Übernahmen von börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland
Inhalt dieses Artikels
Strikter Ablaufplan für Angebotsverfahren
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Viele Verteidigungsmöglichkeiten
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Gleiche Bedingungen für alle
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Pflichtangebot auch für Töchter
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Ausschluss von Minderheitsaktionären möglich
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Kontakt und weitere Informationen
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Seit Anfang 2002 müssen Übernahmen börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland erstmals nach zwingenden gesetzlichen Regeln ablaufen. Nachdem die europäische Übernahmerichtlinie im letzten Sommer im Europäischen Parlament gescheitert ist, hat der deutsche Gesetzgeber sich nun ein eigenes Übernahmerecht zurechtgeschnitten. Die neuen Regeln bleiben zumindest so lange gültig, bis man sich auf europäischer Ebene in einem erneuten Anlauf über ein europäisches Übernahmerecht geeinigt hat.
Berlin, 2002-10-25. Anders als das Schlagwort "Übernahmegesetz" suggeriert, erfasst das "Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz" (WpÜG) sämtliche öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren. Sein Anwendungsbereich geht damit weit über die Übernahme von Unternehmen hinaus. Es richtet sich auch an freiwillige Angebote eines Bieters, die nicht zu einer Kontrolle über das Zielunternehmen führen. Die Schwelle für die Kontrollmehrheit legt das Gesetz bei 30 Prozent fest. Erst ein darüber hinausgehendes Angebot stellt ein (immer noch freiwilliges) Übernahmeangebot dar, dem im Erfolgsfall zwingend ein Pflichtangebot an alle übrigen Aktionäre folgen muss.
Zu beachten bleibt aber, dass es sich um ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Aktien bzw. Wandel- oder Optionsanleihen handeln muss. Dazu gehört nicht nur der klassische Fall einer Zeitungsanzeige, sondern unter Umständen auch ein privates Angebot an mehrere Aktionäre. Die hier verbleibenden Zweifelsfälle werden mangels genauerer gesetzlicher Vorgaben wohl erst die Gerichte klären. Unzweifelhaft liegt dagegen kein öffentliches Angebot vor, wenn anonyme Zukäufe am Kapitalmarkt erfolgen.
Strikter Ablaufplan für Angebotsverfahren
Alle Angebotsverfahren müssen zukünftig nach einem verbindlichen Zeitplan mit diversen Berichts- und Informationspflichten ablaufen. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel überwacht und koordiniert dieses Verfahren. Der Bieter muss zunächst seine reine Angebotsabsicht veröffentlichen. Vier Wochen später hat er den Aktionären und Arbeitnehmern der Zielgesellschaft eine detaillierte Angebotsunterlage vorzulegen. Sie muss in deutscher Sprache verfasst sein und insbesondere über die Finanzierung der Übernahme und über die damit verfolgten Ziele informieren. Zu der Angebotsunterlage hat der Vorstand der Zielgesellschaft eine Stellungnahme abzugeben, der die Äußerung seines Betriebsrats oder ggf. seiner Arbeitnehmer beizufügen ist. Bei einer Übernahme muss der Übernehmer als Gegenleistung Geld oder eine zum Handel zugelassene ("liquide") Aktie anbieten. Der Mindestpreis liegt beim gewichteten Durchschnittspreis der Dividendentitel der Zielgesellschaft während der drei Monate vor Bekanntgabe des Übernahmeangebotes. Hat der Erwerber aber während dieser Zeit, zum Beispiel bei einem Paketkauf, eine höhere Gegenleistung gezahlt, muss er diese dann auch allen anderen Aktionären anbieten.
Viele Verteidigungsmöglichkeiten
Hauptstreitpunkt sowohl bei der europäischen Übernahmerichtlinie als auch dem deutschen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz war die der attackierten Gesellschaft eingeräumte Verteidigung. Ihre Ausgestaltung beinhaltet zugleich eine ökonomische Bewertung von Übernahmen. Wer sie volkswirtschaftlich als sinnvoll erachtet, wird Verteidigungsmöglichkeiten nur sehr eingeschränkt zulassen, wer sie umgekehrt als schädlich ansieht, wird die Zielgesellschaft demgegenüber üppig mit Verteidigungsmitteln ausstatten wollen. Nach der gescheiterten europäischen Richtlinie durfte die Verwaltung der angegriffenen Gesellschaft so gut wie nichts unternehmen, was den Erfolg der Übernahme gefährden könnte. Lediglich die Suche nach einem weiteren Bieter war ihr gestattet.
Der deutsche Gesetzgeber zeigt sich weitaus großzügiger, indem er zusätzliche Verteidigungsmaßnahmen draufsattelt. Zuerst kann die Hauptversammlung im Wege von Vorratsbeschlüssen den Vorstand und den Aufsichtsrat für die Dauer von 18 Monaten zu Abwehrmaßnahmen ermächtigen – ohne dass dabei schon ein konkretes Übernahmeangebot vorliegt. Die Maßnahmen müssen aber im entsprechenden Beschluss zumindest "ihrer Art nach" bestimmt sein. Es darf also kein Blankoscheck ausgestellt werden. Weiterhin darf die Verwaltung der Zielgesellschaft während eines Übernahmeangebotes solche Handlungen ausführen, die unter Hinwegdenken des Angebotes zulässig gewesen wären. Damit soll die normale Geschäftstätigkeit ungehindert weiterlaufen, worunter aber unter Umständen auch außergewöhnliche, strategische Geschäfte fallen können. Schließlich darf der Vorstand solche Abwehrmaßnahmen durchführen, denen der Aufsichtsrat vorab zugestimmt hat. Solche Handlungen (am Aktionär vorbei!) sind aber dann nicht mehr möglich, wenn die Hauptversammlung nach "allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen" exklusiv zuständig ist, zum Beispiel bei einer Kapitalerhöhung. Nicht zu vergessen ist zudem, dass die Verwaltung der Zielgesellschaft mit ihrer zwingenden Stellungnahme im Angebotsverfahren sowie mit freiwilligen Werbemaßnahmen (man denke an die Baby-Popos im Fall Vodafone-Mannesmann) über weitere effektive Verteidigungsmittel verfügt.
Gleiche Bedingungen für alle
Dieser stattliche Verteidigungskatalog wird bei einer Einigung auf EU-Ebene für ein europäisches Übernahmerecht keine Gnade finden. Allerdings entspringt er der Tatsache, dass sich Unternehmen in anderen EU-Staaten recht gut gegen Übernahmen schützen können, etwa mit den gerade in Deutschland verbotenen Mehrfachstimmrechten. Umso dringlicher ist eine europäische Regel, die gleiche Bedingungen für alle Unternehmen im Binnenmarkt herstellt. Die EU-Kommission hat für dieses Frühjahr einen neuen Richtlinienentwurf angekündigt, der dieses Problem endlich anpacken will. Zugleich hat sie erklärt, die neue Richtlinie mit einer Umsetzungsfrist von zwei Jahren zu versehen – und nicht mehr, wie bei der gescheiterten Richtlinie mit einer gesonderten Umsetzungsfrist für die zulässigen Verteidigungsmaßnahmen von bis zu sechs Jahren.
Pflichtangebot auch für Töchter
Dem Kontrollerwerb muss spätestens nach vier Wochen ein mit einer Angebotsunterlage versehendes Pflichtangebot folgen. Davon kann sich der Bieter unter bestimmten Voraussetzungen beim Bundesamt für den Wertpapierhandel befreien lassen, zum Beispiel bei Unternehmenssanierungen. Grundsätzlich gilt das Pflichtangebot auch für alle börsennotierten Tochterunternehmen. Hier gibt es wiederum eine Befreiungsmöglichkeit, wenn der Buchwert der Beteiligung an der Tochtergesellschaft weniger als 20 Prozent des buchmäßigen Aktivvermögens des Mutterunternehmens ausmacht.
Ausschluss von Minderheitsaktionären möglich
Völlig unabhängig von Übernahmen können künftig Minderheitsaktionäre gegen ihren Willen ausgeschlossen werden ("Squeeze-out"). Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber in das Aktiengesetz eingefügt (§§ 327 a ff. Aktiengesetz). Sie gilt damit auch für nichtbörsennotierte Unternehmen. Hält der Hauptaktionär einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien 95 Prozent des Grundkapitals, kann die Hauptversammlung nunmehr beschließen, ihm die übrigen Aktien gegen Gewährung einer "angemessenen" Barabfindung zu übertragen. Über die Angemessenheit der Abfindung wachen vom Gericht ausgewählte und bestellte Prüfer. Die Höhe der Gegenleistung kann zudem im gerichtlichen Spruchverfahren überprüft werden.
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Viele Verteidigungsmöglichkeiten
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Gleiche Bedingungen für alle
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Pflichtangebot auch für Töchter
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Ausschluss von Minderheitsaktionären möglich
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Kontakt und weitere Informationen
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Seit Anfang 2002 müssen Übernahmen börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland erstmals nach zwingenden gesetzlichen Regeln ablaufen. Nachdem die europäische Übernahmerichtlinie im letzten Sommer im Europäischen Parlament gescheitert ist, hat der deutsche Gesetzgeber sich nun ein eigenes Übernahmerecht zurechtgeschnitten. Die neuen Regeln bleiben zumindest so lange gültig, bis man sich auf europäischer Ebene in einem erneuten Anlauf über ein europäisches Übernahmerecht geeinigt hat.
Berlin, 2002-10-25. Anders als das Schlagwort "Übernahmegesetz" suggeriert, erfasst das "Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz" (WpÜG) sämtliche öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren. Sein Anwendungsbereich geht damit weit über die Übernahme von Unternehmen hinaus. Es richtet sich auch an freiwillige Angebote eines Bieters, die nicht zu einer Kontrolle über das Zielunternehmen führen. Die Schwelle für die Kontrollmehrheit legt das Gesetz bei 30 Prozent fest. Erst ein darüber hinausgehendes Angebot stellt ein (immer noch freiwilliges) Übernahmeangebot dar, dem im Erfolgsfall zwingend ein Pflichtangebot an alle übrigen Aktionäre folgen muss.
Zu beachten bleibt aber, dass es sich um ein öffentliches Angebot zum Erwerb von Aktien bzw. Wandel- oder Optionsanleihen handeln muss. Dazu gehört nicht nur der klassische Fall einer Zeitungsanzeige, sondern unter Umständen auch ein privates Angebot an mehrere Aktionäre. Die hier verbleibenden Zweifelsfälle werden mangels genauerer gesetzlicher Vorgaben wohl erst die Gerichte klären. Unzweifelhaft liegt dagegen kein öffentliches Angebot vor, wenn anonyme Zukäufe am Kapitalmarkt erfolgen.
Strikter Ablaufplan für Angebotsverfahren
Alle Angebotsverfahren müssen zukünftig nach einem verbindlichen Zeitplan mit diversen Berichts- und Informationspflichten ablaufen. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel überwacht und koordiniert dieses Verfahren. Der Bieter muss zunächst seine reine Angebotsabsicht veröffentlichen. Vier Wochen später hat er den Aktionären und Arbeitnehmern der Zielgesellschaft eine detaillierte Angebotsunterlage vorzulegen. Sie muss in deutscher Sprache verfasst sein und insbesondere über die Finanzierung der Übernahme und über die damit verfolgten Ziele informieren. Zu der Angebotsunterlage hat der Vorstand der Zielgesellschaft eine Stellungnahme abzugeben, der die Äußerung seines Betriebsrats oder ggf. seiner Arbeitnehmer beizufügen ist. Bei einer Übernahme muss der Übernehmer als Gegenleistung Geld oder eine zum Handel zugelassene ("liquide") Aktie anbieten. Der Mindestpreis liegt beim gewichteten Durchschnittspreis der Dividendentitel der Zielgesellschaft während der drei Monate vor Bekanntgabe des Übernahmeangebotes. Hat der Erwerber aber während dieser Zeit, zum Beispiel bei einem Paketkauf, eine höhere Gegenleistung gezahlt, muss er diese dann auch allen anderen Aktionären anbieten.
Viele Verteidigungsmöglichkeiten
Hauptstreitpunkt sowohl bei der europäischen Übernahmerichtlinie als auch dem deutschen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz war die der attackierten Gesellschaft eingeräumte Verteidigung. Ihre Ausgestaltung beinhaltet zugleich eine ökonomische Bewertung von Übernahmen. Wer sie volkswirtschaftlich als sinnvoll erachtet, wird Verteidigungsmöglichkeiten nur sehr eingeschränkt zulassen, wer sie umgekehrt als schädlich ansieht, wird die Zielgesellschaft demgegenüber üppig mit Verteidigungsmitteln ausstatten wollen. Nach der gescheiterten europäischen Richtlinie durfte die Verwaltung der angegriffenen Gesellschaft so gut wie nichts unternehmen, was den Erfolg der Übernahme gefährden könnte. Lediglich die Suche nach einem weiteren Bieter war ihr gestattet.
Der deutsche Gesetzgeber zeigt sich weitaus großzügiger, indem er zusätzliche Verteidigungsmaßnahmen draufsattelt. Zuerst kann die Hauptversammlung im Wege von Vorratsbeschlüssen den Vorstand und den Aufsichtsrat für die Dauer von 18 Monaten zu Abwehrmaßnahmen ermächtigen – ohne dass dabei schon ein konkretes Übernahmeangebot vorliegt. Die Maßnahmen müssen aber im entsprechenden Beschluss zumindest "ihrer Art nach" bestimmt sein. Es darf also kein Blankoscheck ausgestellt werden. Weiterhin darf die Verwaltung der Zielgesellschaft während eines Übernahmeangebotes solche Handlungen ausführen, die unter Hinwegdenken des Angebotes zulässig gewesen wären. Damit soll die normale Geschäftstätigkeit ungehindert weiterlaufen, worunter aber unter Umständen auch außergewöhnliche, strategische Geschäfte fallen können. Schließlich darf der Vorstand solche Abwehrmaßnahmen durchführen, denen der Aufsichtsrat vorab zugestimmt hat. Solche Handlungen (am Aktionär vorbei!) sind aber dann nicht mehr möglich, wenn die Hauptversammlung nach "allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen" exklusiv zuständig ist, zum Beispiel bei einer Kapitalerhöhung. Nicht zu vergessen ist zudem, dass die Verwaltung der Zielgesellschaft mit ihrer zwingenden Stellungnahme im Angebotsverfahren sowie mit freiwilligen Werbemaßnahmen (man denke an die Baby-Popos im Fall Vodafone-Mannesmann) über weitere effektive Verteidigungsmittel verfügt.
Gleiche Bedingungen für alle
Dieser stattliche Verteidigungskatalog wird bei einer Einigung auf EU-Ebene für ein europäisches Übernahmerecht keine Gnade finden. Allerdings entspringt er der Tatsache, dass sich Unternehmen in anderen EU-Staaten recht gut gegen Übernahmen schützen können, etwa mit den gerade in Deutschland verbotenen Mehrfachstimmrechten. Umso dringlicher ist eine europäische Regel, die gleiche Bedingungen für alle Unternehmen im Binnenmarkt herstellt. Die EU-Kommission hat für dieses Frühjahr einen neuen Richtlinienentwurf angekündigt, der dieses Problem endlich anpacken will. Zugleich hat sie erklärt, die neue Richtlinie mit einer Umsetzungsfrist von zwei Jahren zu versehen – und nicht mehr, wie bei der gescheiterten Richtlinie mit einer gesonderten Umsetzungsfrist für die zulässigen Verteidigungsmaßnahmen von bis zu sechs Jahren.
Pflichtangebot auch für Töchter
Dem Kontrollerwerb muss spätestens nach vier Wochen ein mit einer Angebotsunterlage versehendes Pflichtangebot folgen. Davon kann sich der Bieter unter bestimmten Voraussetzungen beim Bundesamt für den Wertpapierhandel befreien lassen, zum Beispiel bei Unternehmenssanierungen. Grundsätzlich gilt das Pflichtangebot auch für alle börsennotierten Tochterunternehmen. Hier gibt es wiederum eine Befreiungsmöglichkeit, wenn der Buchwert der Beteiligung an der Tochtergesellschaft weniger als 20 Prozent des buchmäßigen Aktivvermögens des Mutterunternehmens ausmacht.
Ausschluss von Minderheitsaktionären möglich
Völlig unabhängig von Übernahmen können künftig Minderheitsaktionäre gegen ihren Willen ausgeschlossen werden ("Squeeze-out"). Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber in das Aktiengesetz eingefügt (§§ 327 a ff. Aktiengesetz). Sie gilt damit auch für nichtbörsennotierte Unternehmen. Hält der Hauptaktionär einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien 95 Prozent des Grundkapitals, kann die Hauptversammlung nunmehr beschließen, ihm die übrigen Aktien gegen Gewährung einer "angemessenen" Barabfindung zu übertragen. Über die Angemessenheit der Abfindung wachen vom Gericht ausgewählte und bestellte Prüfer. Die Höhe der Gegenleistung kann zudem im gerichtlichen Spruchverfahren überprüft werden.