Konjunkturbericht der Süddeutschen Zeitung
Rätselhaftes Amerika
Von Nikolaus Piper
Alan Greenspan versteht es immer wieder, die Finanzmärkte zu überraschen. Nach der Zinssenkung vom vergangenen Mittwoch war die allgemeine Überraschung über die amerikanische Notenbank so groß, dass nun die Sterndeuter auf den Plan treten. Der
Argumentationsstrang unter Analysten und Bank-Volkswirten sieht ungefähr so aus: Seit Jahresbeginn hat das Federal Reserve Board die Zinsen viermal hintereinander um insgesamt zwei Prozentpunkte gesenkt – schneller als jemals zuvor. Der Kurs vermittelt einen Anschein von Panik, obwohl die Zahlen dafür eigentlich gar keinen Anlass bieten. Weiß Alan Greenspan also etwas, was dem Rest der Welt bisher verborgen geblieben ist? Will er einer Panik vorbeugen für den Fall, dass dieses Etwas bekannt wird? Und wenn ja, sind vorweg genommene Zinssenkungen das richtige Mittel zum Zweck? Oder reagiert Greenspan einfach auf die Tatsache, dass bisher positive Überraschungen für die Konjunktur ausgeblieben sind?
Alle diese Fragen müssen naturgemäß unbeantwortet bleiben. Sie sind aber insofern lehrreich, als sie die Ratlosigkeit der Experten hinsichtlich der Beurteilung des Wirtschaftszyklus in den Vereinigten Staaten illustrieren. Der Index der wichtigsten Konjunkturindikatoren, ermittelt vom angesehenen Conference Board, ist im März erneut zurückgegangen und zwar um 0,3 Prozent (Graphik auf dieser Seite). Der Index ist in etwa mit dem Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts für Deutschland zu vergleichen; sein Rückgang signalisiert, dass der Abschwung jenseits des Atlantiks unvermindert weiter geht. Noch vor wenigen Wochen hatte die Hoffnung überwogen, dass die Landung der US-Wirtschaft einigermaßen glimpflich verlaufen könnte. Die Einzelhandelsumsätze hatten im Januar und im Februar um 1,0 Prozent über denen des vierten Quartals 2000 gelegen – obwohl das statistisch gemessene Verbrauchervertrauen weiter zurückgegangen war. Auch der Rückgang der Energiepreise schien damals auf eine Entspannung hinzudeuten.
Greenspan überholt Institute
Nun sieht die Lage schon wieder anders aus. Aber wie? Die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute glauben, wie es in ihrem jüngsten Frühjahrsgutachten heißt, dass es in Amerika zwar zu einem „kräftigen Abschwung“, nicht jedoch zu einer Rezession kommt. Dabei bauen die Forscher unter anderem auf politische Einflüsse. So werde die Geldpolitik „deutlich expansiv“ wirken. Bei dieser Aussage wurde eine Zinssenkung bis zum Sommer um einen Viertelprozentpunkt unterstellt. Diese Marke hat die Notenbank nun bereits diese Woche überschritten; die Wachstumsbedingungen sind also besser als erwartet – es sei denn, die Ausgangslage war schlechter, als es die Institute wissen konnten.
Schwierig ist es auch, eine weitere Konjukturnachricht aus dieser Woche zu deuten: Das amerikanische Handelsdefizit fiel im Februar um 5,4 Prozent auf 26,99 Milliarden Dollar und damit wesentlich schneller als erwartet. Dies entschärft zwar eines der größten Risiken für die Weltwirtschaft, das Handelsungleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt. Ursache für den Rückgang war aber ein scharfer Einbruch bei den Importen, was darauf deuten könnte, dass der Nachfrageeinbruch tiefer ausgefallen ist, als andere Statistiken dies zeigen.
Im Frühjahrsgutachten der Institute ist von einem „Prognoserisiko USA“ die Rede. Zwar könne es durchaus sein, dass die Stärke der amerikanischen Konjunktur auch jetzt wieder unterschätzt werde, denkbar sei aber auch das Gegenteil, ein wesentlich ungünstigerer Konjunkturverlauf: „Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn starke Kursverluste an den Aktienmärkten oder allgemein ungünstigere Einkommenserwartungen die Konsumausgaben spürbar dämpfen würden. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Entwicklung auf den Devisenmärkten. In der Prognose wurde unterstellt, dass der US-Dollar weder abrupt noch kräftig abwertet. Doch könnte er deutlich an Wert verlieren, wenn Investoren nicht mehr in dem Maße wie bisher bereit wären, Kapital in den USA anzulegen, etwa weil die Renditeaussichten schlechter eingeschätzt werden.“ Nach den Berechnungen würde ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Amerika um einen Prozentpunkt und eine dauerhafte Abwertung des Dollar gegenüber dem Euro um zehn Prozent zu einer Wachstumseinbuße von 0,5 Prozentpunkten in der EU führen. Dies lässt den Schluss zu, dass sich Europa wenigstens teilweise von der amerikanischen Konjunktur abkoppeln kann.
Kerninflation gestiegen
Wichtig für den weiteren Verlauf der europäischen Konjunktur ist nun der Kurs der Europäischen Zentralbank. Nach dem überraschenden Zinsschritt in den Vereinigten Staaten drängen viele Politiker, aber auch Ökonomen die EZB, nun schnell ihrerseits die Zinsen zu senken. Im Frühjahrsgutachten können die Zinssenker dabei gute Argumente finden, etwa die Tatsache, dass es auf den Finanzmärkten keinerlei Inflationserwartung gibt und dass das Wachstum der Geldmenge sich verlangsamt hat. Einen Dämpfer für alle Zinssenkungshoffnungen brachten allerdings die jüngsten Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der EU: Danach ist die Teuerung im März unverändert bei 2, 6 Prozent geblieben, obwohl die Effekte der Ölpreisexplosion vom vergangenen Jahr nun eigentlich langsam auslaufen müssten. Die so genannte Kernrate der Inflation (ohne die Preise für Energie und Nahrungsmittel) ist sogar von 1,7 Prozent im Februar auf 1,8 Prozent im März gestiegen. Das deutet zwar nicht wirklich auf Inflationsgefahren hin, kann aber eine Notenbank nervös machen, die das Vertrauen in eine junge und teilweise umstrittene Währung befördern soll.
Die Volkswirte der Commerzbank widmen der Preisentwicklung in ihrem jüngsten Konjunkturbericht ebenfalls einige grundsätzliche Überlegungen. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres, so heißt es dort, habe sich in den Vereinigten Staaten und im Euroland ein aus der Old Economy bekannter Zusammenhang gezeigt: „Bei sich abschwächender Nachfrage bzw. langsamerer Ausweitung der Produktion verringert sich der Anstieg der Produktivität, die Lohnstückkosten nehmen zu.“ Überdies machten sich die gestiegenen Energiepreise jetzt indirekt bei den Produktionskosten für Waren und Dienstleistungen bemerkbar. Aus amerikanischer Sicht bedeute dies ein „Rückschlagpotenzial“ für den Rentenmarkt im Herbst, für Euroland werde der Zinssenkungsspielraum begrenzt
Rätselhaftes Amerika
Von Nikolaus Piper
Alan Greenspan versteht es immer wieder, die Finanzmärkte zu überraschen. Nach der Zinssenkung vom vergangenen Mittwoch war die allgemeine Überraschung über die amerikanische Notenbank so groß, dass nun die Sterndeuter auf den Plan treten. Der
Argumentationsstrang unter Analysten und Bank-Volkswirten sieht ungefähr so aus: Seit Jahresbeginn hat das Federal Reserve Board die Zinsen viermal hintereinander um insgesamt zwei Prozentpunkte gesenkt – schneller als jemals zuvor. Der Kurs vermittelt einen Anschein von Panik, obwohl die Zahlen dafür eigentlich gar keinen Anlass bieten. Weiß Alan Greenspan also etwas, was dem Rest der Welt bisher verborgen geblieben ist? Will er einer Panik vorbeugen für den Fall, dass dieses Etwas bekannt wird? Und wenn ja, sind vorweg genommene Zinssenkungen das richtige Mittel zum Zweck? Oder reagiert Greenspan einfach auf die Tatsache, dass bisher positive Überraschungen für die Konjunktur ausgeblieben sind?
Alle diese Fragen müssen naturgemäß unbeantwortet bleiben. Sie sind aber insofern lehrreich, als sie die Ratlosigkeit der Experten hinsichtlich der Beurteilung des Wirtschaftszyklus in den Vereinigten Staaten illustrieren. Der Index der wichtigsten Konjunkturindikatoren, ermittelt vom angesehenen Conference Board, ist im März erneut zurückgegangen und zwar um 0,3 Prozent (Graphik auf dieser Seite). Der Index ist in etwa mit dem Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts für Deutschland zu vergleichen; sein Rückgang signalisiert, dass der Abschwung jenseits des Atlantiks unvermindert weiter geht. Noch vor wenigen Wochen hatte die Hoffnung überwogen, dass die Landung der US-Wirtschaft einigermaßen glimpflich verlaufen könnte. Die Einzelhandelsumsätze hatten im Januar und im Februar um 1,0 Prozent über denen des vierten Quartals 2000 gelegen – obwohl das statistisch gemessene Verbrauchervertrauen weiter zurückgegangen war. Auch der Rückgang der Energiepreise schien damals auf eine Entspannung hinzudeuten.
Greenspan überholt Institute
Nun sieht die Lage schon wieder anders aus. Aber wie? Die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute glauben, wie es in ihrem jüngsten Frühjahrsgutachten heißt, dass es in Amerika zwar zu einem „kräftigen Abschwung“, nicht jedoch zu einer Rezession kommt. Dabei bauen die Forscher unter anderem auf politische Einflüsse. So werde die Geldpolitik „deutlich expansiv“ wirken. Bei dieser Aussage wurde eine Zinssenkung bis zum Sommer um einen Viertelprozentpunkt unterstellt. Diese Marke hat die Notenbank nun bereits diese Woche überschritten; die Wachstumsbedingungen sind also besser als erwartet – es sei denn, die Ausgangslage war schlechter, als es die Institute wissen konnten.
Schwierig ist es auch, eine weitere Konjukturnachricht aus dieser Woche zu deuten: Das amerikanische Handelsdefizit fiel im Februar um 5,4 Prozent auf 26,99 Milliarden Dollar und damit wesentlich schneller als erwartet. Dies entschärft zwar eines der größten Risiken für die Weltwirtschaft, das Handelsungleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt. Ursache für den Rückgang war aber ein scharfer Einbruch bei den Importen, was darauf deuten könnte, dass der Nachfrageeinbruch tiefer ausgefallen ist, als andere Statistiken dies zeigen.
Im Frühjahrsgutachten der Institute ist von einem „Prognoserisiko USA“ die Rede. Zwar könne es durchaus sein, dass die Stärke der amerikanischen Konjunktur auch jetzt wieder unterschätzt werde, denkbar sei aber auch das Gegenteil, ein wesentlich ungünstigerer Konjunkturverlauf: „Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn starke Kursverluste an den Aktienmärkten oder allgemein ungünstigere Einkommenserwartungen die Konsumausgaben spürbar dämpfen würden. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Entwicklung auf den Devisenmärkten. In der Prognose wurde unterstellt, dass der US-Dollar weder abrupt noch kräftig abwertet. Doch könnte er deutlich an Wert verlieren, wenn Investoren nicht mehr in dem Maße wie bisher bereit wären, Kapital in den USA anzulegen, etwa weil die Renditeaussichten schlechter eingeschätzt werden.“ Nach den Berechnungen würde ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Amerika um einen Prozentpunkt und eine dauerhafte Abwertung des Dollar gegenüber dem Euro um zehn Prozent zu einer Wachstumseinbuße von 0,5 Prozentpunkten in der EU führen. Dies lässt den Schluss zu, dass sich Europa wenigstens teilweise von der amerikanischen Konjunktur abkoppeln kann.
Kerninflation gestiegen
Wichtig für den weiteren Verlauf der europäischen Konjunktur ist nun der Kurs der Europäischen Zentralbank. Nach dem überraschenden Zinsschritt in den Vereinigten Staaten drängen viele Politiker, aber auch Ökonomen die EZB, nun schnell ihrerseits die Zinsen zu senken. Im Frühjahrsgutachten können die Zinssenker dabei gute Argumente finden, etwa die Tatsache, dass es auf den Finanzmärkten keinerlei Inflationserwartung gibt und dass das Wachstum der Geldmenge sich verlangsamt hat. Einen Dämpfer für alle Zinssenkungshoffnungen brachten allerdings die jüngsten Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der EU: Danach ist die Teuerung im März unverändert bei 2, 6 Prozent geblieben, obwohl die Effekte der Ölpreisexplosion vom vergangenen Jahr nun eigentlich langsam auslaufen müssten. Die so genannte Kernrate der Inflation (ohne die Preise für Energie und Nahrungsmittel) ist sogar von 1,7 Prozent im Februar auf 1,8 Prozent im März gestiegen. Das deutet zwar nicht wirklich auf Inflationsgefahren hin, kann aber eine Notenbank nervös machen, die das Vertrauen in eine junge und teilweise umstrittene Währung befördern soll.
Die Volkswirte der Commerzbank widmen der Preisentwicklung in ihrem jüngsten Konjunkturbericht ebenfalls einige grundsätzliche Überlegungen. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres, so heißt es dort, habe sich in den Vereinigten Staaten und im Euroland ein aus der Old Economy bekannter Zusammenhang gezeigt: „Bei sich abschwächender Nachfrage bzw. langsamerer Ausweitung der Produktion verringert sich der Anstieg der Produktivität, die Lohnstückkosten nehmen zu.“ Überdies machten sich die gestiegenen Energiepreise jetzt indirekt bei den Produktionskosten für Waren und Dienstleistungen bemerkbar. Aus amerikanischer Sicht bedeute dies ein „Rückschlagpotenzial“ für den Rentenmarkt im Herbst, für Euroland werde der Zinssenkungsspielraum begrenzt