Neben Sabra und Schatilla muss Ariel Scharon auch Rechenschaft ablegen für die Ernennung von Carmi Gillon und Ehud Jatom.
In den Protokollen der Kabinettssitzung vom Abend des 16. September 1982 sind Bemerkungen von Minister David Levy festgehalten – nachdem die Israelische Armee West-Beirut eroberte und die Falangisten in das Flüchtlingslager Schatilla eindrangen. Israel beabsichtigte zu behaupten, den Falangisten sei gestattet worden, die palästinensischen Lager zu betreten, um die Ordnung dort wieder herzustellen. Levy sagte, niemand werde Israel glauben: es werde ein Gemetzel geben, sagte er voraus, "und es wird unsere Schuld sein". Während Levy sich nicht gegen das Vordringen der Israelischen Armee nach West-Beirut aussprach, sah er voraus, was diese Woche in der BBC-Sendung "Panorama" mit dem Untertitel "Die Angeklagten" geschah. Wie Levy es ausdrückte: "Unsere Behauptung wird nicht standhalten".
Die Kahan-Kommission sprach von Scharons "persönlicher Verantwortung" für das Massaker von Sabra und Schatilla, denn er habe die Gefahr ignoriert, dass es möglicherweise zu einem Massaker kommen würde, und versäumt die notwendigen Schritte zu unternehmen, um es zu verhindern. Diese Unterlassung zeigte die "Nichterfüllung seiner Verpflichtung, die er als Verteidigungsminister hatte", schrieb die Kahan-Kommission.
Die Sendung "Panorama", die sich auf den Kahan-Bericht berief, enthüllte eine neuen Fakten. Der Ausschnitt der BBC war nicht als Untersuchungsbericht gedacht, sondern als Gedächtnisstütze.
Eine Auffrischung der Erinnerung war durchaus angemessen, nicht nur auf Grund von Scharons Vergangenheit. Ihre Sachdienlichkeit wird durch sein Bestreben unterstrichen, Ehud Jatom, der zugegeben hat, in der Bus 300-Affäre zwei Terroristen mit eigenen Händen getötet zu haben, zu seinem Anti-Terror-Berater zu ernennen. Und Scharon hat diese Sendung außerdem verdient, weil er Carmi Gillon als israelischen Botschafter nach Dänemark geschickt hat. Gillon, früher Chef des Geheimdienstes Schin Beth, beschrieb in seinen kürzlich veröffentlichten Memoiren stolz, wie Verdächtige nach seinen Anweisungen gefoltert wurden.
Israel hat die Sendung "Panorama" verdient, weil dieses Land häufig – ohne operationale Rechtfertigung – die Menschenrechte der Palästinenser verletzt und die Täter nur sehr selten vor Gericht stellt. Obwohl internationales Recht sich deutlich von dem unterscheidet, was die Produzenten der Sendung möglicherweise wollen, ist ihr Seitenhieb heilsam für alle Länder, Israel eingeschlossen.
Was diese Woche als die bedeutendste Nachforschung dargestellt und von dem bedeutendsten Nachrichtendienst ausgestrahlt wurde, ähnelte künstlichen Dramen, die von Ilana Dayans Sendung "Fakt" auf Kanal 2 heraufbeschworen wurden. Um sicher zu gehen, dass die Zuschauer der BBC wirklich begreifen, dass ein Massaker an Zivilisten eine schlimme Sache ist, wurde ein Zeuge nach dem anderen aufgefordert, vor der Kamera zu berichten, was den Bewohnern der Lager angetan worden war, einschließlich Schilderungen von brutalem physischem Missbrauch und Vergewaltigung.
Um ganz sicher zu sein, dass die Zuschauer begreifen würden, dass Eli Hobeika, der Kommandant der Falangisten, der das Massaker anführte, sehr schlimm war, ging die Kamera näher heran und zeigte wieder und wieder seine Augen. Trotz dieser Kameraführung machten es ihm die Interviewer nicht schwer. Hobeika lebt in Beirut; die Produzenten der Sendung versäumten es, den libanesischen Regierungssprecher zu fragen, warum Hobeika nicht vor Gericht gestellt wurde.
Um den Zuschauern deutlich zu machen, dass Israel sich vor der moralischen Verantwortung für das Massaker drücke, brachte die Sendung (offensichtlich mit einer gewissen Schadenfreude) eine Reihe von Darstellungen von Scharons Sprecher Ra'anan Gissin. Der "Mund" des Premierministers hat eine knirschende, amerikanisch gefärbte Stimme; er hat die Angewohnheit, seine Stimme zu heben, und er scheint zu glauben, dass Israel 20 Jahre nach dem Massaker immer noch seinen Anteil an dem, was geschehen ist, sowie Scharons Rolle dabei rechtfertigen müsse. Um seine Sache als israelischer Sprecher gut zu machen, wollte er mit sanfter, ruhiger Stimme sagen, dass dies eines der betrüblichsten Ereignisse in der Geschichte der Auseinandersetzung sei; es war jedoch gründlich recherchiert worden, und der Regierungssprecher hatte den Schlussfolgerungen der Kahan-Kommission nichts hinzuzufügen. Gissins jämmerlicher Auftritt in der Sendung lieferte sicher zum Teil eine Erklärung, warum man in Israel so hysterisch auf die Sendung reagierte – schon bevor der Ausschnitt gezeigt wurde und hinterher. In einer der unsinnigen Diskussionen, die als Antwort auf das BBC-Programm im Fernsehen ausgestrahlt wurden, schlug jemand vor, dass Papst Pius XII. postum vor Gericht gestellt werden sollte – der Papst wusste von den Morden an den Juden während des Zweiten Weltkrieges, blieb jedoch stumm. Und – wie in den Tagen von Menachem Begin – kam erneut der hinterhältige Vergleich zwischen der BBC und der Nazipropaganda unter Goebbels auf.
Die Möglichkeit, Scharon als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, wurde von Richard Falk, Professor für Internationales Recht und Tradition an der Woodrow Wilson Fakultät der Universität Princeton, und Richter Richard Goldstone, ehemals leitender Staatsanwalt beim Menschenrechtstribunal der Vereinten Nationen in Bosnien/Kroatien und Ruanda, ins Gespräch gebracht. Goldstone, der seine Worte sehr vorsichtig wählte, legte sich nicht eindeutig fest, ob es möglich wäre, Scharon anzuklagen; unausgesprochen deutete er jedoch an, dass es gerecht wäre, es zu tun.
Goldstones Wahl als Ankläger in dem Fall, den "Panorama" gegen Ariel Scharon verhandelte, war ziemlich ungeschickt. Zusätzlich zu seinen Ämtern als Richter des Südafrikanischen Verfassungsgerichts und Rektor der Universität von Witwatersrand, hat Goldstein umfassend für die Menschenrechte und an der Formulierung internationaler gesetzlicher Statuten gegen Kriegsverbrechen gearbeitet. In Anerkennung seiner Arbeit hat er zahllose Ehrendoktortitel eingeheimst, einen sogar von der Hebräischen Universität. Zur Zeit des Massakers von Sabra und Schatilla war Goldstone Richter am Obersten Gerichtshof von Transvaal; als solcher vertrat er die Rassengesetze des Apartheidregimes. Auch er kann für seine Rolle in der Vergangenheit nicht belangt werden.
Ein jüdischer Professor, der glaubt, dass es möglich sei, Scharon als Kriegsverbrecher anzuklagen, war nicht schwer zu finden; und ebenso leicht war es für die Produzenten von "Panorama", einen nicht-jüdischen Professor zu finden, der das Gegenteil vorschlug. Die gesamte Thematik Kriegsverbrechen steckt noch in den Kinderschuhen. In den vergangenen Jahren hat das internationale Recht einige Schritte vorwärts gemacht; aber zumindest in der heutigen Zeit scheint es, als sei die öffentliche Denunziation der Menschenrechtsverletzer ein besserer Tipp als die Hoffnung, man werde sie vielleicht bei der Ankunft, zum Beispiel am Flughafen in Kopenhagen, einsperren.
Im Fall von Carmi Gillon ist es recht unwahrscheinlich, dass man ihn in Kopenhagen verhaften wird, denn er wird mit einem Diplomatenpass einreisen. Andererseits sieht es so aus, als würde es den dänischen Medien gelingen, seine Ernennung als israelischer Botschafter zu verhindern; das "Öffentliche Komitee gegen Folter" in Israel arbeitet hart daran, diese dänische Kampagne zu unterstützen.
In seiner Biografie gibt Gillon zu, dass er persönlich Folterungen an mindestens 320 Verdächtigen im Gewahrsam des Schin Beth gestattet hat. Mindestens ein Verdächtiger starb bei einer von Gillon autorisierten Befragung. Er ist nicht gerade ein Abgesandter eines gutmütigen und freundlichen Israel; vielleicht wäre er ein wertvoller Botschafter in Mauretanien.
Kopenhagen ist eine herrliche, zuvorkommende Stadt, in der ein Kandidat für den Posten des israelischen Botschafters keine langatmigen Aufzählungen seiner erwiesenermaßen erfolgreichen Vergangenheit braucht. Trotzdem ist nicht klar, warum der Mann, der einen Großteil der Verantwortung für das Durcheinander, das zur Ermordung Jitzchak Rabins führte, trägt, diese Ehre verdient. Auf jeden Fall würde die Verhinderung von Gillons Ernennung eine wichtige Warnung darstellen, ähnlich der, die "Panorama" sendete: Jeder, der die Menschenrechte verletzt, selbst wenn er dies "mit Autorität und Erlaubnis" tut, kann davon ausgehen, dass er – früher oder später – seinen Preis dafür bezahlt.
Quelle: Ha`aretz