VECTRON: Zombies im Web 2.0

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VECTRON: Zombies im Web 2.0

 
22.03.07 09:11
TELEPOLIS
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Zombies im Web 2.0

Peter Mühlbauer 21.03.2007

Vectron, ein Wiedergänger der New Economy, geht am Freitag erneut an die Börse

Vierzehn Jahre gibt es das Web nun schon - je nach Zeitrechnung sogar noch etwas länger. Das Web-Mittelalter, die Zeit zwischen Anfang und Gegenwart, war die Zeit der so genannten "New Economy". In einer etwas anderen historischen Metaphorik ist diese Zeit auch mit der Antike vergleichbar - und die Zeit des Web 2.0 mit der Renaissance. Das Web-Mittelalter wären nach dieser Zeitrechnung die Jahre dazwischen, mit P2P-Wikingern, DRM-Despoten und der Wayback Machine (1) als klösterliche Schreibstube der Kulturerhaltung. Doch manchmal braucht man die Wayback Machine gar nicht, um eine Reise zurück in diese Zeit zu unternehmen – manchmal finden sich die Zeugnisse längst vergangener Zeiten direkt neben denen der Gegenwart.

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"Was in ihr täglich geschieht, wird von keinem Verständigen als Geschichte getan oder gewollt. Erst eine gewisse Art, das Geschehene nochmals zu betrachten, macht aus Geschäften Geschichte" (Johann Gustav Droysen).

Vectron (2) war eines der Wunderkinder der New Economy. Vor dem ersten Börsengang hatte kaum jemand von dem Kassenhersteller aus der beschaulichen Studentenstadt Münster gehört. Weil auch IBM mit Registrierkassen angefangen hatte (3) und weil Vectron es verstand, sich als Anbieter für "intelligente Kassensysteme", "Filialkassenkommunikation", "Bildschirmkassensysteme", " PC-Lösungen" und als "Systemintegrator für die Vernetzung von Kassensystemen" anzupreisen, wurde das Unternehmen 1999 als Börsenstar gefeiert. Zwei Jahre später hatten die meisten Anleger mit Vectron viel Geld verloren. Am Freitag den 23. März soll das ehemalige Nemax-Unternehmen erneut an der Börse platziert werden.

In bemerkenswert euphorischer Geschichtsvergessenheit empfahlen die "Experten" vom Anlegermagazin Focus-Money Ende Februar die Aktie zu zeichnen.[1]

Das kurze Gedächtnis, mit dem Focus-Money operiert, stammt aus einer Zeit, als der Blick in die Geschichte noch einen Gang in Archive und Bibliotheken erforderte. Heute ist dazu manchmal nicht mal mehr eine Extra-Eingabe in die Suchmaschine nötig: die Spuren der Geschichte finden sich auf den gleichen Anlegerportalen, in denen auch potentielle neue Käufer nachsehen können: Bei den dooyoo-Testberichten (4) und auf Websites wie Aktienboard.com (5), finden sich direkt nach der Namenseingabe noch Vectron-Anpreisungen aus der Zeit, als der Zusammenbruch schon begonnen hatte, aber von vielen noch nicht als solcher wahrgenommen wurde.


Archäologie des Web 1.0

Unter der Überschrift "Vectron weiter akkumulieren" (6) gab zum Beispiel der Benutzer "129216" am 11.06.2000 seine "Premium-Meinung" ab:

"Die Analysten der DG Bank empfehlen die Aktie des Kassensystemherstellers Vectron Systems (WKN 760860) weiterhin zu akkumulieren [...]. Mit der beabsichtigte Übernahme der französischen Vertriebsgesellschaft Electro Calcul sowie der Mehrheitsübernahme an der belgischen Eijsink Holding habe dass Unternehmen seine europäische Expansionsstrategie konkretisiert".

Und noch am 06.10.2000 empfahlen die Analysten der Bankgesellschaft Berlin (7) laut "Badinvestor" folgendes:

"Der Hersteller elektronischer Kassensysteme liegt mit seiner Umsatz- und Ertragsentwicklung entgegen der Marktmeinung völlig im Plan. Die Umsätze sind aufgrund von Akquisitionen gestiegen, wogegen die EBIT-Erwartung unverändert geblieben ist. Die EBIT-Marge dürfte aber nach Ansicht der Analysten der Bankgesellschaft Berlin in den kommenden Monaten wieder zunehmen. Aus diesem Grund stufen die Experten die Vectron-Aktie mit "Kaufen" ein. Der Gewinn je Aktie soll im Jahr 2000 bei 0,78 Euro, im Jahr 2001 bei 2,16 Euro und im Jahr 2002 bei 3,55 Euro liegen".

Derselbe Teilnehmer postete am 11.10.2000, dass die Analysten von Value Research Aktien des Anbieters von "innovativen Kassensystemen und zugehöriger Kommunikations-Software" als "deutlich zu niedrig" bewertet einstuften und "Kauf" empfahlen. Die Argumente waren damals internationale Expansion und Wachstumspotenzial.

"Börsenhai" meldete dagegen am 28.11.2001 eine Nachricht, die der Theorie vom Wert der internationalen Expansion etwas widersprach: Danach verkauft das Unternehmen seine amerikanische Tochter, die "für einen erheblichen Teil der Verluste der Muttergesellschaft verantwortlich" gewesen sei, und am 21.12.2000 hieß es bei FinanzNachrichten.de (8): "Vectron AG verkaufen". Plötzlich war die Rede von "Fehlern im Rechnungswesen und im Controlling", einer "nicht zufrieden stellenden Berichterstattung im Jahr 2000" und dass keine "überzeugende" Planung vorliege.


Zurück in der Gegenwart

Auf der Vectron-Seite von dooyoo kommt nach dem August 2000 viele Jahre lang nichts – bis ein offenbar von der Nachricht des neuerlichen Börsengangs erschreckter Dr. Kellermann am 08.03.07 unter der Überschrift Finger weg! (9) eine Warnung postet:

"Das Unternehmen 'Vectron' hat bereits am neuen Markt in 2001/2002 eine Riesen-Monsterpleite hingelegt. Die vollmundigsten Versprechungen von über 250 Mio. Euro Umsatzziel waren schon damals nur heiße Luft. Der Kurseinbruch um 98 % kam schnell. Dann wurde im Rahmen einer 'Fusion' die Hansa Group AG über den 'Dorn gezogen' bevor man sich über ein MBO ( Management-Buy-out) wieder von der Hansa trennte und höchstwahrscheinlich auch dort verbrannte Erde hinterließ. Jetzt kündigt das Unternehmen euphorisch einen Neubeginn über ein IPO (das keins ist) an und will mit der gleichen Story, allerdings unter deutlich verschärften Wettbewerbsbedingungen den Neuversuch starten [...]. Die Vollidioten, die diese Aktie zeichnen, müssen hoffentlich erst noch geboren werden".

Bemerkenswert auch, wie der offenbar geprellte Anleger die Pflichtfelder ausfüllt: "Vorteile: Keine. Nachteile: Geld verbrennen".

Am 13.03.2007 war dann das Anlegermisstrauen auch bis zu den ersten Analysten durchgedrungen: In Ausgabe 10 des "Performaxx-Anlegerbriefs" vom 09.03.2007 empfahlen (10) die "Experten" die Aktie von Vectron Systems "nur für risikobewusste Investoren".


Neue Abhängigkeit statt Neuer Markt

Mit dem Geld aus dem neuen Börsengang soll das gemacht werden, was auch schon Ende der 1990er angepeilt war: Wachstum, internationale Vertriebsaktivitäten und Produktpalette ausbauen, und die "Erschließung angrenzender Geschäftsfelder im Bereich Internettechnologie" (11).

Das Raunen um Vectron ist in dieser Hinsicht nicht weniger rätselhaft als vor sieben Jahren. Allerdings scheint es, als ob die Buzzwords von der entfesselten Kraft aus Markt und Technologie nicht ausreichen und durch das Lockmittel der Staatshilfe etwas aufgepeppt werden müssen.

Vectron hat kein Monopol auf elektronische Kassensysteme, sondern ist ein Wettbewerber unter mehreren. Womit Focus-Money für die Anlage wirbt, das sind die angeblich guten Kontakte der Firma zur Regierung und zu den Finanzbehörden, die ihr bei der erwarteten Pflicht zur Installation von Finanzamts-Spyware, dem "Fiskalspeicherzwang", saftige Profite sichern sollen. Wenn gastronomische Betriebe einen so genannten Fiskalspeicher installieren müssen, der vom Finanzamt lesbar ist, dann soll auch Vectron kräftig kassieren – weniger durch den Verkauf neuer Hardware als durch einfache Software-Updates. Focus-Money nennt hier offen die Vorzüge einer abhängigkeitsökonomischen Situation (12) gegenüber einem Markt:

"Entscheidend: Die Umstellung wird für Vectron keinen großen Aufwand bedeuten, da lediglich eine andere Software aufgespielt wird. Andererseits werden die Kunden bereit sein, relativ viel zu bezahlen, bevor sie sich eine gänzlich neue Kasse anschaffen müssten. Angesichts dieser Perspektiven ist die Bewertung sehr günstig".

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Gut platzierte Online-Werbung kann immer wieder ein Quell der Heiterkeit sein

Literaturangaben

[1]

MoneyMaker Neuemmissionen. Vectron. In: Focus-Money 10, 28. Februar 2007: 26-27

Links

(1) http://www.archive.org/index.php
(2) http://www.vectron.de/index.php
(3) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/8/8778/1.html
(4) http://www.dooyoo.de/aktien/vectron-systems-ag-wkn760860/Testberichte/
(5) http://www.aktienboard.com/bullish/archive/index.php/t-17.html
(6) http://www.dooyoo.de/aktien/vectron-systems-ag-wkn760860/216384/
(7) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12933/1.html
(8) http://www.finanznachrichten.de/...ichten-2000-12/artikel-1206796.asp
(9) http://www.dooyoo.de/aktien/vectron-systems-ag-wkn760860/1096505/
(10) http://www.aktiencheck.de/artikel/analysen-Neuemissionen-1492093.html
(11) http://www.yeald.de/Yeald/a/62081/...8D70182F9F837453DA351621953876B0
(12) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/7/7579/1.html

Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24902/1.html

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