NaherOsten: Das Duell der alten Männer

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NaherOsten: Das Duell der alten Männer

 
15.02.02 09:49
Von Annette Großbongardt, Jerusalem

Jassir Arafat und Ariel Scharon verkörpern mit ihrer Lebensgeschichte den Nahostkonflikt. Jetzt bekämpfen sich die Erzfeinde in ihrer vermutlich letzten Schlacht.

Der Mann in Schussweite trug ein Armeehemd und eine olivgrüne Militärmütze. Die Finger spreizte er zum Siegeszeichen, obwohl er kapitulieren musste. Kinderleicht hätte ihn der israelische Soldat, der ihn durchs Visier beobachtete, töten können. "Doch wir hatten versprochen, ihn zu verschonen", erinnert sich Ariel Scharon erbittert, "heute bedauere ich, dass wir ihn nicht erschossen haben." Der Davongekommene war Jassir Arafat, der an jenem Septembertag 1982 mit seinen PLO-Kämpfern gedemütigt aus dem umkämpften Beirut abziehen musste.
In einer bitteren Ironie der Geschichte stehen sich die beiden Gegner von damals nun wieder gegenüber: Scharon, 73, damals Verteidigungsminister, führt heute Israel als Premier, Arafat, 72, damals Guerillaführer, ist gewählter Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete.

Dass sein selbst in Israel umstrittener Erzfeind Scharon an die Macht kam, hat der Palästinenser teilweise sich selbst zuzuschreiben. Nachdem Arafat 2000 in Camp David das Friedensangebot von Ministerpräsident Ehud Barak ausgeschlagen hatte und einige Wochen später die Intifada losbrach, verloren die Israelis allen Glauben an den Aussöhnungskurs der Linken und liefen zum Likud-Hardliner Scharon über.

Seit der einstige General nun die Regierungsgeschäfte des jüdischen Staates führt, mutiert der Nahostkonflikt immer mehr zum erbitterten Duell zweier alter, verfeindeter Männer. Die beiden Fossile des israelisch-arabischen Konflikts sind Experten des Schlachtfelds, aber nicht des Dialogs, schon gar nicht miteinander. Arafat widmete sein Leben der - größtenteils - gewalttätigen Befreiungsbewegung Palästinas, Scharon hat diese sein Leben lang bekämpft.

Einmal nur trafen sich Scharon und Arafat am Verhandlungstisch. Das war im Oktober 1998 im amerikanischen Wye, als Scharon unter Premier Benjamin Netanjahu als Außenminister diente. Die beiden plauderten sogar miteinander, wie sich ein Scharon-Berater erinnert: "Arafat erzählte, wie er in den fünfziger Jahren als Ingenieur in Kuweit Straßen und Brücken gebaut hat, Scharon schwärmte vom Leben als Farmer". Doch er weigerte sich strikt, dem Palästinenser die Hand zu schütteln - bis heute.

Mit dem hartgesottenen Israeli, das weiß Arafat, wird er nie Frieden schließen. "Wie ich Rabin vermisse!", klagt er vor Besuchern ständig über den Verlust seines ermordeten Friedenspartners. So drückt er arabisch-elegant aus, wie sehr er Scharon verabscheut. Der Israeli schmäht seinen Rivalen dagegen öffentlich mit Hassnamen. Meist nennt er ihn "unseren Bin Laden", der keine Autonomiebehörde, sondern eine "Koalition des Terrors" anführe. "Arafat ist noch immer derselbe wie 1982 in Beirut", erklärte Scharon kürzlich, bevor er den Palästinenserchef in dessen Hauptquartier in Ramallah praktisch unter Hausarrest des israelischen Militärs stellte.
Dabei hatten die beiden Rivalen am Beginn ihrer Biografie durchaus einen gemeinsamen Feind - die britischen Mandatsherren. Arafat kämpfte gegen die Engländer in Ägypten, Scharon in der Reihen der israelischen Untergrundbewegung Hagana.

Doch schnell begann Arafat als Studentenführer in den fünfziger Jahren in Kairo Mitstreiter gegen Israel zu mobilisieren, Scharon verdiente sich unterdessen erste Sporen als Terroristenjäger. 1953 schuf und führte er die berüchtigte Sondereinheit 101, das erste Elitekommando gegen arabischen Terrorismus. Als Arafat 1959 die palästinensische Befreiungsbewegung Fatah gründete, war Scharon auf der Karriereleiter des Militärs bereits auf dem Weg nach oben. Im Sechs-Tage-Krieg befehligte er eine Panzerdivision auf dem Sinai. Während er danach auf Sondermission im Ausland reiste, schmuggelte sich Jassir Arafat - mal als Arzt, mal als Schäfer verkleidet - ins gerade von Israel besetzte Westjordanland, um dort Truppen für den palästinensischen Kampf zu sammeln.

Scharons Bulldozer-Taktik
Die Mission, die palästinensischen Milizen im Gaza-Streifen auszuräuchern, wurde Anfang der siebziger Jahre erneut dem schlachterprobten Scharon übertragen - ein Einsatz, der ihn bis heute nach seinen eigenen Worten mit "tiefer Befriedigung" erfüllt. In sieben Monaten gelang es Scharons Soldaten, mehr als hundert mutmaßliche Terroristen zu töten und rund 750 zu verhaften. Damals erfand Scharon die Taktik, jede Einsatztruppe von einem Bulldozer begleitet zu lassen, der verdächtige Häuser sofort platt walzte. Steine werfende Jugendliche wurden mit der Drohung abgeschreckt, beim nächsten Mal werde ihr Vater oder Bruder deportiert. An etwa 30 Familien statuierte Scharon ein Exempel. Ihre Väter wurden - nur mit Wasser und Brot versorgt - an der Grenze zu Jordanien ausgesetzt.

Der Einmarsch der Israelis 1982 in Beirut hatte zum Ziel, Arafats dort untergeschlüpfte PLO endgültig zu zerschlagen. Tatsächlich gelang es Scharon "diese bösartigen Kriminellen" aus der libanesischen Hauptstadt zu vertreiben. Doch sein Erzfeind ging ins Exil nach Tunis und führte den bewaffneten Kampf von dort weiter. Deshalb frohlockt Arafat bis heute: "Ich habe Scharon eine Lektion erteilt. Zeigen Sie mir einen Menschen, der sagt, dass die Israelis die Schlacht von Beirut gewonnen hätten." Tatsächlich verließen die letzten israelischen Soldaten erst 1999 den Südlibanon, wo sie unter hohen Verlusten eine so genannte Sicherheitszone okkupiert hielten.

Die Schmach von Oslo
Gerne brüstet sich Arafat, Leutnant der Reserve der ägyptischen Armee, er sei "der einzige arabische General, der nie besiegt wurde". 1994 fügte er Scharon eine besondere Schmach zu: Der Gegner der Friedensverträge von Oslo musste zusehen, wie Arafat im Triumph nach Gaza und in die Westbank einzog, nun als Vorsitzender der neuen palästinensischen Autonomiebehörde.

Mit einem radikalen Schwenk zum Friedensprozess und der Anerkennung des Staates Israel war es dem langjährigen Terroristenführer gelungen, die Gunst der internationalen Gemeinschaft zu gewinnen und damit sein Überleben zu sichern.

Obwohl Scharon dem Palästinenserchef allein die Verantwortung für die Intifada zuschiebt, hat er selbst seinen Anteil am Ausbruch des Hasses. In der hochgespannten Phase nach dem Scheitern des Gipfels in Camp David war der übergewichtige Ex-Militär Ende September 2000 auf das Allerheiligste der Muslime in Jerusalem, den Haram-al-Scharif, marschiert, den die Juden als Tempelberg verehren. Die hochprovokante Geste löste Unruhen und damit jene Kette von Gewalttaten aus, die bald als zweite Intifada der Palästinenser gegen Israel Schlagzeilen machte.

Roter Teppich für Scharon
Trotz mehrerer Verpflichtungen zum Waffenstillstand hat Arafat den Terror gegen Israel bis heute nicht gestoppt, an dem sich auch Kämpfer seiner eigenen Fatah-Organisation beteiligen. Scharon seinerseits schürt das Feuer immer wieder, indem er in Phasen abflauenden Kampfes Häuser platt walzen oder gesuchte Extremisten auf offener Straße liquidieren lässt. Das israelische Friedenslager beschuldigt ihn deshalb, er sei an einem Friedensvertrag gar nicht interessiert. Sein einziges Ziel sei es, Arafat zu erledigen und die palästinensische Autonomie zu zerschlagen. Arafat dagegen weckt seinerseits Zweifel, ob er willens und in der Lage ist, vom Guerilla- und Befreiungskämpfer in die Rolle des verantwortlichen Staatsmanns zu wechseln.

Doch aus Sorge, sein Sturz könne nur schlimmeres Chaos provozieren, halten Europa und selbst die USA, wenn auch zögerlicher, weiter an "Mr. Palestine" fest. "Das ist ein Konflikt mit einem anderen Volk", warnt Außenminister Schimon Peres, "nicht mit einem Mann."

Quelle: spiegel.de
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