz, Handelsblatt
Ein Gespenst geht um – nicht nur in den USA, sondern auch in der Euro-Zone. Das Gespenst der Inflation. Im Mai stiegen die Verbraucherpreise sowohl in den USA als auch in der Euro-Zone deutlich an. Auch deshalb gilt es als ausgemacht, dass die US-Notenbank heute den Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent erhöht.
Alan Greenspan wird wohl eine moderate Zinserhöhung bekannt geben. Foto: dpa
DÜSSELDORF. Die teureren Rohstoffe, allen voran die historischen Höchststände beim Öl, sind für die Preissteigerungen verantwortlich. Darüber hinaus wurde in Deutschland noch die Tabaksteuer erhöht, auch die Gesundheitskosten sind gestiegen. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist warnte sogar vor dem Schreckensbild der 70er-Jahre.
Doch Preissteigerungsexzesse wie in den 70er-Jahren wird es wohl nicht mehr geben: „Wir sollten die Kirche im Dorf lassen“, sagt Stefan Schneider, der sich als Volkswirt bei der Deutschen Bank mit makroökonomischen Trends befasst. „Vor einem Jahr hatten wir den Hype mit der Deflation, jetzt geht es in die andere Richtung. Tatsächlich sehen wir aber nur leichte zyklische Schwankungen“, sagt Schneider.
Der wichtigste Grund für eine Entwarnung ist jedoch ist ein anderer: Derzeit rechnet kein Experte mit dem so genannten Zweit-Runden- Effekt. Damit ist die Kompensation des Preisanstiegs durch höhere Löhne gemeint. Wie das Beispiel Siemens zeigt, geht der Trend zurzeit in die andere Richtung: Der Konzern hat vorige Woche eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich durchgesetzt – weil er erfolgreich mit der Verlagerung der Produktion nach Ungarn gedroht hatte. „Das zeigt, wie sich die Machtverhältnisse der Tarifpartner verschoben haben“, sagt Schneider. „Verteilungskämpfe passen nicht mehr zur Beschäftigungssituation“, sagt auch Zeitzeuge Jürgen Donges, der bis zum Jahr 2000 Vorsitzender der Wirtschaftsweisen war. „Hinzu kommt die Globalisierung. Die Konzerne stehen heute im internationalen Wettbewerb.“
In den 70er-Jahren war das anders: Mit markigen Parolen wie „Bleibt der Arbeitgeber stur, läuft nicht mehr die Müllabfuhr“ zog die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) Anfang 1974 in den Arbeitskampf. Ihre Forderung: 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt – als Kompensation für die drastisch gestiegene Inflation. Die Verbraucherpreise waren 1973 um gut sieben Prozent nach oben geklettert, auch als Folge des Ölpreisschocks vom November 1973. Im Zuge des Jom-Kippur-Krieges hatten die arabischen Staaten ihre Ölproduktion um 25 Prozent gedrosselt. „In Folge stieg der Ölpreis um mehrere hundert Prozent. Im Vergleich dazu war der jüngste Ölpreisanstieg geradezu harmlos“, sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt bei der Hypo-Vereinsbank.
1974 aber folgte ein erbitterter Arbeitskampf, der in einem bundesweiten Streik gipfelte. Schließlich machte die ÖTV ihre Drohung wahr: Der Müll blieb auf den Straßen liegen. Unter diesem Druck knickten die Arbeitgeber ein und zahlten den Angestellten im öffentlichen Dienst elf Prozent mehr Lohn und Gehalt. Die Effektivlöhne stiegen 1974 aber sogar um 18 Prozent, schrieb der Sachverständigenrat (SVR) in seinem Jahresgutachten 1974.
Den „fünf Weisen“ war die Schädlichkeit der Lohnpolitik schon damals bewusst: Sie geißelten die Lohnerhöhungen des Jahres 74 als „Irrtum“, die Verantwortung trügen beide Seiten der Tarifparteien. „Wenn heute jemand eine Kompensation des Ölpreisanstiegs durch höhere Löhne fordern würde, würde er ausgelacht“, sagt Deutsche-Bank- Volkswirt Schneider. Inzwischen weiß man: Die Verteuerung des Öls ist ein Realeinkommenstransfer an das Ausland, der im Inland nicht verteilt werden kann.
Im Jahr 2003 konnten die Gewerkschaften gerade einmal eine Steigerung der Effektivlöhne in der gesamten deutschen Volkswirtschaft um ein Prozent gegenüber dem Vorjahr durchsetzen.
In den 70er-Jahren aber dachten die meisten Ökonomen noch nachfrageorientiert, erinnert sich Donges, der damals am Institut für Weltwirtschaft gearbeitet hat. Auch die fünf Weisen hatten es seinerzeit nicht leicht: „Die Einsicht, dass Wachstum durch Preisstabilität nicht behindert, sondern begünstigt wird, hat sich noch nicht durchgesetzt“, beklagten sie. Es sei ein unheilvoller Kreislauf aus Inflation, hohen Lohnabschlüssen, Verfall des Wechselkurses, verteuerten Einfuhren und erneut beschleunigter Inflation in Gang gekommen.
Dem Konsum nutzten die Lohnsteigerungen nicht: Nach Abzug der Preissteigerung, die 1974 auf 14 Prozent kletterte, lag der private Verbrauch unter dem Vorjahr, schrieb der SVR. Die Wirtschaft wuchs 1974 nur um 0,5 Prozent, die Arbeitslosenquote stieg auf drei Prozent – „ein seit langem nicht mehr erreichter Stand“, hieß es im Gutachten.
„Das Gefährliche an der Inflation sind die Kosten der Rückführung“, sagt Wolfgang Franz, einer der amtierenden Wirtschaftsweisen. Um die Teuerung zu bremsen, müssen die Notenbanken die Leitzinsen anheben – das kostet Wachstum und Arbeitsplätze. Zwar steuerten sie auch in den 70er-Jahren der Inflation entgegen, aber erst zu Beginn der 80er-Jahre griffen sie „hart durch, es folgte eine Stabilisierungsrezession“, erinnert sich Donges. Für ihn markiert diese Zeit einen Paradigmenwechsel in der Geldpolitik hin zu einer stärkeren Fokussierung auf Preisstabilität. Auch Chefvolkswirt Hüfner von der Hypo-Vereinsbank ist sicher: „Die Zentralbanken haben ihre Lektion gelernt.“
HANDELSBLATT, Mittwoch, 30. Juni 2004, 07:38 Uhr
Gruss
Ein Gespenst verliert seinen Schrecken
Von Petra Schwarz, Handelsblatt
Ein Gespenst geht um – nicht nur in den USA, sondern auch in der Euro-Zone. Das Gespenst der Inflation. Im Mai stiegen die Verbraucherpreise sowohl in den USA als auch in der Euro-Zone deutlich an. Auch deshalb gilt es als ausgemacht, dass die US-Notenbank heute den Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent erhöht.
Alan Greenspan wird wohl eine moderate Zinserhöhung bekannt geben. Foto: dpa
DÜSSELDORF. Die teureren Rohstoffe, allen voran die historischen Höchststände beim Öl, sind für die Preissteigerungen verantwortlich. Darüber hinaus wurde in Deutschland noch die Tabaksteuer erhöht, auch die Gesundheitskosten sind gestiegen. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist warnte sogar vor dem Schreckensbild der 70er-Jahre.
Doch Preissteigerungsexzesse wie in den 70er-Jahren wird es wohl nicht mehr geben: „Wir sollten die Kirche im Dorf lassen“, sagt Stefan Schneider, der sich als Volkswirt bei der Deutschen Bank mit makroökonomischen Trends befasst. „Vor einem Jahr hatten wir den Hype mit der Deflation, jetzt geht es in die andere Richtung. Tatsächlich sehen wir aber nur leichte zyklische Schwankungen“, sagt Schneider.
Der wichtigste Grund für eine Entwarnung ist jedoch ist ein anderer: Derzeit rechnet kein Experte mit dem so genannten Zweit-Runden- Effekt. Damit ist die Kompensation des Preisanstiegs durch höhere Löhne gemeint. Wie das Beispiel Siemens zeigt, geht der Trend zurzeit in die andere Richtung: Der Konzern hat vorige Woche eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich durchgesetzt – weil er erfolgreich mit der Verlagerung der Produktion nach Ungarn gedroht hatte. „Das zeigt, wie sich die Machtverhältnisse der Tarifpartner verschoben haben“, sagt Schneider. „Verteilungskämpfe passen nicht mehr zur Beschäftigungssituation“, sagt auch Zeitzeuge Jürgen Donges, der bis zum Jahr 2000 Vorsitzender der Wirtschaftsweisen war. „Hinzu kommt die Globalisierung. Die Konzerne stehen heute im internationalen Wettbewerb.“
In den 70er-Jahren war das anders: Mit markigen Parolen wie „Bleibt der Arbeitgeber stur, läuft nicht mehr die Müllabfuhr“ zog die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) Anfang 1974 in den Arbeitskampf. Ihre Forderung: 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt – als Kompensation für die drastisch gestiegene Inflation. Die Verbraucherpreise waren 1973 um gut sieben Prozent nach oben geklettert, auch als Folge des Ölpreisschocks vom November 1973. Im Zuge des Jom-Kippur-Krieges hatten die arabischen Staaten ihre Ölproduktion um 25 Prozent gedrosselt. „In Folge stieg der Ölpreis um mehrere hundert Prozent. Im Vergleich dazu war der jüngste Ölpreisanstieg geradezu harmlos“, sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt bei der Hypo-Vereinsbank.
1974 aber folgte ein erbitterter Arbeitskampf, der in einem bundesweiten Streik gipfelte. Schließlich machte die ÖTV ihre Drohung wahr: Der Müll blieb auf den Straßen liegen. Unter diesem Druck knickten die Arbeitgeber ein und zahlten den Angestellten im öffentlichen Dienst elf Prozent mehr Lohn und Gehalt. Die Effektivlöhne stiegen 1974 aber sogar um 18 Prozent, schrieb der Sachverständigenrat (SVR) in seinem Jahresgutachten 1974.
Den „fünf Weisen“ war die Schädlichkeit der Lohnpolitik schon damals bewusst: Sie geißelten die Lohnerhöhungen des Jahres 74 als „Irrtum“, die Verantwortung trügen beide Seiten der Tarifparteien. „Wenn heute jemand eine Kompensation des Ölpreisanstiegs durch höhere Löhne fordern würde, würde er ausgelacht“, sagt Deutsche-Bank- Volkswirt Schneider. Inzwischen weiß man: Die Verteuerung des Öls ist ein Realeinkommenstransfer an das Ausland, der im Inland nicht verteilt werden kann.
Im Jahr 2003 konnten die Gewerkschaften gerade einmal eine Steigerung der Effektivlöhne in der gesamten deutschen Volkswirtschaft um ein Prozent gegenüber dem Vorjahr durchsetzen.
In den 70er-Jahren aber dachten die meisten Ökonomen noch nachfrageorientiert, erinnert sich Donges, der damals am Institut für Weltwirtschaft gearbeitet hat. Auch die fünf Weisen hatten es seinerzeit nicht leicht: „Die Einsicht, dass Wachstum durch Preisstabilität nicht behindert, sondern begünstigt wird, hat sich noch nicht durchgesetzt“, beklagten sie. Es sei ein unheilvoller Kreislauf aus Inflation, hohen Lohnabschlüssen, Verfall des Wechselkurses, verteuerten Einfuhren und erneut beschleunigter Inflation in Gang gekommen.
Dem Konsum nutzten die Lohnsteigerungen nicht: Nach Abzug der Preissteigerung, die 1974 auf 14 Prozent kletterte, lag der private Verbrauch unter dem Vorjahr, schrieb der SVR. Die Wirtschaft wuchs 1974 nur um 0,5 Prozent, die Arbeitslosenquote stieg auf drei Prozent – „ein seit langem nicht mehr erreichter Stand“, hieß es im Gutachten.
„Das Gefährliche an der Inflation sind die Kosten der Rückführung“, sagt Wolfgang Franz, einer der amtierenden Wirtschaftsweisen. Um die Teuerung zu bremsen, müssen die Notenbanken die Leitzinsen anheben – das kostet Wachstum und Arbeitsplätze. Zwar steuerten sie auch in den 70er-Jahren der Inflation entgegen, aber erst zu Beginn der 80er-Jahre griffen sie „hart durch, es folgte eine Stabilisierungsrezession“, erinnert sich Donges. Für ihn markiert diese Zeit einen Paradigmenwechsel in der Geldpolitik hin zu einer stärkeren Fokussierung auf Preisstabilität. Auch Chefvolkswirt Hüfner von der Hypo-Vereinsbank ist sicher: „Die Zentralbanken haben ihre Lektion gelernt.“
HANDELSBLATT, Mittwoch, 30. Juni 2004, 07:38 Uhr
Gruss