Donnerstag, 26. September 2002
D-Mark, Drachmen, Defizit
Die ewige Schuldendebatte
Die Entwicklung der Steuereinnahmen in Deutschland ist trotz einer leichten Verbesserung insgesamt noch nicht zufriedenstellend im Sinne der für 2002 avisierten Haushaltsziele. Unter Berücksichtigung aller Einnahmen und Ausgaben, die seit Jahresbeginn erfasst worden sind, ergibt sich ein Finanzierungsdefizit, das mit rund 58 Mrd. Euro leicht unterhalb der zulässigen Maastricht-Obergrenze von 60 Mrd. Euro liegt. Im Vergleich zu den ersten sechs Monaten des Vorjahres muss das Bundesfinanzministerium jedoch eine Ausweitung um fast 20 Mrd. Euro konstatieren.
Die Situation sei in erster Linie auf die gesunkenen Steuereinnahmen der Gebietskörperschaften zurückzuführen, erklären die Behörden. Mit 188,2 Mrd. Euro seien diese um über sechs Prozent hinter dem Aufkommen des vergleichbaren Vorjahreszeitraumes zurückgeblieben. Die unterschiedliche Entwicklung zwischen Bundes- und den Kommunalebenen ist in der Tat auffällig. Während das reine Bundessteueraufkommen um 10,5 Prozent zunahm, schrumpften die reinen Landessteuereinnahmen um 7,8 Prozent.
Bereits gestern musste Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) ein Defizit für 2002 von 2,9 Prozent nach Brüssel notifizieren. Erlaubt sind nach den Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrags, der die Voraussetzungen für einen Beitritt zur europäischen Währungsunion bilden sollte, drei Prozent. Bis 2006 - an diesem Ziel hält die Bundesregierung nach wie vor fest - soll die Neuverschuldung sogar auf Null zurückgefahren werden.
"Stabiles Geld, niedrige Staatsquoten und niedrige Haushaltsdefizite sind nach aller Erfahrung der Schlüssel für dauerhaftes Wachstum, mehr Arbeitsplätze und Wohlstand. Sie sind deswegen zu Recht die Eintrittskarte in die Europäische Währungsunion." So beschrieb etwa der ehemalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer die Aufnahmekriterien für die Euro-Staaten.
Die konjunkturelle Entwicklung der letzten 18 Monate hat Zweifel an der Haltbarkeit des Stabilitätspaktes aufkommen lassen. Und Diskussionen darüber, ob er in seiner jetzigen Form bestehen bleiben sollte, oder ob unbequeme Kriterien nicht ein wenig zurechtgebogen werden könnten. Im Februar erwies sich der Streit um den blauen Brief für Deutschland als Bewährungsprobe. Allein die Ankündigung der Kommission, wegen des hohen deutschen Staatsdefizites eine Abmahnung nach Berlin zu schicken, mobilisierte alle Abwehrkräfte.
Das Versprechen von Finanzminister Hans Eichel, den deutschen Haushalt bis 2004 auf ein "nahezu " ausgeglichenes Niveau zu bringen, verhinderte schließlich den Versand des blauen Briefes. Doch Eichel schaffte es, sich gleichzeitig ein Hintertürchen offen zu lassen. Er machte für den Abbau des Defizites zur Bedingung, dass die deutsche Wirtschaft 2003 um 2,5 Prozent wächst. Der Streit um den blauen Brief für Deutschland hatte damals auch einen positiven Effekt für Portugal, das Ende Juli ein Defizit von 4,1 Prozent ausweisen musste. Denn unter diesen Umständen war es für die EU-Kommission schlecht möglich, eine Abmahnung gegen Lissabon durchzusetzen.
In Italien und Frankreich nutzte man die Gunst der Stunde, um ebenfalls an den Pfeilern des Stabilitätspaktes zu rütteln. In Frankfreich wird das Defizit in diesem Jahr bei 2,6 Prozent liegen. In Italien, wo es mit der Haushaltsentwicklung auch nicht zum besten steht, sprach sich Finanzminister Giulio Tremonti für eine Reform der Kriterien aus. Sein kreativer Vorschlag: Investitionen des Staates, wie etwa in die Infrastruktur, sollten aus den Defizitberechnungen herausgenommen werden.
In Brüssel kam die Idee jedoch weniger gut an. Stattdessen wurden die italienischen Defizitberechnungen bemängelt. Folge der Nachbesserung: Die Prognose für das Defizit Italiens 2001 erhöhte sich von 1,6 auf 2,2 Prozent. Die Bemühungen, die Kriterien des Stabilitätspaktes aufzuweichen, werden vor allem von denjenigen Mitgliedsstaaten mit Argwohn betrachtet, die diese schon längst erfüllen.