Die Börsen reagieren jetzt genau so wie beim ersten Golfkrieg. Dennoch kommt diesmal alles anders.
Was wir im Moment an den Aktienmärkten erleben, ist eine Nostalgie-Rally. Im Gedenken an die schönen Kriegstage von 1991 schnellen die Kurse nach oben - leider nur für kurze Zeit. Schon bald werden die Anleger wieder in die harte Schule des Bärenmarktes zurückkehren müssen.
Aktuell läuft alles so, wie es sich Strategen und Händler in ihren kühnen Analogieträumen zum ersten Irak-Krieg ausgemalt haben. Seit Monaten hören wir von den Anlageratgebern, dass der Kriegsbeginn einen scharfen Kursanstieg zur Folge haben würde. Dementsprechend stimmte sich die global agierende Finanzgemeinde auf diesen Eventualfall ein.
Die Händler hatten ihre Kaufprogramme längst installiert und konnten sie jetzt auf Knopfdruck aktivieren. Da eine schnelle Rally zu erwarten war, bestand das entscheidende Element des Kalküls darin, nicht zu spät auf die Kauftaste zu drücken. Wer nur zehn Minuten gezögert hat, hat die Hälfte der Gewinnmöglichkeiten bereits verpasst. So erklärt es sich, dass die Kriegsrally im Golfkrieg des Jahres 2003 früher einsetzt als die von 1991. Vor zwölf Jahren sprang der Aktienmarkt erst an, als tatsächlich die ersten Bomben auf Bagdad fielen. Dieses Mal ging es schon los, als die letzte Entscheidung für Krieg - endlich - gefallen war.
Sturm auf die Risikopapiere
Da sage noch jemand, der Markt habe kapituliert. Nichts davon: Anleger und Händler haben sich lediglich geduckt, bis der ganze Ärger vorbei war. Die am Geld- und am Rentenmarkt geparkten Gelder strömen mit Macht zurück in die Risikopapiere. Die "Börsen-Zeitung" betitelte ihren Bondmarktbericht am Dienstag mit der überaus treffenden Überschrift "Das Kriegsende wird gefeiert, bevor der Krieg begonnen hat." Alles läuft wie 1991, und auch der Dollar wird wieder stärker.
Noch vor einer Woche sah es so aus, als fürchteten die Anleger nichts so sehr wie eine definitive Entscheidung für Krieg. Seit Jahresanfang war aus den Marktreaktionen eine eindeutige Präferenz für bestimmte geopolitische Szenarien herauszulesen, die - beginnend mit den erfreulichsten Perspektiven - wie folgt aussah. Erstens: Saddam Hussein geht ins Exil und verhindert damit den Krieg.
An zweiter Stelle steht das Szenario, dass sich die Uno darauf einigt, die Waffeninspektionen fortzusetzen, und an dritter Stelle steht der Krieg mit einer Unterstützung durch die Uno. Besonders heftig fielen die Kurse immer dann, wenn sich die Aussichten dafür verstärkten, dass die USA den Krieg gegen Saddam und gegen den Widerstand der meisten anderen Staaten führen würden.
Genau das passiert jetzt, die schlechteste aller Welten tritt ein. Die diplomatischen Bemühungen sind gescheitert, und die Bush-Regierung hat nur wenige Verbündete. Der Krieg in Irak wird ohne breiten Konsens geführt.
Die Reaktion an den Aktienmärkten scheint paradox. Just in dem Moment aber, als US-Außenminister Colin Powell offiziell die zweite Resolution für den Sicherheitsrat zurückzog und damit das Scheitern seiner Diplomatie öffentlich eingestand, jagten die Kurse an den Börsen hoch. So widersprüchlich diese Entwicklung erscheint, so typisch ist sie für den Markt. Zermürbt vom Hin und Her der vergangenen Wochen sehen die Akteure jetzt endlich eindeutige Verhältnisse und können das Muster von vor zwölf Jahren wie eine Schablone auf die Gegenwart pressen.
Mutter aller Haussen
Saddams Wort von der "Mutter aller Schlachten" wurde 1991 von Börsenhändlern zur "Mutter aller Haussen" umdefiniert. Der Mann in Bagdad ist älter geworden, doch sonst hat sich anscheinend nichts geändert. Vertraute, schöne Erinnerungen kehren zurück. Die Hausse wird zur Nostalgie.
Dennoch wird diesmal alles anders kommen als 1991. Damals mündete die kräftige Rally in eine stabile Aufwärtsbewegung am Aktienmarkt, die von einer Erholung der Weltkonjunktur getragen wurde. Aktien waren mäßig bewertet. Für viele europäische Aktien trifft dies auch heute zu, nicht aber für US-Titel. In ihnen steckt noch immer der alte Optimismus, alles könnte ähnlich gut weitergehen, wie wir es bis 1999 gewohnt waren.
Schon deshalb wird sich auch diese Rally als Episode herausstellen. Die ökonomischen Probleme sind die alten, und selbst wenn dieser Krieg schnell und für den Angreifer schmerzlos zu Ende geht, wird Amerika politisch und ökonomisch nur scheinbar zu alter Stärke zurückfinden. Ökonomisch führt kein Weg in die heile Welt zurück, die durch Kapitalzufluss aus dem Ausland Konsum, Gewinne, Investitionen, Produktivität und die Währung des Landes in einem hochdynamischen Gleichgewicht halten kann.
Am Devisen- und Aktienmarkt hat sich diese Erkenntnis 2002 durchgesetzt. Der Dollar wurde schwach, die Aktienkurse fielen - in Europa wesentlich stärker als in den USA. Die Märkte reflektierten die Tatsache, dass das Führungsland ökonomisch schwach geworden ist. Sie erkannten aber auch, dass Europa und Japan damit noch schwächer wurden.
Eine politische Parallele drängt sich auf: Einige europäische Länder haben sich als Gefolgsstaaten der USA abgemeldet. Sie sind sogar zu einem begrenzten Konflikt mit der Führungsmacht bereit. Weil es nur einige sind, tritt die Uneinigkeit und Handlungsunfähigkeit Europas umso stärker hervor. Auch politisch haben wir es mit einer Umbruch- oder Krisenphase zu tun. Der Aktienmarkt wird das sehr genau zur Kenntnis nehmen.
© 2003 Financial Times Deutschland
Was wir im Moment an den Aktienmärkten erleben, ist eine Nostalgie-Rally. Im Gedenken an die schönen Kriegstage von 1991 schnellen die Kurse nach oben - leider nur für kurze Zeit. Schon bald werden die Anleger wieder in die harte Schule des Bärenmarktes zurückkehren müssen.
Aktuell läuft alles so, wie es sich Strategen und Händler in ihren kühnen Analogieträumen zum ersten Irak-Krieg ausgemalt haben. Seit Monaten hören wir von den Anlageratgebern, dass der Kriegsbeginn einen scharfen Kursanstieg zur Folge haben würde. Dementsprechend stimmte sich die global agierende Finanzgemeinde auf diesen Eventualfall ein.
Die Händler hatten ihre Kaufprogramme längst installiert und konnten sie jetzt auf Knopfdruck aktivieren. Da eine schnelle Rally zu erwarten war, bestand das entscheidende Element des Kalküls darin, nicht zu spät auf die Kauftaste zu drücken. Wer nur zehn Minuten gezögert hat, hat die Hälfte der Gewinnmöglichkeiten bereits verpasst. So erklärt es sich, dass die Kriegsrally im Golfkrieg des Jahres 2003 früher einsetzt als die von 1991. Vor zwölf Jahren sprang der Aktienmarkt erst an, als tatsächlich die ersten Bomben auf Bagdad fielen. Dieses Mal ging es schon los, als die letzte Entscheidung für Krieg - endlich - gefallen war.
Sturm auf die Risikopapiere
Da sage noch jemand, der Markt habe kapituliert. Nichts davon: Anleger und Händler haben sich lediglich geduckt, bis der ganze Ärger vorbei war. Die am Geld- und am Rentenmarkt geparkten Gelder strömen mit Macht zurück in die Risikopapiere. Die "Börsen-Zeitung" betitelte ihren Bondmarktbericht am Dienstag mit der überaus treffenden Überschrift "Das Kriegsende wird gefeiert, bevor der Krieg begonnen hat." Alles läuft wie 1991, und auch der Dollar wird wieder stärker.
Noch vor einer Woche sah es so aus, als fürchteten die Anleger nichts so sehr wie eine definitive Entscheidung für Krieg. Seit Jahresanfang war aus den Marktreaktionen eine eindeutige Präferenz für bestimmte geopolitische Szenarien herauszulesen, die - beginnend mit den erfreulichsten Perspektiven - wie folgt aussah. Erstens: Saddam Hussein geht ins Exil und verhindert damit den Krieg.
An zweiter Stelle steht das Szenario, dass sich die Uno darauf einigt, die Waffeninspektionen fortzusetzen, und an dritter Stelle steht der Krieg mit einer Unterstützung durch die Uno. Besonders heftig fielen die Kurse immer dann, wenn sich die Aussichten dafür verstärkten, dass die USA den Krieg gegen Saddam und gegen den Widerstand der meisten anderen Staaten führen würden.
Genau das passiert jetzt, die schlechteste aller Welten tritt ein. Die diplomatischen Bemühungen sind gescheitert, und die Bush-Regierung hat nur wenige Verbündete. Der Krieg in Irak wird ohne breiten Konsens geführt.
Die Reaktion an den Aktienmärkten scheint paradox. Just in dem Moment aber, als US-Außenminister Colin Powell offiziell die zweite Resolution für den Sicherheitsrat zurückzog und damit das Scheitern seiner Diplomatie öffentlich eingestand, jagten die Kurse an den Börsen hoch. So widersprüchlich diese Entwicklung erscheint, so typisch ist sie für den Markt. Zermürbt vom Hin und Her der vergangenen Wochen sehen die Akteure jetzt endlich eindeutige Verhältnisse und können das Muster von vor zwölf Jahren wie eine Schablone auf die Gegenwart pressen.
Mutter aller Haussen
Saddams Wort von der "Mutter aller Schlachten" wurde 1991 von Börsenhändlern zur "Mutter aller Haussen" umdefiniert. Der Mann in Bagdad ist älter geworden, doch sonst hat sich anscheinend nichts geändert. Vertraute, schöne Erinnerungen kehren zurück. Die Hausse wird zur Nostalgie.
Dennoch wird diesmal alles anders kommen als 1991. Damals mündete die kräftige Rally in eine stabile Aufwärtsbewegung am Aktienmarkt, die von einer Erholung der Weltkonjunktur getragen wurde. Aktien waren mäßig bewertet. Für viele europäische Aktien trifft dies auch heute zu, nicht aber für US-Titel. In ihnen steckt noch immer der alte Optimismus, alles könnte ähnlich gut weitergehen, wie wir es bis 1999 gewohnt waren.
Schon deshalb wird sich auch diese Rally als Episode herausstellen. Die ökonomischen Probleme sind die alten, und selbst wenn dieser Krieg schnell und für den Angreifer schmerzlos zu Ende geht, wird Amerika politisch und ökonomisch nur scheinbar zu alter Stärke zurückfinden. Ökonomisch führt kein Weg in die heile Welt zurück, die durch Kapitalzufluss aus dem Ausland Konsum, Gewinne, Investitionen, Produktivität und die Währung des Landes in einem hochdynamischen Gleichgewicht halten kann.
Am Devisen- und Aktienmarkt hat sich diese Erkenntnis 2002 durchgesetzt. Der Dollar wurde schwach, die Aktienkurse fielen - in Europa wesentlich stärker als in den USA. Die Märkte reflektierten die Tatsache, dass das Führungsland ökonomisch schwach geworden ist. Sie erkannten aber auch, dass Europa und Japan damit noch schwächer wurden.
Eine politische Parallele drängt sich auf: Einige europäische Länder haben sich als Gefolgsstaaten der USA abgemeldet. Sie sind sogar zu einem begrenzten Konflikt mit der Führungsmacht bereit. Weil es nur einige sind, tritt die Uneinigkeit und Handlungsunfähigkeit Europas umso stärker hervor. Auch politisch haben wir es mit einer Umbruch- oder Krisenphase zu tun. Der Aktienmarkt wird das sehr genau zur Kenntnis nehmen.
© 2003 Financial Times Deutschland