IBM-Deutschland-Chef Walter Raizner über Bewahrungsmentalität, verlorene Märkte und den Microsoft-Gründer Bill Gates
WELT am SONNTAG: Herr Raizner, Sie waren mehrere Jahre IBM-Manager in den USA. Wie sieht die US-Wirtschaft Deutschland?
Walter Raizner: Wollen Sie eine ehrliche Antwort?
WamS: Unbedingt.
Raizner: Man sieht unsere Wirtschaft nicht sonderlich positiv. Es sind zwar viele amerikanische Unternehmen allein wegen der Größe des hiesigen Marktes nach Deutschland gekommen. Doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre waren für sie negativ. Das betrifft die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die sehr stark eingeschränkte Flexibilität am Standort Deutschland. Ergebnis ist, dass die Unternehmen zwar hier sind, aber keine neuen Produktionsstätten aufbauen.
WamS: Gibt es auch gute Worte über Deutschland?
Raizner: In Sachen Innovation und Ausbildung hat das Land nach wie vor ein gutes Renommee. Insbesondere im Automobil- und Maschinenbau. Aber bei neuen Technologien spielt Deutschland im Weltmaßstab so gut wie keine Rolle. In Branchen wie Pharmazie, Life-Science oder auch Informationstechnologie sind wir praktisch nicht auf der Landkarte vertreten.
WamS: Was können deutsche Manager von ihren amerikanischen Kollegen lernen?
Raizner: Eine sehr viel schnellere Entscheidungsfindung und einen pragmatischeren Arbeitsansatz. In Amerika ist die Hemmschwelle deutlich niedriger, neue Dinge anzugehen. Auch auf die Gefahr hin, dass es ein Flop wird. Es muss eben nicht immer alles aus einem Guss sein und in ein homogenes Konzept passen.
WamS: Woher kommt die Risikofreudigkeit?
Raizner: Amerikaner denken grundsätzlich unternehmerischer. Das fängt bereits bei der Privatperson an. Und wenn es schief geht, greift man zur nächsten Gelegenheit. So what? Arbeitslosigkeit ist dort nicht gleich das Scheitern des Lebenslaufes. Es herrscht eine echte Aufbruchsmentalität.
WamS: In Deutschland hakt es an allen Ecken und Enden, die Unternehmen klagen um die Wette. Was ist eigentlich schief gelaufen?
Raizner: Wir haben den Bruch von einer aufstrebenden und nach außen gerichteten Wirtschaft in den neunziger Jahren hin zu einer Wirtschaft mit internen Problemen nicht verkraftet. Deutschland hat die Märkte aus dem Blick verloren und sich mit ständiger Selbstbeschäftigung in eine Negativ-Spirale begeben.
WamS: Wo ist der Ausweg?
Raizner: Politik und Wirtschaft müssen wieder zusammenarbeiten. Dass die Bundesregierung eine Agenda 2010 geschaffen hat, ist gut. Die Akzeptanz in der Wirtschaft ist vorhanden. Wir brauchen diese Aufbruchstimmung. Nur müsste sie Agenda 2005 heißen.
WamS: Reformvorschläge gibt es genug, nur an der Umsetzung mangelt es. Ist Deutschland reformfeindlich?
Raizner: Wir sind sicherlich ein Volk von Bewahrern. Ich glaube aber auch, dass jeder die Probleme erkannt hat. Wenn mit offenen Karten gespielt wird, werden auch die schmerzhaften Maßnahmen, die nötig sind, akzeptiert.
WamS: Wie beurteilen Sie die Rolle der Gewerkschaften in Deutschland?
Raizner: Die Gewerkschaften haben ein Problem mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Rolle in den Unternehmen. Sie müssen sich überlegen, wie sie sich an die neue Zeit anpassen können.
WamS: Jetzt können Sie den Gewerkschaften helfen.
Raizner: Ganz oben steht die Arbeitsflexibilität. Sehen Sie sich die Arbeitszeiten an. Wir arbeiten im Schnitt 400 Stunden im Jahr weniger als die Amerikaner. Wir brauchen die Bereitschaft, mehr zu arbeiten, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen.
WamS: Sind die Deutschen zu faul?
Raizner: Nein. Ich sage nur, dass sich das Verhältnis von Arbeitszeit zu Freizeit zu Gunsten der Freizeit geneigt hat. Wir müssen mehr arbeiten
und wir müssen uns wieder auf unsere Stärke des Erfindertums berufen und Deutschland zur Innovationsmaschine machen. Wir haben große Dinge hervorgebracht. Wie zum Beispiel in der Automobilindustrie. Davon leben wir noch heute. Warum aber ist die Gentechnologie hier zu Lande ein Unthema? Es will nicht jeder Menschen klonen, der in Gentechnologie investiert. Die Zahl der Forschungsanträge in Deutschland ist in diesem Bereich um 80 Prozent zurückgegangen. Das ist beängstigend. Wir verschlafen diesen Markt gerade. Die meisten Arbeitsplätze in der Vergangenheit sind in der Produktion verloren gegangen. Die kommen nicht wieder.
WamS: Das größte Forschungslabor von IBM außerhalb der USA steht in Deutschland. Würde das Unternehmen den Standort heute wieder wählen?
Raizner: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, wir würden uns Deutschland zumindest ansehen.
WamS: Sie haben mehr Risikobereitschaft angemahnt. IBM investiert wie kein anderes Unternehmen in das kostenlose Betriebssystem Linux und fordert damit Microsoft heraus. Ist das Risiko nicht zu hoch?
Raizner: Wir unterstützen die Open-Source-Software aus tiefer Überzeugung. Nur mit offenen Systemen lässt sich das ganze Kreativpotenzial nutzen.
WamS: Bill Gates hat gesagt, Linux sei eine Gefahr für die Wirtschaftsordnung.
Raizner: Vielleicht meint er seine eigene Wirtschaftsordnung. Der offene Standard ist eine riesige Chance. Wäre das Internet nicht ein offenes System, würde es heute noch sein Dasein in irgendwelchen amerikanischen Labors fristen.
WamS: Wird Linux denn einmal die Windows-Herrschaft bei PC-Betriebssystemen brechen?
Raizner: Warum eigentlich nicht? Allerdings müsste dafür die Auswahl von Anwenderprogrammen größer sein.
WamS: IBM hat jahrelang gut mit Microsoft-Produkten verdient. Beißen Sie nicht die Hand, die Sie füttert?
Raizner: Den Preis zahlen wir gern. Unsere Industrie lebt davon, dass sie sich von alter Technologie trennen kann. Also müssen wir auch die Hand abhacken können, die uns so lange gefüttert hat - und eine neue wachsen lassen.
Das Gespräch führte Thomas Heuzeroth
WamS.de
WELT am SONNTAG: Herr Raizner, Sie waren mehrere Jahre IBM-Manager in den USA. Wie sieht die US-Wirtschaft Deutschland?
Walter Raizner: Wollen Sie eine ehrliche Antwort?
WamS: Unbedingt.
Raizner: Man sieht unsere Wirtschaft nicht sonderlich positiv. Es sind zwar viele amerikanische Unternehmen allein wegen der Größe des hiesigen Marktes nach Deutschland gekommen. Doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre waren für sie negativ. Das betrifft die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die sehr stark eingeschränkte Flexibilität am Standort Deutschland. Ergebnis ist, dass die Unternehmen zwar hier sind, aber keine neuen Produktionsstätten aufbauen.
WamS: Gibt es auch gute Worte über Deutschland?
Raizner: In Sachen Innovation und Ausbildung hat das Land nach wie vor ein gutes Renommee. Insbesondere im Automobil- und Maschinenbau. Aber bei neuen Technologien spielt Deutschland im Weltmaßstab so gut wie keine Rolle. In Branchen wie Pharmazie, Life-Science oder auch Informationstechnologie sind wir praktisch nicht auf der Landkarte vertreten.
WamS: Was können deutsche Manager von ihren amerikanischen Kollegen lernen?
Raizner: Eine sehr viel schnellere Entscheidungsfindung und einen pragmatischeren Arbeitsansatz. In Amerika ist die Hemmschwelle deutlich niedriger, neue Dinge anzugehen. Auch auf die Gefahr hin, dass es ein Flop wird. Es muss eben nicht immer alles aus einem Guss sein und in ein homogenes Konzept passen.
WamS: Woher kommt die Risikofreudigkeit?
Raizner: Amerikaner denken grundsätzlich unternehmerischer. Das fängt bereits bei der Privatperson an. Und wenn es schief geht, greift man zur nächsten Gelegenheit. So what? Arbeitslosigkeit ist dort nicht gleich das Scheitern des Lebenslaufes. Es herrscht eine echte Aufbruchsmentalität.
WamS: In Deutschland hakt es an allen Ecken und Enden, die Unternehmen klagen um die Wette. Was ist eigentlich schief gelaufen?
Raizner: Wir haben den Bruch von einer aufstrebenden und nach außen gerichteten Wirtschaft in den neunziger Jahren hin zu einer Wirtschaft mit internen Problemen nicht verkraftet. Deutschland hat die Märkte aus dem Blick verloren und sich mit ständiger Selbstbeschäftigung in eine Negativ-Spirale begeben.
WamS: Wo ist der Ausweg?
Raizner: Politik und Wirtschaft müssen wieder zusammenarbeiten. Dass die Bundesregierung eine Agenda 2010 geschaffen hat, ist gut. Die Akzeptanz in der Wirtschaft ist vorhanden. Wir brauchen diese Aufbruchstimmung. Nur müsste sie Agenda 2005 heißen.
WamS: Reformvorschläge gibt es genug, nur an der Umsetzung mangelt es. Ist Deutschland reformfeindlich?
Raizner: Wir sind sicherlich ein Volk von Bewahrern. Ich glaube aber auch, dass jeder die Probleme erkannt hat. Wenn mit offenen Karten gespielt wird, werden auch die schmerzhaften Maßnahmen, die nötig sind, akzeptiert.
WamS: Wie beurteilen Sie die Rolle der Gewerkschaften in Deutschland?
Raizner: Die Gewerkschaften haben ein Problem mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Rolle in den Unternehmen. Sie müssen sich überlegen, wie sie sich an die neue Zeit anpassen können.
WamS: Jetzt können Sie den Gewerkschaften helfen.
Raizner: Ganz oben steht die Arbeitsflexibilität. Sehen Sie sich die Arbeitszeiten an. Wir arbeiten im Schnitt 400 Stunden im Jahr weniger als die Amerikaner. Wir brauchen die Bereitschaft, mehr zu arbeiten, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen.
WamS: Sind die Deutschen zu faul?
Raizner: Nein. Ich sage nur, dass sich das Verhältnis von Arbeitszeit zu Freizeit zu Gunsten der Freizeit geneigt hat. Wir müssen mehr arbeiten
und wir müssen uns wieder auf unsere Stärke des Erfindertums berufen und Deutschland zur Innovationsmaschine machen. Wir haben große Dinge hervorgebracht. Wie zum Beispiel in der Automobilindustrie. Davon leben wir noch heute. Warum aber ist die Gentechnologie hier zu Lande ein Unthema? Es will nicht jeder Menschen klonen, der in Gentechnologie investiert. Die Zahl der Forschungsanträge in Deutschland ist in diesem Bereich um 80 Prozent zurückgegangen. Das ist beängstigend. Wir verschlafen diesen Markt gerade. Die meisten Arbeitsplätze in der Vergangenheit sind in der Produktion verloren gegangen. Die kommen nicht wieder.
WamS: Das größte Forschungslabor von IBM außerhalb der USA steht in Deutschland. Würde das Unternehmen den Standort heute wieder wählen?
Raizner: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, wir würden uns Deutschland zumindest ansehen.
WamS: Sie haben mehr Risikobereitschaft angemahnt. IBM investiert wie kein anderes Unternehmen in das kostenlose Betriebssystem Linux und fordert damit Microsoft heraus. Ist das Risiko nicht zu hoch?
Raizner: Wir unterstützen die Open-Source-Software aus tiefer Überzeugung. Nur mit offenen Systemen lässt sich das ganze Kreativpotenzial nutzen.
WamS: Bill Gates hat gesagt, Linux sei eine Gefahr für die Wirtschaftsordnung.
Raizner: Vielleicht meint er seine eigene Wirtschaftsordnung. Der offene Standard ist eine riesige Chance. Wäre das Internet nicht ein offenes System, würde es heute noch sein Dasein in irgendwelchen amerikanischen Labors fristen.
WamS: Wird Linux denn einmal die Windows-Herrschaft bei PC-Betriebssystemen brechen?
Raizner: Warum eigentlich nicht? Allerdings müsste dafür die Auswahl von Anwenderprogrammen größer sein.
WamS: IBM hat jahrelang gut mit Microsoft-Produkten verdient. Beißen Sie nicht die Hand, die Sie füttert?
Raizner: Den Preis zahlen wir gern. Unsere Industrie lebt davon, dass sie sich von alter Technologie trennen kann. Also müssen wir auch die Hand abhacken können, die uns so lange gefüttert hat - und eine neue wachsen lassen.
Das Gespräch führte Thomas Heuzeroth
WamS.de