Konzernchef August Oetker kritisiert die Macht der Rating-Agenturen - und sieht Gefahren im Discount-Boom
Bielefeld - Die Discounter mit ihren No-Name-Produkten machen Markenartikelherstellern wie der Bielefelder Oetker-Gruppe das Leben schwer: Im Inland stagniert der Umsatz, Wachstum gibt es nur noch im Ausland. Hagen Seidel sprach mit dem Chef der Gruppe, August Oetker (59), über den Siegeszug der Discounter, die Chancen für die klassischen Marken - und über die Börse. Oetker setzte mit mehr als 15.000 Mitarbeitern 2001 rund 4,4 Mrd. Euro um.
DIE WELT: Die Oetker-Gruppe ist seit 1891 ein Familienunternehmen, das nicht an der Börse notiert ist. Lehnen Sie sich manchmal zufrieden zurück, wenn Sie sehen, wo der Dax heute steht?
August Oetker: Ich finde es wunderbar, dass wir nicht an der Börse sind. Wir haben viele, viele Gründe dafür, die führen wir uns auch jedes Jahr wieder neu vor Augen. Es könnte ja mal eine wesentliche Frage werden. Das fängt schon mit den Analysten an...
DIE WELT: Was würde denn ein Analyst zu einem Unternehmen wie dem Ihren sagen, das Pizza, Pudding und Bier herstellt, eine Reederei und eine Bank betreibt sowie Versicherungen verkauft, Besitzer einer Chemiefabrik und von fünf Luxus-Hotels ist?
Oetker: Der Analyst würde uns sofort erst einmal einen Abschlag aufdrücken, weil wir ein Konglomerat sind. Obwohl eine Untersuchung von Boston Consulting ergeben hat, dass die Performance von fokussierten Unternehmen nicht grundsätzlich besser ist als die von Konglomeraten. Und obwohl das an der Börse am höchsten bewertete Unternehmen, General Electric, ein typisches Konglomerat ist. Wir machen unsere eigene Firmenpolitik und richten uns nicht nach dem, was knapp dreißigjährige, sicherlich intelligente, Menschen sagen, die noch nie ein Unternehmen geführt haben und auch keine Verantwortung dafür tragen. Die einem heute sagen: Jetzt fokussieren Sie mal auf diese oder jene Produkte. Und wenn die Geschäfte dann nicht laufen, fragen Sie einen: Warum haben Sie denn gerade auf diese Produkte fokussiert? Dazu kommt die Verunsicherung, die in Belegschaften hineingetragen wird, wenn die sehen, dass die Kurse ihrer Unternehmen in den Keller gehen. Vor allem, wenn sie selber
daran beteiligt sind. Dann kommt sofort die Angst: Sind wir jetzt Übernahmekandidat? Unsere Mitarbeiter wissen ganz genau: Wir werden nicht übernommen. Und sie wissen auch, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, was die Generationenübergänge betrifft.
DIE WELT: Die "Oe-Aktie" wird es also nicht geben?
Oetker: Nein, die wird es nicht geben.
DIE WELT: Die Rating-Agenturen machen Schlagzeilen. Haben sie zu viel Macht?
Oetker: Meine Meinung ist ähnlich der über die Analysten. Es ist gut, nicht von ihnen abhängig zu sein. Irrt sich eine Rating-Agentur zu Ungunsten eines Unternehmens, wird es schwere Kursverluste geben. Es gibt keine Wiedergutmachung für diesen Schaden.
DIE WELT: Die Deutschen sparen und verhelfen den Discountern und den No-Name-Produkten zu Marktanteilsgewinnen. Erfüllt Sie als Markenartikelhersteller diese Entwicklung mit Sorge?
Oetker: Auf der einen Seite kann ich das Verhalten nachvollziehen, weil die Verbraucher verunsichert sind. Die Gründe dafür sind vor allem in der Politik zu suchen: Man weiß einfach nicht, wohin es geht. Es gibt genügend Konzepte, aber kaum eines wird mit der nötigen Kraft umgesetzt. Man sieht es an der Kanzlerrede vom 14. März: Sie war nicht sehr überzeugend - aber selbst das wenige, was der Kanzler gesagt hat, wird schon wieder in Frage gestellt, auch von Schröders eigener Partei. Das ist keine Situation, die irgendjemandem Sicherheit gibt. Weder dem, der investieren will, also etwa uns. Noch dem, der konsumieren will und hier seinen Arbeitsplatz hat. Er weiß nicht, was nach Abzug aller Kosten übrig bleibt, um sich etwas Besonderes zu gönnen. Kurzfristig betrachtet kann ich den Trend zum Discount deshalb verstehen.
DIE WELT: Und langfristig?
Oetker: Langfristig aber sehe ich zwei Gefahren: Irgendwann nimmt die Qualität der Produkte ab, wenn die Preise weiter sinken - meistens bei den schwachen Marken. Das zweite Problem am Discountboom ist, dass die Vielfalt der angebotenen Lebensmittel verloren zu gehen droht. Es ist ein Riesenunterschied zwischen den 600 bis 800 Produkten, die der Discounter anbietet, und den 10.000 Produkten, zwischen denen man im klassischen Supermarkt wählen kann. Der Verbraucher will Vielfalt und die kann der Discounter alleine nicht bieten.
DIE WELT: Reagieren die Super-Markt-Ketten in dieser Situation richtig?
Oetker: Da lässt sich einiges verbessern. Die Supermarktbetreiber machen den Fehler, dass sie versuchen, den Discounter mit dessen Waffen zu schlagen: Sie steigen auch auf die Preise ein, verkaufen ebenfalls No-Name-Produkte, sagen sogar, sie hätten die "aldinativen" Produkte. Das ist Unsinn. Der Supermarkt hat konzept-bedingt ein höheres Kostenniveau, das ihn auf Dauer hindert, die gleichen Preise zu bieten wie Aldi, Lidl oder Penny. Die Supermärkte müssen stattdessen ihre Stärken ausspiele: das umfangreiche Sortiment, die bessere Verkaufsatmosphäre, die Marken.
DIE WELT: Wie lange wird der Siegeszug der Discounter anhalten?
Oetker: Wenn der klassische Supermarkt sein Angebot attraktiver gemacht hat und die Verbraucher mehr Geld im Portemonnaie haben, werden sie in stärkerem Maß Markenartikel kaufen.
DIE WELT: Die Deutschen bleiben den bekannten Marken treu?
Oetker: Ich glaube schon. Wenn die Marke das erfüllt, was sie verspricht, dann muss man sich keine Sorgen machen. Wir sehen das an der Stabilität der Marktführer-Marken.
DIE WELT: Aber der Erfolg der Discounter drückt doch die Umsätze der Markenartikler.
Oetker: Ja. Unsere Umsatzstagnation im Inland geht zu einem großen Teil auf die Discounter zurück. Weil nicht mehr unser gesamtes Sortiment geführt wird, sondern nur noch Teile davon. Aber das ist kein starker Einbruch.
DIE WELT: Sie hatten die Politik bereits angesprochen: Macht es eigentlich noch Spaß, Unternehmer in Deutschland zu sein?
Oetker: Ja, doch. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ein gewisser Spaß liegt sogar in der Herausforderung: Ich will doch mal sehen, ob ich auch mit diesem Umfeld fertig werde...
DIE WELT: ... dann muss es derzeit ein Riesenspaß sein.
Oetker: Was den Spaß allerdings etwas verdirbt sind Äußerungen aus der Politik, dass die Familienunternehmen und KGs die Geldmaschinen der Familien seien. Und am Ende des Jahres werde das Geld abgeholt und wir ziehen uns nach Miami oder Mallorca zurück. Das ist eine grobe Entstellung der Tatsachen. Da stellt sich die Frage, ob private Unternehmer in Deutschland noch gewollt sind.
DIE WELT: Da Sie hier weiter kräftig investieren, fühlen Sie sich offenbar noch gewollt.
Oetker: Keine Frage. Aber es ärgert mich, dass bei der Steuerreform KGs schlechter behandelt wurden als AGs. Dafür gibt es keinen Grund. Das hat auch mit Steuersystematik nichts zu tun.
DIE WELT: Sie haben aber noch nicht daran gedacht, Ihre Zelte hier abzubrechen?
Oetker: Nein. Aber wir überlegen angesichts der wenig attraktiven Aussichten zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland, ob wir unsere Privilegierung des hiesigen Standortes bei Neuinvestitionen aufrechterhalten. Unser Umsatzanteil aus dem Ausland nimmt seit Jahren zu, mittlerweile liegt er bei den Markenprodukten bei 47 Prozent. Da ist es gut möglich, dass sich auch unsere Investitionen künftig entsprechend diesem Verhältnis verteilen.