"Wir müssen für Ausländer attraktiver werden"

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"Wir müssen für Ausländer attraktiver werden"

 
19.05.03 13:08

„Wir müssen in Deutschland für Ausländer attraktiver werden “

Deutscher Ingenieurtag: VDI-Präsident Hubertus Christ zu Einwanderung, Wachstum und ethischer Begründung des Fortschritts

VDI nachrichten, 16.5.2003
Eingeengter Handlungsspielraum stranguliert die Wirtschaft, Ingenieurmangel und sinkende Forschungsetats gefährden die Wettbewerbsfähigkeit, so VDI-Präsident Prof. Hubertus Christ auf dem Deutschen Ingenieurtag am Dienstag dieser Woche in Münster. Nachfolgend seine Rede.

Die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS hat uns Grußworte geschickt. Wir konnten sehen, wie Weltraumforschung und -technologie uns helfen, Vorsorge für die Zukunft der Menschen auf der Erde zu treffen. Deutschland kommt hier neben dem Partner Frankreich innerhalb der ESA eine dominierende Rolle zu. Ergebnisse aus dieser Forschung sind aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken, weitere werden einfließen in für uns so wichtige Felder wie Chemie und Medizin, Verkehrs- und Fahrzeugtechnik und weitere Schlüsseltechnologien.

Zugleich haben die Astronauten und Ingenieure der ISS uns noch eine weitere Botschaft übermittelt: Forschung und Zusammenarbeit über Disziplinen und Kontinente hinweg sind nötig, um diese Ziele zu erreichen.

Die heute geehrten fünf Männer haben die Technik auf einen Stand gebracht, auf dem wir heute aufbauen können. Und auch die so Geehrten hatten Vorläufer, Männer und Frauen, die Technik und Naturwissenschaften vorangetrieben haben. Jetzt sind wir dran.

Wir müssen die Technik stetig weiterentwickeln,  wenn wir die Zukunft lebenswert gestalten wollen. Friedrich Nietzsche sagt: „Nicht fort sollt Ihr Euch entwickeln, sondern hinauf.“

„Hinauf“ entwickeln heißt, dass technischer Fortschritt ethisch begründet sein muss. Das steht so auch in unseren ethischen Grundsätzen des Ingenieurberufs. „Hinauf“ heißt, dass wir die Lebensqualität aller Menschen auf der Erde verbessern, dass die ständig wachsende Menschheit ernährt und menschenwürdig untergebracht werden muss auf einer Erde, die nicht wächst. „Hinauf“ entwickeln heißt aber vor allem, künftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen, d.h. eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit zu betreiben.

Diese Ziele können nur erreicht werden durch Menschen, die den unbändigen Drang und die Fähigkeiten haben, Neues zu gestalten, durch Forschung, die frei von Ideologien Grundlagen erarbeitet und schließlich durch Unternehmer, die aus diesen Grundlagen marktfähige Produkte entwickeln und mit dieser Wertschöpfung das Geld verdienen, das wir zur
Ausbildung der Jugend, zur Forschung und für gemeinnützige Aufgaben brauchen.

Diese drei Punkte, wertschöpfende Wirtschaft, Forschung und Ausbildung in Deutschland, sind die Themen, über die ich heute sprechen möchte.

Wirtschaft
Unsere Wirtschaft wird derzeit geprägt von der Automobilindustrie, vom Maschinenbau, der chemischen und der Ernährungsindustrie, von der Elektroindustrie, die zusammen einen Jahresumsatz von fast 1.000 Milliarden Euro erzielen. Hier gehört Deutschland zur Weltspitze, wenn auch mittlerweile mit abnehmender Tendenz. Diese Industrien verändern
sich in rasantem Tempo von Jahr zu Jahr. Verändern sich dank Technik und Wissenschaft. Hier liegt der Schwerpunkt der Tätigkeiten des gleichnamigen VDI Bereiches.

Die Geschäftsberichte für das Jahr 2002 zeigen, dass diejenigen Firmen noch gut abgeschnitten haben, die ihr langfristiges Denken noch nicht kurzfristigen
Geschäftsoptimierungen opfern mußten und die überdurchschnittlich viel in Forschung und Entwicklung investiert haben. Deren Umsatzsteigerungen und noch passable Gewinne in 2002 resultieren nicht aus dem Verkauf von mehr Produkten, sondern aus dem Verkauf besserer und neuer Produkte. Viele andere Unternehmen haben es nicht geschafft: Das zeigen die fast 40.000 Insolvenzen im vergangenen Jahr.

Zu wenig Handlungsspielraum
Aber selbst erfolgreichere Firmen weisen für 2003 oft Umsatzrückgang und Verluste aus. Die Insolvenzen zeigen einen steigenden Verlauf. Zum ersten Mal schrumpft auch die Zukunftsbranche Biotechnologie. Immer mehr Unternehmen  stagnieren in Forschung und Entwicklung oder  reduzieren sie, um kurzfristig zu überleben. Und das, obwohl Ideen und Projekte da sind, um die künftige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Das zeigt: Die Struktur der deutschen Unternehmen stimmt, und die Innovationskraft und die Qualität der deutschen Wirtschaft ist nach wie vor Weltklasse aber der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum stranguliert die Unternehmen so sehr, dass sie diese Vorteile nicht ausspielen können. Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht in kürzester Zeit
nachdrücklich verbessert werden, wenn wir unsere Unternehmen nicht ganz schnell wieder flott bekommen,  dann gibt es weder mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze, noch können die  Mittel für Forschung und Entwicklung erhöht, noch eine bessere Ausbildung bezahlt werden.

Die Diskussionen über die dringend notwendigen Reformen suggerieren, dass es danach Gewinner und Verlierer geben wird. Das stimmt nicht. Wenn wir schnell handeln, gibt es nur Gewinner, und wenn wir – wie bisher – nichts tun, nur Verlierer.

Rahmenbedingungen verbessern
Wenn sich alle beteiligten gesellschaftlichen Gruppen darauf verpflichten, sich auf das gemeinsame Ziel der Vollbeschäftigung auszurichten, dann sind auch die scheinbaren Gegensätze leicht zu überwinden. Es stimmt nämlich nicht, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht. Trotz bedrückend hoher Arbeitslosigkeit – wir wissen: Es gibt Arbeit in Zukunft. Neue Arbeit. Neue Arbeitsplätze.

Über neue Arbeitsplätze entscheiden aber nicht nur die Rahmenbedingungen der Politik – so überlebensnotwendig diese auch sind. Die Rahmenbedingungen führen nur dann zum Erfolg, wenn im Rahmen etwas drin ist.

Dank Wissenschaft, Forschung und Technik vermehrt sich der „Stoff“, aus dem die Arbeitsplätze von morgen sind, in hohem Tempo.  Deutschland ist nicht nur Weltspitze in den alten Technologien. Unser Land ist auch keineswegs abgeschlagen bei den Schlüsseltechnologien der Zukunft. Und diese Schlüsseltechnologien verbessern und verändern schon heute und zukünftig noch mehr unsere Produkte. So wie die Elektrizität als
Schlüsseltechnologie Haushalt und Arbeitsplatz, Verkehr und Freizeit verändert hat.

Schlüsseltechnologie Mikroelektronik
Die Schlüsseltechnologie Mikroelektronik hat schon tief verändernd gewirkt.

Ein Auto sieht auf den ersten Blick noch ähnlich aus wie vor dreißig Jahren. Aber es hat ganz andere innere Qualitäten. Dank der Mikroelektronik wurde die Sicherheit erhöht, der Kraftstoffverbrauch gesenkt und die Umweltverträglichkeit verbessert. Und dieser Prozess ist
noch lange nicht abgeschlossen.

Die Mikroelektronik hat durch ihre Fähigkeit, gewaltige Rechen- und Speicherleistungen zu erzeugen, die heutige Informations- und Kommunikationstechnik erst ermöglicht. Mobiltelefone und Internet sind hierfür herausragende Beispiele. Die Umsätze mit Software sind mittlerweile größer als mit Hardware. Aber Software ist kein eigenständiges Produkt wie ein Hut oder ein Regenschirm. Sie ist Hilfsmittel, um Prozesse im betrieblichen Ablauf zu verbessern – zum Beispiel im Vertrieb, in der Logistik, in Forschung und Entwicklung, in der Produktion, im Finanz- und Rechnungswesen. Das zeigt: Technologie-Unternehmen sind angewiesen auf die Unternehmen der „Old Economy“. Die Software ist das Bindeglied
zwischen beiden Unternehmensgruppen: Zusammen erst bilden sie eine marktfähige Einheit.

Das macht deutlich: Informatikkenntnisse, Softwarekenntnisse alleine reichen nicht aus. Detaillierte Kenntnisse über die Prozesse, die verändert werden sollen, gehören dazu. Der VDI engagiert sich deshalb seit langem sehr energisch dafür, den Hochschulen und den Studierenden dieses ganzheitliche Bild als informationstechnisches Ausbildungsziel zu vermitteln. Wir benötigen maximal 20 Prozent reine Informatiker; mindestens 80 Prozent müssen prozessbezogenes und anwendungsorientiertes Detailwissen besitzen.

Schlüsseltechnologie Mikrosystemtechnik
Die Schlüsseltechnologie Mikrosystemtechnik erweitert die Mikroelektronik auf neue Gebiete. Sie hat heute schon die Sensorik durchdrungen. Sie beherrscht die Schreib- und Lese-Köpfe für magnetische Harddisk-(CD)Laufwerke. Wir finden sie in den Druck- und Displaytechniken.

Die Mikrosystemtechnik hat die Medizintechnik revolutioniert und revolutioniert sie  von Jahr zu Jahr weiter. Bei Hörhilfen und Herzschrittmachern, in der Endoskopie und minimal-invasiven Chirurgie werden schon heute mikrosystemtechnische Bauteile und Komponenten
eingesetzt. In Vorbereitung ist die sogenannte „Lab-on-chip“-Technik. Dort wird zum Beispiel auf einem implantierten Chip die Blutentnahme gesteuert, werden Messwerte verarbeitet und Maßnahmen wie dosierte Medikamentenabgabe eingeleitet.

Mit der erfolgreichen Integration der Mikrosystemtechnik in das „System“ Auto ist es der deutschen Automobilindustrie wie keiner anderen gelungen, viele neue Funktionen für Sicherheit, Komfort, Umweltschutz und Kommunikation zur Serienausstattung zu machen. Diese Erfolgsgeschichte müssen wir in anderen Bereichen wiederholen – so im Maschinenbau
und in der Chemie, die heute zu den Life Sciences herangewachsen ist. Wir können das, weil unsere besondere Stärke in der Anwendung neuer Technologien auf technologisch anspruchsvolle und komplexe Systeme liegt.

Internationale Expertenbefragungen belegen, dass man in den USA und in Asien überzeugt ist, dass Deutschland hierfür die besten Ausgangsbedingungen besitzt und diese auch nutzen wird.

Die Mikrosystemtechnik hat sich in wenigen Jahren zu einem Megamarkt entwickelt, hier finden wir viele Start-up-, Klein- und mittelständische Unternehmen. USA, Deutschland und Japan sind weltweit führend. In diesem Kopf-an-Kopf-Rennen hat Deutschland eine gute Position.

Schlüsseltechnologie Photonik
Gleiches gilt für die Schlüsseltechnologie Photonik, auch optische Technologien genannt. Auch die sind auf einem rasanten Vormarsch. Sie haben Einzug gehalten in die Fertigungs- und die Medizintechnik, in Biotechnologie, Messtechnik und Beleuchtung. Dies reicht von
hocheffizienten Lampen bis hin zum Laser, von Spezialgläsern zu Hochpräzisionsoptiken.

Deutsche Firmen halten heute einen Weltmarktanteil von 25 Prozent, im Bereich der Industrielaser von 38%. Aber dieser Weltmarktanteil nimmt tendenziell ab. Es entstehen Bereiche, in denen wir bisher nicht oder nur in geringem Umfang dabei sind. Schwächen haben wir dort, wo die breite industrielle Anwendung in Deutschland selbst fehlt: Turbinenschaufeln werden in den Ländern mit Laser gebohrt, wo Triebwerke gebaut werden.
Neue Halbleiterkonzepte für Diodenlaser werden dort entwickelt, wo die Halbleiterindustrie zuhause ist, nämlich in den USA und in Japan.

Dennoch: Die Unternehmen, die sich mit diesen Technologien beschäftigen, wachsen auch in Deutschland mehrheitlich mit zweistelligen Prozentzahlen. Der heutige Umsatz dieser Branche von weltweit 80 Milliarden Euro wird in den nächsten zehn Jahren auf 500 bis 800 Milliarden Euro ansteigen.

Auch hier prägen kleine und mittlere Unternehmen mit hoher Innovationskraft die Industriestruktur, und Unternehmen in den neuen Bundesländern mischen kräftig mit. Derzeit sind 110.000 Menschen im Bereich Optische Technologien beschäftigt, und den Unternehmen fehlen bereits 10.000 Fachkräfte.

Schlüsseltechnologie Nanotechnik
Die Nanotechnik ist wohl die bedeutungsvollste Schlüsseltechnologie überhaupt. Schon allein deswegen, weil sie das Tor öffnet zur Gentechnik und Biotechnologie.

„Welcher Technologie aber sich die Enkel bedienen werden, ist klar: Es ist die Nanotechnologie – die Kunst, Materie im Nanometerstab fast nach Belieben zu arrangieren. Dieser Technologie wird eine Eleganz zu eigen sein, die der Eleganz der lebenden Natur nahe kommt, und eine Effizienz, die die Wirkungsgrade von Tier und Pflanze vielleicht noch übertrifft.“ – so das Bundesforschungsministerium.

Mit dieser Technik befinden wir uns im Molekülbereich – und haben nun zwei Möglichkeiten: Wir können weiter "top-down" miniaturisieren und erhalten so gigantische Rechen- und Speichermöglichkeiten. Oder wir können „bottom-up“ ganz neue Effekte erschließen. Mittels der Nanotechnik können physikalische Gesetze mit chemischen Eigenschaften und biologischen Prinzipien vernetzt werden. Der Unterschied zwischen
Mechanik, Biologie und Chemie wird aufgehoben. Eine Revolution.

Heute wird diese Technik zum Beispiel in der Oberflächentechnik angewandt. So führt eine Beschichtung mit Nanopartikeln zu kratz- und abriebfesten Lacken und Scheiben, die keinen Schmutz mehr annehmen – der sogenannte Lotuseffekt. Im Bereich der Werkstofftechnik
können Materialien mit ganz anderen elastischen Eigenschaften, Katalysatoren mit sehr großer Oberfläche oder Kohlenstoffnanoröhrchen als völlig neue Materialklasse geschaffen werden.

Weltweit wird der Nanotechnik die Rolle als bedeutendste Querschnitts- und Schlüsselfunktion für das 21. Jahrhundert zugesprochen. Schon jetzt ist ein globales Rennen um die besten Startpositionen am künftigen Markt im Gang. „Deutschland spielt bei den Innovationen der Nanotechnologie weiterhin die Wachstumslokomotive in der EU“, so der europäische Forschungskommissar Philippe Busquin.


Kompetenzfelder
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist das Vertrauen in diese Schlüsseltechnologien und das Vertrauen in unser Können, das uns zu dem Motto unseres Ingenieurtages bewogen hat: Zukunft inspiriert.

Wir sehen das 21. Jahrhundert als das Jahrhundert der nachhaltigen Entwicklung. Die Produkte dieses Jahrhunderts werden durch eine Vernetzung der genannten Schlüsseltechnologien geprägt sein. Gemeinsam bewirken sie die globalen Trends "Intelligente Produkte“, „Miniaturisierte Bauteile“ und „Integrierte Interdisziplinarität“. Zunehmend finden die Innovationen jedoch an den Schnittstellen der Disziplinen statt.
Deshalb lassen sich bei diesen Technologien marktfähige Produkte nur durch fach- und branchenübergreifende Zusammenarbeit erzielen. Als einen Beitrag dazu haben wir im VDI Kompetenzfelder für diese Schlüsseltechnologien eingerichtet. In diesen VDI-Kompetenzfeldern bauen wir Kommunikationsplattformen auf, um die sich bildenden Netzwerke zwischen Industrie und Wissenschaft zu unterstützen, um die Technologien zu strukturieren, Ergebnisse von Wissenschaft und Wirtschaft zu sammeln, um
nötige Forschungsarbeiten zu definieren und sie in Gang zu setzen.

Was tut die Politik unseres Landes?
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Bedeutung der
Schlüsseltechnologien und den Stellenwert der Aus- und Weiterbildung frühzeitig erkannt und durch eine kluge und weitsichtige Förderpolitik unterstützt. Viele erfolgreiche Vorhaben wurden maßgeblich durch das BMBF initiiert. Ein Beispiel sind die Kompetenznetze, in
denen die leistungsstärksten Kooperationsverbünde in Deutschland zusammengefasst sind. Diese Kompetenznetze sind international wettbewerbsfähig, in ihnen können Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft vorbildlich für Europa zusammenarbeiten. Durch die Kooperation mit
fachverwandten Forschungsvereinigungen der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) werden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen angesprochen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft sind und wesentliche Impulse aus der industriellen Gemeinschaftsforschung bezieht. Hier besteht auch eine enge Partnerschaft mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Das 280 Mio Euro Projekt „Optische Technologien – made in Germany“, das kürzlich von Frau Ministerin Bulmahn auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem BMWA, dem VDI und Industrieverbänden vorgestellt wurde, zielt genau in diese Richtung und schließt auch noch ein eigenständiges Jugendprogramm ein.

Zu wenig Technologieförderung
Aber mit öffentlichen Forschungsausgaben in Höhe von 2,5 Prozent des
Bruttosozialproduktes belegt Deutschland hinter Schweden, Finnland, Japan, Korea, den USA und der Schweiz eben nur den 7. Platz unter den wichtigsten OECD-Länder. Das technologische Fundament Deutschlands hat „unübersehbare Risse“ – so ein Resümee der kürzlich im Auftrag des BMBF vorgelegten Studie „Technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands“. Deutschland stehe vor der „Nagelprobe“, heißt es in dem Bericht weiter. Die staatlichen F&E-Ausgaben in Deutschland stiegen von 2000 bis 2002 nur um 6 Prozent. In Schweden wuchsen sie um knapp 30 Prozent, in den USA um 25 Prozent und selbst im rezessionsgeplagten Japan um 15 Prozent.

Wenn Deutschland seine Zukunftschancen nicht verspielen will, muss es auch in der Technologieförderung schnell wieder in den Spitzenbereich vorstoßen.

Regulierung von Forschung ist kontraproduktiv
Im Bereich der Regulierung von Wissenschaft und Technik sollte die Politik sich allerdings aus dem Spitzenfeld zurückziehen. Sie sollte sich damit begnügen, Ziele vorzugeben; wie diese optimal zu erreichen sind, muss sie der Wissenschaft und Technik überlassen. Dieses Thema ist abendfüllend. Hier nur einige Beispiele, zu welch gefährlichen Konsequenzen ein
zu weitgehender politischer Eingriff führt:

Weil der Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft beschlossen ist, hat die Bundesregierung entschieden, anerkannte Fachleute des Forschungszentrums Karlsruhe nicht an internationalen Forschungsarbeiten zur Sicherheit künftiger Generationen von Reaktorsystemen teilnehmen zu lassen. Wir werden morgen also nicht mehr mitreden können über Sicherheitsstandards bei
neuen Reaktorkonzepten in den anliegenden europäischen Ländern, geschweige denn außerhalb Europas. Damit wird die deutsche Bevölkerung einem von uns nicht mehr zu beeinflussenden Risiko durch ausländische Kernkraftwerke ausgesetzt.

Die Bundesregierung hat auch entschieden, dass öffentlichen Mittel für die Erforschung neuer Reaktorkonzepte selbst im Rahmen europäischer Forschungsprogramme nicht verwendet werden dürfen. Und beim europäischen Fusionsprogramm hat die Bundesregierung Deutschland für eine Reduzierung gestimmt, obwohl Deutschland auf diesem Gebiet führend
ist und am meisten von der EU- Förderung profitiert. Es steht zu befürchten, dass damit der Ausstieg aus der Fusionsforschung eingeläutet wird.

Wir haben eine sehr eingeschränkte Forschung mit embryonalen Stammzellen. Der Präsident der DFG, Professor Winnacker, läßt seine Mitgliedschaft in entsprechenden Gremien in Harvard ruhen, weil er befürchtet, sich wegen der Strafbewehrung des Stammzellimportgesetzes möglicherweise strafbar zu machen.

Mehr Forschung bringt mehr Entscheidungsfreiheit
Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Forschung – gerade auch auf Gebieten, deren Entwicklung kritisch diskutiert wird. Nur wer über verwertbare wissenschaftliche Ergebnisse verfügt, hat auch die wirkliche Freiheit, sie anzuwenden, zu modifizieren – oder auch abzulehnen. Alles andere ist einseitige Selbstentwaffnung und Auslieferung an Fremde. Pater
Guido Braun –einige von Ihnen mögen ihn aus der Fernsehserie kennen- , sagte das kürzlich ganz schlicht: „Ich kann nur dann richtig entscheiden, wenn ich alles, was ich wissen kann, auch weiß.“

Dass uns dann nicht alles, was machbar ist, auch zu tun erlaubt ist, ist ein anerkannter Grundsatz. Wir sprechen uns daher als VDI, so wie auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, für eine Selbstbeschränkung von Wissenschaft und Technik aus. Seit 1998 gibt es von der DFG die „Empfehlungen zur Selbstkontrolle der Wissenschaft“; der VDI veröffentlichte 2002 „Die ethischen Grundsätze des Ingenieurberufs“.

Im Falle der Stammzellenforschung liegt ein echter Konflikt zwischen dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit und dem Lebensschutz vor, und die DFG begründet in diesem  Fall den Vorrang der Wissenschaftsfreiheit mit dem Nutzen der zu erwartenden Ergebnisse. Im Falle der Kernforschung und Kerntechnik ist aber ein Konflikt mit Grundrechten nicht erkennbar.

Die Entscheidung der Politik, eine bestimmte Technologie nicht anzuwenden, haben wir zu respektieren. Die Behinderung von Forschung ist aber nicht akzeptabel. Der Gesetzgeber hat weder die Kompetenz noch die Kenntnisse oder die Kreativität, die zur Erreichung wissenschaftlicher Ziele notwendig sind. Der VDI bietet als neutrale, industrie- und parteipolitisch unabhängige Institution der Politik fachliche Beratung und Unterstützung an. Wir stehen in der Pflicht, der Politik Informationen zu geben, damit sie das Zukunftspotenzial und die Auswirkungen verschiedener Technologien einordnen und dann Ziele vorgeben kann. Dann aber den richtigen Weg zu finden, ist Aufgabe von Technik, Wissenschaft und Wirtschaft.

Gesellschaftliche Verantwortung
Dafür brauchen wir das Vertrauen der Menschen. Vertrauen wird nicht geschenkt. Wir müssen es für uns und unsere Arbeit erwerben.

Vertrauen setzt immer Mut voraus. Der Mut, dem Fortschritt zu vertrauen, ist in Deutschland vielfach geschwunden. Ich denke nicht nur an gefährliche Techniken. Schon der Transrapid hat Akzeptanzprobleme. Der deutsche Bundeskanzler muss nach China reisen, um deutsche Technik in Betrieb zu sehen. Ein Trauerspiel in Deutschland. Ein Trauerspiel für Deutschland.

Wir müssen den Menschen mehr Mut zur Zukunft machen. Wissenschaft und Technik müssen sich deshalb der Gesellschaft immer wieder erneut verständlich machen. Wir können das. Mit guter Arbeit. Mit verständlicher Sprache. Mit der Ethik unseres Handelns.

Wir begrüßen daher sehr, dass Herr Ministerialdirigent Dr. Krause heute früh verkündet hat, daß das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Jahr 2004 zum „Jahr der Technik“ ausrufen wird. Das wird der Auftakt dafür sein, dass alle technisch-wissenschaftlichen Institutionen in vielen regionalen Veranstaltungen den Dialog mit den Bürgern suchen.

Ausbildung in den Schulen und Hochschulen
Ich habe Potenziale aufgezeigt, die wir in Wirtschaft und Wissenschaft haben. Aber ohne eine Spitzenstellung in der naturwissenschaftlichen und technischen Ausbildung in den Schulen und Hochschulen werden wir die Chancen, die wir in Deutschland haben, nicht nutzen können.

Wir brauchen mehr Ingenieure
– für Wissenschaft und Forschung ebenso wie für die Industrie. Die absolute Zahl der Ingenieure ist in den letzten 20 Jahren um 60 Prozent gestiegen; sie stellen heute mit knapp einer Million die größte Akademikergruppe in Deutschland. Gleichzeitig ist der Anteil der Ingenieure an allen sozialversicherten Beschäftigten in diesem Zeitraum von 1,6 auf 2,4
Prozent gestiegen.

Und dennoch – es sind zu wenige! In Ländern wie Schweden, Finnland, Frankreich, England und Spanien ist der Anteil von Ingenieurabsolventen an der Beschäftigtenzahl fast doppelt so hoch wie bei uns. Auch wenn wir im Augenblick ein Konjunktur-Tal durchqueren: Der Mangel an Ingenieuren legt dem Fortschritt in Deutschland enge Fesseln an. Die bekannten Studienanfängerzahlen weisen eine Lücke von 20.000 Ingenieurinnen und Ingenieuren pro Jahr auf. Vor diesem Hintergrund kommen Budgetkürzungen im Hochschulbereich, die zum Wegfall von Studienplätzen führen, wie es jetzt gerade in Berlin praktiziert werden soll, einer Selbstverstümmelung gleich. Die Lücke im Ingenieurbereich bringt den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr! Forschung und Entwicklung geraten ins Stocken – und zeitversetzt dann auch die Herstellung neuer Produkte und der Handel mit ihnen. Das zeitigt verheerende Folgen für Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenzahlen, Staatsverschuldung und Inflation. Es klingt wie eine dramatische Zuspitzung, ist aber nur schlicht und einfach factum: Gelingt es uns nicht, mehr Ingenieure und Naturwissenschaftler auszubilden, wird Deutschland seine noch vorhandene Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Was ist zu tun?
Einer der Wege ist es, mehr Ingenieure und Ingenieurstudenten auch aus Nicht-EU-Ländern ins Land zu holen. Es tobt ein weltweiter Kampf um Köpfe. Selbst China bietet eine Art Greencard an. Die wissenschaftlich-technische Dynamik in den USA wird von einem fast 50-prozentigen Ausländeranteil getragen. Wir müssen in Deutschland attraktiver werden für
Ausländer. Über den Streit, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, haben wir aus den Augen verloren: Deutschland ist längst ein Auswanderungsland. Jährlich geben mehr als 100.000 gut ausgebildete Leute –überwiegend zwischen 35 und 45- ihren Wohnsitz in  Deutschland auf –die effektive Auswanderungsrate wird auf ein mehrfaches geschätzt-, weil sie sich gefesselt fühlen von Überbürokratie, weil sich Leistung hierzulande nicht lohnt. Es gibt Menschen, die lieben ihren Beruf so sehr, dass sie ihn mit vollem Herzen, mit aller Kraft und auch weit über tarifliche Arbeitszeitgrenzen hinaus leben wollen. Auch diese Menschen müssen sich in Deutschland zu Hause fühlen können. Wir müssen die Rahmenbedingungen für Menschen mit Ambitionen verbessern. Das Mittelmaß darf nicht das Maß aller Dinge werden.

Trotz vieler erfolgloser Anstrengungen –auch des VDI- dürfen wir nicht nachlassen, auch ältere arbeitslose Ingenieure mit ihren Erfahrungen wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Die Weiterbildung in Deutschland hat noch lange nicht eine international vergleichbare Güte.

Mehr Frauen in den Ingenieurberuf
Auf mittlere Sicht muss es uns gelingen, mehr Frauen für Ingenieurberufe zu begeistern. Der stetig wachsende Anteil der Studienanfängerinnen – es sind mittlerweile gut 22 Prozent – zeigt: Es ist falsch zu behaupten, Frauen hätten einen schlechteren Zugang zu technischen Berufen. Sie haben einen anderen Zugang. Wir brauchen Ingenieurinnen nicht um unsere Berufsstatistik aufzufüllen, sondern weil sie Unersetzbares, nur von ihnen als Frauen zu Leistendes schaffen können.

Die Unternehmen müssen noch mehr tun, um Frauen eine attraktive berufliche Perspektive im Ingenieurberuf zu eröffnen – durch noch mehr Teilzeitangebote, Kinderbetreuung, Wiedereingliederung nach Mutterschaftsurlaub oder auch durch Kinderurlaub für Männer, ohne dass dies deren Fortkommen im Unternehmen schadet.

Stellenwert der Technik in unserer Gesellschaft
Es geht aber nicht nur um mehr Ingenieurinnen und Ingenieure,  es geht um den Stellenwert der Technik in unserer Gesellschaft. Wir brauchen mehr Technikverständnis auch bei den Nichttechnikern. Wir müssen in den Schulen die Begeisterung für Naturwissenschaft, Mathematik und Technik steigern. Der Begriff „Wissensgesellschaft“ ist irreführend. Er suggeriert, dass es nur auf mentale Fähigkeiten ankommt. Es gibt aber auch eine Kompetenz des Könnens und des Handelns, ohne die Facharbeiter, Ingenieure und Unternehmer nie zu marktfähigen Produkten kämen. 

Technik in den Unterricht
Das ist der Grund, weshalb der VDI verbindlichen Technikunterricht in den Schulen fordert, wie es unsere erfolgreichen Nachbarn längst tun. Wir müssen in den Schulen das „Machen“ üben; nur so können wir die Begeisterung für Naturwissenschaft, Mathematik und Technik
steigern. Ein Drittel der Unterrichtszeit in allen Schulformen und Stufen muss sich mit mathematischen, naturwissenschaftlichen, technischen Aufgaben befassen. Technik muss einen den „klassischen Naturwissenschaften“ gleichrangigen Platz im Fächerkanon der Schulen erhalten. Technische Bildung muss Bestandteil der Allgemeinbildung werden.

An diesen berufspolitischen Aufgaben arbeitet der VDI neben den technisch-
wissenschaftlichen schon nachhaltig. Beispiele sind die Erstellung des Medienpaketes „Jugend und Technik“, die Zusammenarbeit mit dem deutschen Philologenverband, die Arbeit an Empfehlungen für die Gestaltung neuer Ingenieurstudiengänge, die Förderung von Bachelor- und Master-Studiengängen,  die Überzeugungsarbeit in Bundesländern und
Kommunen, die Schulung von Techniklehrern, die Betreuung von Unternehmungen wie „Jugend forscht“ und „Schule macht Zukunft“, die Politikberatung in Berlin und Brüssel und in den Bundesländern, die parlamentarische Abende mit Fraktionen und Ausschüssen, die Übernahme von Patenschaften für Schüler und vieles andere.

 Etwa 13.000 Männer und Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltungen aus allen Disziplinen arbeiten ehrenamtlich für die Bereiche „Technik und Wissenschaft“ und „Beruf und Gesellschaft“. und vor allem in den Landesvertretungen und Bezirksvereinen. Sie tun das gemeinsam mit den hauptamtlich Beschäftigten in der Hauptverwaltung und in den Regionen.
Sie setzen sich für die Förderung der technisch-wissenschaftlichen Forschung und für den Nachwuchs ein und stellen dazu ihre Freizeit zur Verfügung. Es liegt mir sehr daran, diesen Menschen von hier aus sehr herzlich zu danken.


Ich will zum Schluß
kommen. Es soll ein Schluß des zuversichtlichen Ausblicks sein. Denn zu dem haben wir – noch – allen Grund.

Kritische Ausführungen dienen vor allem dazu, uns selbst wach zu halten, uns vor dem Selbst-Einschläfern zu bewahren. Wir sind nicht mehr  die Größten, Schönsten und Besten, die von niemandem zu lernen brauchten, weil wir alles besser können als die anderen. Das ist vorbei. Andere haben uns eingeholt und einige schon überholt. Wir müssen bereit sein, von
anderen zu lernen.

Skepsis gegen Selbstzufriedenheit ist in Ordnung. Grund zum Pessimismus, zum Schwarz-Sehen gibt es aber nicht. Deutschland ist nach wie vor ein großartiges Land mit großartigen Chancen.

Wir müssen Ja sagen zu Forschung und Technik. Wir brauchen die neuen
Schlüsseltechnologien, die sich nicht erst am Horizont abzeichnen, sondern schon ganz und gar unseren Alltag bestimmen. Wir müssen sie bejahen, wenn wir die Weltbevölkerung ernähren, unseren Wohlstand erhalten und eine intakte Welt für nachkommenden Generationen hinterlassen wollen.

Wir haben nicht nur gute, sondern vorzügliche Ausgangspositionen, am Weltmarkt eine führende Rolle einzunehmen. Dazu brauchen wir die besten Köpfe und deshalb müssen unsere Schulen und Hochschulen Weltklasse sein.

Nicht nur den anwesenden Politikern, Industrieleuten und Wissenschaftlern – uns allen rufe ich zu: wir haben Chancen ohne Ende. Lassen Sie uns die Steine, die auf dem Weg liegen, gemeinsam beiseite räumen. Um eines guten Fortschritts willen. Damit wir uns nicht ziellos fort, sondern hinauf entwickeln.   

HUBERTUS CHRIST

clip:

nun auch noch für ausländische blondinen ?

 
19.05.03 13:09
mir reichen die deutschen ! *g

 

Wer hier Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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