Japans Premier Koizumi über die deutsche Krise, japanische Soldaten im Irak und seine Begeisterung für Oliver Kahn
WELT am SONNTAG: Willkommen in Berlin, Herr Premierminister. Ihr letzter Besuch liegt noch gar nicht so lange zurück.
Junichiro Koizumi: Der Deutschlandbesuch vor drei Monaten war der erste seit langem. Das wirkliche Berlin zehn Jahre nach dem Fall der Mauer habe ich als sehr grüne sowie ruhige, gelassene und prosperierende Stadt empfunden.
WamS: Was macht die deutsch-japanischen Beziehungen so besonders?
Koizumi: Japan und Deutschland sind die Länder mit dem zweit- beziehungsweise drittgrößten Bruttoinlandsprodukt in der Welt. Als Mitglieder der G-8 arbeiten wir innerhalb der Staatengemeinschaft zusammen. Da unser Land während seiner Modernisierung in Bereichen wie Recht, Naturwissenschaften und Künste viel von Deutschland gelernt hat, empfinden die Menschen in Japan traditionell eine besonders starke Zuneigung für Deutschland. Auf der anderen Seite wurde mir gesagt, dass seit ein paar Jahren Manga, Computerspiele und Zeichentrickfilme aus Japan bei den Menschen in Deutschland sehr beliebt sind. Weiterhin möchten wir durch "Deutschland in Japan 2005/2006" sowie durch den Austausch in den Sektoren Wirtschaft und Tourismus das Interesse der Menschen in beiden Ländern - vor allem der jungen Generation - wecken und das gegenseitige Verständnis weiter verstärken.
WamS: Ihre Regierung wird Truppen in den Irak schicken, was heftige Debatten in Japan auslöste. Spaltet die Entscheidung das Land?
Koizumi: Japan möchte auf Grund der UN-Resolution 1483 als Mitglied der internationalen Gemeinschaft seiner internationalen Verpflichtung für den Wiederaufbau des Irak nachkommen. Dem Einsatz der Verteidigungsstreitkräfte für den Wiederaufbau des Irak kommt auch unter diesem Aspekt eine große Bedeutung zu. Diesbezüglich wurde durch die Debatte des Sondergesetzes über die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau im Irak das Verständnis der Menschen im Land gestärkt. Die Entsendung der Verteidigungsstreitkräfte auf Grund dieses Gesetzes wird nach eingehender Prüfung der Lage vor Ort sowie nach sorgfältiger Vorbereitung erfolgen. Dabei werde ich mich auch weiterhin um ein ausreichendes Verständnis der Menschen in Japan einsetzen.
WamS: Im Irak sterben fast täglich alliierte Soldaten durch Attacken. Kann die neue UN-Resolution die Situation verbessern?
Koizumi: Ich glaube nicht, dass ein neues UN-Mandat sofort zu einer Verbesserung der Sicherheitslage führen wird. Andererseits wird dies die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft für eine rasche Verbesserung der Beschäftigungssituation im Irak, für die Verbesserung des Alltagslebens sowie für den Aufbau des Landes weiter stärken, so dass sehr zu hoffen ist, dass dadurch die Sicherheit im Irak schnell wiederhergestellt wird.
WamS: Wie Deutschland, so hofft auch Japan auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Koizumi: Damit der Sicherheitsrat die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann, stellt eine Reform die dringlichste Aufgabe dar. Insbesondere bei der Zusammensetzung des Sicherheitsrates sollten - unabhängig davon, ob es sich um Industrienationen oder Entwicklungsländer handelt - die Länder einen ständigen Sitz erhalten, die über die Fähigkeiten und den Willen verfügen, einen globalen Beitrag für den internationalen Frieden und die Sicherheit zu leisten, um auf diese Weise die Effizienz des Sicherheitsrats zu erhöhen. Für die Reform des Sicherheitsrats ist es wichtig, dass Japan und Deutschland eng zusammenarbeiten.
WamS: Im Falle Nordkoreas haben Sie sich immer für eine friedliche Lösung eingesetzt, die US-Regierung hingegen hat versucht, den Druck zu erhöhen ...
Koizumi: Ich glaube, Nordkorea hat letztendlich den Sechsergesprächen zugestimmt, weil die beteiligten Staaten wie Japan, die USA und Südkorea ihre diplomatischen Bemühungen hartnäckig fortgesetzt haben.
WamS: Wie könnte eine multilaterale Strategie aussehen?
Koizumi: Der Tatsache, dass die Staaten der Region Nordostasien, die mit der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel sowie der friedlichen und diplomatischen Lösung der nordkoreanischen Atomfrage ein gemeinsames Ziel verfolgen, zu alle Parteien umfassenden Gesprächen zusammentreffen, kommt eine sehr große Bedeutung zu.
WamS: Japan gilt häufig als "der kranke Mann" der Weltwirtschaft. Ist der Patient auf dem Weg der Besserung?
Koizumi: Japan verfügt mit seinem großen technologischen Potenzial und privaten Sparguthaben in Höhe von circa 1,4 Billiarden Yen über ein solides Fundament, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stützen. Allerdings sind verschiedene Mechanismen, die bislang gut funktionierten, nicht mehr kompatibel mit der heutigen Gesellschaft.
WamS: Kritiker werfen Ihnen vor, Sie seien die versprochenen harten Reformen immer noch schuldig. Was antworten Sie?
Koizumi: Wir haben seit meinem Amtsantritt unter der Politik "Was der Privatsektor kann, soll dem Privatsektor überlassen werden" eine tief greifende Verwaltungs- und Finanzreform durchgeführt und die Strukturreformen in zahlreichen Bereichen einschließlich Finanzen und Steuern in Angriff genommen. Beispielsweise wurde, was bisher noch niemand gemacht hat, die Teilnahme des Privatsektors an Dienstleistungen im Postbereich ermöglicht. Auch eine Reform der besonderen öffentlichen Körperschaften, deren Aufgaben vom Privatsektor erfüllt werden können und wo Missstände aufgetreten waren, wurde durchgeführt. Zugleich haben wir uns von der bisherigen Vorstellung, dass alle Vorschriften überall im Land gelten müssen, verabschiedet und als neuen Versuch, das Potenzial und die Initiative in den Regionen und im Privatsektor zu fördern, "Sonderzonen für Strukturreformen" geschaffen, so dass in den einzelnen Regionen nun Ausnahmeregelungen möglich sind. Im Finanzbereich soll diese Bereinigung im Haushaltsjahr abgeschlossen sein und ein stabiles Finanzsystem gestaltet werden.
WamS: Wirtschaftlich hat Japan bereits vor Jahren die Probleme erlebt, vor denen Deutschland jetzt steht. Was raten Sie Kanzler Schröder?
Koizumi: Deutschland leidet unter ähnlichen Problemen wie Japan: eine schwache Konjunktur, sinkende Aktienkurse, Not leidende Kredite und eine fortschreitende Überalterung der Gesellschaft. Zugleich unternimmt es verschiedene Anstrengungen zur Überwindung dieser Probleme. Ich bin überzeugt, dass es sowohl für Japan als auch für Deutschland von großem Nutzen wäre, wenn wir dabei unsere jeweiligen Erfahrungen und Lösungen berücksichtigten.
WamS: Was hat Sie persönlich an Deutschland am meisten beeindruckt?
Koizumi: Die Menschen in Japan waren während der Fußball-WM im letzten Jahr vom Eifer der deutschen Elf und vor allem von Oliver Kahn, der mit dem Adidas-Golden- Bowle-Preis ausgezeichnet wurde, sehr beeindruckt. Dies hat die Sympathie für Deutschland weiter gefördert und dabei bin ich keine Ausnahme.
Die Fragen stellte Miriam Hollstein; Mitarbeit: Frank Stocker
Artikel erschienen am 17. Aug 2003
WELT am SONNTAG: Willkommen in Berlin, Herr Premierminister. Ihr letzter Besuch liegt noch gar nicht so lange zurück.
Junichiro Koizumi: Der Deutschlandbesuch vor drei Monaten war der erste seit langem. Das wirkliche Berlin zehn Jahre nach dem Fall der Mauer habe ich als sehr grüne sowie ruhige, gelassene und prosperierende Stadt empfunden.
WamS: Was macht die deutsch-japanischen Beziehungen so besonders?
Koizumi: Japan und Deutschland sind die Länder mit dem zweit- beziehungsweise drittgrößten Bruttoinlandsprodukt in der Welt. Als Mitglieder der G-8 arbeiten wir innerhalb der Staatengemeinschaft zusammen. Da unser Land während seiner Modernisierung in Bereichen wie Recht, Naturwissenschaften und Künste viel von Deutschland gelernt hat, empfinden die Menschen in Japan traditionell eine besonders starke Zuneigung für Deutschland. Auf der anderen Seite wurde mir gesagt, dass seit ein paar Jahren Manga, Computerspiele und Zeichentrickfilme aus Japan bei den Menschen in Deutschland sehr beliebt sind. Weiterhin möchten wir durch "Deutschland in Japan 2005/2006" sowie durch den Austausch in den Sektoren Wirtschaft und Tourismus das Interesse der Menschen in beiden Ländern - vor allem der jungen Generation - wecken und das gegenseitige Verständnis weiter verstärken.
WamS: Ihre Regierung wird Truppen in den Irak schicken, was heftige Debatten in Japan auslöste. Spaltet die Entscheidung das Land?
Koizumi: Japan möchte auf Grund der UN-Resolution 1483 als Mitglied der internationalen Gemeinschaft seiner internationalen Verpflichtung für den Wiederaufbau des Irak nachkommen. Dem Einsatz der Verteidigungsstreitkräfte für den Wiederaufbau des Irak kommt auch unter diesem Aspekt eine große Bedeutung zu. Diesbezüglich wurde durch die Debatte des Sondergesetzes über die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau im Irak das Verständnis der Menschen im Land gestärkt. Die Entsendung der Verteidigungsstreitkräfte auf Grund dieses Gesetzes wird nach eingehender Prüfung der Lage vor Ort sowie nach sorgfältiger Vorbereitung erfolgen. Dabei werde ich mich auch weiterhin um ein ausreichendes Verständnis der Menschen in Japan einsetzen.
WamS: Im Irak sterben fast täglich alliierte Soldaten durch Attacken. Kann die neue UN-Resolution die Situation verbessern?
Koizumi: Ich glaube nicht, dass ein neues UN-Mandat sofort zu einer Verbesserung der Sicherheitslage führen wird. Andererseits wird dies die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft für eine rasche Verbesserung der Beschäftigungssituation im Irak, für die Verbesserung des Alltagslebens sowie für den Aufbau des Landes weiter stärken, so dass sehr zu hoffen ist, dass dadurch die Sicherheit im Irak schnell wiederhergestellt wird.
WamS: Wie Deutschland, so hofft auch Japan auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Koizumi: Damit der Sicherheitsrat die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann, stellt eine Reform die dringlichste Aufgabe dar. Insbesondere bei der Zusammensetzung des Sicherheitsrates sollten - unabhängig davon, ob es sich um Industrienationen oder Entwicklungsländer handelt - die Länder einen ständigen Sitz erhalten, die über die Fähigkeiten und den Willen verfügen, einen globalen Beitrag für den internationalen Frieden und die Sicherheit zu leisten, um auf diese Weise die Effizienz des Sicherheitsrats zu erhöhen. Für die Reform des Sicherheitsrats ist es wichtig, dass Japan und Deutschland eng zusammenarbeiten.
WamS: Im Falle Nordkoreas haben Sie sich immer für eine friedliche Lösung eingesetzt, die US-Regierung hingegen hat versucht, den Druck zu erhöhen ...
Koizumi: Ich glaube, Nordkorea hat letztendlich den Sechsergesprächen zugestimmt, weil die beteiligten Staaten wie Japan, die USA und Südkorea ihre diplomatischen Bemühungen hartnäckig fortgesetzt haben.
WamS: Wie könnte eine multilaterale Strategie aussehen?
Koizumi: Der Tatsache, dass die Staaten der Region Nordostasien, die mit der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel sowie der friedlichen und diplomatischen Lösung der nordkoreanischen Atomfrage ein gemeinsames Ziel verfolgen, zu alle Parteien umfassenden Gesprächen zusammentreffen, kommt eine sehr große Bedeutung zu.
WamS: Japan gilt häufig als "der kranke Mann" der Weltwirtschaft. Ist der Patient auf dem Weg der Besserung?
Koizumi: Japan verfügt mit seinem großen technologischen Potenzial und privaten Sparguthaben in Höhe von circa 1,4 Billiarden Yen über ein solides Fundament, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stützen. Allerdings sind verschiedene Mechanismen, die bislang gut funktionierten, nicht mehr kompatibel mit der heutigen Gesellschaft.
WamS: Kritiker werfen Ihnen vor, Sie seien die versprochenen harten Reformen immer noch schuldig. Was antworten Sie?
Koizumi: Wir haben seit meinem Amtsantritt unter der Politik "Was der Privatsektor kann, soll dem Privatsektor überlassen werden" eine tief greifende Verwaltungs- und Finanzreform durchgeführt und die Strukturreformen in zahlreichen Bereichen einschließlich Finanzen und Steuern in Angriff genommen. Beispielsweise wurde, was bisher noch niemand gemacht hat, die Teilnahme des Privatsektors an Dienstleistungen im Postbereich ermöglicht. Auch eine Reform der besonderen öffentlichen Körperschaften, deren Aufgaben vom Privatsektor erfüllt werden können und wo Missstände aufgetreten waren, wurde durchgeführt. Zugleich haben wir uns von der bisherigen Vorstellung, dass alle Vorschriften überall im Land gelten müssen, verabschiedet und als neuen Versuch, das Potenzial und die Initiative in den Regionen und im Privatsektor zu fördern, "Sonderzonen für Strukturreformen" geschaffen, so dass in den einzelnen Regionen nun Ausnahmeregelungen möglich sind. Im Finanzbereich soll diese Bereinigung im Haushaltsjahr abgeschlossen sein und ein stabiles Finanzsystem gestaltet werden.
WamS: Wirtschaftlich hat Japan bereits vor Jahren die Probleme erlebt, vor denen Deutschland jetzt steht. Was raten Sie Kanzler Schröder?
Koizumi: Deutschland leidet unter ähnlichen Problemen wie Japan: eine schwache Konjunktur, sinkende Aktienkurse, Not leidende Kredite und eine fortschreitende Überalterung der Gesellschaft. Zugleich unternimmt es verschiedene Anstrengungen zur Überwindung dieser Probleme. Ich bin überzeugt, dass es sowohl für Japan als auch für Deutschland von großem Nutzen wäre, wenn wir dabei unsere jeweiligen Erfahrungen und Lösungen berücksichtigten.
WamS: Was hat Sie persönlich an Deutschland am meisten beeindruckt?
Koizumi: Die Menschen in Japan waren während der Fußball-WM im letzten Jahr vom Eifer der deutschen Elf und vor allem von Oliver Kahn, der mit dem Adidas-Golden- Bowle-Preis ausgezeichnet wurde, sehr beeindruckt. Dies hat die Sympathie für Deutschland weiter gefördert und dabei bin ich keine Ausnahme.
Die Fragen stellte Miriam Hollstein; Mitarbeit: Frank Stocker
Artikel erschienen am 17. Aug 2003