Der Politiker Alwin Ziel schlug vor, Berlin und Brandenburg zum neuen Bundesland "Preußen" zu vereinigen - und sorgt damit für einen kuriosen Intellektuellen-Disput. Von Harald Martenstein
Einst hieß der Kongo ja Belgisch-Kongo. Später wurde aus gegebenem Anlass das "Belgisch" weggelassen. Der Diktator Mobutu benannte den Kongo in Zaire um. Mobutu ist tot, seit einer Weile heißt der Kongo wieder Kongo.
Eines Tages wird der Kongo möglicherweise wieder Zaire heißen. Den meisten Kongolesen dürfte das egal sein; den Leuten im Kongo hat das Um- und Rückbenennen, alles in allem, nicht viel gebracht.
Es bringt fast nie was, außer bei den Filmschauspielern. Die Umbenennung von Issur Danielovitch in Kirk Douglas hat ihm beruflich schon ein bisschen genützt. Brandenburg dagegen lässt sich in allen Weltsprachen relativ gut aussprechen und heißt schon ziemlich lange Brandenburg.
Seit Anfang des 15. Jahrhunderts regierten dort die Hohenzollern. 1688 kam der Sohn des Großen Kurfürsten an die Macht, Friedrich III. von Brandenburg. Friedrich war ein bisschen verhuscht. Er hatte, wie andere preußische Prinzen, ein Problem mit seinem übermächtigen Vater. Vielleicht wollte er deshalb unbedingt König werden.
König von Brandenburg? Das war schwierig, dazu hätte er die Genehmigung des Kaisers gebraucht. Aber Friedrich war auch Herzog von Preußen. Preußen war zwar als Land genauso mickrig wie das damalige Brandenburg, nicht sehr wohlhabend, nicht sehr groß, aber es lag außerhalb des Reiches, etwa dort, wo sich später Ostpreußen befand. Also krönte sich Friedrich am 18. Januar 1701 im Königsberger Schloss zum König und ließ sich von zwei Spezial-Sonder-Bischöfen salben, die er eigens dafür ernannt hatte.
Seither war Brandenburg einerseits ein Teil des Reiches, andererseits wurden die Brandenburger von einem preußischen König regiert. Das neue Gebilde stieg unter neuem Namen zur Großmacht auf.
Halten wir fest: Brandenburg liegt in einer durchaus anderen Gegend als Preußen. Die Kurfürsten von Brandenburg haben sich selber zu Preußen ernannt, um an die Königskrone heranzukommen. Wäre der Kurfürst von Brandenburg zufällig Herzog von Taka-Tuka-Land gewesen, dann hätte sein Reich Taka-Tuka-Land geheißen.
Früher oder später werden sich die Bundesländer Berlin und Brandenburg vereinigen, weniger aus Liebe, mehr aus Kostengründen. Der brandenburgische Sozialminister Alwin Ziel hat vorgeschlagen, das neue Land "Preußen" zu taufen. Diese Idee hat in der "Frankfurter Allgemeinen" ein weltweites Echo ausgelöst.
Für den Namen Preußen haben sich unter anderen ausgesprochen: die Autoren Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser - falls die "FAZ" ihn richtig zitiert - und Florian Illies, die Autorin Monika Maron, die Politiker Christoph Stölzl (CDU) und Peter Gauweiler (CSU). Gegen Preußen sind, aus den unterschiedlichsten Gründen: der Staatsminister für Kultur, Julian Nida-Rümelin, der Historiker Hans-Ulrich Wehler, der Autor Wolf Jobst Siedler, der Regisseur Hans Jürgen Syberberg, die Politiker Günter Rexrodt (FDP) und Gregor Gysi (PDS) sowie die US-Essayistin Susan Sontag.
Die Liebe zum alten Preußen ist gleichbedeutend mit der Liebe zur guten alten Zeit. Sah zum Beispiel ein preußischer Kriegsminister ein Becken voller Wasser, dann fielen ihm sofort die Pferde der Kavallerie ein, die endlich was zu saufen kriegen, erst sein zweiter oder dritter Gedanke galt halbnackten Gräfinnen.
Diese Zeit war in vieler Hinsicht gar nicht so übel - Kinder gehorchten ihren Eltern, Beamte waren fleißig und ehrlich, wenn auch rau im Ton, Züge waren pünktlich. Arbeiter oder gar Frau möchte man damals zwar nicht gewesen sein - aber wer ist so was schon? In der "FAZ" die wenigsten.
Um sich von einer Umbenennung die Rückkehr der preußischen Tugenden oder Untugenden zu versprechen, muss man an Magie glauben, wie der alte Mobutu, der sich beim Regieren gern von Zauberern beraten ließ. Denn Preußen ist untergegangen, und es wird nie wieder auferstehen, es sei denn als Farce.
Eine solche Farce wäre zum Beispiel ein bitterarmes Bundesland, das nicht einmal so groß ist wie das alte, historische Brandenburg und das nicht einen einzigen Quadratmeter des ursprünglichen Herzogtums Preußen umfasst, ein Land, in dem die Züge nicht pünktlich sind, die Lehrer lasch und die Frauen ungehorsam, das sich aber großkotzig "Preußen" nennt.
Wenn es erlaubt ist, den Namen frei zu wählen, aus Sympathie, als Traditionsbekenntnis, als frommen Wunsch, ohne viel Rücksicht auf Geografie, warum nennen sie das neue Bundesland nicht "Sparta" oder "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation"? Das sind Namen, die historisch etwas hermachen und derzeit gerade frei sind. In Anbetracht der Finanzlage des neuen Landes käme allerdings am ehesten "El Dorado" in Frage.
Die Alliierten haben Preußen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst, einen Staat, den sie für den Hort des deutschen Militarismus hielten. Viele Befürworter des Namens Preußen rufen nach historischer Gerechtigkeit, nicht ohne Grund.
Denn die Alliierten haben den Preußen ein bisschen Unrecht getan. Die meisten Historiker vertreten heute ein differenziertes Preußen-Bild; Preußen ist nicht mehr geächtet. Die Preußen haben nicht nur Kriege geführt und Rekruten gedrillt, sie haben auch einen Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz geschaffen, eine effiziente Verwaltung, die sich als Diener des Staates verstand, sie öffneten ihr Land für Zuwanderer, sie dachten mehr in Richtung Multikulti als die meisten Nachbarstaaten.
Politische Korrektheit heißt der Versuch, mit sprachlichen Mitteln herzustellen, was man für Gerechtigkeit hält. Die Konservativen haben sich in Deutschland über politische Korrektheit immer lustig gemacht.
Die Schaffung eines Bundeslandes namens "Preußen" wäre eine konservative Variante der politischen Korrektheit. Die einen verbieten das Lied von den "Zehn kleinen Negerlein", die anderen reden wieder von Preußen. Weder im einen noch im anderen Fall wird die Welt davon besser.
Die Umbenennung von Ländern fordert zum Glück keine Verwundeten, sie schadet nicht groß. Ein Land, das "Preußen" heißt, wird wegen seines Namens nicht gleich zu einer Brutstätte des Kadavergehorsams. Leider führt die Umbenennung eines Landes in "Preußen" auch nicht automatisch zu sparsamer Haushaltsführung und effizienter Verwaltung. Wenn dem wirklich so wäre, sollte man besser ganz Deutschland in "Preußen" umbenennen.
Damit würden unsere Nachbarvölker schon klarkommen. Wir könnten unseren europäischen Partnern sagen: Freunde, der neue Name wirkt auf den ersten Blick etwas einschüchternd, aber dank dieses Namens müsst ihr nie wieder darüber nachdenken, ob ihr uns wegen unserer Schulden einen blauen Brief schickt.
Beinahe hätte der erste preußische König übrigens Karl Emil geheißen. Aber Karl Emil, der Lieblingssohn des Großen Kurfürsten, starb noch vor seinem Vater, nur deshalb kam Friedrich an die Reihe. Und wenn wir Preußen nun mit Karl Emil und der ruhmreichen Tradition des Carolo-Emilianismus assoziierten, mit Karl Emil I., Karl Emil II. und Karl Emil III., genannt Karl Emil der Große? Würde das den Preußenfreunden etwas ausmachen?
"Diese deutschen Gefechte um Namen", schreibt die Amerikanerin Susan Sontag, "sind sehr merkwürdig."
Einst hieß der Kongo ja Belgisch-Kongo. Später wurde aus gegebenem Anlass das "Belgisch" weggelassen. Der Diktator Mobutu benannte den Kongo in Zaire um. Mobutu ist tot, seit einer Weile heißt der Kongo wieder Kongo.
Eines Tages wird der Kongo möglicherweise wieder Zaire heißen. Den meisten Kongolesen dürfte das egal sein; den Leuten im Kongo hat das Um- und Rückbenennen, alles in allem, nicht viel gebracht.
Es bringt fast nie was, außer bei den Filmschauspielern. Die Umbenennung von Issur Danielovitch in Kirk Douglas hat ihm beruflich schon ein bisschen genützt. Brandenburg dagegen lässt sich in allen Weltsprachen relativ gut aussprechen und heißt schon ziemlich lange Brandenburg.
Seit Anfang des 15. Jahrhunderts regierten dort die Hohenzollern. 1688 kam der Sohn des Großen Kurfürsten an die Macht, Friedrich III. von Brandenburg. Friedrich war ein bisschen verhuscht. Er hatte, wie andere preußische Prinzen, ein Problem mit seinem übermächtigen Vater. Vielleicht wollte er deshalb unbedingt König werden.
König von Brandenburg? Das war schwierig, dazu hätte er die Genehmigung des Kaisers gebraucht. Aber Friedrich war auch Herzog von Preußen. Preußen war zwar als Land genauso mickrig wie das damalige Brandenburg, nicht sehr wohlhabend, nicht sehr groß, aber es lag außerhalb des Reiches, etwa dort, wo sich später Ostpreußen befand. Also krönte sich Friedrich am 18. Januar 1701 im Königsberger Schloss zum König und ließ sich von zwei Spezial-Sonder-Bischöfen salben, die er eigens dafür ernannt hatte.
Seither war Brandenburg einerseits ein Teil des Reiches, andererseits wurden die Brandenburger von einem preußischen König regiert. Das neue Gebilde stieg unter neuem Namen zur Großmacht auf.
Halten wir fest: Brandenburg liegt in einer durchaus anderen Gegend als Preußen. Die Kurfürsten von Brandenburg haben sich selber zu Preußen ernannt, um an die Königskrone heranzukommen. Wäre der Kurfürst von Brandenburg zufällig Herzog von Taka-Tuka-Land gewesen, dann hätte sein Reich Taka-Tuka-Land geheißen.
Früher oder später werden sich die Bundesländer Berlin und Brandenburg vereinigen, weniger aus Liebe, mehr aus Kostengründen. Der brandenburgische Sozialminister Alwin Ziel hat vorgeschlagen, das neue Land "Preußen" zu taufen. Diese Idee hat in der "Frankfurter Allgemeinen" ein weltweites Echo ausgelöst.
Für den Namen Preußen haben sich unter anderen ausgesprochen: die Autoren Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser - falls die "FAZ" ihn richtig zitiert - und Florian Illies, die Autorin Monika Maron, die Politiker Christoph Stölzl (CDU) und Peter Gauweiler (CSU). Gegen Preußen sind, aus den unterschiedlichsten Gründen: der Staatsminister für Kultur, Julian Nida-Rümelin, der Historiker Hans-Ulrich Wehler, der Autor Wolf Jobst Siedler, der Regisseur Hans Jürgen Syberberg, die Politiker Günter Rexrodt (FDP) und Gregor Gysi (PDS) sowie die US-Essayistin Susan Sontag.
Die Liebe zum alten Preußen ist gleichbedeutend mit der Liebe zur guten alten Zeit. Sah zum Beispiel ein preußischer Kriegsminister ein Becken voller Wasser, dann fielen ihm sofort die Pferde der Kavallerie ein, die endlich was zu saufen kriegen, erst sein zweiter oder dritter Gedanke galt halbnackten Gräfinnen.
Diese Zeit war in vieler Hinsicht gar nicht so übel - Kinder gehorchten ihren Eltern, Beamte waren fleißig und ehrlich, wenn auch rau im Ton, Züge waren pünktlich. Arbeiter oder gar Frau möchte man damals zwar nicht gewesen sein - aber wer ist so was schon? In der "FAZ" die wenigsten.
Um sich von einer Umbenennung die Rückkehr der preußischen Tugenden oder Untugenden zu versprechen, muss man an Magie glauben, wie der alte Mobutu, der sich beim Regieren gern von Zauberern beraten ließ. Denn Preußen ist untergegangen, und es wird nie wieder auferstehen, es sei denn als Farce.
Eine solche Farce wäre zum Beispiel ein bitterarmes Bundesland, das nicht einmal so groß ist wie das alte, historische Brandenburg und das nicht einen einzigen Quadratmeter des ursprünglichen Herzogtums Preußen umfasst, ein Land, in dem die Züge nicht pünktlich sind, die Lehrer lasch und die Frauen ungehorsam, das sich aber großkotzig "Preußen" nennt.
Wenn es erlaubt ist, den Namen frei zu wählen, aus Sympathie, als Traditionsbekenntnis, als frommen Wunsch, ohne viel Rücksicht auf Geografie, warum nennen sie das neue Bundesland nicht "Sparta" oder "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation"? Das sind Namen, die historisch etwas hermachen und derzeit gerade frei sind. In Anbetracht der Finanzlage des neuen Landes käme allerdings am ehesten "El Dorado" in Frage.
Die Alliierten haben Preußen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst, einen Staat, den sie für den Hort des deutschen Militarismus hielten. Viele Befürworter des Namens Preußen rufen nach historischer Gerechtigkeit, nicht ohne Grund.
Denn die Alliierten haben den Preußen ein bisschen Unrecht getan. Die meisten Historiker vertreten heute ein differenziertes Preußen-Bild; Preußen ist nicht mehr geächtet. Die Preußen haben nicht nur Kriege geführt und Rekruten gedrillt, sie haben auch einen Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz geschaffen, eine effiziente Verwaltung, die sich als Diener des Staates verstand, sie öffneten ihr Land für Zuwanderer, sie dachten mehr in Richtung Multikulti als die meisten Nachbarstaaten.
Politische Korrektheit heißt der Versuch, mit sprachlichen Mitteln herzustellen, was man für Gerechtigkeit hält. Die Konservativen haben sich in Deutschland über politische Korrektheit immer lustig gemacht.
Die Schaffung eines Bundeslandes namens "Preußen" wäre eine konservative Variante der politischen Korrektheit. Die einen verbieten das Lied von den "Zehn kleinen Negerlein", die anderen reden wieder von Preußen. Weder im einen noch im anderen Fall wird die Welt davon besser.
Die Umbenennung von Ländern fordert zum Glück keine Verwundeten, sie schadet nicht groß. Ein Land, das "Preußen" heißt, wird wegen seines Namens nicht gleich zu einer Brutstätte des Kadavergehorsams. Leider führt die Umbenennung eines Landes in "Preußen" auch nicht automatisch zu sparsamer Haushaltsführung und effizienter Verwaltung. Wenn dem wirklich so wäre, sollte man besser ganz Deutschland in "Preußen" umbenennen.
Damit würden unsere Nachbarvölker schon klarkommen. Wir könnten unseren europäischen Partnern sagen: Freunde, der neue Name wirkt auf den ersten Blick etwas einschüchternd, aber dank dieses Namens müsst ihr nie wieder darüber nachdenken, ob ihr uns wegen unserer Schulden einen blauen Brief schickt.
Beinahe hätte der erste preußische König übrigens Karl Emil geheißen. Aber Karl Emil, der Lieblingssohn des Großen Kurfürsten, starb noch vor seinem Vater, nur deshalb kam Friedrich an die Reihe. Und wenn wir Preußen nun mit Karl Emil und der ruhmreichen Tradition des Carolo-Emilianismus assoziierten, mit Karl Emil I., Karl Emil II. und Karl Emil III., genannt Karl Emil der Große? Würde das den Preußenfreunden etwas ausmachen?
"Diese deutschen Gefechte um Namen", schreibt die Amerikanerin Susan Sontag, "sind sehr merkwürdig."