Regierung flirtet mit dem Mittelstand

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Regierung flirtet mit dem Mittelstand

 
14.01.03 22:53
Flach spielen, hoch gewinnen

Von Andreas Mihm


Der Mittelstand hat wieder Konjunktur. Zwar ist in den Büchern der Unternehmen von einem Aufschwung nichts zu erkennen, doch in den Schlagzeilen stehen die kleinen Unternehmen vor dem Comeback, seit die Bundesregierung eine Offensive für den Mittelstand angekündigt hat. Das klingt gut, verspricht kreative Unruhe, mahnt zum Aufbruch und kündet von vorwärtsdrängender Aktivität. Doch zunächst einmal richtet sich die Offensive gegen die rot-grüne Koalition. Gerade sie hat kleinen und mittleren Unternehmen Päckchen um Päckchen auf den schon gekrümmten Buckel geladen, auf daß sich das vielgerühmte Rückgrat der Wirtschaft ein wenig weiter krümme. Fußballfans kennen die Melodie: "Einer geht noch, einer geht noch rein."

Damit soll Schluß sein, verkündet die Regierung. Sie verspricht den Abbau der Bürokratie und nimmt zumindest mittelfristig das Ziel einer Steuer- und Sozialabgabenquote von 40 Prozent wieder ins Visier. Das wäre ein Anfang, damit sich das Rückgrat nicht noch weiter verbiegt. Ob damit mittelständische Betriebe, zu denen nach gängiger Abgrenzung Unternehmen mit bis zu 499 Beschäftigten und 50 Millionen Euro Jahresumsatz gehören, bald wieder den aufrechten Gang üben, ist noch nicht ausgemacht.

Wer die Chancen ermessen will, die eine Entfesselung des Mittelstands für die deutsche Volkswirtschaft birgt, sollte sich seine Bedeutung ins Gedächtnis rufen: 3,3 Millionen mittelständische Unternehmen beschäftigen 20,1 Millionen Arbeitnehmer. Sie repräsentieren 99,7 Prozent der steuerpflichtigen Betriebe; sie erzielen 43,2 Prozent der steuerpflichtigen Umsätze; sie beschäftigen 69,7 Prozent aller Arbeitnehmer; sie bilden 83 Prozent aller Lehrlinge aus. Mittelständler erwirtschaften knapp die Hälfte der Bruttowertschöpfung aller Unternehmen und entlassen weniger schnell als Großunternehmen.

Der Mittelstand repräsentiert eine gewaltige Macht. Allerdings ist seine Bedeutung jenseits der Sonntagsreden nicht so groß, wie es die nackten Zahlen erwarten lassen. Der Mittelstand ist keine homogene Masse. Er besteht aus kleinen und kleinsten Betrieben, mittelgroßen Unternehmen, und das quer durch alle Branchen. Von der Gastronomie über den Einzelhandel bis zur Bauwirtschaft und Industrie, nicht zu vergessen das Handwerk und die freien Berufe. So zersplittert wie die Branchen sind die Interessenvertretungen. Dazu gehören die großen Spitzenverbände der Kammern ebenso wie die der Händler oder der Industrie. Daneben tummeln sich alle möglichen Mittelstandsverbände, die ihren beitragszahlenden Mitgliedern die Vertretung ihrer Interessen versprechen.

Die bunte Vielfalt verweist auf ein weiteres Charakteristikum des Mittelstands: Er besteht aus Betrieben, in denen der Eigentümer das Sagen hat. Mittelstandsforscher nennen das Einheit von Eigentum, Leitung, Haftung und Risiko. Wer das alles mutig in seine Hände nimmt, läßt sich nicht gerne von anderen sagen, was er tun und lassen soll. Der bescheidene Rücklauf auf die von großen Verbänden initiierte Postkartenaktion "Mittelstand mach mobil" im Herbst zeigt, daß die Mobilisierungsfähigkeit des Mittelstands eher schwach ausgeprägt ist. Politisch läßt er sich nicht mehr einfach mit den Farben Schwarz und Gelb abgrenzen und vereinnahmen.

Ein unklares Profil und unterschiedliche Interessen machen es der Politik immer wieder leicht, Interessen der kleinen Unternehmen zwar wortreich zu huldigen, ihnen aber neue Belastungen aufzubürden. Im Gegenzug ersinnen die gleichen Politiker neue Förderprogramme. Mit 569 Millionen Euro hat der Bund 2000 allein die Forschung und Entwicklung in kleinen und mittelgroßen Unternehmen unterstützt. Auf 16 Milliarden Euro beliefen sich vergünstigte Darlehen der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Doch wem der Mittelstand wirklich am Herzen liegt, der hilft ihm mit immer neuen Subventionen und Sonderprogrammen nicht. Sie führen nur zu trügerischer Stärke am Markt. Der Schuh drückt oft woanders, wie die F.A.Z. auf einer Sonderseite zum Mittelstand zeigt. Mittelständler kritisieren steuerliche Nachteile gegenüber Kapitalgesellschaften, das rigide Tarif- und Arbeitsrecht, Bürokratie und hohe Abgabenlast.

Wenn Existenzgründer nach Darstellung des Instituts der deutschen Wirtschaft bis zu neun Genehmigungen für die Gründung eines Betriebs brauchen, dann verblüfft nicht, daß jeder vierte Gründer ein Jahr benötigt, ehe er alle Papiere beisammenhat. Wer wundert sich da noch, daß immer weniger Menschen in Deutschland selbständig sein wollen: Waren es 1970 noch 17 Prozent aller Erwerbstätigen, ist die Quote inzwischen auf 10 Prozent gefallen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schlägt daher vor, eine knappe Positivliste aller notwendigen Regeln und Gesetze zu erstellen und den Rest zu streichen. Das wäre eine echte Innovation, wie auch die Idee, dies in ausgewählten Regionen einem Praxistest zu unterziehen. Neue Gesetze sollten auf Bürokratiefolgen untersucht werden und gegebenenfalls unterbleiben. Notwendig wäre auch eine Lockerung der Handwerksordnung.

Der Leitspruch "weniger ist mehr" muß auch für Abgaben und Steuern gelten. Dabei darf es nicht um eine Sonderbehandlung des Mittelstandes gehen, Ziel sollte die gleichmäßige Entlastung aller Unternehmen sein. Der beste Weg, die Eigenkapitalschwäche zu beheben, ist, den Unternehmen mehr vom Selbstverdienten in den Taschen zu lassen, statt es erst herauszuziehen und nach Abzug erklecklicher Bearbeitungskosten umzuverteilen. Manch eine der vielen Insolvenzen könnte so verhindert werden.

Diese Vorschläge setzen einen Umdenkprozeß in der rot-grünen Regierung, vor allem in den sie stützenden Fraktionen, voraus. Sie muß Abschied nehmen vom Leitbild des alles und jedes regelnden Staates. Fußballfan Gerhard Schröder kennt doch die Regel: flach spielen, hoch gewinnen.
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