Verlieren und doch gewinnen
Von Bernhard Jünemann
Kaufen kann jeder, Verkaufen ist die wahre Kunst. Mit Money-Management lassen sich Chancen optimieren und Risiken begrenzen - Privatanleger agieren wie die Profis.
Der 18. November 1996: Tag der Erstnotiz der Aktie der Deutschen Telekom. Die Frankfurter Börse war ganz in Magenta-Rot getaucht. Telekom-Chef Ron Sommer und Finanzminister Theo Weigel strahlten: Der erste Kurs wurde bei 33 DM festgestellt, umgerechnet 16,88 Euro. Börsenaltmeister André Kostolany riet damals, unbedingt T-Aktien zu kaufen und - Geduld zu üben.
Wer seinem Rat damals gefolgt ist, dürfte sich mehr als einmal schwer gewundert haben. Die T-Aktie notierte - nach einem zwischenzeitlichen Hoch bei 104 Euro - wieder dort, wo sie mal vor fünf Jahren angefangen hatte. Wer gar beim Höchstkurs im Frühjahr 2000 gekauft hatte, hatte allen Grund,
Die Börse, eine irrationale Angelegenheit.
verzweifelt zu sein: Er muss Verluste von 80 Prozent verkraften. Die meisten Anleger, die man nach solchen Crash-Erfahrungen befragt, trösten sich: Sie seien doch Langfristanleger, da müsse man Verluste aussitzen können. Auf Nachbohren geben sie jedoch zu, dass sie gerne verkauft hätten und ihre "Langfriststrategie" eine höchst unfreiwillige ist.Verluste begrenzen
Nach den enormen Verlusten des vergangenen Jahres sind nun auch viele private Anleger reif für eine Methode, die hilft, die altbekannte, aber so schwer zu befolgende Börsenregel umzusetzen: Gewinne laufen lassen und Verluste begrenzen. Die Rede ist von Money-Management. Für die Profis in den Banken ist das nichts Neues. Die Risikokontrolle ihrer Institute baut darauf auf. Wenn die Verluste von Positionen auf Aktien oder erst recht Derivate eine bestimmte Marke überschreiten, werden diese Positionen geschlossen.
Bisher galt professionelles Money-Management für Privatanleger als viel zu kompliziert. Auch war das Interesse der Banken, Anleger von verlustreichen Erfahrungen abzuhalten, kaum ausgeprägt. Denn nach schlechten Erfahrungen in der Einzelanlage stürzten sich die Kunden umso mehr auf die vermeintlichen sicheren Fondsprodukte, ein Trend der zurzeit wieder einmal ausgeprägt ist. Dass diese Anlage nicht vor Verlusten schützt und 80 Prozent der Fondsmanager nicht besser als der Referenzindex sind, wird dabei geflissentlich übersehen.
Risikokontrolle mit System
Der Begriff "Money-Management" wird im Angelsächsischen sehr weit gebraucht und schließt sogar das Management der Haushaltsfinanzen und Kreditkartenschulden ein. Bezogen auf die Börse bezeichnet er ein umfassendes System der Risikokontrolle, im Einzelnen runtergebrochen bis auf die Frage: Wie viel setze ich für eine Position in einer konkreten Situation ein, um das Chance-Risiko-Verhältnis zu optimieren? Alexander Elder, Trader und Psychologe, formuliert die Ziele in unterschiedlicher Priorität: "Das erste Ziel des Money-Managements ist, das Überleben zu sichern. Sie müssen Risiken vermeiden, die Sie aus dem Geschäft werfen können. Das zweite Ziel ist ein gleichmäßiges Einkommen, und das dritte Ziel ist es, hohe Gewinne zu erwirtschaften - aber das Überleben steht an erster Stelle."
Money-Management ist auch eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass die Börse nicht einfach von Zinsen, Konjunkturdaten und Währungen bestimmt wird, sondern vor allem von Emotionen der Marktteilnehmer. "Börse ist Psychologie", pflegte André Kostolany zu predigen, der junge Wissenschaftszweig Behavioral Finance hat diese Einflüsse in jüngster Zeit systematisch aufgearbeitet. Anleger und Märkte folgen psychologischen Zyklen (siehe Grafik). Verblüffend ist die Erkenntnis, zu der der Psychologe Van K. Tharp nach dem Studium von 4000 Trader-Profilen gekommen ist: Eigentlich sei der Mensch dazu geschaffen, an den Märkten Geld zu verlieren. Tharp hat dazu Voreingenommenheiten analysiert, die den Börsenerfolg verhindern, vor allem:
- das Bedürfnis, die Börse zu verstehen,
- das Bedürfnis, Recht zu haben und
- das Lottosyndrom.
Weil der Mensch die Welt so behandle, als könne er sie verstehen und sogar begrenzt Vorhersagen treffen, neige er dazu ungerechtfertigte kausale Beziehungen zu kreieren. Handeln an den Märkten sei letztlich jedoch ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten. Das ganz natürliche Bestreben, lieber Recht als Unrecht zu haben, führe zu einer starken mentalen Bindung. Sie verhindere, sich rechtzeitig von falschen Prognosen zu lösen und aus den Märkten auszusteigen, vor allem, wenn bereits Verluste entstanden seien.
Das Lottosyndrom
Mit dem Lottosyndrom verweist Tharp auf ein weltweit bekanntes Spiel mit äußerst geringer Gewinnwahrscheinlichkeit. Weil die Spieler jedoch sechs Zahlen auswählen dürfen, glauben sie, dass Spiel auch in gewisser Weise zu kontrollieren. In der Psychologie ist dies als Kontrollillusion bekannt, ein Phänomen, dass Tharp vielen Börsenteilnehmern zuschreibt: "Kaum sind sie eine Position am Markt eingegangen, macht der Markt, was er will. Sie haben keine Kontrolle mehr - außer zu bestimmen, wann sie aussteigen."
Der Ausstieg, nicht der Einstieg, ist nach Tharp der Schlüssel für den Börsenerfolg. Auch private Anleger müssen lernen, wie die Profis exakt vorher festzulegen, wie viel Verlust sie bereit sind, hinzunehmen. Werden dann die entsprechenden Marken erreicht, heißt es: Verkaufen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Verluste zu groß werden. Denn Verluste wiegen schwer. Sie sind für jeden Anleger das Eingeständnis seines Scheiterns. Viele negieren sie deshalb einfach und trösten sich mit der Hoffnung, dass sie irgendwann ausgeglichen werden. Das erklärt, warum Kursverluste von 80 Prozent und mehr, etwa am Neuen Markt, einfach so hingenommen wurden. Dabei bedeutet ein Verlust von 80 Prozent, dass eine Aktie um 400 Prozent steigen muss, um wieder auf das Ausgangsniveau zurückzukehren (siehe Grafik). Wer traut der T-Aktie in den nächsten Monaten einen Gewinn von 400 Prozent zu? Selbst Ron Sommer würde zögern.
Money-Management ist ein Verfahren, um die Psychologie der Märkte, aber auch die eigene Psyche in den Griff zu bekommen. Voraussetzung ist, dass der Anleger sich auf einen Lernprozess einlässt, der oft schmerzhaft ist. Im weiteren Sinne zählen zu Money-Management bewährte Grundsätze wie sie zu jeder vernünftigen Anlagestrategie gehören: Die Aufteilung des Depots zwischen konservativen und spekulativen Anlagen sowie der Barquote (siehe Grafik). In heftig schwankenden Börsenphasen mit einem abwärts oder auch seitwärts gerichteten Trend ist man mit einem Cash-Anteil von 60 bis 80 Prozent gut bedient - was übrigens kaum ein Fondsmanager praktiziert. Zum Money-Management gehört die Diversifikation von Aktien und Märkten, sodass die Verluste durch Gewinne kompensiert oder überkompensiert werden.
Im engeren Sinne geht es beim Money- Management um Stoppkurse und Kapitaleinsatz. Sie bestimmen letztlich, wie groß der Verlust im schlimmsten Fall ist. Stoppkurse sind bei Anlegern nicht beliebt, zu groß ist die Angst, eine Aktie zu verkaufen, deren Kurs dann wieder nach oben dreht. Das kommt vor, auch Stoppkurse sind keine todsichere Methode. Aber sehr häufig verhindern sie unkalkulierbare Verluste. Stoppkurse eignen sich auch dazu - wenn sie regelmäßig nachgezogen werden - Gewinne zu sichern. Ob nun mit charttechnischen Methoden, zum Beispiel den Bruch von Unterstützungslinien, gearbeitet wird oder mit festen Prozentsätzen - auf jeden Fall ist es besser, Stoppkurse zu setzen als nichts zu tun.
Mindestens so wichtig ist der Kapitaleinsatz. Während der Stoppkurs das Verlustpotenzial einer einzelnen Aktie markiert, bestimmt der Kapitaleinsatz den Verlust einer Aktien- oder Optionsscheinposition insgesamt. Grundsätzlich gilt die Faustformel, je weiter der Stoppkurs vom Kaufkurs entfernt ist, desto geringer sollte der Kapitaleinsatz sein. Außerdem hat sich bewährt, diesen in Beziehung zum Gesamtkapital, also zur Depotgröße zu setzen. Erfahrene Investoren und Trader riskieren pro Position nie mehr als ein Prozent des Gesamtkapitals, wenn sie mit fremden Geld arbeiten. Auch wenn sie es auf eigene Rechnung tun, wagen sie nicht mehr als zwei Prozent. Auf diese Weise lassen sich auch schwierige Baissephasen gelassen überstehen.
Wer Money-Management beherrscht, kann auch kühl kalkulierend versuchen, mit kleinen Einsätzen den Aufschwung zu erwischen, der ja bekanntlich in der Angst der Baisse geboren wird. Entpuppt sich das vermeintliche Kaufsignal als Bullenfalle, wie so oft in den vergangen Wochen, ist er schnell wieder raus, kommt aber der Aufschwung, kann er das tun, was bekanntlich an der Börse am schönsten ist: Gewinne laufen lassen. Und das wird eines Tages auch wieder für die T-Aktie gelten.