Wie die Unternehmen tricksen und täuschen

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Wie die Unternehmen tricksen und täuschen

 
11.07.02 20:27

Mehr Schein als Sein


Nicht nur in Amerika wird bei den Bilanzen getrickst und getäuscht. manager magazin hat die Zahlenwerke deutscher Spitzenfirmen untersucht - das Resultat ist eine Sammlung von Schlichen und Finten.

Bis zur Hauptversammlung am 19. März wollte Ralf Dörper noch warten. Vielleicht würde das Aktionärstreffen im Düsseldorfer Congresscenter ja endlich Klarheit bringen.

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Der Analyst der WestLB Panmure wollte wissen, wie es um die Finanzen von Babcock Borsig bestellt ist, nachdem der Oberhausener Industriekonzern angekündigt hatte, sich ausgerechnet von seiner wertvollsten Beteiligung zu trennen, dem Schiffsbauer HDW. Welche Geschäfte binden wie viel Kapital? Wie wirkt der Werftenverkauf auf Liquidität und Nettoschulden?

Die Fragen blieben Fragen, und Dörper handelte: In der Woche nach der Hauptversammlung stellte die WestLB die Beobachtung des M-Dax-Werts Babcock Borsig ein; Verbindlichkeiten und Risiken des Unternehmens seien nicht transparent genug, lautete die Begründung.

Diese Einschätzung teilt Dörper mit vielen Börsianern: Die Traditionsfirma ist, bilanztechnisch betrachtet, ein schwarzes Loch. Immer wieder hatten die Babcock-Manager in den vergangenen Jahren an ihren Zahlen gefeilt, je nachdem, was gerade geschönt und geschont werden musste - mal das Eigenkapital, mal der Gewinn. Ständige Verkäufe und Käufe von Firmen - bei den Anlegern komplettierte sich das Bild: Nix is fix bei Babcock; alles fließt (Cash ausgenommen). Nur wohin?

Klar: Oberhausen ist nicht Houston. Und dennoch: Enron scheint plötzlich ganz nah. Der Bilanzskandal um den texanischen Energiehändler hat den Blick geschärft für die Probleme vor der eigenen Tür. Auch in Deutschland hat das Tricksen und das Täuschen System. "Die Grenze des Legalen verschiebt sich", beobachtet der Saarbrücker Bilanzprofessor Karlheinz Küting, "das ist kein amerikanisches Phänomen."

Zwar gehen die hiesigen Firmenlenker meist nicht mit jener kriminellen Energie zu Werke, die den Enron-Managern angelastet wird. Deutsche Konzerne wie Siemens oder die Telekom praktizieren legale Kniffe.

Mal werden Abschreibungsfristen wie Gummi gedehnt oder Milliardenschulden aus dem offiziellen Zahlenwerk verbannt; mal werden Vorräte zu hoch und Risiken zu niedrig bewertet. Das Ergebnis ist stets dasselbe: Von Wahrheit und Klarheit der Bilanzen kann hier zu Lande ebenso wenig die Rede sein wie in den Vereinigten Staaten.

Ein Stück weit sind die Konzernführer selbst Getriebene. In ihrem steten Drang, den Börsenwert zu steigern, haben sie sich auf ein Spiel eingelassen, das Arthur Levitt, der ehemalige Chef der US-Börsenaufsicht SEC, "earnings game" genannt hat.

Und das funktioniert so: Erst füttern die Manager die Analysten mit eher zurückhaltenden Prognosen für das nächste Quartalsergebnis; dann präsentieren sie Zahlen, die stets einen Tick besser sind.

Der amerikanische Konzern General Electric (GE) beherrscht dieses Spiel mit beängstigender Perfektion. Über Jahre hinweg begeisterte er die Anleger mit zweistelligem Gewinnwachstum. Nur einmal in den vergangenen zehn Jahren verfehlte GE das vorhergesagte Vierteljahresergebnis - um einen Penny je Aktie.

Tarnen und täuschen, wo es nur geht

Shareholder-Value made in the USA, auf deutsche Verhältnisse nicht übertragbar? Sicherlich nicht eins zu eins. Aber auch deutsche Vorstände spielen das Gewinnspiel mit. "Das heutige Börsenumfeld verlangt nach ständig steigenden Gewinnen", sagt Preussag-Finanzvorstand Rainer Feuerhake. Der Druck auf die Manager, "entsprechende Zahlen zu liefern", habe enorm zugenommen.

Mit aller Macht versuchen die Manager, die prognostizierten Ergebnisse zu erreichen; oder, besser noch, zu übertreffen. Deutsche Konzernlenker seien zunehmend bereit, "aggressive Bilanzierungsmethoden" anzuwenden, stellt der Hamburger Professor Eberhard Scheffler fest.

Es geht schließlich auch um ihre eigene Börse. Immer mehr Firmen bezahlen ihre Führungskräfte mit Optionen, deren Wert von der Entwicklung des Aktienkurses abhängt; allein im vergangenen Jahr ließen sich 140 Unternehmen Optionsprogramme genehmigen. Wer den Kurs zur rechten Zeit nach oben treibt, kassiert kräftig.

Den Zahlenjongleuren kommt ein weiterer Trend zupass: die Angleichung der deutschen Rechnungslegung an internationale Usancen - und die Konfusion in der Phase des Übergangs. Mittlerweile bilanzieren die Dax-Konzerne und die am Neuen Markt notierten Firmen entweder nach den amerikanischen Regeln US-GAAP oder nach IAS; ab 2005 werden diese "International Accounting Standards" europaweit zur Pflicht.

Auch deutsche Firmen wollen ausländische Anleger für ihre Aktien begeistern - und die verlangen einen internationalen Bilanzstandard.

Über hundert Jahre war hier zu Lande nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) bilanziert worden. Das einseitig auf den Gläubigerschutz ausgerichtete HGB erlaubte, stille Reserven zu bilden und nach Belieben aufzulösen - eine Fundgrube für Bilanzverschönerer en détail und en gros.

Doch auch die neuen Statuten bieten Gestaltungsmöglichkeiten. Die Firmen erhalten Spielräume, gegen die ordinäre HGB-Kniffe wie Schülerstreiche wirken.

Der Wirrwarr an Rechensystemen führt dazu, dass nur noch wenige Fachleute eine Bilanz verstehen. Selbst die großen institutionellen Investoren haben resigniert. "Ich muss mich auf die Wirtschaftsprüfer verlassen", sagt Udo Rosendahl, Fondsmanager der Deutsche-Bank-Tochter DWS, "ich kann ja nicht alle Zahlen selbst nachprüfen."

Aber die Kontrolle durch die WP-Gesellschaften fällt eher lasch aus. Zu groß ist die Abhängigkeit der Zunft von lukrativen Beratungsaufträgen, als dass die Prüfer bei kreativer Buchführung allzu penetrant nachhaken würden.

Eine übergeordnete Behörde, die die Einhaltung der Regeln kontrolliert, gibt es bisher nur in den USA. Es ist dort die Börsenaufsicht SEC. Aber auch die wirkt mit der Aufgabe, den Wahrheitsgehalt sämtlicher Bilanzen zu untersuchen, offenkundig überfordert, siehe Enron.

Ein Spiel ohne Schiedsrichter hat sich entwickelt - ein Spiel, das Firmenlenkern mit unlauteren Absichten ideale Chancen eröffnet, Anleger zu bluffen und zu blenden.

manager magazin hat gemeinsam mit Experten der Universitäten in Saarbrücken und Münster die Zahlenwerke deutscher Unternehmen untersucht. Das Ergebnis zeigt: Auch die Großen tarnen und täuschen, wo es nur geht.

Trick 1: An den Zahlen drehen


Ein beliebtes und simples Mittel, um das Ergebnis zu frisieren, sind Abschreibungsfristen und Bewertungsmethoden. Abschreibungen mindern den Gewinn; deshalb versuchen Firmen, die ihre Ziffern schönen wollen, sie auf eine möglichst lange Periode zu verteilen.

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Zu viel auf Lager: Infineon-Chef Ulrich Schumacher zögerte die Abwertung der Chipbestände hinaus und ließ seine Aktionäre so über das volle Ausmaß der Halbleiterkrise im Dunkeln.
 
Beispiel Siemens . Der Elektromulti pflegte lange das Image eines erzkonservativen Bilanzierers. Bis 1998, als Heinz-Joachim Neubürger das Finanzressort übernahm. Der Neue, ein früherer Investmentbanker, merkte schnell, dass nicht nur mit dem Verkauf von Großkraftwerken, sondern auch mit kleinen Zahlendrehern am ausgewiesenen Gewinn etwas zu verbessern ist. So verlängerte Neubürger in der Bilanz des Jahres 2000 mit einem Federstrich die Abschreibungsdauer auf Firmenwerte um 5 auf maximal 20 Jahre. Die jährlichen Abschreibungsraten verringerten sich um bis zu 45 Millionen Euro - der Gewinn stieg.

Im aktuellen Jahresabschluss ging Siemens noch einen Schritt weiter: Die Abschreibung des beim Kauf von Atecs entstandenen Firmenwerts verteilen die Münchener nun sogar auf 40 Jahre. Nach dem von Neubürger gewählten Standard US-GAAP ist das erlaubt - üblich sind aber 20 Jahre. Die längere Frist verschafft Siemens nochmal ein jährliches Ergebnisplus von 47 Millionen Euro.

Der Halbleiterhersteller Infineon  wählte eine andere Variante. Trotz weltweit sinkender Chippreise zögerte Infineon-Chef Ulrich Schumacher im vergangenen Frühjahr die Abwertung seiner Lagerbestände hinaus und hielt so die Anleger halbwegs bei Laune. Erst im Juli, als sich die Wertverluste nicht länger kaschieren ließen, schrieb Schumacher den Chipberg ab - und verbuchte, reichlich verspätet, ein Minus von mehr als 200 Millionen Euro.

Just vor dem Verkauf an einen Finanzinvestor drehte der Gartenschlauchhersteller Gardena  an den Pensionsrückstellungen. Und schon stand sein Rechenwerk glänzend da. Die Firma konnte einen zusätzlichen Gewinn von sechs Millionen Euro verbuchen - fast die Hälfte des Jahresüberschusses.

Trick 2 - Das "große Bad" nehmen


Manchmal ist den Konzernlenkern eher daran gelegen, das Unternehmen armzurechnen. Etwa, um einen großen Gewinnsprung zu vermeiden - sonst würde das folgende Jahr womöglich umso schlechter aussehen. Oder, wenn die allgemeine Wirtschaftslage derart miserabel ist, dass Anleger miese Firmenresultate leichter verzeihen.

So strengte sich der Düsseldorfer Waschmittelhersteller Henkel  mächtig an, um den letztjährigen Konzerngewinn trotz des Verkaufs mehrerer Tochterfirmen niedrig zu halten.

Henkel veränderte die Berechnung der Pensionsrückstellungen zu seinen Lasten und verbuchte zusätzlich mehr als eine halbe Milliarde Euro als Sonderaufwand für Restrukturierungen und Abschreibungen.

Die Folge des Großreinemachens, unter Bilanzexperten auch als "Big Bath" (großes Bad) bekannt: Der Konzernüberschuss stieg um magere 7 Prozent - eine treffliche Ausgangsbasis für Henkel-Chef Ulrich Lehner, um "künftige Ergebnissteigerungen" von 10 Prozent zu prognostizieren.

Trick 3 - Die Aktionäre verwirren



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Geschönter Gewinn: Telekom-Chef Ron Sommer verkaufte den Aktionären einen Ergebnissprung - allerdings nur bei der Kennzahl Ebitda. Im richtigen Bilanzleben war es leider ein Rekordverlust.

Ein probates Mittel, um die Anleger von einer ungünstigen Geschäftsentwicklung abzulenken, ist die Bekanntgabe von Ergebnissen, die mit dem tatsächlichen Gewinn nur wenig gemein haben.

Der Deutschen Telekom  bescherten ein gigantischer Schuldenberg von 62 Milliarden Euro und der hohe Abschreibungsbedarf auf Telefonnetze und UMTS-Lizenzen im vergangenen Jahr einen Rekordverlust von 3,5 Milliarden Euro.

Kein Wunder, dass Vorstandschef Ron Sommer und sein Finanzmann Karl-Gerhard Eick lieber auf das Ebitda* verweisen. Diese Kennzahl kletterte nämlich um 17 Prozent auf 15 Milliarden Euro - "das ist die eigentliche Sensationsmeldung", jubelte Ebitda-Fan Sommer.

Auch der Telekom-Ableger T-Online  eliminierte im dritten Quartal des vergangenen Jahres Abschreibungen auf Tochterfirmen und Anlaufinvestitionen aus dem Ergebnis - und kam so auf ein Plus im Deutschland-Geschäft. Pro forma, versteht sich.

* Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf Sachanlagen sowie immaterielle Vermögenswerte).

Trick 4 - Der Goodwill-Clou


Besonders heikel ist der Umgang mit dem so genannten Firmenwert. Der entsteht, wenn der für eine Übernahme gezahlte Preis höher ist als die Vermögensgegenstände des gekauften Unternehmens.

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Kaufen ohne Kapital: Mit einem Kunstgriff vermied Backmogul Heiner Kamps Abschreibungen auf erworbene Firmenwerte. So blieb der Gewinn von seiner Einkaufstour unberührt; dafür sank das Eigenkapital.


Die Differenz heißt Goodwill. Der umfasst zum Beispiel die Marke oder die Kundendatei. Der Goodwill verliert im Laufe der Zeit an Wert und muss deshalb nach Auffassung von Bilanzexperten abgeschrieben werden. Weil die Abschreibungen dieser teilweise beträchtlichen Summen allerdings den Gewinn empfindlich schmälern, schrecken viele Firmen vor diesem Schritt zurück.

Der Düsseldorfer Großbäcker Heiner Kamps etwa verrechnete die Firmenwerte aus diversen Übernahmen über Jahre hinweg lieber mit den Kapitalrücklagen. Mit diesem nach deutschem HGB-Recht erlaubten Kunstgriff vermied Kamps  die Abschreibungen - die Verrechnung mit dem Eigenkapital ist "erfolgsneutral", also ohne Folgen für den Konzerngewinn. Die Eigenkapitalquote des Backwarenimperiums sank nun jedoch von 83 Prozent im Jahr 1999 auf nur noch knapp 9 Prozent in 2001.

Noch dreister trickste der frühere Babcock-Finanzvorstand Fritz Kall. Der holte einen zuvor bereits verrechneten Firmenwert einfach wieder hervor und "reaktivierte" ihn in der Bilanz. Nur so konnte Kall das empfindlich geschrumpfte Eigenkapital wieder aufpolstern - ein Bruch des Bilanzrechts, ereiferten sich die WP-Gelehrten.

Trick 5 - Schulden verstecken


Ebenfalls an der Grenze des Erlaubten bewegen sich die Versuche einiger Firmen, ihre hohen Schulden aus dem Rechenwerk zu verbannen; "offbalance" nennt das der Fachmann.

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Lästige Zinsen: Gerhard Schmid änderte nach dem teuren UMTS-Kauf die Bilanzierungsgrundsätze: Belastende Zinszahlungen und Abschreibungen verschob der Mobilcom-Chef auf spätere Jahre.

Beispiel Mobilcom : Beim Verkauf seines Aktienpakets an France Télécom vor wenigen Wochen zeigte sich Firmengründer Gerhard Schmid erfinderisch. Die Anteile werden bei Finanzinvestoren zwischengelagert - eine "Pufferlösung", die es den Franzosen ermöglicht, die stattlichen Mobilcom-Schulden von 6,2 Milliarden Euro zunächst nicht in ihrem eigenen Geschäftsabschluss auszuweisen.

Bereits zuvor hatte Schmid Talent als kreativer Bilanzierer gezeigt. Nach den immensen Investitionen in das UMTS-Geschäft änderte der Konzern im Jahr 2000 seine Bilanzierungsgrundsätze.

Zinszahlungen, die Mobilcom früher stets Gewinn mindernd als Aufwand gebucht hatte, wurden nach dem Lizenzerwerb aktiviert - ein kleiner Dreh mit großen Folgen. Die Auswirkungen der UMTS-Zinslast auf den Konzerngewinn - immerhin ab 2001 ein Minus von rund 360 Millionen Euro jährlich - konnte Mobilcom durch diese nach IAS-Normen erlaubte List verschieben.

Trick 6 - Die krumme Tour


Nur selten driften Bluechips (oder solche, die sich dafür halten) in die graue Zone des Bilanzbetrugs ab - wie etwa der Konkurskonzern Philipp Holzmann oder die skandalumflorte Berliner Bankgesellschaft. Am Neuen Markt allerdings ist der Performancedruck so gewaltig, sind die Gewinnziele derart ambitioniert, dass Manager manchmal nur noch einen Ausweg wissen: die krumme Tour.

In München hat sich solch ein Fall dem ersten Eindruck nach jüngst zugetragen. Die Advanced Medien AG verkaufte Filmrechte für 39 Millionen Euro, allerdings offenbar nur zum Schein. Wer sich dabei wie viel zu Schulden kommen ließ, ist noch unklar. Nominiert für die Schurkenrollen: der alte Firmenvorstand, der Aufsichtsrat und die Wirtschaftsprüfer.

Für den Thriller mit dem Titel Comroad läuft bereits der Abspann. Im Februar legte der Firmenprüfer KPMG sein Mandat nieder, weil er die Vertrauenswürdigkeit des bayerischen Telematikanbieters anzweifelte. Wenig später wurde Vorstandschef Bodo Schnabel gefeuert; er hält zusammen mit seiner Frau die Firmenmehrheit. Seit Ende März sitzt Schnabel wegen Verdachts auf Kursbetrug in Untersuchungshaft.

Ein Sondergutachten der WP-Gesellschaft Rödl & Partner Mitte April ergab: Rund 99 Prozent der gemeldeten Comroad-Umsätze für 2001 waren heiße Luft.

Fazit - Eine Frage der Kultur


Schwammige Regeln, schusselige Prüfer, schurkische Manager: Ist der Großschaden an der deutschen Rechnungslegung irreparabel oder gibt es Lösungen für die Misere?

An wohlmeinenden Vorschlägen herrscht kein Mangel. Einheitliche Standards, schärfere Bestimmungen, schmerzlichere Sanktionen; die Hakelmacher sollen stärker haften und besser kontrolliert werden; eine Superbehörde nach dem Muster der amerikanischen SEC soll das Bilanzgeschehen in Europa überwachen - dies alles wäre sicherlich schon ein großer Fortschritt, aber kein Schutz vor notorischen Zahlenschummlern.

Investoren und Aktionäre müssten vielmehr auf einen Kulturwandel in den Unternehmen selbst drängen und zum Beispiel die Aufsichtsräte zwingen, ihre Kontrollfunktion ernster zu nehmen; Ausschüsse zur Rechnungslegung (so genannte Audit Committees) sollten für jede börsennotierte Firma verbindlich sein und mit unabhängigen Experten besetzt werden.

Die Angelegenheit, keine Frage, braucht Zeit. Doch sie duldet keinen Aufschub. Der größte Fehler wäre, glaubt Arthur Levitt, im heraufziehenden Wirtschaftsaufschwung wieder zur Tagesordnung überzugehen: Dann, fürchtet die SEC-Legende, "verliert auch noch der letzte Anleger das Vertrauen in den Kapitalmarkt."

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Happy End:

Thiel-Gewinneinbruch nicht plausibel

 
12.07.02 12:01
Nach Einschätzung von M.M.Warburg sind die Erklärungen von Thiel Logistik zum Gewinneinbruch für 2002 nicht plausibel. Trotz des revidierten Ausblicks verbleibe ein Umsatzwachstum von etwa 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit erwarte Thiel - die erstmalige Vollkonsolidierung von Birkart Globistics herausgerechnet - immer noch ein deutliches organisches Wachstum von etwa 15 Prozent. Um so erstaunlicher sei der erwartete EBIT-Rückgang von 60 Prozent für 2002. Dies würde einem Rückgang der EBIT-Marge von 7,2 Prozent 2001 auf 1,7 Prozent im laufenden Geschäftsjahr entsprechen.

Die Erklärungen von Thiel seien für einen solchen Rückgang nicht ausreichend. Die Analysten werden ihre Ergebnisschätzungen massiv revidieren. Das bisherige Rating "Halten" werde nun ersetzt durch "Under Review".

Happy End:

...

 
24.07.02 15:24
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"Die Menschen haben das Vertrauen verloren"

 
14.08.02 11:43
Unternehmen ohne Moral? Karl Otto Pöhl geht mit den Konzern-Lenkern hart ins Gericht. Im Interview mit manager magazin kritisiert der frühere Bundesbankpräsident den Werteverfall in der Unternehmenswirtschaft.

mm: Herr Pöhl, Bilanzfälschungen, gigantische Steigerungen der Vorstandsbezüge, Korruptionsrekorde - leidet der real existierende Kapitalismus unter akutem Sittenverfall?

Pöhl: Natürlich hat es schon immer Betrug, Korruption und Pleiten gegeben. Aber man hat in der Tat den Eindruck, die Sitten seien rauer geworden, nicht nur in den USA.

mm: Aus der Leistungsgesellschaft wird zunehmend eine Raffgesellschaft?

Pöhl: Ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen ist für sich genommen ja nicht verwerflich. Im Gegenteil, Gewinnmaximierung ist ein Grundprinzip unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems. Aber der Kapitalismus muss gebändigt werden. Der Markt braucht einen funktionierenden Ordnungsrahmen, und natürlich gibt es Werte jenseits von Angebot und Nachfrage, um Wilhelm Röpke, einen der Väter des Neoliberalismus, zu zitieren.

mm: Wenn denn Grundregeln immer öfter verletzt werden - wo liegen die Ursachen? In einer mangelhaften Unternehmenskontrolle? Die scheint nirgendwo richtig zu funktionieren - ob die Kontrollorgane Board, Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat heißen.

Pöhl: Die Anforderungen an die Corporate Governance sind in den letzten Jahren ständig verschärft worden, auch in Deutschland. Aber das hat Fehlentwicklungen offensichtlich nicht verhindern können. Vielleicht gibt es zu wenige unabhängige, qualifizierte Aufsichtsräte, die genügend Durchblick und Informationen haben, um ihrer Verantwortung gerecht werden zu können. Die Vogelsangs ...

mm: ... Sie meinen den hoch geschätzten Günter Vogelsang, lange Jahre Aufsichtsratsvorsitzender von Veba und Thyssen ...

Pöhl: ... ja, die Vogelsangs wachsen eben nicht auf den Bäumen.

mm: Wie bewerten Sie den Umstand, dass hier zu Lande viele Manager nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Vorstandsvorsitzenden zum Aufsichtsratsvorsitzenden aufsteigen?

Pöhl: Das ist eine Unsitte. Der "Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats" wird vollzogen, als wenn dies ein normaler Schritt in der Karriere wäre. Manchmal mag dies nützlich sein. Nicht selten kann aber der frühere Vorstandsvorsitzende auf dem neuen Posten seine eigenen Fehler kaschieren. Und wer kennt nicht die Fälle, in denen der Alte dem Nachfolger Knüppel zwischen die Beine wirft?

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mm: Was ist die Konsequenz?

Pöhl: Der Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden ist zu wichtig, als dass man ihn als Belohnung für treue Dienste betrachten kann. Qualifikation und Unabhängigkeit sollten deshalb die entscheidenden Kriterien sein.

mm: Den geringsten Einfluss bei der Kontrolle des Unternehmens haben offenbar die Eigentümer, die Aktionäre.

Pöhl: Das gilt sicher nicht für Großaktionäre. Die haben natürlich Einfluss. Aber die Masse der Kleinaktionäre ist praktisch machtlos. Aktionärsdemokratie ist eine Illusion. Allenfalls kann man sagen, dass Investmentfonds neuerdings kritischer auftreten. Durch die Vorgänge der jüngsten Zeit und durch den Verfall der Aktienkurse hat jedenfalls die Idee vom Volkskapitalismus einen schweren Rückschlag erlitten. In Zukunft werden viele Menschen wieder davor zurückschrecken, ihr Geld in Aktien anzulegen.

mm: Beispiel Telekom.

Pöhl: In den Werbefilmen mit Manfred Krug wurde den Leuten vorgegaukelt, diese Aktie sei so sicher wie ein Sparbuch. Die fühlen sich doch heute auf den Arm genommen. Aber es gibt natürlich viele andere, ähnliche Beispiele im In- und Ausland, etwa Swissair, wo nicht nur die Aktionäre, sondern auch die Zeichner von Anleihen Milliarden verloren haben.

mm: Was heißt das für die Börsen?

Pöhl: Die Menschen haben das Vertrauen in die Aktien verloren.

mm: Der Vertrauensverlust, über den wir reden, ist am stärksten in den USA zu registrieren. Hat das kapitalistische Musterland Glanz eingebüßt?

Pöhl: Man muss, wenn man über Amerika spricht, natürlich bedenken, dass es dort immer schon rau hergegangen ist. Denken Sie an die Geschichte der Ölindustrie, an Rockefeller oder an die Geschichte der Eisenbahn und andere Beispiele. In Amerika hat es einen ständigen Kampf gegen kriminelle Praktiken im Big Business gegeben. Die Tatbestände waren damals zum Teil schlimmer als die, die wir heute erleben. Die Amerikaner haben jedoch immer die Fähigkeit bewiesen, solche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Dort regt sich viel schneller als in Europa Widerstand aus der Öffentlichkeit.

mm: Lassen Sie uns noch einen Moment nach den Ursachen für den Vertrauensverlust forschen. Sind möglicherweise im Zuge der Globalisierung Wertmaßstäbe verloren gegangen?

Pöhl: Ganz sicher hat der Sittenverfall auch mit der Globalisierung zu tun. Firmen können zum Beispiel leicht ihren Sitz verlagern und die Gewinne regional verschieben, wenn ihnen die Steuergesetze nicht passen. In einer grenzenlosen Wirtschaft fällt es generell schwer, Normen zu kontrollieren, zum Beispiel bei der Gewinnermittlung. Aber es gibt Ansätze für eine bessere internationale Kooperation, etwa auf den Finanzmärkten, denken Sie beispielsweise an die Richtlinien für die Eigenkapitalausstattung der Banken.

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mm: Ist das Verhalten der Manager-Elite nicht letztlich das Produkt einer Gesellschaft, die nur noch eines kennt: Geld? Haben sich die Normen verändert?

Pöhl: Das scheint so zu sein. Geld, Einkommen und Vermögen bestimmen die soziale Stellung, jedenfalls mehr als früher, als Titel oder Ämter viel wichtiger für das Sozialprestige waren als heute. Das wird natürlich kräftig gefördert durch die Werbung, durch den Ansehensverlust, den die Politiker erlitten haben, und durch andere Faktoren.

mm: Geld, Geld, Geld - das ist auch das Motto jener Vorstände, die sich ganz ungeniert auf Kosten ihrer Aktionäre bereichern, beispielsweise durch überaus großzügige Aktienoptionen. Kann man sagen, dass dieses Instrument zunehmend dazu dient, die Aktionäre auszuplündern?

Pöhl: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Die Grundidee ist ja richtig: den Manager am Gewinn des Unternehmens zu interessieren und seinen eigenen finanziellen Erfolg mit dem Erfolg des Unternehmens zu verbinden. Das hat aber zum Teil zu absurden Auswüchsen geführt, vor allen Dingen in Amerika. Dort haben Manager mit ihren Aktienoptionen hunderte von Millionen verdient. Leistung und Bezahlung stehen manchmal in keinem akzeptablen Verhältnis mehr.

mm: Jack Welch hat als angestellter Manager ein Privatvermögen von fast einer Milliarde Dollar angehäuft.

Pöhl: Da gibt es viele, Lou Gerstner von IBM oder Michael Eisner von Walt Disney. Diese Unternehmenschefs haben schon eine beachtliche Leistung erbracht, die eine herausragende Bezahlung verdient. Doch das muss innerhalb vernünftiger Grenzen bleiben. Solche Manager sind schließlich keine Eigentümer-Unternehmer; sie tragen kein Risiko, ihr eingesetztes Kapital zu verspielen.

mm: Das Spiel mit den Aktienoptionen gestalten viele auch ganz risikofrei ...

Pöhl: ... besonders wenn der Ausübungspreis bei fallenden Börsenkursen nach unten angepasst wird. Es gibt ja dafür Beispiele. Das ist natürlich nicht der Sinn der Sache. Der Sinn der Sache ist, dass das Management partizipiert, wenn der Wert des Unternehmens steigt. Wenn der Wert sinkt, dann müsste das Einkommen in der anderen Richtung an diese Entwicklung gekoppelt sein. Und das ist nur in sehr engen Grenzen der Fall.

mm: Es wirkt auch nicht gerade vertrauensbildend, dass die Aktienoptionen meistens in der Bilanz gänzlich unberücksichtigt bleiben, den Gewinn also nicht mindern.

Pöhl: Da wird die Illusion gepflegt, das Geld fiele vom Himmel. Das ist natürlich nicht richtig. Die Optionen stellen eine Verwässerung des Kapitals dar, sie müssen wie Personalkosten behandelt werden. Und die Aktionäre müssten gefragt werden.

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mm: Für Aufregung sorgen nicht nur die Optionsprogramme, sondern auch die normalen Bezüge. Die haben in Deutschland von 1997 bis 2000 bei den Dax-Vorständen jedes Jahr um rund 30 Prozent zugelegt.

Pöhl: Kritikwürdig ist vor allem, dass die Bezüge steigen, während der Gewinn der Firma oder der Aktienkurs in den Keller rauscht. Das kann man keinem vermitteln. Den Aktionären nicht, den Mitarbeitern nicht. Wer will es den Arbeitnehmern verargen, wenn sie sagen: Die Vorstände kassieren Millionen, und wenn wir 4,5 Prozent mehr Lohn haben wollen, dann ruiniert das angeblich die Firma. Solche Verhaltensweisen sind äußerst problematisch, sie beschädigen das Vertrauen in das System der Marktwirtschaft.

mm: Wenn das Vertrauen wiederhergestellt werden soll - was ist dann das dringendste Erfordernis? Braucht die Wirtschaft einen neuen Wertekanon?

Pöhl: Zunächst einmal sollte jedes Unternehmen einen Code of Ethics aufstellen. Da gehören viele Verhaltensregeln hinein. Beispielsweise, dass man keine Insidergeschäfte machen oder sich nicht bestechen lassen darf. Oder Regeln für Aufsichtsräte, wie ich das aus Unternehmen im Ausland kenne: 14 Tage vor und nach einer Aufsichtsratssitzung dürfen Ratsmitglieder keine Aktien dieses Unternehmens erwerben. Das sind kleine Dinge, aber sie sind schon wichtig.

mm: Wer kontrolliert, ob die Regeln eingehalten werden?

Pöhl: Ich bin im Board eines US-Unternehmens, in dem in jeder Sitzung berichtet wird, ob es Verstöße gegen den Code of Ethics gegeben hat. Die Aufsichtsratsmitglieder müssen zu Protokoll geben, wenn sie seit der letzten Aufsichtsratssitzung Aktien des Unternehmens gekauft haben. Ähnliche Regeln könnten und sollten wir auch in Deutschland einführen, soweit es sie noch nicht gibt.

mm: Ist eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte wie Fairness oder Anstand erforderlich? Ist es realistisch, so etwas zu erwarten?

Pöhl: Das ist wünschenswert, aber ich sehe nicht recht, wie das praktiziert werden soll. Ich bin da etwas skeptisch, muss ich sagen. Es ist letztlich eine Frage der Kultur, der Religion, der Schule, der Erziehung.

mm: Also - alles geht seinen Gang?

Pöhl: Nein. Das Wichtigste ist für mich Transparenz; Fehlleistungen müssen aufgedeckt werden. Die Herstellung von Öffentlichkeit ist ja ein Vorzug eines offenen freiheitlichen Systems gegenüber dem Kommunismus gewesen. Dort wurde alles unter den Teppich gekehrt. Korruption war alltäglich, aber keiner durfte das an die Öffentlichkeit bringen.

mm: Transparenz würde für die notwendigen Korrekturen sorgen?

Pöhl: Ja. Die Wirtschaft ist letzten Endes doch sehr flexibel. Fälle wie Enron oder Worldcom oder die Vorgänge um die Müllverbrennungsanlage in Köln, um nur einige Beispiele zu nennen, kommen Gott sei Dank doch irgendwann ans Licht. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich etwas ändert und dass sich das System regenerieren kann.
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