Von Torsten Engelbrecht
Unter den internationalen Kapitalmarktexperten besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft deutlich getrübt sind. Zugleich sind die Strategen und Ökonomen weiterhin uneins in der Frage, was dies für die internationalen Aktienmärkte bedeutet.
"Halloween kam für die Investoren in diesem Jahr früher als geplant", beschreibt Peter Hooper, US-Chefökonom bei der Deutschen Bank, die Stimmung an den Märkten. "Auch die aktuellsten Wirtschaftsdaten versetzen die Anleger in Schrecken und lassen vermuten, dass die US-Wirtschaft im vierten Quartal stärker eingeknickt ist als im abgelaufenen Vierteljahr." Hooper rechnet mit minus ein Prozent für das dritte und minus zwei Prozent für das laufende Quartal. "Der globale Wirtschaftsabschwung ist der schlimmste seit 1982", resümiert Peter Oppenheimer, Chefstratege bei HSBC, "und der Kollaps der Unternehmensgewinne fällt nicht weniger dramatisch aus." Es sei mit einer spürbaren Zunahme der Konkurse zu rechnen.
Asset Allocation Gewichtung: Die Allocation ist die Gewichtung der drei Asset-Klassen Aktien, Anleihen und Cash im US-Portfolio von Merrill Lynch. Die Investmentbank favorisiert Dividendenpapiere, die mit einem Anteil von 70 Prozent vertreten sind.
Die Aktienmärkte tangierten diese Schreckensbotschaften zuletzt wenig. Sie legten in den vergangenen Wochen eine beachtliche Rally hin. Zum einen, weil eine Reihe von Marktakteuren auf Grund der geld- und fiskalpolitischen Anstrengungen fest mit einer weltweiten konjunkturellen Erholung im kommenden Jahr rechnet. Zum anderen, weil die Aktienmärkte bei vielen Experten nach wie vor als unterbewertet gelten. "Aus Bewertungsgründen sind Aktien im Verhältnis zu Anleihen sehr attraktiv", so John Praveen von Credit Suisse Asset Management.
Indes blickt keineswegs die gesamte Analystenschar hoffnungsfroh nach vorn. Nach Auffassung von Barton Biggs, Chefstratege von Morgan Stanley, droht ein Test der September-Tiefs. Die pessimistischste Prognose stammt von Dresdner Kleinwort Wasserstein, deren Fachleute den Aktienmärkten eine jahrelange Eiszeit voraussagen.
Die Stimmung bei Merrill Lynch entspricht - jedenfalls was die langfristigen Aussichten angeht - eher dem Logo der Investmentbank, dem Bullen. Zwar macht auch nach Auffassung von Bruce Steinberg, Chefvolkswirt von Merrill Lynch, die Weltwirtschaft zurzeit eine Rezession durch. "Doch im dritten und vierten Quartal des kommenden Jahres dürfte die US-Konjunktur mit plus 4,8 Prozent überdurchschnittlich wachsen, während sich Europa und Japan zu erholen beginnen." Steuersenkungen und steigende Staatsausgaben in den Vereinigten Saaten werden als entscheidender Stimulus genannt.
Darüber hinaus rechnet der Experte weiter mit deutlichen Zinssenkungen durch die Notenbanken. "Fiskalpolitik in Kombination mit niedrigeren Energie- und Finanzierungskosten werden den Cash-Flow von Konsumenten und Unternehmen in den USA um rund 300 Mrd. $ erhöhen", so Steinberg.
Regionen: Im nach Regionen sortierten Aktien-Portfolio sind US-Papiere mit einer Gewichtung von 57 Prozent am stärksten vertreten, gefolgt von Titeln der Euro-Zone (14 Prozent) und Werten aus Großbritannien (13 Prozent). Sektoren: Bei den Sektoren zeigt sich die defensive Ausrichtung von Merrill. Die Lebensmittelbranche ist der bevorzugte Sektor mit einem Depotgewicht von 24 Prozent.
Tritt dies ein, wären die Aussichten für eine Erholung der Aktienmärkte besonders günstig. Der Aktien-Anteil im globalen Portfolio fällt mit 70 Prozent entsprechend hoch aus (Anleihen: 25 Prozent; Cash: fünf Prozent). "Da man davon ausgeht, dass die Erholung in den USA am frühesten und am deutlichsten ausfallen wird, ist auch der Anteil der US-Papiere im globalen Aktien-Portfolio mit 57 Prozent mit Abstand die größte Position", erläutert Merrill-Lynch-Stratege Bartholomew Dowling.
Unterdessen geht das Strategie-Team von Merrill davon aus, dass die Aktienmärkte den fürs zweite Halbjahr 2002 zu erwartenden Aufschwung der US-Wirtschaft sechs Monate vorwegnehmen - also ab Anfang 2002. "Bis dahin könnte es noch schwierig werden", so Chris Hyzy, Leiter der globalen Portfolio-Strategie. "Die Bullen haben aufgeholt, liegen aber gegen die Bären noch mit 2:3 im Rückstand."
Die Merrill-Strategen empfehlen daher kurzfristig, defensive Papiere überzugewichten. In ihrem nach Sektoren sortierten globalen Aktien-Portfolio ist die Lebensmittelbranche mit einem Anteil von 24 Prozent das Schwergewicht. Zugleich "sollten sich die Anleger darauf vorbereiten, im ersten Quartal 2002 auf zyklische Wachstumsaktien umzuschwenken", rät Christine Callies, Leiterin der US-Strategie.