Hans Bernecker: Willy Brandt lässt grüßen
Mails/Nachrichten vom 24.09.2002, Bernecker & Cie.
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
die deutsche Börse war gestern erneut die schwächste unter allen Vergleichsmärkten. Dies seit nunmehr fast 10 Tagen. Die zwei Politiker, die die höchsten Sympathiewerte in Deutschland erreichen, wurden also auf angemessene Weise begrüßt. Erstaunlich, daß die Börsenkommentare dies gar nicht wahrnehmen oder deutlich relativieren. Liest man die ausländische Presse, klingt dies schon anders. Ich erinnere daran, daß gut 20 - 22 % aller deutschen Aktien des DAX 100 im Ausland liegen. Bei einer ganzen Reihe von großen Werten ist diese Quote deutlich höher. Unterschätzen Sie in dieser Sache die Amerikaner und Engländer nicht. Kommen diese zu einem negativen Urteil, aus anderen Gründen als den Gewinn je Aktie, wird’s ernst. Das alles haben wir schon früher erlebt. Willy Brandt läßt grüßen, falls Sie sich daran erinnern. Ferner:
In Deutschland spielt der 30.9. jetzt eine besondere Rolle. Nach langem Hin und Her habe ich gestern und schon in der Vorwoche mit Berlin mehrfach sprechen können. Niemand möchte mit der Wahrheit heraus, aber unter dem Vorbehalt des jetzigen Informationsstandes: Die Banken und Versicherungen stehen unter dem Druck, bis zu diesem Termin ihre Aktienpositionen bereinigt zu haben. Das scheint eine Art Auflage zu sein. Ab Oktober beginnen die Vorbereitungen für die Jahresabschlüsse. Auch hier geht es nicht um die Qualität der einen oder anderen Aktie, sondern um amtliche Vorgaben. Damit haben wir ein Problem. Natürlich weiß ich nicht, wie viele Positionen/Bestände noch zur Disposition stehen. Aber das Restrisiko bleibt eben im Markt. Mit amerikanischen Konjunkturdaten hat das nichts zu tun.
Ergebnis übrigens: Der DAX hat gestern 65 % Verlust gegenüber der Spitze von Anfang März 2000 erreicht. Das sind genau 100 % mehr als der Dow Jones mit bis zur Stunde minus 32,6 %. Interessant, nicht wahr?
In New York erreichte gestern der Nasdaq ein neues Tief, allerdings nicht auf der Schlußbasis. Dem Dow Jones fehlen noch 80 Punkte und dem Nasdaq noch 26 Punkte. Das Ganze lief bei einem schlechten technischen Umfeld bei leicht ermäßigten Umsätzen gegenüber Freitag, aber unverändert hohen Umsätzen gegenüber der Vorwoche. Auch das Volume auf der Downside lag enorm hoch. Wer ist schuld? Unverändert die Technologie, die ohne Ausnahme die schlechtesten Eindrücke macht. Ich hatte es gestern schon erwähnt/avisiert:
Die fünf Großen der Technologie sind zum vierten Mal in diesem Jahr an ihrer Verteidigungslinie angelangt. Hält diese Barriere nicht, die gestern in einem Fall sogar leicht unterschritten wurde, gibt es einen weiteren Rutsch nach unten. Es sind MICROSOFT, GE, CISCO, INTEL und IBM. Die Indikationen hatte ich schon mehrfach erläutert. Größte Sorge bereitet mir MICROSOFT mit einem Marktwert von immer noch 280 Mrd $. „Passiert“ hier etwas, geht es in Richtung 30/32 $, und dann sind glatte 100 Mrd $ futsch. Bill Gates wird sich freuen. Aber auch bei GE und IBM wäre das nicht lustig. Bei CISCO und INTEL dagegen der erwartete Normalfall. Ich glaube nicht, daß der Markt seinen Boden findet, bevor diese Jumbos nicht dort gelandet sind, wo sie eigentlich hingehören. Diese fünf Titel haben zusammen ein Gewicht von fast 900 Mrd $! Dann aber wissen Sie: Das wären die Kaufkurse.
Eine der spannendsten Berechnungen werde ich Ihnen in den nächsten drei Wochen vortragen. Und zwar auf der Seite 1 der AB. Das ist gleichzeitig ein Vorgeschmack auf den nächsten „Wegweiser“. Das Thema ist so faszinierend, daß es fast auf den Punkt genau zur richtigen Zeit das richtige Problem beleuchtet, nämlich den sog. zyklischen Effekt sog. Saisonstrategien mit einem kaum glaublichen Ergebnis, wofür sich die nächsten 4 - 8 Wochen als beinahe idealer Ausgangspunkt darstellen werden. Sie dürfen gespannt sein.
In Frankfurt geht es jetzt um die Frage, ob meine kürzliche Einschätzung 2.500/2.700 im DAX, die ich genannt hatte, nun im Visier liegen, nachdem die Barriere 3.250/3.300 nicht gehalten hatte. Gestern im Tief 2.919 bei einem VDAX von 51,50. Ich taxiere diese Chance auf 8:2 und Sie lesen richtig: Es wird eine Chance vor dem verbleibenden Risiko. Das war auch der Grund, warum ich die Liquiditätspräferenz so hoch gewichtet hatte. Die nächsten Tage werden es zeigen. Der oben genannte Termin 30.9. ist zu beachten.
Eine Einzelbetrachtung lohnt im Moment nicht. In Deutschland spielt die Markttendenz als Ganzes eine Rolle. Sie erkennen es an den Tagesumsätzen. Sie sind ziemlich hoch, wobei die Freitags-Zahlen natürlich nicht als Vergleich dienen können. Es handelt sich also offensichtlich um echte Verkäufe und nicht nur um Baisse-Positionen der Hedge Funds.
Meine Auto-Ängste scheinen sich zu bestätigen. Ich hatte in der AB und im gestrigen Ticker das Thema berührt. Dabei bleibt es. Die Motive sind nicht Bedenken hinsichtlich der Ertragsqualität, sondern: Hier ist noch Liquidität „frei zu schießen“, wie mir ein darin tätiger Investmentbanker erläuterte. Ich gebe dies ohne Kommentar weiter.
Die Technologie-Baisse ist nur teilweise zu Ende. Im Fall SAP ist mein kürzliches Kursziel schon erreicht, und ich reduziere es erneut auf 45 E., wobei ich auch 40 E. im Extremfall nicht ausschließe. Der INFINEON-Chef erzählt zwar alle zwei Wochen eine neue Story, wie er demnächst die Nr. 4 im Halbleitermarkt der Welt werden möchte, doch sollten Sie dies nicht so ganz ernst nehmen. Mein Kursziel lag bisher bei 7 E. und wurde gestern mit 6,56 E. unterboten. Somit sind auch 5 E. ein denkbarer Kurs, der dann allerdings eine Kaufgelegenheit werden könnte. Selbst das ist noch nicht sicher. Bei ALTANA machen die Vorkäufer Kasse, und ich hatte deshalb die Korrekturkurse schon reduziert. Die nächste Stufe liegt bei etwa 32 E. Technisch problematisch sind ferner beide Sneaker-Titel, also ADIDAS und PUMA.
Die BEIERSDORF-Spekulation hatte ich gestern angeregt, aber Sie kamen nur mit Glück bei 91,50 E. zum Zuge, wenn Sie sofort handelten. Zum Schluß 99,50 E., und alles Nähere lesen Sie in der Zeitung.
Und wie wären Sie mit Hochzins-Anleihen über den Sommer gekommen? Ich hatte im Brief Nr. 26 bzw. Nr. 30 diese Frage gestellt. Die Zwischenbilanz meines Vorschlages lesen Sie in der nächsten AB. Mit den Anleihen der zwei umstrittensten Telekom-Aktien Europas verdienten Sie bis heute 19,9 %. Nicht schlecht. Übrigens: SPRINT ist die erste amerikanische Telekom-Adresse, die ihre Gewinnschätzungen nach oben korrigiert. Ich hatte auf diese Aktie, nebst AT&T, schon aufmerksam gemacht. Das ist noch keine Kaufempfehlung, aber beide Titel gehören auf die Watchlist. Weitere Details dazu lesen Sie in der AB der ersten Oktoberwoche. Ferner:
Die amerikanischen Medien beschäftigen sich intensiv mit den Telekom-Ausrüstern. Also LUCENT, NORTEL, CORNING etc. mit einer bemerkenswerten Aussage, die ich in Kurzform weitergebe: So geht es nicht weiter, die Banken sind gefordert, ausreichende Finanzierungen sicherzustellen. Mit der ebenfalls bemerkenswerten Kommentierung: Das Downgrading der Agenturen ist zu automatisch und geht zu weit. Der Chef der DT. BANK, Josef Ackermann, hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen. Sie lesen dazu einiges in der heutigen Presse („Handelsblatt“).
Meine Empfehlung für heute: Sie schauen weiter zu, haben hoffentlich etwas Liquiditätsspielraum geschaffen und warten auf die Tiefstkurse. Diese nenne ich in der nächsten AB für alle wichtigen DAX-Papiere.
Herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
Gruß