Rede
des Bundesministers der Finanzen
Hans Eichel
"Die Finanzpolitik der Bundesregierung für den Mittelstand"
am 24. April 2002
in Berlin
Sehr verehrter Herr Senman,
sehr verehrter Herr Merz,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Günter Netzer, Paul Breitner, Felix Magath konnten ein Spiel lenken und haben ihren Mannschaften den Rhythmus vorgegeben. Sie waren Mittelfeldspieler.
Gerd Müller, Klaus Fischer und Rudi Völler haben für ihre Vereine und für Deutschland so manches entscheidende Tor geschossen. Sie waren Mittelstürmer.
Rotkäppchensekt, Schimmel-Pianos und Condomi sind Beispiele für erfolgreiche Unternehmen, die sich durch Innovation und Flexibilität auszeichnen. Sie sind Mittelständler.
Mittelstand
Ich weiß, was Deutschland an seinem Mittelstand hat. Ob er nun Herz, Motor oder Rückgrad der deutschen Wirtschaft genannt wird, seine Bedeutung ist unangefochten. Das liegt nicht nur am Anteil am Bruttoinlandsprodukt, der von mittelständischen Unternehmen erwirtschaftet wird, oder an dem hohen Angebot an Ausbildungsplätzen. Mittelständische Unternehmen sind den Menschen sympathisch, weil sie überschaubar sind und sie als Einzelne in der Regel keine gesamtwirtschaftliche Macht darstellen, keiner muss sich vor ihnen fürchten.
Was den Mittelständlern in der Bevölkerung Sympathiepunkte bringt, wird von ihnen selbst aber oft als Nachteil wahrgenommen. Sie fürchten, ihre Stimme würde angesichts der Dominanz großer Unternehmen in der Politik nicht gehört. Ich darf Ihnen versichern: Das ist nicht so.
Der Mittelstand hat eine aktive Interessenvertretung. Die Politiker haben aber auch selbst ein Interesse daran, günstige Rahmenbedingungen für den Mittelstand zu schaffen. Das liegt zum einen an der wirtschaftlichen Bedeutung des Mittelstandes, zum anderen aber auch einfach daran, dass Wahlen nun mal in der Mitte entschieden werden. Und zur Mitte gehört der Mittelstand. Die Bundesregierung hat deshalb bei ihrer Politik den Mittelstand stets im Blick gehabt. Für die Finanzpolitik gilt das ganz besonders. Ich will Ihnen das näher erläutern.
Konsolidierung
Seit ich 1999 das Amt des Bundesfinanzministers übernommen habe, sind die Bundesfinanzen auf Sanierungskurs. Dieser Kurswechsel war dringend notwendig. 1982 betrug die Verschuldung des Bundes noch ungefähr 200 Milliarden Euro. 1998 waren es schon rund 750 Milliarden Euro. Natürlich ist ein Gutteil der Verschuldung des Bundes auf die Wiedervereinigung zurückzuführen. Aber die hätte man auch anders, ehrlicher finanzieren können.
Die Staatsverschuldung bindet uns von zwei Seiten: Zum einen sind die Steuersätze höher als sie ohne Staatsverschuldung sein müssten, weil wir sehr viel Geld für Zinsen ausgeben. Die Zinsausgaben waren in den vergangenen Jahren der zweitgrößte Ausgabeposten des Bundes. Alle fünf Minuten, die wir hier zusammen sind, überweist der Bund Zinsen in einer Höhe, von der Sie sich ein komfortablen Einfamilienhaus kaufen könnten.
Diese Zinszahlungen verringern auf der anderen Seite unseren Ausgabespielraum. Lang vernachlässigte Zukunftsinvestitionen, beispielsweise in Bildung und Forschung oder in die Verkehrsinfrastruktur, können nicht getätigt werden, weil die dafür benötigten Mittel durch Zinszahlungen gebunden sind. Wir sitzen in der Schuldenfalle!
Der Schuldenberg des Staates wächst auch in den nächsten Jahren noch an. Unser Konsolidierungskurs ist kein Crashkurs. Wir senken die Neuverschuldung des Bundes Jahr für Jahr in überschaubaren Schritten. Im Jahr 2006 will ich dann einen Bundeshaushalt vorlegen, der keine neuen Schulden mehr braucht.
Generationengerechtigkeit
Bis dahin wird der Schuldenberg weiter anwachsen. Allerdings ist das Wachstumstempo jetzt schon deutlich geringer als in der Vergangenheit. Der große Schuldenberg wird auch noch viele Jahre Zinszahlungen bedingen. Wenn wir aber jetzt nicht umsteuern, werden unsere Kinder überhaupt keinen Gestaltungsspielraum im Haushalt mehr haben. Die Zinsen werden diesen dann komplett einnehmen. Deshalb ist es auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, die Verschuldung des Staates zurückzuführen.
Steuersicherheit
Es ist aber auch im Interesse des Mittelstandes, wenn der Staat seine Verschuldungspolitik ändert. Eine weiter beschleunigt wachsende Staatsverschuldung hätte die eben beschriebenen negativen Konsequenzen zwingend zur Folge. In Zukunft könnte der Staat diesen Schuldenberg nur noch durch Steuererhöhungen im Griff behalten. Unser Konsolidierungskurs schützt den Mittelstand davor. Er schützt sie nicht nur vor weiteren Steuererhöhungen, wir haben dadurch sogar den Spielraum für erhebliche Steuersenkungen geschaffen.
Ausgabenqualität
Der Konsolidierungskurs ist die Basis für unsere Finanzpolitik, von der ich nicht abweiche. Diese Politik macht es vielleicht schwierig, aber nicht unmöglich, auf der Ausgabenseite die Bundesfinanzen zu gestalten. So ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, die Qualität der Staatsausgaben deutlich zu erhöhen.
Wir haben in vielen Bereichen in die Zukunft investiert. Das gilt ganz offensichtlich für die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung, aber auch für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Die Verbesserungen im Umweltbereich sichern ebenso unsere zukünftigen Lebensgrundlagen wie die deutlichen Erleichterungen für die Familien. So haben wir die Qualität der Staatsausgaben spürbar erhöht.
Nationaler Stabilitätspakt
Der Konsolidierungskurs des Bundes reicht nicht aus, um die Staatsfinanzen insgesamt zu sanieren. Wir brauchen ein Zusammenwirken auf allen Ebenen. Gerade die Diskussion zu Beginn dieses Jahres, ob Deutschland die europäisch vereinbarte Obergrenze für die Neuverschuldung einhalten kann, zeigt diese Notwendigkeit.
Diese Diskussion war in einigen Punkten wirklich nützlich. Deutschland hat sich festgelegt: Wir werden diese Obergrenze einhalten. Bund, Länder und Gemeinden werden dabei zusammenwirken.
Ende März haben sich alle Gebietskörperschaftsebenen auf einen nationalen Stabilitätspakt geeinigt. Die Notwendigkeit dafür bestand schon lange, Herr Waigel hat das Projekt zu seiner Zeit zwar angefasst, aber nicht stemmen können. Jetzt haben wir diesen nationalen Stabilitätspakt, und ich halte es für einen großen Fortschritt und für einen Ausdruck eines lebendigen Föderalismus, dass er über alle Parteigrenzen hinweg von allen Gebietskörperschaften akzeptiert wird.
Länder und Gemeinden werden ihre Ausgaben in den nächsten Jahren durchschnittlich nur noch um ein Prozent steigern, der Bund seine Ausgaben sogar jährlich um rund ein halbes Prozent zurücknehmen. Ich habe immer betont, dass Sparen keine Einmalveranstaltung ist. Wir werden noch einige Jahre den strikten Konsolidierungskurs einhalten müssen.
Solidarpakt II
Gegen den bestehenden Länderfinanzausgleich haben einige Länder geklagt. Sie fühlten sich benachteiligt, weil sie wirtschaftsschwächere Länder stärker bezuschussen mussten als ihnen das lieb war. Das Bundesverfassungsgericht hat uns dann die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs aufgegeben.
Wir haben sehr schnell die Basis dafür schaffen können. Und als das klar war, war es auch möglich, den Solidarpakt mit den neuen Ländern über die bestehende Zeitschiene hinaus zu verlängern.
Die neuen Länder haben jetzt eine klare Perspektive. Bis 2019 können sie mit der Hilfe des Bundes beim Aufbau ihrer Infrastruktur rechnen. Der Bund wird bis dahin insgesamt 156 Milliarden Euro an die neuen Länder überweisen. Damit soll die immer noch bestehende Infrastrukturlücke zum Westen geschlossen werden.
Die neuen Länder bekommen so eine verlässliche Planungsgrundlage und können Aufträge vergeben. Der Mittelstand in den neuen Ländern wird von diesen Mitteln erheblich profitieren können.
EU-Finanzierung
Auf europäischere Ebene ist es uns gelungen, Deutschlands Gewicht bei der Finanzierung des europäischen Haushaltes zu reduzieren. Wir bleiben natürlich Nettozahler für die Europäische Union. Zum einen sind wir weiterhin eines der leistungsstärksten Länder, zum anderen haben wir weiterhin mit den größten Vorteil von der Europäischen Union.
Die Rückführung des Finanzierungsanteils war uns aber wichtig, auch weil das in der Zukunft weiter wirkt. Wir sind außerdem der Meinung, dass der nationale Konsolidierungskurs auf europäischer Ebene begleitet werden muss.
Euro
Seit dem 1. Januar 1999 gibt es den Euro in - zunächst 11, inzwischen 12 - europäischen Ländern. Seit dem 1. Januar 2002 ist er alleiniges Zahlungsmittel in Deutschland. Die Euro-Bargeldeinführung verlief reibungslos.
Vorteile
Für die deutsche Wirtschaft ergeben sich aus dem Euro eine Reihe von Vorteilen. Der Wegfall des Wechselkursrisikos hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern stabilisiert. Investitionsentscheidungen zum Beispiel, die immer auf eine lange Frist angelegt sind, bekamen eine stabilere Planungsgrundlage. Es ist auch leichter, längerfristige Handelsbeziehungen und damit stabile Angebots- und Nachfragebedingungen zu schaffen.
Natürlich hat es auch vor der Einführung des Euros Auslandsinvestitionen in Europa gegeben und auch längerfristige Handelsbeziehungen wurden vereinbart. Oft haben sich die Akteure aber das Wechselkursrisiko absichern lassen. Die Kosten dafür sind jetzt entfallen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen profitieren davon. Für sie ist es billiger geworden, auf den Märkten der anderen Euro-Teilnehmerstaaten tätig zu werden. Ich wage die These: Hätten wir den Euro schon früher gehabt, wäre der deutsche Mittelstand heute noch stärker international ausgerichtet.
Solidität
Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, deren Statut an das erfolgreiche Modell der Deutschen Bundesbank angelehnt ist, garantiert die Stabilität des Euros. Abgesichert wird diese Stabilität von einer stärkeren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Teilnehmerstaaten. Die Verträge sind eindeutig: Solide Staatsfinanzen werden in Zukunft und auf Dauer in allen Teilnehmerstaaten gesichert.
EU-Finanzmarkt
Wir sind dabei, nach der Euro-Einführung auch die nationalen Finanzmärkte in Europa zu verschmelzen. Ein einheitlich europäischer Finanzmarkt wird wesentlich leistungsfähiger sein und wesentlich differenziertere Produkte anbieten können. Das wird auch die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand verbessern.
Ein nationales Übernahmegesetz und die Reform der Bundesbankstruktur bringen Verbesserungen für den Finanzmarkt. Das Gesetz zur Geldwäschebekämpfung und das Kreditwesengesetz machen es Verbrechern wesentlich schwieriger, auf kriminelle Art und Weise erworbenes Geld in Deutschland zu waschen oder gar Deutschland als Drehscheibe zur Finanzierung des internationalen Terrorismus zu nutzen.
Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz wollen wir den deutschen Kapitalmarkt reformieren und den gewachsenen internationale Ansprüchen anpassen. Wir haben auch dabei den Mittelstand nicht aus dem Blick verloren.
Kapitalausstattung
Die Gründung eines neuen Betriebes ist immer noch schwierig. Das Know-how ist oft da, dafür mangelt es häufig an Kapital. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Ausgleichsbank haben inzwischen ein breites Programm an Förderkrediten für Existenzgründer und kleine und mittlere Unternehmen vorzuweisen. Mit staatlicher Hilfe bieten sie den Unternehmen - besonders in der Gründungsphase - zinsgünstige Kredite an.
Diese Kredite werden in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Leider lässt sich schon seit einiger Zeit feststellen, dass gerade die großen Privatbanken in der Kreditvergabe an mittelständische Betriebe restriktiver werden. Hinzu kommt, dass sie sich immer stärker auf Ballungsräume konzentrieren. Es sind vor allem die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen in öffentlicher Trägerschaft, die den kleinen und mittleren Betrieben zur Seite stehen, wenn Kreditbedarf besteht.
Basel II
Das enge Verhältnis zwischen Sparkassen und kleinen und mittleren Unternehmen schien durch ein Regelwerk gefährdet, das unter dem Namen "Basel II" diskutiert wird. In Basel gibt es einen internationalen Banken-Ausschuss, der Standards festlegt, unter anderem für die Frage, wie die Banken vergebene Kredite durch Eigenkapital absichern müssen.
Hintergrund ist der Wunsch, das internationale Finanzsystem zu stabilisieren. Geplatzte Großkredite - aber auch eine Reihe von geplatzten kleinen Krediten - können einzelne Banken und dann auch das gesamte System erschüttern. Um hier mehr Sicherheit zu schaffen, soll es international geltende Standards bei der Absicherung von Krediten geben. Mit dieser Zielsetzung ist die Bundesregierung einverstanden.
Die zunächst vorgetragenen Vorschläge aus Basel sahen vor, individuelle Kreditzinsen für Unternehmen in Abhängigkeit eines unternehmensspezifischen Ratings zu vergeben. Dieses Rating sollte auf einer externen Bewertung beruhen. Für die meisten kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland hätte dies eine Verteuerung der Kredite bedeutet, weil so ein Rating nicht ganz billig ist.
Die Bundesregierung war mit diesen Vorschlägen aus Basel nie einverstanden. Unserer Meinung nach wird die spezifische deutsche Wirtschaftsstruktur, die in hohem Maße von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert wird, durch die Vorschläge nicht ausreichend berücksichtigt. Die Pflicht zu externen Ratings hätte die deutsche Wirtschaft übermäßig belastet.
Wir haben uns dagegen ausgesprochen und inzwischen ist der Vorschlag, die Eigenkapitalabdeckung an die externe Bewertung von Unternehmen zu koppeln, vom Tisch. Diskutiert wird jetzt die Akzeptanz eines internen Ratings. Es würde also ausreichen, wenn die kreditgebende Bank je nach Bonität des Unternehmens differenziert. Jetzt kann die enge Beziehung zwischen Hausbank und Unternehmen wiederum zu einem Vorteil werden. Die Banken kennen ihre Kunden oft schon lange. Ein internes Rating ist dann leichter erstellt.
Noch ist die Diskussion in Basel nicht zu Ende geführt. Erstaunlicherweise nehmen einige Privatbanken aber Diskussionsergebnisse vorweg, die gar nicht abzusehen sind. Dadurch werden für den Mittelstand Kredite bei einigen Privatbanken teurer, obwohl es dafür keinen institutionellen Grund gibt. Die Bundesregierung wird sich weiter dafür einsetzen, die spezifische deutsche Wirtschaftsstruktur zu berücksichtigen und darauf achten, dass kleine und mittlere Unternehmen durch die Neuregelung nicht benachteiligt werden. Außerdem prüfen wir, ob die staatliche Mittelstandsförderung in der nächsten Legislaturperiode in einer Mittelstandsbank zusammengefasst werden sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
in Berlin gibt es Radiosender, die sind wirklich fortschrittlich. Bei den Wetterberichten unterscheiden die verschiedene Temperaturangaben. Das heißt dann beispielsweise: Morgen gibt es Höchsttemperaturen von 4 Grad, gefühlte Temperatur: Minus 2 Grad. Ich frage mich manchmal, woher die wissen, wie kalt mir ist.
Wenn sich das durchsetzt, muss ich in Zukunft wohl damit rechnen, dass mein Radiowecker auch anders funktioniert. Anstatt morgens: "Es ist 6.30 Uhr" zu vermelden, kommt dann vielleicht nach einem langen, arbeitsreichen Tag noch die Ergänzung: "Gefühlte Zeit: 4.30 Uhr."
In der Steuerpolitik scheint es ein solches Phänomen schon seit längerem zu geben. Wir haben mit der Steuerreform 2000 die Steuersätze für alle gesenkt. Die Steuerbelastung für ein Unternehmen mit 50.000 Euro Jahresgewinn beträgt in diesem Jahr ungefähr 29 %, wenn der Besitzer alleinstehend ist und rund 19 %, wenn er verheiratet ist. Der gefühlte Steuersatz scheint mir aber manchmal weit über 90 % zu liegen. Zumindest drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man den Protest von Mittelstandsvereinigungen gegen die Steuerreform 2000 liest.
Entlastung
Unsere Steuerreform ist dreistufig angelegt, damit sie den Konsolidierungskurs nicht gefährdet. 2001 hatten wir einen großen Entlastungsschritt, 2003 und 2005 werden weitere Entlastungsschritte folgen. Die Steuersätze sinken für alle Steuerzahler. Der steuerfreie Teil des Einkommens wächst im Zweijahresrhythmus. Insgesamt werden Bürger und Wirtschaft 2005 im Vergleich zum Jahr 1998 rund 57 Milliarden Euro weniger an Steuern zu zahlen haben. Ein Großteil dieser Entlastung kommt Arbeitnehmern und Familien zugute. Es sind rund 42 Milliarden Euro, um die wir die privaten Haushalte entlasten. Ein weiterer großer Gewinner der Steuerreform ist der Mittelstand. Er wird um fast 16 Milliarden Euro entlastet.
Körperschaftsteuer
Zur Unternehmenssteuerreform gehörte die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 %. Zusammen mit der Gewerbesteuerbelastung zahlen deutsche Kapitalgesellschaften durchschnittlich etwa 38 % ihres Gewinns als Steuer an den Staat.
Gewerbesteuer
Es sind aber rund 85 % der deutschen Unternehmen Personenunternehmen. Eine Absenkung der Körperschaftsteuer nutzt ihnen nichts. Diese Unternehmen haben wir zunächst entlastet, indem wir für sie die Gewerbesteuer als Kostenfaktor abschafften. Durch eine pauschalierte Verrechnungsmöglichkeit mit der Einkommensteuerschuld wurde die Gewerbesteuer für die Unternehmen als Last nahezu beseitigt. Endlich gibt es damit eine steuerliche Gleichbehandlung von Gewerben und freien Berufen!
Einkommensteuertarif
Rund die Hälfte der deutschen Personenunternehmen zahlen aber gar keine Gewerbesteuer. Ihr zu versteuernder Gewinn liegt unter der Freibetragsgrenze von 24.500 Euro. Will man diese Unternehmen entlasten, so muss man im unteren Bereich der Einkommensteuer ansetzen. Diese Unternehmen sehen den Spitzensteuersatz nur aus der Ferne.
Wir haben deshalb den Großteil der Entlastung auf den unteren Teil des Einkommensteuertarifs gelegt. Bis 2005 steigt der Grundfreibetrag von ursprünglich 12.300 Mark in 1998 auf rund 15.000 Mark an. In Euro sind das dann 7.675.
Der Eingangssteuersatz wird stufenweise von 25,9 % in 1998 bis auf 15 % im Jahr 2005 gesenkt. Beide Maßnahmen entlasten alle Einkommensteuerzahler, auch die Spitzenverdiener.
Diese profitieren zusätzlich von einer Absenkung des Spitzensteuersatzes. 1998 lag der Spitzensteuersatz noch bei 53 %. Seit dem 1. Januar letzten Jahres beträgt er nur noch 48,5 %. Im Jahr 2005 wird er nur noch 42 % betragen. In ganz Europa gibt es zur Zeit nur zwei Länder, die einen niedrigeren Spitzensteuersatz aufweisen, Großbritannien und Portugal. Dort setzt er aber wesentlich früher ein. Auch für Spitzenverdiener schaffen wir also günstige Bedingungen in Deutschland.
Beispiele
Scheinbar können es viele Mittelständler noch gar nicht glauben, dass sie wirklich entlastet werden. Auch die Verbandsspitzen äußern immer wieder Zweifel. Aber es ist so. Ich will Sie nicht mit Zahlen zuschütten, vielleicht glauben Sie der Botschaft aber eher, wenn ich Ihnen ein paar Beispiele bringe:
- Ein verheirateter Bäckermeister mit einem Gewinn vor Steuern von 35.000 Euro musste 1998 rund 6.850 Euro Steuern zahlen. Im Jahr 2005 wird er um über 2.150 Euro oder um rund 31 % entlastet.
- Ein verheirateter Malermeister mit einem Gewinn vor Steuern von 45.000 Euro hat 1998 rund 10.500 Euro Steuern gezahlt. Im Jahre 2005 werden es rund 2.800 Euro weniger sein, also fast 27 %.
- Für einen alleinstehender Kfz-Mechaniker mit einem Gewinn von 50.000 Euro wird die Entlastung rund 17 % betragen.
- Die verheiratete Inhaberin einer Druckerei mit einem Gewinn von 125.000 Euro wird um rund 22 % entlastet.
Das ist echtes Geld! So kommen die 16 Milliarden Euro Entlastung für den Mittelstand zusammen. Und die Entlastung kommt auch bei den Betrieben an.
Vergleich mit Kapitalgesellschaften
Nun kommt immer wieder der Hinweis auf den geringen Körperschaftsteuersatz im Vergleich zum Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer. Übersehen wird dabei leicht, dass wir es bei der Körperschaftsteuer mit einer Definitivsteuer zu tun haben, die schon auf die erste Mark des Unternehmensgewinns zu zahlen ist. Bei der Einkommensteuer greift erst der Grundfreibetrag, dann steigt die Steuerlast progressiv an.
Der Sachverständigenrat hat dies natürlich berücksichtigt. Sein Urteil ist ganz eindeutig: Der Mittelstand wird gegenüber Kapitalgesellschaften nicht benachteiligt. Auch die Deutsche Bundesbank und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen kommen zu dem gleichen Ergebnis.
Arthur Andersen hat im Auftrag des Handelsblattes unsere Steuerreform durchgerechnet. Am 25. September 2000 lautete die Überschrift des Artikels, in dem die Ergebnisse der Andersen-Studie veröffentlicht wurden: "Mittelstand wird nicht benachteiligt." Wie hätte das auch geschehen sollen bei 16 Milliarden Euro Entlastung für den Mittelstand? Schließlich haben die großen Betriebe in der gesamten Legislaturperiode eine nahezu unveränderte Steuerlast zu tragen. Sie haben aber jetzt ein modernes Steuersystem, das war vielen wichtiger als eine geringere Steuerlast.
Ich will den Vergleich zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften noch eine Stufe weiterführen:
Um die 38 %ige Gewinnbelastung von Körperschaften zu erreichen, muss ein lediger Personenunternehmer schon 128.000 Euro Gewinn pro Jahr machen. 95 % aller Personenunternehmen haben aber niedrigere jährliche Gewinne. Sie stehen sich also steuerlich immer besser als Körperschaften. Ist der Personenunternehmer verheiratet, verschiebt sich die Grenze auf über 245.000 Euro. Erst bei einem Gewinn über 245.000 Euro pro Jahr liegt seine Steuerlast über der von Körperschaften! Die Personenunternehmen, die mehr als 245.000 Euro Gewinn pro Jahr machen, spielen statistisch keine Rolle. Im Übrigen sollten diese Unternehmen intensiv prüfen, ob nicht die Körperschaft die bessere Organisationsform für sie ist.
Bemessungsgrundlage
Allein durch die Absenkung der Steuersätze wären die Steuerausfälle beim Staat unbeherrschbar groß geworden. Wir haben deshalb in die Steuerreform auch finanzierende Maßnahmen aufgenommen. Steuertechnisch nennt man das "Verbreiterung der Bemessungsgrundlage". Damit verbunden ist in der Regel eine Vereinfachung des Steuerrechts, wenn beispielsweise Regelungen ganz gestrichen werden. Auch das haben wir getan. Insgesamt ist der Mittelstand bei den finanzierenden Maßnahmen gut weggekommen.
Die Last der finanzierenden Maßnahmen trifft zu Rund der Hälfte große Unternehmen. Die verbleibende Hälfte haben sich Privathaushalte und Mittelstand geteilt. Von der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ist der Mittelstand also nur zu rund 25 % belastet worden.
Diese Belastung ist bei den Entlastungszahlen, die ich Ihnen genannt habe, schon berücksichtigt. Trotz der Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage ist der Mittelstand also um rund 16 Milliarden Euro von uns entlastet worden.
Vergessen Sie dabei auch nicht: Die Tarifsenkungen sind eine dauerhafte Entlastung. Von ihr profitieren die Unternehmen Jahr für Jahr. Die Finanzierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die reduzierten Abschreibungssätze, haben aber eigentlich nur ein zeitliches Vorziehen der Steuerlast zur Folge. Würde ich Ihnen die Wahl lassen zwischen niedrigen Steuersätzen oder hohen Abschreibungssätzen, würde jeder hier die niedrigen Steuersätze wählen.
Ansparabschreibungen
Die Ansparabschreibung für Neuinvestitionen bei kleinen und mittleren Unternehmen sollte nach unseren ursprünglichen Plänen wegfallen. Sie verliert bei deutlich reduzierten Steuersätzen auch an Wert. Wir haben sie als zusätzliche Mittelstandskomponente doch erhalten - auf ausdrücklichen Wunsch des Mittelstandes.
Betriebsveräußerung
Viele Unternehmen haben ihre Altersvorsorge im Betrieb aufgebaut. Diese wollen wir nicht gefährden. Deshalb wurde der Freibetrag für Betriebsveräußerungen und Betriebsaufgabe erhöht.
Außerdem wurde der halbe durchschnittliche Steuersatz bei Betriebsveräußerungen wieder eingeführt. Da diese Regelung aber bisher eine der Hauptstützen für Steuersparmodelle war, haben wir die Gültigkeit eingeschränkt. Die Vergünstigung kann nur noch einmal im Leben, ab dem 55. Lebensjahr beansprucht werden. Als Grundlage für Steuersparmodelle kann die Regelung dann kaum noch genutzt werden. Trotzdem hilft sie beim Aufbau der Altersvorsorge von Selbständigen. Damit haben wir insgesamt eine gute Lösung für den Mittelstand gefunden.
In dieses Bild passt auch die Ökosteuer hinein. Teile des Mittelstandes haben die Steuer- und Umweltpolitik der Bundesregierung kritisiert. Aber nur Teile. Andere haben sehr schnell gemerkt, dass sie deutlich profitieren. Ohne die neuen, niedrigen Emissionswerte würden im Moment nicht so viele Heizungen ausgetauscht und erneuert. Ohne umweltpolitische Weichenstellung gäbe es kaum einen solchen Schub bei Solaranlagen und Niedrigenergiehäusern. Von den Aufträgen profitieren doch gerade kleine und mittlere Unternehmen! Und die Ökosteuer war vor allem für den Mittelstand eine Erleichterung.
Ökosteuer
Mit den Einnahmen aus der Ökosteuer wurden und werden die Sozialversicherungsbeiträge abgesenkt. Der vor allem personalintensiv produzierende Mittelstand hat davon stärker profitiert als überwiegend energieintensiv produzierende Unternehmen.
Wenn durch die Einnahmen aus der Ökosteuer die Rentenversicherungsbeiträge sinken, entlastet das Unternehmen und Arbeitnehmer jeweils zur Hälfte. Getragen wird die Ökosteuer überwiegend von privaten Haushalten. Insgesamt wird die Wirtschaft durch die Ökosteuer also entlastet. Diese Entlastung fällt um so stärker aus, je personalintensiver die Unternehmen produzieren.
Konkursrettung
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Philip Holzmann, Dornier, die Schneider-Gruppe, die Schmidt-Bank, die Kirch-Gruppe, Herlitz - im Moment reiht sich in Deutschland ein Konkurs an den nächsten - übrigens erstaunlich viele davon in Bayern. Die einen sehen darin eine mittlere Katastrophe, die anderen einen natürlichen Ausleseprozess und einen Indikator für den Aufschwung. Ich bedauere jeden Konkurs in Deutschland.
Vertreter des Mittelstandes fühlen sich oft ungerecht behandelt. Von ihnen höre ich den Vorwurf, wenn ein mittelständisches Unternehmen insolvent würde, käme der Konkursverwalter, träfe es ein Großunternehmen, käme der Kanzler. Diesen Vorwurf kann ich so nicht stehen lassen:
Wenn die Bundesregierung einem großen Unternehmen hilft, dann doch nur, weil in der Regel eine Vielzahl von kleinen und mittleren Betrieben von diesem großen Unternehmen abhängig sind. Wir retten doch nicht ein Unternehmen! Wir retten die wirtschaftliche Basis einer ganzen Region. Und in der Regel tut das der Bund auch nicht alleine. Normalerweise helfen die Ministerpräsidenten mit - egal welcher Partei sie angehören.
Unser Engagement für notleidende Betriebe hat natürlich etwas mit den Arbeitsplätzen zu tun - auch mit den nur indirekt betroffenen. Es sind viel zu viele Menschen in Deutschland nicht in den Produktionsprozess eingebunden und deshalb auf staatliche Hilfen angewiesen. Unsere punktuellen Hilfen sind Ausdruck eines gesunden Pragmatismus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Wendepunkt in der konjunkturellen Entwicklung ist durchschritten. Das Wachstum in Deutschland beschleunigt sich wieder. Die Frühindikatoren deuten an, dass wir gegen Ende des Jahres wieder ein Wirtschaftswachstum haben werden, das auf Jahresraten hochgerechnet zwischen 2 ½ und 3 % liegen würde.
Die Weltwirtschaft, die im vergangen Jahr das Wachstum in Deutschland gedrückt hat, erholt sich. Auch auf dem Arbeitsmarkt wird sich die konjunkturelle Erholung bald deutlicher spürbar machen.
Das wirtschaftliche Umfeld in dieser Aufschwungphase ist günstig wie selten. Nie lagen die Steuersätze tiefer - bei Aussicht auf weitere Senkungen. Nie wurde die Staatsverschuldung stringenter zurückgeführt. Nie zuvor hat die Qualität des Budgets das erreichte Niveau überschritten.
Wir haben die Nachfrage gestärkt und die Angebotsbedingungen verbessert. Wir haben durch Strukturreformen die großen Fragen der Zukunft erfolgreich beantwortet. Ich denke da nur an die bahnbrechende Rentenreform. Die Möglichkeit, betriebliche Pensionsfonds einzurichten, ist auch für Mittelständler eine attraktive Form, betriebliche Altersabsicherung anzubieten.
In den vergangenen drei Jahren waren wir sehr fleißig: Haushaltskonsolidierung, Steuerreform, Entlastung der Familien, neue Ausgabenqualität, Zukunftsinvestitionen, Neuordnung der EU-Finanzierung, Länderfinanzausgleich und Solidarpakt II, Bundesbankstrukturreform und Modernisierung der Finanzmärkte, Privatisierungen und europäische Finanzpolitik. Die Liste ließe sich allein im Bereich der Finanzpolitik noch fortsetzen. Wir haben Deutschland eindeutig nach vorne gebracht. Und wir wollen dies auch in den nächsten Jahren tun.
Auf unserem Aufgabenzettel steht eine Gemeindefinanzreform ebenso wie die bessere Verzahnung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe und eine Gesundheitsreform. Der Konsolidierungskurs muss eingehalten werden, die nächsten Steuerreformstufen warten auf ihr Inkrafttreten. Es gibt noch einiges zu tun, und ich bin bereit, meinen Teil dazu beizutragen.