Wir packen sie beim Arm und lassen sie nicht mehr

Beitrag: 1
Zugriffe: 473 / Heute: 1
sir charles:

Wir packen sie beim Arm und lassen sie nicht mehr

 
25.03.02 12:42
Wir packen sie beim Arm und lassen sie nicht mehr los"

Jobvermittlung. Das "dänische Modell" ist durch Sparpläne der Regierung gefährdet.

KOPENHAGEN. Bratschist müßte man sein. Und dann den ersten Satz des Bratschekonzerts von Carl Stamitz beherrschen, mit Kadenz. Dann könnte man sich jetzt um den freien Platz in der Kapelle von Kopenhagens Königlichem Theater bewerben, mit einem Monatslohn von 3164 bis zu 3814 Euro, je nach Dienstalter und einschließlich Zulagen. Für weniger musikalische Typen hat das "Job-Center" im Kopenhagener Stadtteil Vesterbro heute vor allem Kindergärterinnen, Verkäufern und Putzfrauen und -männern Arbeit zu bieten, aber auch ein Blumenbinder ist gefragt und ein Chauffeur für die französische Botschaft.


Die Regierung will das viel gepriesene "dänische Modell" der Arbeitsvermittlung ummodeln, da es den Bürgerlichen als zu steif, zu teuer und zu sozialdemokratisch erscheint. An den Grundpfeilern freilich soll nicht gerüttelt werden: Etwa daß es in Dänemark nur minimalen Kündigungsschutz gibt, dafür aber finanzielle Sicherheit, wenn man den Job verliert. Das gilt als Schlüssel für den flexiblen Arbeitsmarkt: "easy to hire, easy to fire". Wenn der Arbeitgeber weiß, daß er einen Mitarbeiter auch rasch wieder los werden kann, wird er ihn eher einstellen, lautet die Philosophie. Die Kündigung von einem Tag auf den anderen ist in Dänemark in vielen Branchen völlig normal.


In Dänemark ist die Arbeitslosigkeit in den letzten acht Jahren von zwölf auf vier Prozent gefallen, und viele, die in der Statistik aufscheinen, sind nur auf kurzem Zwischenstopp zur nächsten Stelle. "Wir werden erst aktiv, wenn ein Jahr vergangen ist", erläutert Birger Stein Christensen, Regionschef des Kopenhagener Arbeitsamtes. Ganz richtig findet er das nicht. Oft wäre raschere Hilfe besser, das ist eine Frage finanzieller Prioritäten. "Die Regierung will nicht, daß wir Geld für Arbeitslose ausgeben, die sich selbst helfen können", sagt Christensen, der 90 Prozent seiner Mittel für die "Aktivierungsphase" einsetzt, die nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit beginnt.


Jeder, der ein Jahr lang keine Arbeit hatte, hat das Recht auf einen individuellen Handlungsplan, mit dessen Hilfe er auf den Arbeitsmarkt zurückkehren soll. Aber er hat auch die Pflicht, diesem Plan zu folgen. "Zur Aktivierung nein zu sagen, ist russisches Roulette mit sechs Kugeln in der Trommel", sagt Christensen. Dann wird das Arbeitslosengeld gestrichen, ganz ohne Pardon.

Einwanderer-Sprachschule

Die Aktivierungsphase kann mit beruflichen Weiterbildungskursen beginnen, mit Sprachschulen für Einwanderer, die in der Arbeitslosenstatistik überrepräsentiert sind, mit Lehrgängen, die Selbstvertrauen stärken sollen. Dann kann Jobtraining folgen, in privater Regie, wobei der Staat einen Lohnzuschuß zahlt, oder auf öffentlichen Arbeitsplätzen.


Nicht jeder ist mit dem Handlungsplan glücklich. "Ich habe zehn Jahre als Texterin in einem Reklamebüro gearbeitet, und jetzt schickt man mich auf einen Kurs, um zu lernen, wie man ein Stellengesuch verfaßt", ereifert sich Birte Sörensen.


"Nach einem Jahr haben 40 Prozent eine feste Stelle", lautet Christensens Erfolgsquote. Mit den übrigen geht die Arbeit weiter. Neun Monate vor Auslaufen der insgesamt dreijährigen Aktivierungsphase werden die Anstrengungen intensiviert: "Dann packen wir die Arbeitslosen beim Arm und lassen sie nicht mehr los." Denn daß es "nicht vermittelbare" Jobsucher geben sollte, will Christensen nicht akzeptieren. "Aufgeben gilt nicht", sagt er, "es ist unglaublich, wie viele angeblich hoffnungslose Fälle dann doch arbeiten können." Vielleicht nicht zu hundert Prozent, sagt er, "doch wir brauchen auch die, die 80 oder 90 Prozent bringen können."

"Wir müssen ihnen nur Selbstbewußtsein vermitteln", ist sein Rezept. "Nicht davon ausgehen, was sie nicht können, sondern davon, was sie können." Er habe geglaubt, daß man bei 25 Prozent der schwierigen Fälle Erfolg haben könne, sagt er. "Doch in Wirklichkeit sind es 70 Prozent." Als Problemgruppen gelten die, die am wenigsten - und am meisten gelernt haben. "Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat keine Ausbildung, 25 Prozent sind Akademiker", sagt Christensen. Wer über 50 ist, wer die Sprache nicht kann, tut sich bei der Arbeitssuche schwer. Auf ihn ist eine ungewohnte Aufgabe zugekommen: nicht Arbeit zu vermitteln, sondern Stellen zu streichen. Acht Prozent des Personals muß Birger Stein Christensen entlassen, und das vorbildliche dänische System wird künftig wohl etwas weniger vorbildlich sein.



Es gibt keine neuen Beiträge.


Börsen-Forum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--