ftd.de, Fr, 28.12.2001, 7:00
Geldanlage: Ein Jahr der Erholung
Die Financial Times Deutschland hat die Chefstrategen von fünf großen Banken nach ihren Erwartungen und Empfehlungen für 2002 gefragt.
Goldmann Sachs :
Trotz der deutlichen Aktienkursgewinne seit dem 21. September empfehlen wir nach wie vor, Aktien über- und Renten unterzugewichten. Für die nächsten zwölf Monate prognostizieren wir eine Rendite von rund 19 Prozent für Aktien, vier Prozent für Renten und zwölf Prozent für Wandelanleihen.
Die Kursrally seit dem 21. September war bereits eindrucksvoll. Das ist historisch gesehen aber nicht ungewöhnlich. Es geschah schon öfter, dass die Börse haussierte, während die Gewinne nach unten revidiert wurden. Die Aktienkurse ziehen trotz schlechter Fundamentaldaten an, weil die Investoren die Wirkung der geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen vorwegnehmen. Greifen die Maßnahmen, ist es durchaus gerechtfertigt, dass in den Kursen bereits jetzt bessere Konjunktur- und Unternehmensmeldungen antizipiert werden. Wir sind überzeugt, dass die Aktien in den nächsten Wochen weitere Kursgewinne verbuchen werden, während die realen Anleiherenditen und die Risikoprämie für Aktien zurückgehen werden.
Konjunkturabhängige Branchen wie der Technologiesektor, zyklische Konsumgütertitel und Industrieunternehmen spielen bei der Erholung seit September eine Vorreiterrolle. Die Aktienkurse konjunkturabhängiger Unternehmen werden sich auch weiterhin überdurchschnittlich entwickeln, wenn sich die Wachstumserwartungen erfüllen, die Anleiherenditen weiter steigen und das Bewertungsniveau unterstützend wirkt.
Mit unserer Wachstumsprognose gehen wir jedoch nicht in diese Richtung. Unsere unter dem Konsens liegende Prognose steht in Einklang mit einem Rückgang - nicht mit einem Anstieg - der Bondrenditen. Gewinnrisiken in den konjunkturabhängigen Branchen bestehen möglicherweise fort, deshalb sind unsere Anlagestrategen für die einzelnen geografischen Räume nach wie vor vorsichtig in Bezug auf Sektoren, die in hohem Maße von der Weltwirtschaft abhängig sind.
Wir haben die Gewichtung für japanische Aktien von Übergewichten auf Neutral gesenkt. Für europäische Aktien haben wir die bestehende Untergewichtung verstärkt, während wir die Gewichtung von US-Aktien von Untergewichten auf Übergewichten erhöht haben.
HSBC :
Der weltweite Niedergang der Aktienkurse in den vergangenen zwei Jahren gehört zu den schlimmsten der Geschichte. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nur drei Phasen, in denen die amerikanischen Aktien zwei Jahre in Folge gefallen sind.
Der starke Anstieg der weltweiten Aktienkurse nach dem Tiefstand vom 21. September ist typisch für die zyklischen Erholungen während einer Rezession. Liquidität ist vorhanden, und die Risikoprämien beginnen zu sinken. Jeder bedeutende Bären-Markt in den USA in den vergangenen 120 Jahren kam in einer Rezession zum Ende, normalerweise sechs Monate, bevor sich die Wirtschaft erholte. Die derzeitige Erholung an den Aktienmärkten passt in dieses Schema, wenn man davon ausgeht, dass ein Ende der Rezession im zweiten Quartal 2002 wahrscheinlich ist.
Doch während die zyklische Erholung mit der hohen Liquidität und den sich ändernden Risikoprämien erklärt werden kann: Anhalten wird sie nur, wenn es wirklich zu Wirtschafts- und Gewinnwachstum kommt.
Wir glauben, dass strukturelle Faktoren die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Erholung beeinträchtigen könnten. Zugleich prognostizieren wir nur ein bescheidenes Wachstum bei den Betriebsgewinnen. Das Wirtschaftswachstum wird für eine Weile vom erweiterten Haushalt in den USA und von der expansiven Geldpolitik weltweit gestützt werden. Es gibt jedoch eine echte Gefahr, dass sich das Wachstum im Jahre 2003 wieder verlangsamen könnte. Unterdessen spiegelt sich im Wert der Aktien die Erwartung wider, die Dividenden und Gewinnzunahmen würden schnell wieder auf das Niveau der 90er Jahre steigen. Das ist in einer Zeit geringer und gleichmäßiger Inflation eher unwahrscheinlich. Daher erscheinen noch höhere Kurse im Jahr 2002 kaum möglich.
Wo liegt das Hauptrisiko? Wenn wir das Tempo der weltweiten Wirtschaftserholung zu vorsichtig einschätzen und die Wirkung der Zinserleichterungen stärker ist als gedacht, dann könnten die Zinssätze schneller wieder steigen als von den Anlegern erwartet wird. In den Krisenzeiten 1987 und 1998 verhinderten Liquiditätsschübe eine ernsthafte Krise. Der Fehler bestand damals darin, dass die Geldpolitiker in der Folge nicht rechtzeitig die Zügel wieder angezogen haben. Extreme Boomphasen folgten, die aggressive Zinserhöhungen nötig machten und so die Gefahr einer Rezession mit sich brachten. Diesmal dürfte die Geldpolitik daher sehr viel schneller mit Zinserhöhungen reagieren.
Auch an den Rentenmärkten wird es wohl nicht so starke Zugewinne geben wie in den vergangenen Jahren, da sich die Inflation stabilisiert und sich die Staatsausgaben in den USA erhöhen. Sollten die Notenbanken schnell auf eine Erholung reagieren, indem sie die Leitzinsen anheben, würde dies das Kurspotenzial ebenfalls begrenzen.
Deutsche Bank :
Die Aktienmärkte könnten sich 2002 erheblich schwächer entwickeln als im Vorjahr. Statistisch gesehen ist eigentlich mit einer Erholung der weltweiten Aktienmärkte zu rechnen, da drei aufeinander folgende Jahre mit sinkenden Aktienkursen nur äußert selten zu verzeichnen sind. Erste Anzeichen einer sich stabilisierenden US-Wirtschaft stützen diese Zuversicht. Aber die Sache hat einen Haken: Es gibt mindestens drei Gründe, warum wir mit Renditen rechnen, die unter dem Trend von nominal acht Prozent liegen.
Erstens könnte der Anleihenmarkt nach unserer Ansicht noch weiter fallen. Da die Inflationserwartungen sich in den USA wieder auf dem üblichen Niveau - zwei bis 2,5 Prozent - normalisiert haben, ist für die US-Schatzbriefe mit zehnjähriger Laufzeit mit Renditen zu rechnen, die näher bei sechs als bei fünf Prozent liegen. Das aber behindert die positive Entwicklung von Aktien. Zweitens wird die Unternehmensprofitabilität schwanken. Wir rechnen mit einem Gewinnwachstum im unteren zweistelligen Bereich, sofern die Zinssätze im nächsten Jahr nicht zu stark steigen. Drittens könnte die Risikoprämie für Aktien weiter steigen. Die Volatilität für Papiere im S&P 500 lag von 1989 bis 1992 bei 14,1 Prozent, die von 1998 bis heute bei 20,4 Prozent. Gleichzeitig fiel die durchschnittliche Aktienprämie von 2,6 Prozent auf 1,6 Prozent. Wie kann es sein, dass Investoren 100 Basispunkte ihres erwarteten Gewinns verlieren und gleichzeitig die Volatilität um erstaunliche 630 Basispunkte steigt? Langfristig kann das nicht so weitergehen.
In Bezug auf die Branchen gibt es zwei Hauptthemen: Wachstum und Profitabilität. Branchen mit Hyperwachstum (einige Technologieunternehmen, Telekommunikationsdienste und Medien) stehen dem Finanzsektor gegenüber. Die Profitabilität der Technologiebranche ist niedrig, die der Finanzbranche hoch - immer davon ausgehend, dass es sich hier um anhaltende Trends handelt. Wir meinen, dass der Wettbewerbsvorteil der schnell wachsenden Kolosse sich verbessern wird - wie es nach dem durch die PC ausgelösten Höhenflug 1984 bis 1986 der Fall war -, während der Wettbewerbsvorteil der Banken auf Grund des harten Konkurrenzkampfes zurückgehen wird. Wir ziehen außerdem eine Anlage im Investitionsbereich (Technologie) einer im Verbraucherbereich (Banken, insbesondere in den USA) vor.
UBS Warburg :
2002 wird ein Jahr der Erholung werden, sowohl für die westliche Wirtschaft als auch für die Aktienmärkte. Zusammengenommen werden die niedrigeren Zinssätze, die steuerlichen Anreize und aggressive Sparmaßnahmen der Unternehmen dazu führen, dass die Welt in der zweiten Jahreshälfte die erste synchrone Wirtschaftserholung seit zwei Jahrzehnten erleben wird. Seit 1982 kamen die drei großen Wirtschaftszonen der Welt - die USA, Japan und Europa - nicht mehr gleichzeitig aus einer Rezession. Gegenwärtig ist die Liquiditätslage sehr gut für die Finanzmärkte, vor allem die Aktienmärkte sehen sehr attraktiv aus. Wir halten sowohl den Aktienmarkt in den USA als auch die meisten kontinentaleuropäischen für sehr attraktiv im Verhältnis zu den Zinssätzen. Unser derzeitiger Lieblingsmarkt sind die USA.
In Europa wird die Einführung des Euro-Bargelds sicherlich einige störende Nebenwirkungen Anfang nächsten Jahres haben, wenn die neue Währung gleichzeitig mit den zwölf alten Währungen im Umlauf ist. Die Verschiebung der nachweihnachtlichen Räumungsverkäufe und die Verwirrung über die neue Währung könnten zu schlechteren Einzelhandelszahlen führen. Es wird jedoch erwartet, dass die Europäische Zentralbank im Januar erneut die Zinssätze senkt, und wir rechnen mit weiteren Zinsschritten der EZB, sollte die Wirtschaft in der Euro-Zone im ersten Quartal schwach bleiben.
Unsicherheit besteht weiterhin über die geopolitischen Aussichten. Aber während wir uns in den letzten Jahren an eine geopolitisch stabile Lage gewöhnt haben, war es für die Finanzmärkte eher an der Tagesordnung, in einem Umfeld der Ungewissheit zu agieren: Wir hatten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei große Kriege - Korea und Vietnam -, einen Kalten Krieg, der erst 1990 endete, und zusätzliche weitere Erschütterungen beispielsweise durch die Kubakrise oder die Konflikte im Nahen Osten.
Wie der Krieg gegen den Terrorismus ausgeht, können wir nicht vorhersagen, aber angesichts der vergangenen Phasen der Unsicherheit vermuten wir, dass es die Zinssätze und die allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen sind, die mittel- und langfristig die Preise der Finanzwerte bestimmen. 2002 scheint sich zu einem Jahr zu entwickeln, in dem diese beiden Faktoren sehr günstig für die Aktienmärkte sein werden.
Morgan Stanley :
Das neue Jahrtausend stand bislang zwar nicht gerade unter einem guten Stern, aber wir sind zuversichtlich, dass wir im Jahr 2002 eine Trendwende an den Aktienmärkten in Europa erleben werden. Allerdings erwarten wir nur ein Plus von fünf bis acht Prozent für das Gesamtjahr, während andere Marktbeobachter unseren Umfragen zufolge mit einer Steigerung um die 15 Prozent rechnen.
Die US-Wirtschaft bleibt der dominierende Faktor; ihre Erholung - sowohl im Hinblick auf Umfang als auch Dauer - wird die Entwicklung der Aktienmärkte bestimmen. In Europa sind die Aktienkurse gegenüber der erwarteten Wirtschaftserholung um durchschnittlich vier Monate voraus. In den zwölf Monaten nach dem Tiefpunkt der Marktrezession haben sie sich um durchschnittlich 44 Prozent erholt. Seit ihrem Tief im September sind die Kurse an den europäischen Märkten bislang nur um die Hälfte dieses Satzes - allerdings in zwei Monaten - gestiegen.
Damit die Erholung sich fortsetzt, müssen die Signale für eine Belebung der US-Wirtschaft mindestens bis in den Januar hinein bestehen bleiben. Jeder kennt zwar die Strukturprobleme und Risiken in der Weltwirtschaft; dennoch sollten wir nicht außer Acht lassen, dass das Zusammenspiel niedrigerer globaler Zinssätze, einer gelockerten Finanzpolitik in Europa und in den USA sowie gefallener Ölpreise in den vergangenen 40 Jahren in dieser Form praktisch nie vorgekommen ist. Dieses Potenzial zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums überwiegt sicherlich alle Zweifel. Anzeichen einer Erholung dürften sich daher bald zeigen.
Nimmt man das Jahr 1993 zum Vergleich - ein Jahr, in dem europäische Aktien im Zuge der Erholung Europas nach der Rezession bedeutende Renditen erzielen konnten -, so wird man feststellen: Obwohl die Gewinne noch fast ein Jahr lang nach dem Ende der Rezession weiterhin fielen, sorgten ein massiver Liquiditätsschub und umfangreiche Unternehmenssanierungen für eine kräftige Markterholung. Insgesamt sind die europäischen Aktienmärkte von Ende 1992 bis Anfang 1994 um mehr als 50 Prozent gestiegen.
Wir meinen, dass diese Faktoren - hohe Liquidität, Unternehmenssanierungen und eine wirtschaftliche Erholung in einem unterbewerteten Markt - einen Zuwachs im zweistelligen Bereich in Aussicht stellen. Wir halten eine Übergewichtung zyklischer Konsumwerte sowie Aktien aus den Sektoren TMT am Anfang der Erholungsphase für angebracht, können uns aber vorstellen, dass wir in der ersten Jahreshälfte 2002 eher in Richtung Banken und zyklische Industriewerte tendieren. Für defensive Aktien sehen wir nach wie vor wenig Spielraum.
Die Strategen wurden befragt von Torsten Engelbrecht, Redakteur der FTD
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