Die Umgebung rund um einen Kindergarten zu einem echten Spielraum umzugestalten, ist nichts Neues. Aber neu ist, wenn die Kinder von der Evaluation bis zur Umsetzung aktiv am Spielplatzprojekt teilnehmen, mitdenken und mitentscheiden können. Partizipation heisst das von der Spielraumberaterin Michèle Heri lancierte Experiment.
Franziska Hidber
Ein Doppelkindergarten mit einem öden, wenig Anreiz bietenden Vorplatz, umrahmt von wohldosierten Hecken und Sträuchern; eine Kindergärtnerin, welche die Umgebung fantasieanregender und vielseitiger gestalten möchte; eine angehende Spielraumberaterin, die vom Prinzip der Partizipation überzeugt ist und dieses Vorhaben unterstützt. So lässt sich die Ausgangslage beschreiben. «Hilf mir, es selbst zu tun». Dieser Leitsatz von Maria Montessori zieht sich wie ein roter Faden durch das Projekt, das Michèle Heri als Abschlussarbeit, im Rahmen ihrer Ausbildung zur Spielraumberaterin pro juventute, im Kindergarten Isengrund in Adliswil durchführte. Dass erwachsene Planer nicht unbedingt die Idealbesetzung für die Entwicklung von Kinderspielplätzen sind, war Michèle Heri schon lange bewusst. Sie ist Mutter von zwei Kindern und kennt sich auf Kinderspielplätzen aus. Kindergartenkindern traut sie Planungsfähigkeiten durchaus zu: «Kinder können viel dazu beitragen, dass Orte entstehen, die farbig, lebendig und bereichernd für uns alle sind. Wenn wir Erwachsene bereit sind, Kindern Raum und Zeit zu geben, erleben wir, welch kreative und schöpferische Experten Kinder in Bezug auf die Nutzung des öffentlichen Raumes sind.» Davon ist auch die Kindergärtnerin Anna Leiser überzeugt: «Erwachsene planen meistens statische Spielplätze. Doch Kinder lieben die Veränderung, die Möglichkeit Bestehendes immer wieder neu zu schaffen. Diese Chance wollte ich meiner Kindergartenklasse geben.» Auch Partizipation fordert Strukturen, die Erwachsene vorgeben müssen, damit Kinder nicht überfordert werden. Der Aufbau des Projekts, an dem beide Klassen des Doppelkindergartens Isengrund teilnahmen, wurde in drei Teile gegliedert: Kritikphase, Fantasiephase, Planungsphase.
Die Kritikphase
Bei ihrem ersten Besuch im Kindergarten stiess die Initiantin, Michèle Heri, auf interessierte, motivierte Kinder. Gruppenweise suchten sie mit Feuereifer und erstaunlicher Ernsthaftigkeit nach bevorzugten Lieblingsplätzen und -spielen auf dem Kindergartenareal. In dieser Beobachterrolle mussten sie sich aktiv mit den Vor- und Nachteilen ihrer nächsten Umgebung auseinander setzen. Bei der anschliessenden Diskussion im Plenum zeigten sich Vorstellungen und Visionen, die zum Teil reale Verbesserungsvorschläge beinhalteten. Etwas leuchtete den Kindern überhaupt nicht ein: Wozu sind Bäume da, wenn nicht zum Klettern? Einige Kinder hatten «ihren Spielplatz» im Geiste schon vollständig umgekrempelt, andere begannen in Gedanken, das bestehende Klettergerüst zu verzieren
Die Fantasiephase
«Was würdet ihr für einen Spielplatz erfinden, bauen?» Diese Frage faszinierte die Kinder. Ihre wildesten Fantasien konnten sie in einer Erlebniswerkstatt umsetzen: Mit kräftigen Farben malten sie, wie die Umgebung oder das neue Spiel aussehen könnte. Aus wertlosen Materialien entwickelten sie dreidimensionale Spielgeräte «en miniature». Gigantische Chügelibahnen entstanden ebenso wie eine Seilbahn, ein Fussballfeld, eine «Gigampfi» und eine Wasserrutschbahn. Die anschliessende Vernissage der jungen Künstler/innen liess Raum für Fragen und Erläuterungen. Michèle Heris Einschätzung der kindlichen Fähigkeiten bewahrheitete sich: «Diese Arbeit zeigt deutlich, dass Kinder über ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen verfügen.» Doch die Visionen wurden nicht nur gestalterisch festgehalten; es wurde auch darüber philosophiert. Unentbehrliche Helfer waren die «Fantis». Diese wurmähnlichen, aus Pelzresten genähten Tierchen, führten ins Reich der Fantasie und unterstützten die Kinder bei der Formulierung von verrücktesten Vorstellungen und Wünschen: «Eine Rutschbahn vom Hausdach, ein Schloss mit einem Gefängnis, eine Baumhöhle, ein Piratenschiff...»
Die Planungsphase
Nachdem die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder geklärt waren, brachte Michèle Heri einen Plan des Grundstücks mit. Unter Berücksichtigung der bestehenden Strukturen wurde der Plan nach Absprache mit den Kindergärtnerinnen in drei Zonen aufgeteilt und zerschnitten: Eine Versteck-Zone mit Nischen, eine Experimentier-Zone, die viel Bewegung zulässt und eine Spielgeräte-Zone für Rollenspiele. «Heute sind wir alle Planer/innen und Modellbauer/innen.» Ein Junge präzisierte und erklärte, was ein Modellbauer macht: «Das sind Leute, die Häuser, Strassen auf einen Plan zeichnen. Viel kleiner, so dass es auf einem Tisch Platz hat. Dann bauen sie es ganz klein, dem sagt man ein Modell, damit alle sehen können, wie es richtig aussehen würde.» Jede der drei Gruppen erhielt den Auftrag, für ihre Zone, unter Berücksichtigung des Plans, ein Modell aus Ton und Zusatzmaterialien (Moos, Hölzchen, Steine, Korken) anzufertigen. Die beiden Kindergärtnerinnen und eine Praktikantin betreuten die Gruppen. Michèle Heri übernahm die Rolle der Beobachterin. Dass die Kinder die Bedingungen der Zone so genau in die Planung miteinbeziehen würden, hatte sie nicht erwartet. Auch die Kreativität der Kinder (die Erwachsenen hielten sich bewusst im Hintergrund) liess nichts zu wünschen übrig: Die Planungsgruppe des Wiesenteils setzte sich mit den vielen Ameisen auseinander. Sie beschlossen ein Baumhaus und einen Erdhügel für die Kriechtiere in ihr Modell aufzunehmen. Die Nischen-Zone versprach abenteuerlich zu werden: Hinderniswege, eine Erdhöhle und verschiedenste Fallen wurden aus Ton geformt. Zuletzt entstand noch ein kleiner Garten. Eine witzige Idee hatte die Gruppe der Bewegungszone: Aus dem Gedanken heraus, dass sich Erwachsene nicht so gerne bewegen, schufen sie für die «ältere Generation» eine Sitzbank.
Die Geburtsstunde des Kinderwunschmodells
Der Höhepunkt war das Zusammensetzen der drei Modellteile. Michèle Heri staunte erneut: «Die Grössenverhältnisse stimmten fast perfekt überein!» Das Kinderwunschmodell vom Kindergarten Isengrund war geboren. Die Geburtsstunde verlief feierlich: Voll Stolz erklärte jede Gruppe die Spielarten und Besonderheiten ihrer Zone. Danach hätten die Kinder am liebsten sofort zu den Schaufeln gegriffen ? doch so schnell ging das nicht. An einem Elternabend stellte die Kindergärtnerin das Projekt vor. Die Idee für die Umgestaltung des Spielplatzes stiess auf positive Reaktionen. Die Aussage eines Vaters widerspiegelte die Stimmung: «Solche Plätze müsste es für uns alle geben. Hier würde ich mich mit Sicherheit wohlfühlen.» Viele Eltern sicherten spontan ihre Mithilfe zu, versprachen aktiv mitzuarbeiten. Ja zum Projekt, aber… Die Kindergartenkommission hatte zu Beginn zwar grünes Licht für das Projekt erteilt, liess nun aber durchblicken, dass keine finanzielle Unterstützung gewährt werden könne. Das Budget sei momentan zu knapp. Und Anna Leiser, die mit ihrer Klasse inzwischen allein beim Projekt mitmachte (die andere Abteilung war aufgehoben worden), musste erfahren, dass die Neugestaltung da und dort auf Skepsis stiess. Es wurde befürchtet, dass andere Kindergärtnerinnen auch mit Änderungsplänen liebäugeln würden oder dass die Umgebung verunstaltet werden könnte. Entmutigen liess sie sich deshalb nicht. Getreu dem Prinzip der Partizipation erwirtschaftete sie zusammen mit den Kindern das Startkapital: An einem Markt verkauften sie Selbstgemachtes, es kamen Fr. 1000.- zusammen. Endlich ging es Schritt für Schritt vorwärts. Anna Leiser blickte optimistisch in die Zukunft. Sie versuchte, bestehende Ressourcen auszuschöpfen, verhandelte mit dem Förster, blieb in Kontakt mit engagierten Eltern. Stück für Stück sollte das Modell nun realisiert werden, langsam aber stetig. Auch wenn die jetzigen Kinder die umgestaltete Umgebung nicht mehr als Kindergärtler erleben werden, sondern als Schulkinder. Der Spielplatz des Quartierkindergartens soll auch «Ehemaligen», die in der Nähe wohnen, offen stehen.
Mit einem Elternabend war Michèle Heris Arbeit abgeschlossen. Als Beobachterin nimmt sie jedoch rege Anteil an der weiteren Entwicklung. Ihre Erwartungen haben sich mehr als erfüllt, sagt sie rückblickend: «Ich betrachtete das Ganze als Versuch und freue mich um so mehr über das Resultat. Das engagierte Mittun der Kinder und ihr ernsthafter Eifer bestärken mich für weitere Vorhaben. Wir wagten es - und es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt.»
Bilanz nach ein paar Monaten
Inzwischen wurde ein Gemüsegarten angelegt, das Weidenhaus steht und es gibt eine Nische mit Findlingen und Geröllsteinen, wo eifrig gearbeitet wird. Zum neuen Angebot gehört auch eine «Bauecke» mit Baupaletten und Brettern. Alles, was viel Geld kostet, konnte jedoch nicht realisiert werden: Es gibt weder eine neue Schaukelanlage noch eine Rutschbahn vom Kindergartendach. «Es ist ein ständiger Prozess sich gegen bestehende Vorstellungen durchzusetzen.» Die Kindergärtnerin möchte einen Erdhaufen, damit die Kinder nach Herzenslust graben und schaufeln könnten ? doch daran hätten weder der Hauswart noch die …ffentlichkeit Freude. Anna Leiser wünscht sich, dass das Bewusstsein, dass ein Kinderspielplatz nicht in erster Linie «schön aussehen», sondern den Kindern Anregungen zum eigenständigen Tun geben soll, bei den Erwachsenen stetig wächst.
Franziska Hidber ist ausgebildete Kindergärtnerin, arbeitet für pro juventute und ist Redaktorin der Spielgruppen-Zeitschrift.