Moderne Maschinen, gute Ausbildung und langfristiges Denken
Trotz ihres Wirtschaftswunders holen die Briten bei der Produktivität nicht auf.
Von Gerd Zitzelsberger
Kein anderes großes Industrieland hat über die vergangenen Jahre hinweg ein solches Wirtschaftswachstum und einen solchen Stellenzuwachs erreicht wie Großbritannien.
Doch in einem Punkt hat Deutschland immer noch weit die Nase vorne – bei der Arbeitsproduktivität. Die Arbeitnehmer und Selbständigen hierzulande produzieren pro Stunde 23 Prozent mehr Güter und Dienstleistungen als die Briten.
Bei allen Klagen über Investitionshemmnisse, Bürokratie, Unflexibilität, Gewerkschaftsmacht und sonstige Misshelligkeiten: Mit ihrer Leistung am Arbeitsplatz können sich die Deutschen auch gegenüber anderen großen Industriestaaten sehen lassen.
"Nur noch Olympiasieger"
Ihre Produktivität liegt um beinahe 40 Prozent über der Japans, um zehn Prozent über dem Durchschnitt der sieben führenden Industriestaaten und inzwischen sogar einen Hauch über der Produktivität in den Vereinigten Staaten.
Nur Frankreich, ausgerechnet ein noch weniger wirtschaftsliberaler Staat als Deutschland, hat im vergangenen Jahr etwas besser abgeschnitten, geht aus der jüngsten staatlichen Statistik in London hervor.
„Kein Wunder“, heißt es bei manchen Volkswirten schnell zu dem Befund. Schließlich reicht – bislang noch – auf der Insel die Lohnskala weiter nach unten als in Deutschland; damit lohnt sich es für die englischen Firmen eher, auch Stellen für wenig qualifizierte Personen bereitzuhalten.
Das Lokal Caffè Crema im Londoner Camden Market, auch bei deutschen Touristen ein beliebter Platz, ist ein Beispiel: Eine Geschirrspülmaschine gibt es dort bis heute nicht.
Hilfskräfte sind billiger. Überdies, so die Fachleute, seien im Zuge des deutschen Stellenabbaus über die vergangenen Jahre hinweg die weniger tüchtigen und leistungsfähigen Beschäftigten ausgeschieden; „die Unternehmen beschäftigen nur noch Olympiasieger“, klagen die Gewerkschaftler oft.
Bei den Briten dagegen herrscht mittlerweile in etlichen Berufen Mangel, dadurch bekommt auch die zweite Garnitur eine Chance.
Doch die Behauptung, dass gewissermaßen Arbeitslosigkeit gut sei für die gesamtwirtschaftliche Produktivität, und Vollbeschäftigung schlecht, trägt nicht allzu weit: 1992 lag die deutsche Arbeitslosenquote niedriger als heute; gleichzeitig standen in Großbritannien ungleich mehr Leute auf der Straße als heute.
Dennoch hatte der deutsche Produktivitätsvorsprung damals eine ähnlichen Größenordnung wie heute. Auch die Vereinigten Staaten zeigen, dass hohe Produktivität und hohe Beschäftigung Arm in Arm gehen können.
Im Ausland investiert
Mary O’Mahony vom National Institute of Economic and Social Research in London macht zwei andere Faktoren als Hauptgründe für den deutschen Vorsprung aus: Hierzulande liegt das Ausbildungsbildungsniveau höher, und die Arbeitsplätze sind mit teureren Maschinen ausgestattet.
„Das Sachkapital pro Erwerbstätigen dürfte in Deutschland um 45 und in Frankreich sogar um über 75 Prozent höher liegen“, heißt im britischen Finanzministerium dazu. Die Situation ist paradox: Jedermann lobt die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Großbritannien.
Nur die britischen Firmen hören nicht darauf; sie investieren lieber im Ausland als zu Hause. So kommt es, dass trotz eines enormen Zustroms an Auslandskapital während der vergangenen Jahre die britische Investitionsquote regelmäßig eine ganzes Stück unter der deutschen lag.
Zudem: Wenn deutsche Firmen Computer kaufen, dann wollen sie schnellere Prozessoren und mehr Speicher. Bei den Briten dagegen kommen erst einmal schicke Flachbildschirme auf den Tisch.
Niveaugefälle
Auch beim Thema Ausbildung reicht es nicht, nur auf die Quantitäten zu schauen. Entscheidender ist vielleicht sogar, dass britische Studenten lieber einen Abschluss in Diskussions-Wissenschaften oder im Internet-Surfen machen, als sich mit Physik, Mathematik oder Sprachen zu mühen.
Zudem haben britischen Staatsschulen und Colleges ein sehr unterschiedliches Niveau; nicht selten merkt man ihnen an, dass der Staat spart. Und geradezu als vorbildlich gilt manchem britischen Politiker das deutsche Modell der beruflichen Bildung mit seiner Zweigleisigkeit von Schule und Praxis.
Die Berliner Wissenschaftlerin Karin Wagner, die die Automobil-Zulieferer unter die Lupe genommen hat, sieht noch einen dritten Grund für das Produktivitäts-Gefälle: Die deutsche Unternehmen in der Stichprobe gäben erheblich mehr Geld für Entwicklung und Verbesserungen bei der Produktgestaltung aus. Britische Manager, so muss man daraus schließen, denken offenbar immer noch kurzfristiger als deutsche.
Viele weitere Rezepte werden auf beiden Seiten des Ärmelkanals derzeit herumgereicht, um die Produktivität und damit Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
Doch ob letztlich das deutsche Konsens-Modell von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Produktivität treibt oder eher das britische Job-Hopping, weiß niemand so recht. Aber fest steht: So schlecht, wie sie derzeit scheint, ist die deutsche Wirtschaftsordnung nicht.
Süddeutsche Zeitung
Trotz ihres Wirtschaftswunders holen die Briten bei der Produktivität nicht auf.
Von Gerd Zitzelsberger
Kein anderes großes Industrieland hat über die vergangenen Jahre hinweg ein solches Wirtschaftswachstum und einen solchen Stellenzuwachs erreicht wie Großbritannien.
Doch in einem Punkt hat Deutschland immer noch weit die Nase vorne – bei der Arbeitsproduktivität. Die Arbeitnehmer und Selbständigen hierzulande produzieren pro Stunde 23 Prozent mehr Güter und Dienstleistungen als die Briten.
Bei allen Klagen über Investitionshemmnisse, Bürokratie, Unflexibilität, Gewerkschaftsmacht und sonstige Misshelligkeiten: Mit ihrer Leistung am Arbeitsplatz können sich die Deutschen auch gegenüber anderen großen Industriestaaten sehen lassen.
"Nur noch Olympiasieger"
Ihre Produktivität liegt um beinahe 40 Prozent über der Japans, um zehn Prozent über dem Durchschnitt der sieben führenden Industriestaaten und inzwischen sogar einen Hauch über der Produktivität in den Vereinigten Staaten.
Nur Frankreich, ausgerechnet ein noch weniger wirtschaftsliberaler Staat als Deutschland, hat im vergangenen Jahr etwas besser abgeschnitten, geht aus der jüngsten staatlichen Statistik in London hervor.
„Kein Wunder“, heißt es bei manchen Volkswirten schnell zu dem Befund. Schließlich reicht – bislang noch – auf der Insel die Lohnskala weiter nach unten als in Deutschland; damit lohnt sich es für die englischen Firmen eher, auch Stellen für wenig qualifizierte Personen bereitzuhalten.
Das Lokal Caffè Crema im Londoner Camden Market, auch bei deutschen Touristen ein beliebter Platz, ist ein Beispiel: Eine Geschirrspülmaschine gibt es dort bis heute nicht.
Hilfskräfte sind billiger. Überdies, so die Fachleute, seien im Zuge des deutschen Stellenabbaus über die vergangenen Jahre hinweg die weniger tüchtigen und leistungsfähigen Beschäftigten ausgeschieden; „die Unternehmen beschäftigen nur noch Olympiasieger“, klagen die Gewerkschaftler oft.
Bei den Briten dagegen herrscht mittlerweile in etlichen Berufen Mangel, dadurch bekommt auch die zweite Garnitur eine Chance.
Doch die Behauptung, dass gewissermaßen Arbeitslosigkeit gut sei für die gesamtwirtschaftliche Produktivität, und Vollbeschäftigung schlecht, trägt nicht allzu weit: 1992 lag die deutsche Arbeitslosenquote niedriger als heute; gleichzeitig standen in Großbritannien ungleich mehr Leute auf der Straße als heute.
Dennoch hatte der deutsche Produktivitätsvorsprung damals eine ähnlichen Größenordnung wie heute. Auch die Vereinigten Staaten zeigen, dass hohe Produktivität und hohe Beschäftigung Arm in Arm gehen können.
Im Ausland investiert
Mary O’Mahony vom National Institute of Economic and Social Research in London macht zwei andere Faktoren als Hauptgründe für den deutschen Vorsprung aus: Hierzulande liegt das Ausbildungsbildungsniveau höher, und die Arbeitsplätze sind mit teureren Maschinen ausgestattet.
„Das Sachkapital pro Erwerbstätigen dürfte in Deutschland um 45 und in Frankreich sogar um über 75 Prozent höher liegen“, heißt im britischen Finanzministerium dazu. Die Situation ist paradox: Jedermann lobt die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Großbritannien.
Nur die britischen Firmen hören nicht darauf; sie investieren lieber im Ausland als zu Hause. So kommt es, dass trotz eines enormen Zustroms an Auslandskapital während der vergangenen Jahre die britische Investitionsquote regelmäßig eine ganzes Stück unter der deutschen lag.
Zudem: Wenn deutsche Firmen Computer kaufen, dann wollen sie schnellere Prozessoren und mehr Speicher. Bei den Briten dagegen kommen erst einmal schicke Flachbildschirme auf den Tisch.
Niveaugefälle
Auch beim Thema Ausbildung reicht es nicht, nur auf die Quantitäten zu schauen. Entscheidender ist vielleicht sogar, dass britische Studenten lieber einen Abschluss in Diskussions-Wissenschaften oder im Internet-Surfen machen, als sich mit Physik, Mathematik oder Sprachen zu mühen.
Zudem haben britischen Staatsschulen und Colleges ein sehr unterschiedliches Niveau; nicht selten merkt man ihnen an, dass der Staat spart. Und geradezu als vorbildlich gilt manchem britischen Politiker das deutsche Modell der beruflichen Bildung mit seiner Zweigleisigkeit von Schule und Praxis.
Die Berliner Wissenschaftlerin Karin Wagner, die die Automobil-Zulieferer unter die Lupe genommen hat, sieht noch einen dritten Grund für das Produktivitäts-Gefälle: Die deutsche Unternehmen in der Stichprobe gäben erheblich mehr Geld für Entwicklung und Verbesserungen bei der Produktgestaltung aus. Britische Manager, so muss man daraus schließen, denken offenbar immer noch kurzfristiger als deutsche.
Viele weitere Rezepte werden auf beiden Seiten des Ärmelkanals derzeit herumgereicht, um die Produktivität und damit Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
Doch ob letztlich das deutsche Konsens-Modell von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Produktivität treibt oder eher das britische Job-Hopping, weiß niemand so recht. Aber fest steht: So schlecht, wie sie derzeit scheint, ist die deutsche Wirtschaftsordnung nicht.
Süddeutsche Zeitung