Kräftiger Gegenwind für die Rotorenbauer
Die Windenergie kommt nicht mehr auf Touren. Unternehmen müssen ihre Prognosen revidieren. Das schwache Ergebnis der Nordex AG könnte ein erstes schlimmes Signal sein
von Ulrich Machold
Berlin - Die Flaute kam spät, aber heftig: Nach reihenweise optimistischen Ausblicken schockte der Rostocker Windmühlen-Bauer Nordex die Finanzwelt vor zwei Wochen mit einem drastischen Gewinneinbruch. Von plus 2,7 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum schmierte das Ergebnis im letzten Quartal auf minus 12,4 Millionen Euro ab. Hauptgrund: das katastrophale Auslandsgeschäft. Resultat: Erst stürzte der Aktienkurs, dann stürzte Vorstandschef Dietmar Kestner.
Die Nordex-Zahlen haben der Branche die Stimmung gründlich verhagelt. Schon fallen die Analysten-Empfehlungen für Windkraft-Firmen wie Dominosteine. „Ich sehe im Moment kein Unternehmen mit positiven Aussichten", sagt Burkhard Sawazki von HSBC Trinkaus und Burkhard in Düsseldorf. „Mit der Expansion im Ausland kommen viele Firmen nicht voran. Und im Inland haben wir 2002 wohl das Hoch gesehen."
Das tut weh. Dabei war die Windkraft bislang Boombranche und eines der Lieblingskinder der rot-grünen Umweltpolitik. „Wir sind Weltmeister", schwärmte Umweltminister Trittin, und Joschka Fischer forderte den weiteren Ausbau als Rettung vor dem Klimakollaps. Dank des „Erneuerbare-Energien-Gesetzes", das Windkraft-Betreibern einen attraktiven Preis für die Einspeisung des erzeugten Stroms garantiert, schossen in den vergangenen Jahren die Windräder quer durch die Republik wie Krokusse aus dem Boden. 22 Prozent Kapazitäts-Wachstum vermeldete die Branche für 2002. Insgesamt drehen sich in Deutschland damit knapp 14.000 Windmühlen, die rund ein Drittel des weltweit produzierten Windstroms und dabei Umsätze von rund 3,5 Milliarden Euro erzeugen. Davon profitierten neben den Herstellern wie Nordex auch die so genannten Projektentwickler. Firmen wie Plambeck und Energiekontor bauen die Windparks auf und vermarkten sie dann weiter. Einige Unternehmen, wie die Repower des ehemaligen Hamburger Umweltsenators Fritz Vahrenholt (siehe Interview), sind sogar in beiden Segmenten aktiv. Praktisch alle machen den mit Abstand größten Anteil ihrer Umsätze in Deutschland.
Und dort ist jetzt Schluss mit der Goldgräberstimmung. Denn der Windkraft gehen die Standorte aus. Mittlerweile sind hier zu Lande so ziemlich alle ausreichend zugigen Flecken zur Stromgewinnung zugebaut. Den deutschen Markt schätzen Analystenkreise daher unisono als gesättigt ein. „Das Binnenpotenzial ist stark begrenzt", sagt Josef Auer von der DB Research in Frankfurt. Hoffnung sehen die Experten nur noch im Ausland und in neuen Geschäftsfeldern, wie dem so genannten Repowering, dem Austausch alter Anlagen durch neue, leistungsfähigere, und dem Aufbau von Off-Shore-Windparks vor den Küsten. Besonders in Letzteres setzt die Branche große Erwartungen. Denn abseits des Festlands können auch Riesenwindmühlen gebaut werden, die mit den lauen Lüftchen an Land gar nicht in Gang kämen. Ab 2004 schon will die Firma Prokon Nord 45 Kilometer vor der Insel Borkum zwölf Windräder in die Nordsee pflanzen. 80 andere Propeller westlich von Sylt sind abgenickt, dutzende weitere Projekte liegen dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie zur Genehmigung vor. Laut dem Bundesverband Windenergie (BWE) würde schon die Hälfte dieser Planspiele ein Investitionsvolumen von rund 35 Milliarden Euro haben. Doch ist fraglich, ob daraus auf kurze Sicht überhaupt etwas wird. Technisch betreten die Planer Neuland, auch die Finanzierung ist oft ungeklärt.
Im Ausland kranken die deutschen Firmen an mangelhaften Kontakten vor Ort und der Konkurrenz durch lokale Energiemultis wie Electricité de France und der spanischen Endesa. Der Repowering-Markt dürfte den Verlust an Erstaufträgen kaum auffangen können. Fazit: schlechte Zeiten. „Wir halten die unerfreulichen Zahlen von Nordex nicht für einen Einzelfall und vermuten, dass alle Unternehmen die nachlassende Dynamik spüren werden", urteilt das Analysehaus Independent Investment Advisory. „Das erhoffte Off-Shore-Potenzial kann aus unserer Sicht erst mittelfristig erschlossen werden."
Auch aus einer anderen Ecke bläst kräftiger Gegenwind. Denn ein großer Teil der Nachfrage kommt von Betreibern, die die Windparks als geschlossene Fonds an Privatinvestoren weiterreichen. 2002 pumpten Kleinanleger, laut BWE, auf diesem Weg 600 Millionen Euro in die Windmühlenwirtschaft. Außer Steuerersparnis durch Abschreibungen versprechen die Anbieter hohe Renditen durch den gesetzlich garantierten Einspeisepreis: „Durchschnittlich acht Prozent", sagt Lars Bauermeister von der Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Erneuerbare Energien, die 14 Fonds im Angebot hat. „Anfangs weniger, später, wenn die Anlagen abbezahlt sind, dafür über 20 Prozent."
Ob solchen Prognosen immer getraut werden kann, darf bezweifelt werden. Laut „Handelsblatt" ergab eine Analyse, dass nur ein Drittel von 165 untersuchten Fonds überhaupt Vergleiche von versprochener und tatsächlicher Stromerzeugung veröffentlichten. Von denen, die es taten, hinkten über 80 Prozent ihren eigenen Voraussagen hinterher. Nur die Hälfte der Untersuchten lieferte Daten zum Ertrag. Wiederum die Hälfte davon blieb unter Plan. Außerdem übersteigen die Kosten für Reparatur und Instandhaltung der Windräder laut Experten nicht selten die Vorhersagen, was die Rendite ebenfalls schmälert.
Sollte sich das unter Anlegern herumsprechen, könnte weiterer Druck auf die Branche die Folge sein. Erst wenn die Off-Shore-Windparks tatsächlich laufen, dürfte die Branche zu ihren Boomzeiten zurückfinden.
Artikel erschienen am 23. Feb 2003
Watchlist: Nordex
Auf Grund der schlechten Zahlen für das letzte Quartal ist die Nordex-Aktie stark unter Druck geraten. Nach der Demission des Vorstandschefs verlor das Papier am Donnerstag weitere 7,7 Prozent und ist nun nur noch knapp ein Euro wert. Das erscheint auf den ersten Blick gerechtfertigt: Nordex will zwar durch ein Sofortprogramm die Kosten so schnell wie möglich senken. Ob dies allerdings gelingt, steht in den Sternen. Auch die Analysten sind skeptisch: Die ersten haben das Rostocker Unternehmen schon auf „Verkaufen" heruntergestuft, die übrigen sollten bald folgen.
Auf den zweiten Blick allerdings wird Nordex nach dem Absturz zum fast idealen Übernahmekandidaten. Mehrere finanzkräftige Energieunternehmen aus dem europäischen Ausland suchen schon seit längerer Zeit nach einem Einstieg in den lukrativen deutschen Markt. Günstiger als jetzt kämen sie demnächst wohl kaum wieder zu einer solchen Gelegenheit. Auch wegen des technologischen Know-how wäre Nordex eine attraktive Beute.
Konkrete Angebote gibt es bis jetzt allerdings noch nicht. Auch das ist verständlich: Potenzielle Interessenten würden wohl in jedem Fall die Zahlen des nächsten Quartals abwarten, um zu sehen, ob das Restrukturierungsprogramm greift. Mittelfristig aber könnten sie durchaus zugreifen. Nordex hat Phantasie. Man sollte die Aktie im Auge behalten.
Artikel erschienen am 23. Feb 2003
„Es gab viel Unfug"
Gespräch mit Fritz Vahrenholt, Vorstandsvorsitzender der Repower Systems AG
WELT am SONNTAG: Herr Professor Vahrenholt, Sie haben die Perspektiven der Windenergie immer sehr positiv beurteilt. Dämpfen die Zahlen von Nordex Ihren Optimismus?
Fritz Vahrenholt: Ich glaube der Markt ist weiterhin stark. Die Nachfrage nach guter Technologie ist ungebrochen. Es gibt ein Problem in der Windbranche, das ist aber eher ein Problem der Projektierer, weil in der Tat mittelfristig die Projekte in Deutschland knapper werden. Wir haben eine Pipeline, die sicher noch drei bis vier Jahre reicht, aber es wird natürlich insgesamt weniger. Die Maschinenbauer haben, anders als die Projektentwickler, kaum Probleme, weil sie auf Dauer immer auch an verschiedenen Standorten ältere, kleinere Turbinen durch größere, wirtschaftlichere Anlagen ersetzen können. Allgemein kann man sagen, dass in einer jungen Branche nach einem Boom die weniger guten Unternehmen aussortiert werden, das ist ein natürlicher Prozess. Dazu kommt, dass die Auslandsmärkte nicht wie von einigen erwartet angesprungen sind. Wir haben diese Widrigkeiten dadurch vermieden, dass wir uns vorrangig auf Joint-Venture-Projekte konzentriert haben. So ist beispielsweise unsere Zusammenarbeit mit japanischen oder australischen Partnern sehr viel versprechend.
WamS: Ist das windarme Deutschland überhaupt ein Markt für diese Industrie?
Vahrenholt: Es gibt sehr gute Standorte in Deutschland. Besser sind aber natürlich welche in Schottland oder Kanada. Es ist in der Vergangenheit viel Unfug passiert. Es hat keinen Sinn, sich in der bayerischen Tiefebene zu tummeln. Wir müssen ausländische Märkte erschließen und die Standortnachteile in Deutschland durch Technologie wettmachen. Deutsche Ingenieurskunst ist ein Markenartikel. Zudem werden wir ab 2006 mit unserer Fünf-Megawatt-Off-Shore-Anlage, der größten der Welt, einen zukunftsweisenden Weg beschreiten.
WamS: Die Förderung für die Windenergie nimmt langfristig schrittweise ab. Wie können Sie ohne diese Sicherheit die Anleger für eine so wetterabhängige Investition begeistern?
Vahrenholt: Wir können uns sogar vorstellen, den Wind zu garantieren. Flauten könnten am Kapitalmarkt mit Wetter-Derivaten abgesichert werden. Zudem fallen die Preise für Strom aus Windenergie jährlich um drei Prozent. Das soll uns ein anderer Energieträger erst einmal nachmachen. Bald werden wir mit herkömmlichen Energieerzeugern konkurrieren können und langfristig zehn Prozent des Strombedarfs in Deutschland decken. Herr Trittin spricht von 20 Prozent, das halte ich aber für übertrieben.
WamS: Nach dem Sturz von Nordex haben die Analysten die ganze Branche herabgestuft, das betrifft auch Ihre Firma. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Vahrenholt: Es ärgert mich, dass ein hochprofitables Wachstumsunternehmen wie das unsere darunter leiden muss. Die Windindustrie ist mit vier Milliarden Euro Umsatz pro Jahr schon jetzt ein relevanter Wirtschaftszweig in Deutschland. Da Öl und Gas tendenziell teurer werden, werden wir in Zukunft noch wichtiger werden.
Das Gespräch führte Nicolai Goetz.
Artikel erschienen am 23. Feb 2003