Staatsanwalt ermittelt wegen Insider-Postings
Wer bei "Dotcomtod" Insidertipps aus einem strauchelnden Unternehmen kolportiert, gewinnt Punkte und Respekt. Auf der Verliererseite stehen die "verpfiffenen" Unternehmen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die anonymen Plaudertaschen.
Wer im Hintergrund die Fäden zieht, das bleibt unklar. Anonymität ist einer der Grundsätze, die das Spiel beim Pleiten-Portal dotcomtod.com ermöglichen. Ein zweiter Grundsatz: Du sollst keine Gnade kennen mit den Venture Capitalists, Firmen-Gründern und PR-Leuten. Systemkritik, internet-like.
Auf dotcomtod zelebriert die Internet-Gemeinschaft einen Maskenball: Sie applaudiert verzückt, wenn einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die sich als Wachposten, als "sentinels", bezeichnen, nach einem firmeninternen Krisentreffen öffentlich auf den Putz haut. Das Spannende an Deutschlands führender Plattform "für exitorientierte Unternehmensmeldungen" (Selbstbeschreibung): Hinter den Masken verbergen sich nicht nur entlassene Mitarbeiter, die ihren Frust ablassen. Auch Journalisten, Banker und Manager geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass sie bei dotcomtod.com auf Punktejagd gehen.
"Die aussortierten Mitarbeiter bleiben am Straßenrand liegen, während die übrig gebliebenen fröhlich in den Abgrund ziehen", kommentiert "DonAlphonso", ein Beteiligter aus der Münchner Internet-Szene, seine Motivation. "Davor wollen wir eindringlich warnen." Ein Manager eines bekannten Berliner Start-ups meldet sich bei dotcomtod zu Wort, "weil dort offen über Probleme diskutiert wird, die in unserem Unternehmen totgeschwiegen werden. Das Friede-Freude-Eierkuchen-Spielchen unserer Vorstände kann ich nicht mehr mit ansehen."
So tauchen bei dotcomtod brisante Insider-Informationen und Spekulationen auf, die von den Machern der Seite freigegeben werden, ohne sie zuvor auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. "Für gewissenhafte Recherche fühlen wir uns nicht verantwortlich", sagt "Joman", Mitgründer und Sprecher des Projektes.
Worst Case: Firmenpleite durch hochgekochte Gerüchte?
Jüngstes Opfer, über das sich die sentinels des Pleiten-Portals hermachten: Frogdesign, die Firma, die maßgeblich an der Neugestaltung der grafischen Oberfläche des Betriebssystems Windows XP beteiligt war. Bereits Anfang November, knapp drei Wochen, bevor die europäische Division der einst gefeierten Designschmiede Insolvenzantrag stellte, wurde bei dotcomtod.com über Frogdesign gemutmaßt: "Die Sümpfe trocknen aus." In dem Unternehmen brannte darauf hin die Luft, die Firmenleitung ermahnte Mitarbeiter zu Verschwiegenheit. Mit dem Ergebnis, dass weiter fast täglich neue Interna gepostet - und das Management verhöhnt wurden.
Vorläufiger Höhepunkt der Posse: Offenbar fand selbst ein warnender Brief des vorläufigen Insolvenzverwalters den Weg in das Forum:
" (...) wurde ich darauf hingewiesen, dass firmeninterne Informationen, sowie geschäftsschädigende Außerungen über die Firma frogdesign über das Internet verbreitet werden. (...) weise ich darauf hin, dass dieses Verhalten sowohl die Abwicklung des Insolvenzverfahrens gefährdet, als auch die Chancen auf eine Auffanglösung verschlechtert."
Hintergrund: Drei Jahre Haft für einen Tipp bei Dotcomtod?
Was die "sentinels" bei Dotcomtod tun, meint das geschädigte Unternehmen Frogdesign, ist kein Spaß, sondern strafbar: Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Tatsächlich könnte die Sache für Tippgeber übel ausgehen, wenn es zu einer Verurteilung käme: Dann droht neben empfindlichen Geldstrafen auch Haft bis zu drei Jahren.
Inzwischen hat ein Frogdesign-Vertreter nach Informationen von SPIEGEL ONLINE Strafanzeige erstattet. Diese richtet sich allerdings nicht gegen die Betreiber des Pleiten-Portals, sondern gegen die anonymen Plaudertaschen. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf leitete die Ermittlungen ein.
Auf Amtsdeutsch heißt das "Verdacht auf Verstoß gegen Paragraf 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb". Der Vorwurf: Schädigung von Frogdesign durch Verletzung des Betriebsgeheimnisses. Jetzt müssen die Internetfahnder der Düsseldorfer Kripo ran.
Bei Frogdesign will man die jüngsten Entwicklungen weder bestätigen noch dementieren. Sprecher Marc Esslinger verweist allenfalls auf die "fatalen Konsequenzen, die derartige Veröffentlichungen im Internet haben können": "Den verbleibenden Mitarbeitern wird die Substanz entzogen." Kunden würden verunsichert, ebenso mögliche Investoren, die das Überleben der Firma sichern könnten. Schließlich befürchtet Esslinger "fatale Konsequenzen" auch in anderen Firmen: "Wenn derartiges Verhalten Schule macht, ist die Idee eines für alle Mitarbeiter transparenten Unternehmens dahin."
Dotcomtod: Schuld? Schuld an was?
Joman, der Sprecher der dotcomtod-Betreibergemeinschaft, pflegt derweil seinen Heiligenschein und fragt sich, "um welche Betriebsgeheimnisse es dabei gehen sollte". Abgesehen von der Kripo sei bislang kein Vertreter der Firma an dotcomtod herangetreten, betont er und fügt in bestem PR-Deutsch an: "Wir halten das Miteinanderreden für sehr wichtig."
Was sich die Teilnehmer bei dotcomtod zu sagen haben, interessiert inzwischen nicht nur die Internet-Gemeinde, Fachjournalisten und die Kriminalpolizei, sondern auch die Wissenschaft. Romy Fröhlich, Professorin am Münchner Institut für Kommunikationswissenschaft, orakelt mit Blick auf die Medienvertreter, die bei dotcomtod zu Tage gebrachte Themen aufgreifen: "Das könnte künftig die Art und Weise, wie Themen in den Medien Karriere machen, wesentlich verändern."
Als Verlierer gingen dabei die betroffenen Unternehmen aus dem Spiel. "Die Firmen haben kaum mehr eine Chance, ihre Botschaft glaubhaft unter die Internetnutzer zu bringen", beschreibt die Professorin eine mögliche Entwicklung. Auch die klassischen Medien, insbesondere Zeitungen und Zeitschriften, sieht sie unter Druck: "Wenn die Popularität solcher Foren künftig weiter steigt, könnte sich der öffentliche Diskurs mehr und mehr ins Internet verlagern."
Noch gibt man sich in den PR-Abteilungen der Republik nach außen hin betont cool: "Bislang hat unser Image unter solchen Gerüchten nicht gelitten", erklärt Christina Bock, Sprecherin des Handy-Portals Jamba. Die PR-Managerin eines Münchner Internet-Unternehmens gesteht jedoch hinter vorgehaltener Hand, der Vorstand sei "stinksauer", wenn wieder einmal Interna in die Öffentlichkeit gelangten. "Lanu", geistige Mutter von dotcomtod, kann die ganze Aufregung nicht verstehen: "Wir haben den Unternehmen die Suppe nicht eingebrockt. Wir servieren sie lediglich."
Quelle: Der Spiegel