Berlin - Da blickt auch das Finanzamt nicht mehr durch. Lohnsteuerhilfevereine schlagen Alarm: Rund 20 Prozent aller Steuerbescheide sind falsch. Weil Finanzbeamte Fehler machen, weil Steuererklärungen Lücken haben oder weil Laien vergessen, auf den Formularen ihre Kinderfreibeträge einzutragen. So verirren sich die Arbeitnehmer im Steuerdickicht - und lassen sich 400 Millionen Euro jährlich durch die Lappen gehen.
In deutschen Steuergesetzen steckt eine hochkomplexe Materie, die mit jeder Reform noch verschwiemelter wird. Das freut zwar die Steuerberater, nicht aber die Finanzbehörden. Die Arbeitsbelastung in den Ämtern sei immens gestiegen, klagt Dieter Ondracek, Chef der deutschen Steuergewerkschaft. Schuld sei der Gesetzgeber, der eine Menge Mehrarbeit produziert habe.
Das Steuerrecht hat sich über Jahrzehnte hinweg mit einer Vielzahl von Bereichen verkuppelt, mit denen es streng genommen nichts zu schaffen hat - von Wohnungsbauhilfen über die Familienförderung bis hin zur Altervorsorge. Insgesamt, so schätzen Experten, gebe es rund 130 Bundesgesetze in Sachen Steuern. Andere glauben, es seien dutzende mehr. Festlegen mag sich niemand, höchstens auf eine beliebte Sage unter Steuerberatern: Über die Hälfte der weltweit publizierten Steuerrechtsliteratur ist demnach deutschsprachig. Kaum ein Jurist könne vollständig aufsagen, was geltendes Steuerrecht sei, frotzelt beständig einer, der es wissen muss: Steuerexperte und Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof.
Und weil das Steuerrecht ohnehin kaum jemand durchblickt, umgeht man es nur allzu gern. Mit dem Verdruss wachsen auch Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung. Die Steuergewerkschaft schätzt, dass 16,5 Prozent des Inlandsproduktes - ein Umsatzvolumen von 350 Milliarden Euro - alljährlich am Fiskus vorbeigeschmuggelt werden.
Für Ludwig Georg Braun, den Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), ist das deutsche Steuerrecht "eine schlichte Katastrophe". Dem mündigen Bürger bleibe der Zugang versperrt. Der Paragrafendschungel müsse rigoros durchforstet werden, fordert der DIHK. Und das sei schließlich auch ein klassisches Wahlkampfthema.
Vorschläge gibt es viele. Ex-Verfassungsrichter Kirchhof etwa hat ein Einkommensteuer-Modell entwickelt, das nur 21 Paragrafen kennt. Steuerzahlerbund-Präsident Karl Heinz Däke will die 40 geltenden Steuerarten auf zehn reduzieren.
Parteiübergreifend gilt Steuervereinfachung als wichtiges Ziel. Für jede Fraktion, vor allem für die in der Opposition. Doch was in der Theorie so schlicht wie bestechend klingt, leidet an der praktischen Umsetzung.
Für Bundesfinanzminister und Sparminator Hans Eichel (SPD) ist das schöne Wort von der "Steuervereinfachung" vor allem ein willkommener Weg, um im Wahlkampf von Forderungen nach weiteren Steuersenkungen abzulenken. Steuervereinfachungen, dozierte Eichel noch in der vergangenen Woche, könnten die Akzeptanz des Steuersystems beim Bürger erhöhen. Hinter vorgehaltener Hand geben nämlich selbst SPD-Finanzexperten zu, dass ihre Reform zwar die Steuersätze gesenkt, das Steuerrecht aber komplizierter gemacht habe.
Die Union will im Falle eines Wahlerfolges gleich eine komplett neue Steuerreform angehen, die unter dem Diktat der Einfachheit stehen soll. In die gleiche Kerbe schlägt das Drei-Stufen-Modell der Liberalen mit einheitlichen Steuersätzen von 15, 25 und 35 Prozent. Die Grünen fordern indes, im Sinne der Einfachheit und des Bürokratieabbaus gleich die Kfz-Steuer komplett abzuschaffen.
Die Grundthese zum Thema Steuervereinfachung: Wenn man die Bemessungsgrundlage verbreitert und Schlupflöcher abschafft, kann man die Steuersätze senken. "Das geht aber nicht ohne einen gesellschaftspolitischen Konsens", sagt die Finanzexpertin der Bündnisgrünen, Christine Scheel. "Wenn man anfängt, über den Abbau von Vergünstigungen zu reden, dann betrifft das die Nutzung des Computers am Arbeitsplatz genauso wie den Weg zur Arbeit, die Ansparabschreibung für Existenzgründer genauso wie die Nachtzuschläge."
Was jede Regierung nämlich beim Abbau von Steuervergünstigungen fürchtet, ist der Aufschrei der kleinen Leute, der Aufmacher in "BILD". Und der Aufmarsch der Industrie-Lobbyisten. "Steuervereinfachung bedeutet doch im Klartext, dass Subventionen gestrichen werden", sagt ein Eichel-Berater.
In der jüngsten Vergangenheit urteilten die Unternehmensbosse auffällig milde über die Regierung. Nicht etwa, weil die Regierung die Steuersätze gesenkt hat, vor allem bei der Körperschaftsteuer. Es sind die mannigfachen Ausnahmetatbestände, die die Steuerlast der Betriebe drücken. So weit, dass die Deutschland AG im Jahr 2001 per Saldo gar keine Steuern mehr zahlte. Rund 800 Millionen Mark musste der Fiskus an die Unternehmen rückerstatten.
Die effektive Steuerbelastung, sagt etwa Siemens-Chef Heinrich von Pierer, halte internationalen Vergleichen inzwischen zwar besser stand als noch vor einigen Jahren. Die vielen Sonderregelungen und Ausnahmetatbestände seien jedoch gerade für ausländische Investoren schwer zu durchschauen. Kurz interpretiert: Eine Investitionsbremse. "Und darin", so von Pierer, "liegt der eigentliche Standortnachteil auf steuerlichem Gebiet."
Die Konzepte zur Abschaffung der SteuerlastDie SPD verweist beim Thema Steuern auf ihr großes Reformprojekt dieser Legislaturperiode, das bis zum Jahr 2005 angelegt ist. Familien mit zwei Kindern hätten jährlich rund 1900 Euro mehr im Portemonnaie.
- Bis 2005 sinkt der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent, der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent. Der Körperschaftsteuersatz für Kapitalgesellschaften ist auf 25 Prozent gesenkt worden.
- Steuervereinfachung ist zwar für die SPD langfristig ein Thema, an der Umsetzbarkeit wird indes noch gezweifelt.
- An der Ökosteuer will die SPD festhalten. Weitere Erhöhungen nach 2003 sind jedoch unwahrscheinlich.
- Der Steuerreform der rot-grünen Koalition kann die Union wenig abgewinnen, daher will sie im Falle eines Wahlsieges eine neue Reform durchboxen, die frühestens 2004 in Kraft treten könnte. Der Spitzen- und der Eingangsteuersatz sollen gesenkt, die Bemessungsgrundlage verbreitert werden.
- Die Union plädiert für ein einfacheres Steuersystem. Künftig soll der Eingangsteuersatz bei 15 Prozent liegen, der Spitzensteuersatz bei maximal 40 Prozent.
- Um mittelständische Unternehmen zu fördern, soll die Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften angeglichen werden.
- Die nächste Stufe der Ökosteuer soll im Falle eines Wahlsieges ausgesetzt werden.
- Die Bündnisgrünen waren als kleiner Koalitionspartner an der Steuerreform beteiligt und haben eine Reihe von Nachbesserungen für den Mittelstand durchgesetzt.
- Die Partei will eine "drastische Vereinfachung" im Steuerrecht. Die Steuerlast soll leistungsgerechter, transparenter werden. Der Grundfreibetrag soll angehoben, Steuervergünstigungen gestrichen werden. Um Bürokratie abzubauen, soll die Kfz-Steuer abgeschafft werden.
- Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sollen von der Steuer freigestellt werden.
- An der Ökosteuer halten die Grünen fest. Außerdem plädieren sie für eine Steuer auf Spekulationsgewinne.
- Auch die Liberalen plädieren im Falle einer Regierungsbeteiligung für eine neue Steuerreform, die so bald wie möglich nach der Wahl greifen soll.
- Die FDP will vor allem eine "radikale Steuervereinfachung". Auf alle Einkommensarten - also für Arbeitnehmer und Unternehmen - sollten einheitliche Steuersätze von 15, 25 und 35 Prozent gelten. Ausnahmetatbestände sollen dazu radikal abgeschafft werden.
- Im Falle einer Regierungsbeteiligung wollen die Liberalen die Ökosteuer abschaffen.
- Außerdem plädiert die FDP für eine Zinsabschlagsteuer von 25 Prozent.
- Die PDS kann der Steuerreform nichts abgewinnen. Ein "leistungsgerechterer Einkommensteuertarif" soll Schieflagen zulasten allein Erziehender beseitigen. Außerdem will die PDS einen gewinnabhängig steigenden Körperschaftsteuersatz.
- Steuerschlupflöcher sollten eingeschränkt werden, etwa durch die Einführung einer Mindestbesteuerung für Gewinne und andere Einkommen.
- Die PDS fordert eine höhere Steuer für Erbschaften über 200.000 Euro. Ausnahme: selbst genutztes Wohneigentum. Für große Privatvermögen solle die Vermögensteuer wieder eingeführt werden.