HANDELSBLATT, Dienstag, 19. Juni 2007, 20:10 Uhr
Aktien vor einer Hausse
Die Bullen-Tipps der Charttechniker
Von Suzanne Mc Gee
Charttechniker sagen für viele große US-Aktien mit hohem Börsenwert Kurssteigerungen von bis zu 200 Prozent vorher. Außerdem empfehlen sie Gold.
Der Aktienmarkt bietet derzeit ein groteskes Bild: Obwohl die Börse seit mehr als vier Jahren fast stetig steigt und ein Rekordhoch nach dem anderen erklimmt, gibt es anscheinend nur Enttäuschte. Zum einen wimmelt es von frustrierten Pessimisten. Sie weissagen schon seit Monaten, manche seit Jahren, das baldige Aus des aktuellen Börsenbooms. Dazu führen sie stets griffige und plausible Argumente ins Feld – und werden von den steigenden Kursen regelmäßig eines Besseren belehrt. "Die Pessimisten werden nicht so bald Genugtuung erhalten", meint John Roque, Marktstratege für Technik beim Brokerhaus Natexis Bleichroeder, "die Markttechnik deutet nicht auf einen größeren Einbruch hin."
Zugleich ist der Bullenmarkt der Jahre 2003 bis 2007 übervoll mit unzufriedenen Optimisten. Das sind jene Anleger, die es bereuen, zu früh ihre Gewinne mitgenommen zu haben. Zum Beispiel in den Korrekturen vom Februar 2007 oder vom August 2006. "Es rennt fast keiner herum und schreit Hurra vor Begeisterung über die fetten Gewinne", beobachtet Roque. Dahinter steckt die verbreitete Angst der Anleger, der Markt könne zu weit gelaufen sein und man werde wie 2001 und 2002, nach der letzten großen Hausse, wieder büßen müssen für die satten Gewinne von heute. Vom "irrationalen Überschwang", der den Markt vor rund einem Jahrzehnt im Zuge der allgemeinen Internet- und High-Tech-Euphorie erfasst hatte, ist bei dieser Hausse nichts zu spüren. Den Begriff hatte der damalige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, geprägt – auch heute einer der eifrigsten und prominentesten Warner.
Nicht nur die privaten Anleger, auch die Profis sind vorsichtiger geworden als im vorherigen Boom. Charttechniker – Leute also, die Kursbilder und Handelsdaten nach Hinweisen auf interessante Aktien durchforsten – gehörten 1995 bis 2000 zu den größten Euphorikern. Heute wechseln sie bei jeder Gelegenheit ins Lager der Warner. Genauso handhaben es ihre Kollegen aus dem Bereich der Fundamentalanalyse, die Unternehmensergebnisse und Bilanzen zu den Kursen in Beziehung setzen. Beide Lager betrachten die Gewinne der vergangenen Wochen und Monate mit großer Skepsis. Vor rund zwei Wochen versammelten sich mehr als 100 Anhänger der technischen Analyse, um den Ausführungen von Roque und anderen Meistern dieser Zunft zu lauschen. Bei den Vorträgen und Diskussionen ging es vor allem um die Anlagechancen in zurückgebliebenen Aktien, die sich gegenwärtig mit der technischen Analyse orten lassen, inmitten der langen und zähen Rallye.
Unter den Vortragenden waren einige bekannte Namen. Einer davon ist Ralph Acampora. Er machte sich in den Neunzigerjahren an der Wall Street als überzeugter Bulle einen Namen, weil er den unaufhaltsamen Anstieg des Dow-Jones-Index auf 10 000 Punkte korrekt vorhergesagt hatte. Sein dankbarer Chef Hardwick Simmons, damals Vorstandsvorsitzender von Prudential Securities, beschenkte ihn 1997 mit einer Corvette, Baujahr 1962, versehen mit einer riesigen weißen Schleife und dem Kennzeichen "Dow 7 000” – das war einer der Meilensteine, die der Dow auf seinem Weg nach oben gerade hinter sich gelassen hatte.
Heute, zehn Jahre später und zwei Jahre nach der Auflösung der Abteilung Technisches Research bei Prudential, übt Acampora sein Gewerbe bei Knight Equity Markets aus. Seine Charts signalisieren ihm derzeit etwas höchst Interessantes: Die sogenannten Large Caps, also Aktien mit hohem Börsenwert, die von den Privatanlegern seit Jahren links liegen gelassen werden, zeigen Anzeichen einer Belebung. Es fielen Namen wie Xerox, Schering Plough, Qwest Communications und Verizon.
Selbst, wenn man die Charts dieser Unternehmen "nur oberflächlich" betrachte, meint Acampora, erkenne man "ganz leicht", wie sich ein Muster in der Form eines "steilen Grinsens" abzeichne: Auf einen scharfen Kurseinbruch folgte eine Talsohle, die schließlich wieder in eine Aufwärtsbewegung übergehe. "Ich sehe deutlich, wie sich dieses Muster bei einigen großen US-Aktien herausbildet, und es entlockt mir selbst ein breites Grinsen", sagte Acampora. Auf eine lange Seitwärtsbewegung folgten nicht selten gewaltige Kursbewegungen; Verdoppelungen und sogar Verdreifachungen der Kurse seien dann an der Tagesordnung. "Diese Dynamik hält meist für zwei oder drei Jahre an", meint der Chartexperte.
Schöne Aussichten also. Aber Acamporas Ausführungen zur technischen Analyse hinterließen auch Tagungsteilnehmer mit enttäuschten Gesichtern. "Einstige Anlegerlieblinge wie Starbucks und Whole Foods haben ihre besten Zeiten hinter sich. Aber der Wechsel der Favoriten ist schließlich der Treibstoff eines langen Bullenmarktes", spendete Acampora den Aktionären der alten Favoriten einen schwachen Trost.
Derzeit verbringen zahlreiche Markttechniker angeblich viel Zeit damit, ihren Kunden deren allzu ausgeprägten Pessimismus auszureden. "Wirkliche Bärenmärkte sind ausgesprochen selten. Wenn der Dow Jones aus so einer starken Baisse wie der von 2000 bis 2003 herauskommt, schwingt er sich gewöhnlich zu einer 20-jährigen Hausse auf. Das sind die Fakten, die ich derzeit in Kundengesprächen beinahe täglich wiederhole", erklärt Mary Ann Bartels von Merrill Lynch. Der Dow Jones habe gerade die obere Begrenzung der Handelsspanne durchbrochen, in der er acht Jahre lang gefangen war. Bartels rät ihren Kunden, "jede weitere Kurskorrektur des Marktes für mehr und größere Engagements in Aktien mit hoher Börsenkapitalisierung zu nutzen".
Wenn es eine Eigenschaft gibt, die technische Analysten besonders auszeichnet, so ist es ihre eingefleischte Überzeugung, dass sich zukünftige Entwicklungen bis zu einem gewissen Grad von historischen Mustern ableiten lassen. Und ein Handeln gegen diese historisch angeblich wiederkehrenden Muster gilt als sicheres Rezept für Misserfolg. "Sie müssen nur konsequent gegen den Trend investieren; das ist der einzige schlimme Fehler, den Sie an der Börse machen können", sagt Jeff deGraaf, der Leiter des Technischen Research bei der New Yorker ISI Group. Und: "Derzeit geht der Markttrend eindeutig nach oben."
Nicht, dass es keine Risiken gäbe. DeGraaf behält den chinesischen Aktienmarkt scharf im Auge. "Der chinesische Markt wird wie kaum ein anderer auf der Welt künstlich gestützt", meint er. Der Auftrieb resultiere aus der Finanzpolitik der chinesischen Regierung. Diese binde die Währung Yuan fest an den US-Dollar. Somit werde verhindert, dass der Yuan auf seinen eigentlichen Wert steigen und die chinesischen Güter auf dem Weltmarkt verteuern könne.
Eine Nebenwirkung dieser Niedrig-Yuan-Politik sei der von der hohen Liquidität, also dem vielen billigen chinesischen Geld, getriebene Boom der chinesischen Aktienmärkte, meint deGraaf. Die Kurse in Shanghai haben sich mehrheitlich "weit von ihren 200-Tage-Linien entfernt", meint der Charttechniker, was ein "großes Warnsignal" sei. Es könne noch Monate dauern, bis die China-Blase platze, aber dieser Tag werde kommen. "Das ist die eigentliche Gefahr für die globalen Märkte", warnt deGraaf. In den vergangenen Tagen haben die Kurse in Shanghai denn auch schon merklich nachgegeben.
Sein Kollege Roque hält neben den bereits erwähnten Large Caps Investitionen in Rohstoffe für die beste Art, vom globalen Liquiditätsboom weiterhin bei halbwegs angemessenem Risiko zu profitieren. Attraktiv findet er vor allem den Energiesektor. Obwohl Ölaktien in Reaktion auf den Anstieg der Rohstoffpreise bereits hohe Kursgewinne verzeichneten, liegt der Anteil des Energiesektors an der Marktkapitalisierung des S&P 500 nach wie vor bei nur zehn Prozent. Historisch entfällt auf diesen Sektor laut Roque ein Indexanteil von durchschnittlich zwölf Prozent.
Roque hat außerdem die Kursmuster des Goldpreises mit der Kursentwicklung des Dow Jones über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren verglichen. Er ist extrem optimistisch für Gold. Während etliche Anhänger der Fundamentalanalyse überzeugt sind, dem Höhenflug des Goldes müsse bald die Luft ausgehen, ist das Edelmetall nach Roques Interpretation erst auf dem halben Weg nach oben. "Wir gehen nun schon in das achte Jahr, in dem der Goldpreis den Dow Jones übertreffen wird", meint Roque. "In der Vergangenheit gab es zwei vergleichbare Zyklen, beide dauerten 14 Jahre an."
Quelle: Wirtschaftswoche
Gruss Ice
__________________________________________________
Börsengewinne sind Schmerzengeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld...(A.K.)