SEit Tagen kursieren in verschiedenen deutschen Städten mysteriöse Gerüchte über die Terror-Anschläge zu Weihnachten. Zwar wiegeln die Sicherheitsbehörden ab, da die Hinweise unkonkret und häufig erfunden sind. Doch traurige Wahrheit ist auch: Die christliche Fest wäre ein ideales Ziel für einen Anschlag islamistischer Terroristen
Die Straßen gefüllt mit shopping-wütigen Menschen wären ein ideales Ziel für Terroristen
Berlin/Mannheim - Polizisten in verschiedenen deutschen Städten müssen sich dieser Tage mit einer heiklen Materie befassen. Immer wieder melden sich besorgte Anrufer und berichten was einem Bekannten passiert sei. Die Bürger erzählen den Beamten, dass sie gehört hätten, jemand habe - beispielsweise auf dem Mannheimer Weihnachtsmarkt, oder im Berliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) ein Portemonnaie gefunden. In der Geldbörse, so die meist gleichlautenden Darstellungen, hätten sich mehrere tausend Dollar oder auch Euro befunden. Als sich die Finder auf die Suche nach dem Besitzer gemacht hätten, seien sie auf einen arabisch aussehenden Mann gestoßen, dem die Börse laut Ausweis darin auch tatsächlich gehörte und der sogleich einen hohen Finderlohn angeboten habe.
Bis dahin ein ganz normaler Bericht, der niemanden beunruhigen würde. Gleichwohl ist es nicht der hohe Finderlohn, der die Menschen zur Polizei treibt, sondern die seltsame Verabschiedung des glücklichen Geldbeutelbesitzers. Dieser soll nämlich beim Ende des Gesprächs mit dem ehrlichen Finder geraunt haben, dass dieser an Weihnachten lieber nicht in das große Kaufhaus am Berliner Kurfürstendamm oder auf den Mannheimer Weihnachtsmarkt gehen solle, da dort "etwas passieren" werde.
Wie oft diese Geschichte in den letzten Tagen bei Polizeistellen deutschlandweit berichtet wurde, ist nicht bekannt, doch zumindest in Berlin und Mannheim gab es solche Fälle.
Immer wieder an Weihnachten
Die Polizei tut sich schwer, mit der vermeintlichen Warnung vor dem mysteriösen "etwas" umzugehen. Detailliert nimmt weder die Polizei in Mannheim oder in Berlin zu dem Fall Stellung. Es könne schon sein, heißt es in den dortigen Lagezentren, dass es einen solchen Fall gebe, man habe aber keine näheren Informationen. Die Lage ist vertrackt: Natürlich sind die Beamten auf der einen Seite seit dem 11. September und der von allen Sicherheitsbehörden bis hinauf zum Geheimdienst immer wieder ausgerufenen Bedrohungslage durch einen Terror-Anschlag in Deutschland alarmiert und nehmen jeden noch so unglaubwürdig klingenden Hinweis ernst. Auf der anderen Seite aber kennen erfahrene Polizisten die "Portemonnaie-Geschichte" in verschiedensten Facetten auch schon aus Tagen weit vor dem Anschlag in Amerika. Immer wieder wurde sie auch schon vor der Angst vor al-Qaida oder anderen Extremisten erzählt und schon damals konnte man wenig mit ihr anfangen.
Außerdem gibt es an dem Bericht, die so mancher Beamter bereits als "Weihnachtsmärchen" tituliert, reichlich Merkwürdigkeiten: So haben sich die angeblichen Finder trotz der detaillierten Beschreibung der Szene meist nicht den Namen von dem angeblich zur Identifizierung gecheckten Ausweis des Geldbörsenbesitzers gemerkt. Weiterhin wollen die meisten von ihnen, egal ob bei der Polizei oder bei Zeitungen, die sie alarmieren, keine Anzeige machen oder mit Namen auftauchen. Der Verdacht drängt sich also auf, dass es sich bei vielen um Wichtigtuer oder geistig Verwirrte handelt, von denen jeden Tag Dutzende bei der Polizei vorstellig werden und die auch so machen Zeitungsredakteur schon zur Weißglut gebracht haben.
Ideales Ziel für den Terror
Gleichwohl streitet keiner der deutschen Sicherheitsexperten ab, dass die Behörden vor Weihnachten alarmiert sind. Vor allem in London und Paris haben die Polizei und der Geheimdienst ganz offensichtlich ihre Aktivitäten erhöht und kontrollieren an Eingängen zu Weihnachtsmärkten und Kaufhäusern. Klar ist, dass das christliche Weihnachtsfest in Kombination mit dem kollektiven Konsumrausch für fanatisch-islamistische Extremisten ein potentielles Ziel wäre. Aus diesem Grund haben auch die deutschen Staatsschutzbehörden in den letzten Wochen besonders genau hingeschaut, wenn es Verdachtsmomente gab.
Konkrete Planungen für solche Weihnachts-Anschläge sind den Behörden aus der Vergangenheit durchaus bekannt: So hatte die so genannte Frankfurter Zelle, die zur Zeit in der Mainmetropole vor Gericht steht, einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Straßburg geplant. Erst kürzlich nahm die Polizei in Paris mehrere Männer mit Chemikalien fest. Die Ermittler glauben, dass sie einen Bomben-Anschlag zum Fest planten. Noch konkreter ist die Gefahr eines Terror-Akts in Indonesien. Geheimdienstler rechnen nach jüngsten Festnahmen und der Sicherstellung von fertigen Bomben auch hier mit Aktionen gegen christliche Kirchen. Vor zwei Jahren hatten radikal-islamische Gruppen bereits in mehreren Kirchen Bomben gezündet.
Gefährdungslage weiterhin hoch
Allgemeine Hinweise gibt es - doch sollten sich die Menschen in Deutschland deshalb von einem vorweihnachtlichen Einkaufsbummel oder dem Besuch von Weihnachtsmärkten abhalten lassen? Hochrangige Sicherheitsexperten beantworten diese Frage seit Monaten mit der gleichen Antwort: Die so genannten abstrakte Gefährdungslage ist weiterhin hoch. Noch immer sind die Geheimdienste wegen der letzten Botschaften, die es von al-Qaida zu hören gab, zutiefst besorgt. Darin wurde Deutschland konkret als Ziel benannt.
Verbindungen zu der oft erzählten Portemonnaie-Geschichte sehen die Behörden jedoch bisher nicht - besonders, weil sie überhaupt nicht ins Muster der Terroristen passt. "Personen, die Anschläge planen, gehen hoch professionell und vor allem konspirativ vor", sagte ein Berliner Polizist. Deshalb würden sie wohl kaum vor einem Anschlag warnen. Die Geldbeutel-Geschichte ist aus Sicht von Sicherheitsexperten also kein Grund an Weihnachten zu Hause zu bleiben. Trotzdem werden die Beamten in Berlin, Mannheim und anderenorts das weihnachtliche Terror-Gerücht voraussichtlich noch das eine oder andere Mal zu hören bekommen.
© SPIEGEL ONLINE 2002
Die Straßen gefüllt mit shopping-wütigen Menschen wären ein ideales Ziel für Terroristen
Berlin/Mannheim - Polizisten in verschiedenen deutschen Städten müssen sich dieser Tage mit einer heiklen Materie befassen. Immer wieder melden sich besorgte Anrufer und berichten was einem Bekannten passiert sei. Die Bürger erzählen den Beamten, dass sie gehört hätten, jemand habe - beispielsweise auf dem Mannheimer Weihnachtsmarkt, oder im Berliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) ein Portemonnaie gefunden. In der Geldbörse, so die meist gleichlautenden Darstellungen, hätten sich mehrere tausend Dollar oder auch Euro befunden. Als sich die Finder auf die Suche nach dem Besitzer gemacht hätten, seien sie auf einen arabisch aussehenden Mann gestoßen, dem die Börse laut Ausweis darin auch tatsächlich gehörte und der sogleich einen hohen Finderlohn angeboten habe.
Bis dahin ein ganz normaler Bericht, der niemanden beunruhigen würde. Gleichwohl ist es nicht der hohe Finderlohn, der die Menschen zur Polizei treibt, sondern die seltsame Verabschiedung des glücklichen Geldbeutelbesitzers. Dieser soll nämlich beim Ende des Gesprächs mit dem ehrlichen Finder geraunt haben, dass dieser an Weihnachten lieber nicht in das große Kaufhaus am Berliner Kurfürstendamm oder auf den Mannheimer Weihnachtsmarkt gehen solle, da dort "etwas passieren" werde.
Wie oft diese Geschichte in den letzten Tagen bei Polizeistellen deutschlandweit berichtet wurde, ist nicht bekannt, doch zumindest in Berlin und Mannheim gab es solche Fälle.
Immer wieder an Weihnachten
Die Polizei tut sich schwer, mit der vermeintlichen Warnung vor dem mysteriösen "etwas" umzugehen. Detailliert nimmt weder die Polizei in Mannheim oder in Berlin zu dem Fall Stellung. Es könne schon sein, heißt es in den dortigen Lagezentren, dass es einen solchen Fall gebe, man habe aber keine näheren Informationen. Die Lage ist vertrackt: Natürlich sind die Beamten auf der einen Seite seit dem 11. September und der von allen Sicherheitsbehörden bis hinauf zum Geheimdienst immer wieder ausgerufenen Bedrohungslage durch einen Terror-Anschlag in Deutschland alarmiert und nehmen jeden noch so unglaubwürdig klingenden Hinweis ernst. Auf der anderen Seite aber kennen erfahrene Polizisten die "Portemonnaie-Geschichte" in verschiedensten Facetten auch schon aus Tagen weit vor dem Anschlag in Amerika. Immer wieder wurde sie auch schon vor der Angst vor al-Qaida oder anderen Extremisten erzählt und schon damals konnte man wenig mit ihr anfangen.
Außerdem gibt es an dem Bericht, die so mancher Beamter bereits als "Weihnachtsmärchen" tituliert, reichlich Merkwürdigkeiten: So haben sich die angeblichen Finder trotz der detaillierten Beschreibung der Szene meist nicht den Namen von dem angeblich zur Identifizierung gecheckten Ausweis des Geldbörsenbesitzers gemerkt. Weiterhin wollen die meisten von ihnen, egal ob bei der Polizei oder bei Zeitungen, die sie alarmieren, keine Anzeige machen oder mit Namen auftauchen. Der Verdacht drängt sich also auf, dass es sich bei vielen um Wichtigtuer oder geistig Verwirrte handelt, von denen jeden Tag Dutzende bei der Polizei vorstellig werden und die auch so machen Zeitungsredakteur schon zur Weißglut gebracht haben.
Ideales Ziel für den Terror
Gleichwohl streitet keiner der deutschen Sicherheitsexperten ab, dass die Behörden vor Weihnachten alarmiert sind. Vor allem in London und Paris haben die Polizei und der Geheimdienst ganz offensichtlich ihre Aktivitäten erhöht und kontrollieren an Eingängen zu Weihnachtsmärkten und Kaufhäusern. Klar ist, dass das christliche Weihnachtsfest in Kombination mit dem kollektiven Konsumrausch für fanatisch-islamistische Extremisten ein potentielles Ziel wäre. Aus diesem Grund haben auch die deutschen Staatsschutzbehörden in den letzten Wochen besonders genau hingeschaut, wenn es Verdachtsmomente gab.
Konkrete Planungen für solche Weihnachts-Anschläge sind den Behörden aus der Vergangenheit durchaus bekannt: So hatte die so genannte Frankfurter Zelle, die zur Zeit in der Mainmetropole vor Gericht steht, einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Straßburg geplant. Erst kürzlich nahm die Polizei in Paris mehrere Männer mit Chemikalien fest. Die Ermittler glauben, dass sie einen Bomben-Anschlag zum Fest planten. Noch konkreter ist die Gefahr eines Terror-Akts in Indonesien. Geheimdienstler rechnen nach jüngsten Festnahmen und der Sicherstellung von fertigen Bomben auch hier mit Aktionen gegen christliche Kirchen. Vor zwei Jahren hatten radikal-islamische Gruppen bereits in mehreren Kirchen Bomben gezündet.
Gefährdungslage weiterhin hoch
Allgemeine Hinweise gibt es - doch sollten sich die Menschen in Deutschland deshalb von einem vorweihnachtlichen Einkaufsbummel oder dem Besuch von Weihnachtsmärkten abhalten lassen? Hochrangige Sicherheitsexperten beantworten diese Frage seit Monaten mit der gleichen Antwort: Die so genannten abstrakte Gefährdungslage ist weiterhin hoch. Noch immer sind die Geheimdienste wegen der letzten Botschaften, die es von al-Qaida zu hören gab, zutiefst besorgt. Darin wurde Deutschland konkret als Ziel benannt.
Verbindungen zu der oft erzählten Portemonnaie-Geschichte sehen die Behörden jedoch bisher nicht - besonders, weil sie überhaupt nicht ins Muster der Terroristen passt. "Personen, die Anschläge planen, gehen hoch professionell und vor allem konspirativ vor", sagte ein Berliner Polizist. Deshalb würden sie wohl kaum vor einem Anschlag warnen. Die Geldbeutel-Geschichte ist aus Sicht von Sicherheitsexperten also kein Grund an Weihnachten zu Hause zu bleiben. Trotzdem werden die Beamten in Berlin, Mannheim und anderenorts das weihnachtliche Terror-Gerücht voraussichtlich noch das eine oder andere Mal zu hören bekommen.
© SPIEGEL ONLINE 2002