Neuer Markt: Eigene Firmen kaufen
Gerissene Firmenaufkäufer haben es vielfach auf die Bargeldreserven Not leidender Unternehmen abgesehen – zu Lasten der Kleinaktionäre.
Es ist eine vollkommen irre Geschichte. Es geht um die letzten verwertbaren Reste der New Economy. Es geht um ein Beteiligungsgestrüpp, dessen Arme von Deutschland und der Schweiz über Luxemburg bis nach Florida reichen. Geld fließt über dunkle Kanäle ab. Sagen die einen. Es geht um einen radikalen Neuanfang; darum, mit brachliegendem Kapital ein innovatives Mobilfunknetz aufzubauen, sagen die anderen.
Auf jeden Fall geht es um Geld. Um viel Geld, das in den Kassen zahlreicher Unternehmen seit deren Börsengang liegt. Gerade am Neuen Markt investierten private Anleger auch in solche Firmen, deren Geschäftsmodell sich inzwischen als nicht tragfähig und damit als dauerhaft defizitär erwiesen hat. Nicht überall haben die Verluste aus dem Geschäftsbetrieb den Cashbestand aufgezehrt. Dieses Geld zieht nun Firmenaufkäufer an.
Der Verdacht: Geschäftemacher nutzen die niedrigen Aktienkurse, um sich die Mehrheit an den cashreichen Unternehmen zu sichern; im zweiten Schritt tauschen sie Aufsichtsrat und Vorstand aus; schließlich plündern sie die Kasse. Dieses Schicksal droht derzeit allen Unternehmen, die mehr Bares in der Kasse haben, als die Firma an der Börse wert ist. Und das sind einige. Die Geschädigten wären wieder einmal die Kleinanleger. Ihre Aktien sind nach dem Ablauf einer solchen Räuberpistole wertlos.
„Die Masche läuft immer nach demselben Muster ab“, sagt Christoph Öfele, Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) in München. So wie auf der Hauptversammlung der Gap. Mitten im Vortrag des Vorstandschefs Ditmar Prigge meldet sich der Frankfurter Anwalt Hubert Hesse zu Wort. Er agiert – so viel ist inzwischen bekannt – im Auftrag einer Gruppe von Firmenaufkäufern, die schon im März 2002 mit der Übernahme der am Neuen Markt notierten Adori Aufsehen erregte.
Hesse fordert zur Verwunderung der Privataktionäre, die Zahl der Aufsichtsräte von sechs auf drei zu verringern. Die drei neuen Kandidaten schlägt er gleich vor, unter anderem sich selbst und Paul Kößler. Die knapp 70 angereisten Kleinaktionäre staunen noch mehr, als die vier Gap-Gründer und -Hauptaktionäre den Anträgen Hesses zustimmen und sich klaglos entmachten lassen. Einer von ihnen, der ehemalige Aufsichtsratschef Johannes Reh, wird das später damit begründen, er habe nicht gleichzeitig die Sitzung leiten und abstimmen wollen.
Am Ende ist der Aufsichtsrat komplett ausgetauscht. Am nächsten Tag entlässt der neue Aufsichtsrat den Vorstand und setzt Martin Kagerer als Alleinvorstand ein. Kagerer und Kößler sind den Aktionärsschützern bereits bekannt. Auch bei Adori sind sie Vorstände. Hesse wiederum ist ein enger Vertrauter des Unternehmers Ulrich Altvater, der bei Adori neben dem früheren Journalisten und Fondsberater Marian von Korff den Aufsichtsrat bildet.
Die SdK befürchtet nun, die Adori-Riege habe die Gap nur unter ihre Kontrolle gebracht hat, um deren Kasse zu leeren. Darin lagen noch rund 11,5 Millionen Euro Bares – bei einem Börsenwert von rund 4,5 Millionen. Öfeles Verdacht: Die neuen Herren könnten mit dem Geld aus der Gap-Kasse ihre eigenen Unternehmen zu überteuerten Preisen kaufen, so die Kasse leeren und für die restlichen Aktionäre nichts hinterlassen. Altvater äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Vorwürfen. Kagerer will nichts zu „aus dem Zusammenhang gerissenen Vorwürfen“ sagen.
Die Alteigentümer hätten mitgespielt, so die SdK, um sofort aus dem Cashbestand und zu weit höheren Kursen als die Kleinanleger abgefunden zu werden. Für Gap-Alteigentümer und -Gründer Ditmar Prigge reine Spekulation, über die er „ein bisschen lache“. Tatsächlich aber meldet die Adori zwei Tage nach der Gap-Hauptversammlung den Kauf von 14 Prozent der Gap-Aktien und Optionen auf weitere 14 Prozent – zusammen der Anteil, der den anderen drei Alteigentümern gehörte.
Der neue Gap-Alleinvorstand Kagerer sagt, Gap werde von der Adori-Mannschaft für ein Netz von Firmen benötigt, mit dem die Gruppe eine innovative Funktechnik aufbauen und UMTS überflüssig machen wolle.
Zu diesem Netz gehören offenbar mindestens zwei weitere Unternehmen, bei denen die Gruppe um Altvater die Kontrolle übernahm, als der Wert der Barmittel den Börsenwert um ein Vielfaches überstieg: Distefora und die Adori selbst. Auch bei der Schweizer Distefora und der Regensburger Adori lagen große Aktienpakete (über 50 Prozent) in der Hand weniger Alteigentümer, der Wert beider Unternehmen sank an der Börse schnell. Eine einfache Mehrheit der Stimmrechte war leicht zu erringen, weil der Streubesitz relativ gering war.
Bei der Adori stieg die Gruppe ein, als dort rund 30 Millionen Euro in der Kasse lagen. Kurz danach kauften sie eine Telekomfirma namens ArcTel – die dem neuen Hauptaktionär gehörte und kaum noch Mitarbeiter beschäftigte. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Kurz darauf verfügte die ArcTel plötzlich über 22 Millionen Euro Grundkapital. „Nach dem ArcTel-Kauf war die Adori-Kasse so gut wie leer“, erinnert sich Anlegerschützer Öfele, „das wollten die sich dann nachträglich auf der HV genehmigen lassen.“ Kagerer wollte sich auch zu diesem Vorgang nicht äußern.
Inzwischen hat die Adori-Gruppe auch die Kasse der ehemaligen Schweizer New-Economy-Hoffnung Distefora leer geräumt, werfen ihr zumindest die Herisauer MFC Merchant Bank sowie der Großak-tionär und geschasste ExvorstandPatrick Hofmann vor. Altvater ist dort Verwaltungsratspräsident, ehedem von Hofmann gerufen – was dieser heute bereut. Wie Gap und Adori verfügte auch die Distefora über hohe Barmittel, als die Adori-Clique dort einstieg – rund 30 Millionen Franken. Fast alles davon soll in den vergangenen Monaten per Darlehen an Firmen aus dem Umfeld des Unternehmers Christian Nicolai geflossen sein, der hinter Altvater und Kagerer steht.
Der grösste Batzen aus der Distefora-Kasse – umgerechnet über 16 Millionen Euro – floss an die Köllmann Gruppe, an der Nicolai wesentliche Anteile hält. Als Gegenleistung für die Darlehen brachte die Köllmann Gruppe bei der Distefora ein: Adori-Aktien zu über 60 Prozent über dem Börsenwert und Abtretungen von Forderungen. Altvater und Kagerer wollten auch diesen Vorwurf bis Redaktionsschluss nicht ausräumen. „Wir werden am Donnerstag umfassend auf der Distefora-Homepage informieren“, sagte Kagerer.
Nicolai ist kein unbeschriebenes Blatt. Er trat bereits in den Achtzigerjahren im Zusammenhang mit dubiosen Geschäften auf. Im Aufsichtsrat der Luxemburger Firma Satellite Internet Solutions (SIS) sitzt er zusammen mit Günter Minninger (früher Concordia, IG Farben in Liquidation, Norddeutsche Steingut, Stollberger Zink, Kolb & Stüle). Der SIS gehört seit August die Mehrheit der Adori-Aktien.
Nicolai soll sich nach weiteren Firmen am Neuen Markt erkundigt haben, die ebenfalls noch viel Cash in der Kasse haben, und „wo die Alteigentümer das Geschäftsmodell beerdigt haben, aber nicht ohne weiteres ihre Aktien verkaufen können, weil mit der Aktie kaum noch gehandelt wird“, so ein Insider aus dem Gap-Umfeld.
Entscheidend bei dem Vorgehen der Aufkäufer, Bargeld des Unternehmens gegen eine neue Tochtergesellschaft zu tauschen, bleibt: Sind die eingebrachten Firmen wirklich den Betrag wert, den die börsennotierten Mütter zahlen müssen? Bisher hat noch niemand Werthaltigkeitsgutachten gesehen, mit denen sich das überprüfen ließe. Doch „alleine die Tatsache, dass die Aufsichtsräte mit Geld aus der Kasse ihre eigenen Firmen kaufen, stinkt zum Himmel“, findet ein Analyst.
Kagerer behauptet indes, Hofmann und die MFC hätten sich die Quellen für ihre Anwürfe, die „nur ein unvollständiges Bild der Transaktionen“ zeichneten, unter Verletzung von Geheimhaltungsvorschriften beschafft. Altvater versicherte noch im November, die Finanzlage der Distefora sei besser als zum Zeitpunkt seines Einstiegs. Beweise dafür nennt er nicht.
Kagerer verweist als Distefora-CEO, Adori-Vorstand und frisch gebackener Gap-Alleinvorstand auf ein Strategiepapier, das seit Dienstag auf der Web-Site www.distefora.com liegt. Dort steht, die neuen Machthaber wollten die Firma zu einem „führenden Dienstleistungsunternehmen in der drahtlosen Telekommunikation“ ausbauen. Erste Projekte liefen bald in Heilbronn an. Dort weiß man davon nichts.
Viele Grüße
aus dem Ruhrpott