Verkaufen – alles!
von Jochen Steffens
Holla, nun kippen die letzten Permabären. Ich will natürlich keine Namen nennen, aber ich bin schon sehr überrascht, hartnäckigste Bären werden plötzlich bullish? Nun fehlen nur noch ganz wenige und die deutschen Analysten sind sich einig: Alles ist bullish.
Als alter Antizykliker, wie ich einer bin, muss man da einfach ausrufen:
Verkaufen – alles!
Wirklich?
Wenn doch Börse so einfach wäre ... ist sie aber nicht. Die jeweiligen Situationen wollen genau analysiert werden. Wie ich letztens schon schrieb, es gibt auch Phasen wo Antizykliker verbrennen.
Also doch noch nicht verkaufen!
Nein, natürlich nicht. Auch wenn es kein gutes Gefühl für mich ist, auf der Seite zu stehen, wo alle stehen. Mir ist es immer ein wenig unangenehm – wenn ich überall das lese, was ich selber schreibe (Hinweis: Die Sentimentanalysen sahen in der letzten Woche etwas bearisher aus, da wieder alle mit einer Konsolidierung rechnen, das habe ich wohl zur Kenntnis genommen, ich rede hier von den Analysten).
Das Problem mit den Amis
Aber es gibt ein kleines, aber sehr bedeutendes Problem: Die Amis.
Wenn die Amis ähnlich stark gestiegen wären, wie die europäischen Indizes, dann würde ich nun lauthals zum Verkaufen auffordern. Kurz noch darauf hinweisen, dass man selten das Hoch erwischt und dann noch als Alternative enge Stops empfehlen. Aber das werde ich (noch) nicht tun, denn so einfach ist es nicht. Das hat viel Gründe, die ich folgend darstellen werde. Sie werden häufiger das Wörtchen "wenn" lesen. Das heißt, die folgenden Szenarien sind noch hypothetisch. Also, dann mal los:
Die Amis kommen gerade erst aus der Konsolidierung heraus, wenn die nun durchstarten, dann wird der Dax unweigerlich mitgezogen. Auch wenn viele es nicht mehr als sicher erachten, dass die CDU/FDP bei der nächsten Wahl eine Mehrheit erhält. Diese Zweifel werden zwar eingepreist, doch gegen steigende Amis wird sich das nicht durchsetzten. Auf der anderen Seite ist der wirtschaftliche Schub, der durch die WM in Deutschland zu erwarten ist, im Moment etwas durch die Politik "verdrängt". Beide Aspekte können aber dazu führen, dass der Dax nun schlechter als die Amis läuft, nachdem er lange Zeit eine bessere Performance ausgewiesen hat.
Es gibt noch weitere Gründe, die diese These unterstützen: Erstens, der Dax ist sehr weit vorgelaufen. Diese Schere wird irgendwann wieder geschlossen, ein häufig vorkommender, fast schon normaler Prozess. Zweitens: In Deutschland werden nun alle bullish werden, auch das wird die weitere Performance dämpfen. Dann mehren sich noch die Hinweise, dass der Hype des Dollars bald sein Ende finden könnte.
Das Ende der Dollarstärke
Auch das wiederum hat mehrer Gründe: Erstens werden die Zinsen in den USA nicht mehr lange steigen. Dann rücken wieder Handelsbilanzdefizite und Haushaltsdefizite in den Vordergrund. Die Ankündigung China, ihre Währung nicht mehr nur an den Dollar, sondern an einen internationalen Währungskorb koppeln zu wollen zeigt, dass das Vertrauen in den Dollar nachhaltig erschüttert ist. Wenn China diesen Schritt geht, dann wird Asien folgen. Wenn Asien diesen Schritt geht, dann ist damit zu rechnen, dass weltweit Dollarreserven abgebaut werden und stattdessen andere Währungsreserven aufgebaut werden.
Wenn aber der Dollar verkauft wird und stattdessen andere Währungen gekauft werden, dann wird der Dollar fallen – logisch.
Das Ende der Daxstärke
Wenn der Dollar wieder schwächer notiert, dann werden die Amikurse diese Schwäche wieder durch steigende Kurse umsetzten. Das Spiel kennen wir noch aus dem vorherigen Jahren. Gleichzeitig kann es sein, dass in diesem Fall die europäischen Kurse durch den dann in Relation steigenden Euro eher seitwärts laufen. Ein weiterer Grund, der dafür spricht, dass der Dax nun seine Outperformance zu den Amis beenden wird.
Das sind, wie gesagt, alles Möglichkeiten, die es aber zu beachten gilt. Insgesamt bleibt festzuhalten: Die bullishe Stimmung ist bedenklich, aber die Entwicklung der amerikanischen Börsen kann dazu führen, dass wir hier im Dax "überdrehen".
Andererseits, die Konsolidierung im Dax hat tatsächlich, wie erwartet, mit der Vielzahl seltsamer Nachrichten am Donnerstag eingesetzt. Das ist immer noch ein Warnhinweis, dass sie auch länger gehen könnte.
Beim Bund geht es noch nicht rund
Ein Punkt möchte ich noch anführen: Die Bund Futures kommen zwar langsam runter und haben sich damit von der Entwicklung im Dax (wie erwartet) abgekoppelt, aber sie sind noch lange nicht in wirklicher Bedrängnis. Von einer heftigen Bewegung aus der Sicherheit rein in den Dax, von einer wirklichen Euphorie kann noch nicht die Rede sein.
Insgesamt überwiegen damit immer noch die bullishen Aspekte. Trotzdem darf man die Warnzeichen nicht ausblenden. Der Blick geht in die USA, hier wird nun entschieden, ob der Dax weiter läuft oder nicht. Der zunächst festzuhaltende Aspekt ist erst einmal: Die überragende Stärke des Dax im Vergleich zu den amerikanischen Indizes wird wahrscheinlich für eine Weile ihr Ende gefunden haben. Alles weitere muss man sehen.
Passen Sie also gut auf Ihre Investitionen auf, reagieren Sie aber nicht hektisch.