Skandal um Pillenschwindel
Den "Bolzplatz in Kapseln" schlucken
Es war einer der erfolgreichsten Börsengänge der vergangenen Jahre. Am ersten Handelstag Anfang Januar schoss die Aktie der Neosino AG sofort in die Höhe. Innerhalb von zwei Wochen hatte sich der Kurs verdreifacht. Der Wert des Unternehmens: über 200 Millionen Euro. Neosino verkauft unter anderem Nahrungsergänzungsmittel, die in ganz besonderer Weise wirken sollen. Denn sie enthalten angeblich so genannte Nano-Mineralien - Mineralien, die winzig klein gemahlen sind. Der Deutsche Sportbund hat diese Mittel empfohlen. Und unter anderem verkauft sie der FC Bayern München als Lizenzpartner. Aber Recherchen von NDR Info und Panorama zeigen: offenbar ein Schwindel.
Von Christian Baars, NDR
[Bildunterschrift: Empfiehlt die umstrittenen "Nano-Pillen": Dr. Müller-Wohlfahrt]
"Zaubersaft gibt Roy Kraft" - "Roque verletzt, jetzt hilft ihm Nano-Technik!" So titelten im vergangenen August Münchener Zeitungen als der neueste Deal des FC Bayern München bekannt gegeben wurde - die Partnerschaft mit der Neosino AG. Vermittelt hat das Geschäft Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Der Vereinsarzt von Bayern München arbeitet auch als Berater für Neosino. Nach seinen Angaben schlucken die Profi-Kicker seit einigen Monaten regelmäßig Mittel der Firma. Seitdem sei die Zahl der Muskelverletzungen zurückgegangen, so Müller-Wohlfahrt.
Davon ließ sich auch der Deutsche Sportbund überzeugen. In einem Schreiben an 26.000 Vereine wurden Neosino-Produkte zu Sonderpreisen angeboten und als unbedenklich beschrieben. Warum sollen die Mittel so gut wirken? Wir fragen nach beim Chef von Neosino, Edmund Krix: "Das entscheidende ist eigentlich, dass wir Materialien, die wir heute auf der Erde haben, in ihre einzelnen Atome im Prinzip zerlegen können. Und damit komplett neue Eigenschaft erreichen", erläutert Krix. Bei diesen Materialien handelt es sich vor allem um Silizium, Kalzium und Magnesium.
Die Stoffe würden in einer Mühle winzig klein gemahlen, bis auf die Größe von drei bis zehn Nanometer, sagt Krix. Zum Vergleich: ein menschliches Haar ist etliche tausendmal dicker. Und weil die Mineralstoffe so klein wären, würden sie vom Körper viel besser aufgenommen, sagt Krix. Sie könnten sogar gegen eine Reihe von Krankheiten helfen.
Weltweit einmaliges Verfahren?Gewonnen würden die Nano-Mineralien mit einem weltweit einmaligen Verfahren. Der Erfinder dieses Verfahrens heißt Gerd Thöne. Er erklärt: "Wenn Sie sich es einfach vorstellen: wir nehmen einen Eimer, schütten in die Maschine Wasser und dann nehmen wir Sand, schütten den hinten rein in einem bestimmten Verhältnis und lassen die Maschine laufen." Heraus komme Nano-Silizium im Bereich von drei bis zehn Nanometern, so Thöne.
Grafik: Pillen]
Da diese Größe entscheidend für die Wirkung der Neosino-Produkte sein soll, bitten wir Professor Markus Antonietti vom Max-Planck-Institut in Potsdam, einen der renommiertesten Nano-Forscher in Deutschland, die Produkte zu untersuchen. Das Ergebnis ist eindeutig: "Wir haben tatsächlich sehr sorgfältig mit einer Reihe von Verfahren nachgeschaut und der experimentelle Befund ist eigentlich überwältigend: das ist ganz und gar nicht wahr. Die untersuchten Proben - es waren fünf verschiedene - sind aus Mikrometer-großen Objekten, also 1000-mal so großen Objekten, zusammengesetzt. Wir haben auch in keinem Fall eine Gruppe von Teilchen gefunden, die so groß ist wie auf der Packung angegeben."
"Der Staub vom Bolzplatz hat die gleiche Wirkung"Statt die teuren Pillen zu schlucken, könnten die Fußballer von Bayern München auch auf eine günstigere Möglichkeit zurückgreifen, so Antonietti. "Sie könnten auf einen ganz normalen Bolzplatz gehen und den Staub, den sie dort aufwirbeln würden, aufnehmen, das hätte genau die gleiche Wirkung, wie die Dinge, die in diesen Kapseln enthalten sind. Die Leute schlucken sozusagen Bolzplatz in Kapseln."
Neosino bestreitet die VorwürfeDie Neosino AG bestreitet die Vorwürfe. Das Max-Planck-Institut habe nicht richtig gemessen, sagt der Vorstandschef Krix. Der Deutsche Sportbund allerdings geht jetzt auf Abstand zu den Neosino-Produkten. Generalsekretär Andreas Eichler: "Wir haben den Fehler gemacht, dass wir den Vereinen suggeriert haben, es sei ein unbedenkliches Produkt, was wir mit unserem Segen als Dachorganisation nach draußen geben. Dies war in dieser Eindeutigkeit falsch." Der Vertrag mit Neosino werde nicht verlängert, sagte Eichler dem NDR. Bayern München sagt, sie würden sich auf ihren Arzt Müller-Wohlfahrt verlassen. Der hatte aber keine Zeit für ein Interview.