€uroumstellung, Kafka hat es gewusst

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vega2000:

€uroumstellung, Kafka hat es gewusst

 
08.03.02 11:51
Deutscher Handel, deutsche Dienstleister, herhören! Kennt Ihr vielleicht Franz Kafka? Nein? Nun, das war eine Art Einzelhändler oder Dienstleister in Sachen Literatur, und er hat einmal eine Story mit dem Titel „Vor dem Gesetz“ geschrieben, in der einer sein ganzes Leben vor der Tür des Gesetzes verbringt. Erst kurz vor seinem Tod erfährt er, dass diese Tür einzig und allein für ihn bestimmt war, dass er sozusagen nur hätte hineingehen müssen und dass jetzt zugesperrt wird. Saukomisch, die Geschichte, solltet Ihr mal lesen!

Warum wir das erzählen? Weil es dabei um die Kunst geht, den richtigen Augenblick wahrzunehmen, die, wie man so sagt, Gunst der Stunde zu nutzen. Die Gebildeten verwenden dafür den Ausdruck „Kairos“, und wenn es für Euch, deutscher Handel und dito Dienstleister, je einen fetteren Kairos, ein gefundeneres Fressen und eine gemähtere Wiese gegeben hat als die Umstellung von der Mark auf den Euro, dann wollen wir sonst wie heißen. Schon die frühgriechischen Weisen wussten, dass es in Zeit und Raum eine von höherer Hand markierte Stelle gibt, deren Erkenntnis und Nutzung unserem Handeln Gelingen verspricht, indem nämlich alles Geschehen hienieden einer schicksalhaft festgelegten Symmetrie unterliegt – woraus Ihr, Händler und Dienstleister, den Schluss gezogen habt, dass es allemal besser ist, fünf Mark durch fünf oder vier oder wenigstens dreieinhalb Euro zu ersetzen, als mit der ewigen Symmetrie in Konflikt zu geraten. Sollen wir Euch dafür tadeln, wie das die Verbraucherzentralen tun, die Euch vorwerfen, Ihr hättet die Preise für Eueren Kram um bis zu 50 Prozent in die Höhe geschraubt? Wir tun das nicht, obwohl wir Euer Tun für schweinemäßig und völlig verwerflich halten. Andererseits lehrt kein Kleinerer als Aristoteles in Bezug auf den Kairos, dass bei dessen Vorhandensein sogar an sich sinnwidrigste Aktionen zu sinnvollen, weil rechtzeitig unternommenen Handlungen werden, und damit hat sich Euere Schuftigkeit nicht nur geschäftlich, sondern letztlich auch ethisch- philosophisch ausgezahlt. In diesem Licht stehen wir Verbraucher gern als die Deppen da, die wir wohl wirklich sind, weil wir zwar das Gefühl hatten, dass das Geld jetzt zügiger wegrinnt als früher, weil wir uns aber wie so oft nichts zu sagen trauten. Hätte ein echter Kairos für uns sein können, aber das haben wir scheint’s verschissen, jedenfalls bis zur nächsten Währungsumstellung.

Um noch einmal auf den eingangs erwähnten Herrn Kafka zu kommen. Ihr, deutscher Handel und deutsche Dienstleister, habt nicht lange gefackelt, sondern seid durch die einzig mögliche Tür, nämlich die der Währungsumstellung, ins Innere des Heiligtums Ertragssteigerung hineingestiefelt. Dafür kommt Ihr aber auch bei Franz Kafka nicht vor: Der schreibt nur über Verlierer wie uns.

Quelle:Süddeutsche Zeitung
 





 
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